22.04.2016 B: Arbeitsrecht Kempe: Beitrag B2-2016

Benachteiligung behinderter Stellenbewerber (beim Einstellungsverfahren) – nicht bestandener Eignungstest – Anmerkung zu LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 09.09.2015, Az.: 3 Sa 36/15

Die Autorin Astrid Kempe bespricht in ihrem Beitrag die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Schleswig-Holstein vom 09.09.2015, Az.: 3 Sa 36/15. Das Gericht hatte über die Frage zu entscheiden, ob einem schwerbehinderten Stellenbewerber aufgrund eines nicht bestandenen Eignungstests die fachliche Eignung für die Ausbildung offensichtlich fehlte und eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch daher nicht erforderlich war.

Das LAG Schleswig-Holstein entschied, dass Eignungstests regelmäßig Bestandteil des Auswahlverfahrens, nicht aber des Anforderungsprofils sind. Bewerber, die dem Anforderungsprofil entsprechen, werden daher vom öffentlichen Arbeitgeber benachteiligt, wenn sie nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden, weil sie einen Eignungstest nicht bestanden haben.

(Zitiervorschlag: Kempe: Benachteiligung behinderter Stellenbewerber (beim Einstellungsverfahren) – nicht bestandener Eignungstest – Anmerkung zu LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 09.09.2015, Az.: 3 Sa 36/15; Beitrag B2-2016 unter www.reha-recht.de; 22.04.2016)


I. Thesen der Autorin

  1. Die fachliche und persönliche Eignung eines Bewerbers ergibt sich aus der Übereinstimmung von Anforderungsprofil und Leistungsprofil. Eignungstests sind üblicherweise nicht Teil des Anforderungsprofils, sondern Teil des unter den geeigneten Bewerbern vorzunehmenden Auswahlverfahrens.

  2. Ausnahmsweise können Eignungstests zum Gegenstand des Anforderungsprofils gemacht werden. Für den öffentlichen Arbeitgeber ist dies regelmäßig unzulässig, da die notwendige Transparenz eines Anforderungsprofils im Vorfeld auch die völlige Transparenz des Eignungstests erfordern würde. Wird ein schwerbehinderter Bewerber aufgrund eines nicht bestandenen Eignungstests im Rahmen des Auswahlverfahrens nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, liegt eine Benachteiligung im Sinne des § 7 Abs. 1 AGG vor.

II. Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Leitsatz: Eignungstests sind regelmäßig Bestandteil des Auswahlverfahrens. Einstellungsbewerber, die dem Anforderungsprofil entsprechen, werden vom öffentlichen Arbeitgeber benachteiligt, wenn sie nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden, weil sie einen Eignungstest nicht bestanden haben.

  1. Ein im Rahmen eines Auswahlverfahrens veranstalteter Eignungstest stellt keine formale Voraussetzung des Anforderungsprofils für die zu besetzende Stelle dar, weshalb ein negatives Testergebnis die fachliche Eignung des Bewerbers nicht offensichtlich ausschließt.

  2. Ein benachteiligter schwerbehinderter Bewerber kann eine angemessene Vergütung in Geld verlangen, wenn er bei der Begründung eines Ausbildungsverhältnisses wegen seiner Behinderung benachteiligt worden ist.

Die Benachteiligung wegen einer Behinderung ist indiziert, wenn ein öffentlicher Arbeitgeber die in § 82 S. 2 SGB IX angeordnete Besserstellung gegenüber nicht schwerbehinderten Bewerbern durch Einladung zu einem Vorstellungsgespräch verwehrt, obwohl dem schwerbehinderten Bewerber im Sinne von § 82 S. 3 SGB IX die fachliche Eignung nicht offensichtlich fehlt.

III. Der Fall

Der Kläger, bei dem ein Grad der Behinderung von 70 % vorliegt, hat einen Fachhochschulabschluss als Verwaltungsfachangestellter und ist in der Generaldirektion des Beklagten beschäftigt. Dieser schrieb am 27.01.2014 mehrere Ausbildungsplätze für das duale Studium des Diplomverwaltungsinformatikers aus. Die Bewerber mussten über die vollwertige Fachhochschulreife verfügen und im Rahmen eines mehrstufigen Auswahlverfahrens einen Eignungstest bestehen. Erst nach erfolgreicher Absolvierung des Testverfahrens sollten die Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch vor dem Auswahlausschuss des Beklagten eingeladen werden. Der Kläger, der sich auf einen der Studienplätze beworben hatte, bestand den Eignungstest nicht, für dessen Bearbeitung ihm ein Nachteilsausgleich eingeräumt worden war. Mit Schreiben vom 31.03.2014 lehnte der Beklagte die Bewerbung des Klägers aufgrund des negativen Testergebnisses ab. Der Kläger sah hierin eine vermutete Diskriminierung aufgrund seiner Behinderung, da er nicht gemäß § 82 S. 2 SGB IX zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, obwohl er die Voraussetzungen des Anforderungsprofils als erfüllt ansah und sich nicht für offensichtlich ungeeignet hielt. Dabei ging er davon aus, dass ihn der Beklagte trotz des nicht bestandenen Eignungstests hätte einladen müssen, weil § 82 S. 2 SGB IX insoweit eine Privilegierung schwerbehinderter Menschen vorschreibe. Der Beklagte wandte hiergegen ein, dass das Bestehen des Tests Teil des Anforderungsprofils sei und ein Kriterium der Eignung für den Studienplatz darstelle. Der Kläger habe sich durch das Nichtbestehen des Testes als offensichtlich ungeeignet erwiesen, weshalb man ihn entsprechend § 82 S. 3 SGB IX nicht habe einladen müssen. Mit Schreiben vom 16.04.2014 machte der Kläger gegenüber dem Beklagten einen Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 S. 1 AGG in Höhe von drei Monatsvergütungen geltend. Der Beklagte lehnte dies ab. Daraufhin klagte der Kläger vor dem Arbeitsgericht Flensburg auf Zahlung. Das Gericht gab der Klage teilweise statt und verurteilte den Beklagten zu einer Entschädigung in Höhe von 1586,52 Euro, was zwei Monatsgehältern entspricht. Gegen diese Entscheidung legte der Beklagte Berufung vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein ein und beantragte, die Klage abzuweisen. Die Berufung wurde von der dritten Kammer als unbegründet zurückgewiesen.

IV. Die Entscheidung

Das Berufungsgericht hatte vor allem über die Frage zu entscheiden, ob dem Kläger aufgrund seines Testergebnisses die fachliche Eignung für die Ausbildung offensichtlich fehlte und eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch daher nicht erforderlich war. Zunächst stellt die Kammer fest, dass der Kläger mit einem Grad der Behinderung von 70 % unter den Anwendungsbereich der § 15 Abs. 2 S. 1, § 6 Abs. 1 und Abs. 2 sowie §§ 1 und 2 AGG fällt. Danach kann der schwerbehinderte Bewerber eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen, wenn er bei der Begründung eines Ausbildungsverhältnisses wegen seiner Behinderung benachteiligt worden ist. Eine Benachteiligung kommt in Betracht, wenn ein öffentlicher Arbeitgeber einem schwerbehinderten Bewerber die gemäß § 82 S. 2 SGB IX angeordnete Privilegierung unzulässig vorenthält. Danach sind schwerbehinderte Menschen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, es sei denn, dass ihnen gemäß § 82 S. 3 SGB IX die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Diese darf nicht nur zweifelhaft, sondern muss offensichtlich ausgeschlossen sein. Dabei genügt es, wenn der schwerbehinderte Bewerber Tatsachen glaubhaft macht, die eine Benachteiligung wegen der Behinderung vermuten lassen. Der Arbeitgeber trägt dagegen gemäß § 22 AGG die Darlegungs- und Beweislast, dass die unterschiedliche Behandlung wegen eines nicht auf die Behinderung bezogenen Grundes erfolgte. Das Gericht geht davon aus, dass die Nichteinladung des Klägers, der über die geforderte Fachhochschulreife verfügt, die Benachteiligung aufgrund der Behinderung indiziert. Dieses Indiz habe der Beklagte nicht widerlegen können. Insbesondere könne er sich nicht darauf berufen, dass der Kläger fachlich ungeeignet sei, weil er den Eignungstest nicht bestanden hat, denn dieser sei nicht Teil des Anforderungsprofils, sondern des Auswahlverfahrens gewesen. Ob die fachliche Eignung eines Bewerbers vorliegt, werde an Hand eines Vergleichs zwischen seinem Leistungsprofil und dem Anforderungsprofil für die zu besetzende Stelle ermittelt. Im Anforderungsprofil, das ausschließlich nach objektiven Kriterien zu erstellen ist, beschreibt der Arbeitgeber die formalen Voraussetzungen, die für eine erfolgreiche Bewerbung benötigt werden. Ausweislich der Ausschreibung des Beklagten ist Voraussetzung für eine Bewerbung der Nachweis, dass eine vollwertige Fachhochschulreife vorliegt. Bewerber, wie der Kläger, die diese Anforderung erfüllen, haben sich erfolgreich um den ausgeschriebenen Studienplatz beworben und müssen sich dem Auswahlverfahren stellen, dessen erste Hürde der Eignungstest ist. Die offensichtlich fehlende Eignung, die den Arbeitgeber von der Einladung zu einem Vorstellungsgespräch entbindet, muss sich jedoch bereits nach Durchsicht der Bewerbungsunterlagen ergeben. Die Unterlagen des Klägers entsprachen den Voraussetzungen des Anforderungsprofils, weshalb er als offensichtlich geeignet eingestuft und zur Absolvierung des folgenden Eignungstestes zugelassen wurde. Die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch sei daher gemäß § 82 S. 2 SGB IX erforderlich gewesen.

V. Würdigung/Kritik

Die Entscheidung verdient volle Zustimmung. Die 3. Kammer geht zutreffend davon aus, dass der Beklagte die Vermutung einer behinderungsbedingten Benachteiligung des Klägers nicht erfolgreich widerlegt hat. Diese wird gemäß § 82 S. 2 SGB IX unterstellt, wenn ein schwerbehinderter Bewerber nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird, es sei denn, dass er gemäß § 82 S. 3 SGB IX die fachliche Eignung offensichtlich nicht besitzt. Das Fehlen der Eignung kann jedoch nicht aus dem Ergebnis eines im Rahmen des Auswahlverfahrens durchgeführten Eignungstestes abgeleitet werden.

1. Unzulässigkeit des bestandenen Eignungstests als Gegenstand des Anforderungsprofils

Der öffentliche Arbeitgeber kann nicht erst nach Eingang einer Bewerbung die Kriterien eines Anforderungsprofils festlegen. Er kann die Pflicht zum Vorstellungsgespräch mit schwerbehinderten Bewerbern nicht dadurch umgehen, dass er ihre fehlende Eignung durch nachträglich festgelegte Kriterien konstruiert. Vielmehr ist er an die in der Ausschreibung aufgestellten Mindestanforderungen gebunden.[1] Will sich der Arbeitgeber gemäß § 82 S. 3 SGB IX auf die fehlende fachliche Eignung eines schwerbehinderten Bewerbers wegen eines Testergebnisses berufen, muss er folglich den Eignungstest zum Gegenstand des Anforderungsprofils machen. Ob dies generell zulässig ist, hat das Berufungsgericht offen gelassen. Grundsätzlich ist der öffentliche Arbeitgeber nicht gehindert, sachgerechte Zusatzanforderungen im Rahmen einer Stellenausschreibung aufzustellen. Diese unterliegen jedoch einer doppelten Rechtskontrolle. Zum einen dürfen nach § 8 Abs. 1 AGG nur dem Arbeitsplatz angemessene berufliche Anforderungen aufgestellt werden und zum anderen muss jedes Zusatzkriterium tatsächlich ein zwingend vorgegebenes Kriterium des Anforderungsprofils sein.[2] Beides erscheint im Hinblick auf den zu bestehenden Eignungstest fraglich.

a) Zulässige Kriterien des Anforderungsprofils

Für die Zulässigkeit der Stellenausschreibung eines öffentlichen Arbeitgebers ist Art. 33 Abs. 2 GG und die daraus abzuleitende Transparenz des Anforderungsprofils zu beachten. Art. 33 Abs. 2 GG begründet ein grundrechtsgleiches Recht, wonach der am besten geeignete Bewerber einen Anspruch auf die ausgeschriebene Stelle hat.[3] Da der Grundrechtsschutz auch durch die Gestaltung des Auswahlverfahrens bewirkt wird, muss es eine materiell-rechtlich korrekte Entscheidung über die Bewerbung nach dem Prinzip der Bestenauslese gewährleisten. Dies setzt das Erstellen eines Anforderungsprofils voraus, das bereits bei Bekanntgabe der Stellenausschreibung die Kriterien festlegt, die der Bewerber zwingend benötigt. Davon ist nur auszugehen, wenn alle Bewerber, die diesem Maßstab nicht genügen, als ungeeignet behandelt werden.[4] Um eine Grundlage der leistungsbezogenen Auswahl sein zu können, muss das Anforderungsprofil jedoch bereits bei Beginn des Bewerbungsverfahrens feststehen.[5] Zudem muss der öffentliche Arbeitgeber das Anforderungsprofil dokumentieren, damit die Gründe für seine Entscheidung transparent sind. Ansonsten könnte er Eignungsmerkmale nachschieben, die das Absehen von der Einladung zu einem Vorstellungsgespräch rechtfertigen.[6] Für einen Eignungstest würde dies bedeuten, dass der Arbeitgeber die Testfragen, eine zu erreichende Mindestpunktzahl, die Punkteverteilung insgesamt und eine ideale Lösung bereits im Vorfeld formulieren und den Bewerbern nachträglich zugänglich machen muss.[7] Dies ist praxisfern und wäre besonders im Fall von Massenbewerbungsverfahren kaum umsetzbar. Gleiches gilt für nicht konstitutive Anforderungsprofile. Konstitutiv sind jene Merkmale, die an Hand objektiv überprüfbarer Kriterien eindeutig und unschwer festzustellen sind. Dies gilt insbesondere für Merkmale, die ohne einen Wertungsspielraum des Arbeitgebers ermittelbar sind. Dem gegenüber kennzeichnet das beschreibende, nicht konstitutive Anforderungsprofil solche Qualifikationsmerkmale, die typischerweise nicht an Hand objektiver Fakten festgestellt werden können. Sie erschließen sich erst auf der Grundlage eines persönlichkeitsbedingten Werturteils.[8] Will der Arbeitgeber an dieser Stelle nicht auf die üblichen Bewerbungsunterlagen wie Arbeitszeugnisse, persönliche Beurteilungen oder die Berufserfahrung zurückgreifen, sondern einen Eignungstest durchführen, muss er verschiedene Zulässigkeitsvoraussetzungen beachten. Kreative, intellektuelle oder psychologische Eignungstests berühren häufig die Privatsphäre des Arbeitnehmers, weshalb sie nur zulässig sind, wenn der Bewerber vorher über die Testbedingungen und den Testinhalt aufgeklärt wird und einwilligt. Der Test selbst muss unter Umständen durch einen qualifizierten Gesprächsleiter durchgeführt werden und den gerichtlich entwickelten Grundsätzen zum Fragerecht des Arbeitgebers im Bewerbungsverfahren entsprechen.[9] Einen solchen Aufwand bereits vor Beginn des eigentlichen Auswahlverfahrens zu betreiben, wäre ineffektiv. Demnach geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass sich die objektive Eignung eines Bewerbers an der Stellenausschreibung mit ihrem Anforderungsprofil orientieren muss, die mit den Bewerbungsunterlagen abzugleichen ist.[10] Welcher der objektiv geeigneten Bewerber der Beste ist, kann sodann im Rahmen eines Rankings und mittels eines Eignungstests im näheren Auswahlverfahren geklärt werden.[11]

b) Die Angemessenheit des Anforderungsprofils

Grundsätzlich liegt es im Ermessen des öffentlichen Arbeitgebers, wie er eine Stellenausschreibung zuschneidet. Allerdings muss das Anforderungsprofil diskriminierungsfrei und der zu besetzenden Stelle angemessen sein.[12] Der Ermessensspielraum wird überschritten, sofern die Forderungen an die Körperfunktion, die geistigen Fähigkeiten oder die seelische Gesundheit überzogen erscheinen. Auf diesem Weg könnte behinderten Menschen der Zugang zu der ausgeschriebenen Stelle im Vorfeld versperrt werden.[13] Allerdings bedürfen auch Bewerber, welche die auf der zu besetzenden Stelle auszuübenden Tätigkeiten grundsätzlich verrichten können, ohne aber jede Voraussetzung des Anforderungsprofils zu erfüllen, des Schutzes vor Diskriminierung, weil gerade Anforderungsprofile in Stellenanzeigen Qualifikationen benennen, deren Vorhandensein der Arbeitgeber zwar wünscht, die aber keinesfalls zwingende Voraussetzung einer erfolgreichen Bewerbung sind.[14] Auch insofern erscheint es überzogen und unangemessen den bestandenen Eignungstest als einen zulässigen Bestandteil des Anforderungsprofils zu behandeln.

2. Die Einladungspflicht trotz eines nicht bestandenen Eignungstests im Auswahlverfahren

Sieht ein öffentlicher Arbeitgeber davon ab, einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, der einen Eignungstest im Rahmen eines Auswahlverfahrens nicht bestanden hat, ist von einer behinderungsbedingten Benachteiligung im Sinne des § 7 Abs. 1 AGG auszugehen. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 AGG vor, wenn jemand wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation. Gemäß § 82 S. 2 SGB IX sind schwerbehinderte Menschen im Bewerbungsverfahren gegenüber Konkurrenten ohne Behinderung besserzustellen. Sie sollen im Rahmen des Vorstellungsgesprächs die Chance haben, den Arbeitgeber von ihrer persönlichen Eignung zu überzeugen. Wird ihnen diese Möglichkeit genommen, liegt darin eine weniger günstige Behandlung, als sie das Gesetz zur Herstellung gleicher Bewerbungschancen vorsieht. Der damit verbundene Ausschluss aus dem weiteren Bewerbungsverfahren stellt sich als eine Benachteiligung dar, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung steht.[15] Der öffentliche Arbeitgeber kann diesen gesetzlich fingierten Zusammenhang gemäß § 82 S. 3 SGB IX nur widerlegen, wenn er den Nachweis erbringt, dass die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch unterblieben ist, weil der schwerbehinderte Bewerber für die zu besetzende Stelle fachlich offensichtlich ungeeignet war.[16] Dies lässt sich mit dem negativen Ergebnis eines Eignungstests im Zuge des näheren Auswahlverfahrens nicht darlegen und beweisen. Von der fehlenden fachlichen Eignung kann nur ausgegangen werden, wenn das Leistungsprofil des Bewerbers dem objektiven Inhalt des Anforderungsprofils nicht entspricht. Diese objektive Geeignetheit ist aus den Bewerbungsunterlagen abzuleiten und strikt von der individuellen fachlichen und persönlichen Qualifikation des Bewerbers zu trennen, die mittels eines Eignungstests festgestellt werden kann und nur als Kriterium der Auswahlentscheidung eine Rolle spielt.[17] Bloße Zweifel, wie sie ein negatives Testergebnis begründen könnte, genügen nicht, um von der fehlenden fachlichen Eignung auszugehen. Angesichts des Maßstabs der Offensichtlichkeit muss auch nicht jede Unklarheit im Vorfeld aufgeklärt werden.[18] Ein Ausschluss aus dem weiteren Bewerbungsverfahren wäre eine Benachteiligung gemäß § 7 AGG.[19]

Beitrag von Astrid Kempe, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Fußnoten:

[1] BVerfG v. 16.11.1993 – 1 BvR 258/86; BAG v. 21.07.2009 – 9 AZR 431/08; Dau/ Düwell/ Joussen (Hrsg.), Nomos Kommentar, Sozialgesetzbuch IX, 2014, 4. Aufl., § 82 RN. 9.

[2] Dau/Düwell/Joussen (Hrsg.), Nomos Kommentar, Sozialgesetzbuch IX, 2014, 4. Aufl., § 82 RN. 18.

[3] BAG v. 24.03.2009 – 9 AZR 277/08.

[4] VGH Bad.-Württ. v. 07.06.2005 – 4 S 838/05; das. v. 07.02.2012 – 4 S 82/12.; Dau/ Düwell/ Joussen (Hrsg.), Nomos Kommentar, Sozialgesetzbuch IX, 2014, 4. Aufl., § 82 RN. 18.

[5] LAG Hessen v. 23.04.2010 – 3 Sa 47/09.

[6] VGH Bad.-Württ. V. 07.02.2012 – 4 S 82/12.

[7] LAG Schleswig-Holstein v. 09.09.2015 – 3 Sa 36/15.

[8] VGH Bad.-Württ. V. 07.02.2012 – 4 S 82/12.

[9] Thüsing in: Henssler/Willemsen/Kalb (Hrsg.), Arbeitsrecht Kommentar, 2014, 6. Aufl., BGB § 611 RN. 17; Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 2015, 15. Aufl., § 611 RN. 303.

[10] LAG Sachsen v. 19.09.2007 – 5 SA 552/06; Trenk-Hinterberger in: Lachwitz/ Schellhorn/ Welti (Hrsg.), Handkommentar zum Sozialgesetzbuch IX, 2010, 3. Aufl., § 82 RN. 9.

[11] BAG v. 21.07.2009 – 9 AZR 431/08; Dau/Düwell/Joussen (Hrsg.), Nomos Kommentar, Sozialgesetzbuch IX, 2014, 4. Aufl., § 82 RN. 20.

[12] VGH Bad.-Württ. V. 07.02.2012 – 4 S 82/12.

[13] Knittel, Kommentar zum Sozialgesetzbuch IX, 2012, 6. Aufl., § 82 RN. 15; Dau/ Düwell/ Joussen (Hrsg.), Nomos Kommentar, Sozialgesetzbuch IX, 2014, 4. Aufl., § 82 RN. 15.

[14] BAG v. 19.08.2010 – 8 AZR 466/09.

[15] Knittel, Kommentar zum Sozialgesetzbuch IX, 2012, 6. Aufl., § 82 RN. 14; Dau/ Düwell/ Joussen (Hrsg.), Nomos Kommentar, Sozialgesetzbuch IX, 2014, 4. Aufl., § 82 RN. 10; Trenk-Hinterberger in: Lachwitz/ Schellhorn/ Welti (Hrsg.), Handkommentar zum Sozialgesetzbuch IX, 2010, 3. Aufl., § 82 RN. 7.

[16] VGH Bad.-Württ. v. 07.02.2012 – 4 S 82/12; Braun, Die Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers zur Einladung schwerbehinderter Bewerber, RIA 2004, 261 ff..

[17] BAG v. 22.07.2010 – 8 AZR 1012/08.

[18] BAG v. 16.02.2012 – 8 AZR 697/10; ArbG Berlin v. 18.06.2014 – 60 Ca 16030/13.

[19] Knittel, Kommentar zum Sozialgesetzbuch IX, 2012, 6. Aufl., § 82 RN. 14; Dau/ Düwell/ Joussen (Hrsg.), Nomos Kommentar, Sozialgesetzbuch IX, 2014, 4. Aufl., § 82 RN. 7.


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