30.01.2018 C: Sozialmedizin und Begutachtung Streibelt et al.: Beitrag C1-2018

Zugangswege zum Sozialdienst in Reha-Einrichtungen – Ergebnisse der Befragung der Deutschen Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen (DVSG)

Im vorliegenden Beitrag fassen Dr. Marco Streibelt, Holger Adolph, Norbert Gödecker-Geenen und Christina Keßler die Ergebnisse einer Befragung der Mitglieder der Deutschen Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen (DVSG) zusammen. Die Befragung hatte das Ziel, die Einschätzung der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in Reha-Einrichtungen bezüglich der Zuweisung, der Zusammenarbeit und allgemein zu Bedeutung und Qualität ihrer Arbeit zu erfassen.

Die Befragung ergab, dass die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter nur in etwa der Hälfte der Einrichtungen an der Auswahl der Rehabilitanden für die sozialdienstliche Tätigkeit eingebunden sind und auch nur in etwa ebenso vielen Einrichtungen standardisierte Zuweisungskriterien existieren. In 80% der Fälle findet eine Zuweisung an den Sozialdienst durch den behandelnden Arzt statt, bei etwa der Hälfte wird die Auswahl im interdisziplinären Team getroffen, wobei hier nur in 45% der Fälle der Sozialdienst beteiligt ist. Weitere Zugangswege zum Sozialdienst sind die Eigeninitiative der Rehabilitanden sowie offene Sprechstunden. Insgesamt wird die Zuweisungspraxis gut bewertet.

Weitere Befragungsfelder waren Kommunikationsprozesse im Team, die Beteiligung an Diagnostik und Therapie, sowie Arbeitsbedingungen wie Arbeitszeit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder Fortbildungsmöglichkeiten. Die Ergebnisse dieser Befragung stellten Dr. Marco Streibelt und Christina Keßler auf dem DVSG-Bundeskongress vom 19. bis 20. Oktober 2017 in Kassel vor.

(Zitiervorschlag: Streibelt et al.: Zugangswege zum Sozialdienst in Reha-Einrichtungen – Ergebnisse der Befragung der Deutschen Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen (DVSG); Beitrag C1-2018 unter www.reha-recht.de; 30.01.2018)


Die DVSG befragt regelmäßig ihre Mitglieder zu verbandlichen und gesundheitspolitisch wichtigen Themen. Ziel ist es, die Einschätzung der Mitglieder zu Folgen von gesundheitspolitischen Entscheidungen auf Patienten für die Verbandsarbeit nutzbar zu machen. Die Mitgliederbefragung 2017 wurde gemeinsam mit der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Deutschen Rentenversicherung Westfalen durchgeführt. Vor dem Hintergrund der steigenden Bedeutung der Sozialarbeit für die medizinische Rehabilitation stand die Frage im Zentrum, wie die Sozialarbeit aktuell aus der Perspektive der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter selbst bei der Bedarfsfeststellung und der Arbeit des Reha-Teams einbezogen ist.

I. Stichprobe: Sozialdienste in Rehabilitationseinrichtungen

Die Befragung wurde vom 3. April bis 18. Mai 2017 als Onlinebefragung realisiert. Die folgenden Ergebnisse fußen auf den Antworten von insgesamt 240 Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern. Fast 90% der Befragten sind weiblich; im Durchschnitt sind die Befragten 45 Jahre alt. Das Diplom ist noch immer der häufigste Abschluss. Immerhin ein knappes Fünftel der Befragten gibt aber bereits einen Bachelor bzw. Master als höchsten Abschluss an. Die Tätigkeitsdauer variiert relativ stark in der Stichprobe. Fast ein Viertel ist seit 20 Jahren und länger im Gesundheitswesen tätig. Dem steht eine ähnlich stark besetzte Gruppe gegenüber, die erst seit relativ kurzer Zeit im Gesundheitswesen beschäftigt ist.

Etwa 73% der Sozialdienste in Reha-Einrichtungen sind in privater Trägerschaft tätig. Die Reha-Einrichtungen liegen – typisch für die deutsche Reha-Landschaft – überwiegend im ländlichen oder kleinstädtischen Raum. Im Mittel wird eine Größe von etwa 180 Behandlungsplätzen angegeben, wobei 25% der Einrichtungen weniger als 100 Plätze und 25% mehr als 240 Plätze vorhalten. Etwa die Hälfte der Einrichtungen in unserer Stichprobe bietet eine Rehabilitation in mehr als einem Indikationsbereich an. Am häufigsten ist mit 52% eine orthopädische Fachabteilung vorhanden, gefolgt von 32%, die eine psychosomatische Fachabteilung besitzen. Die inneren Indikationen sind jeweils mit einem knappen Fünftel in der Stichprobe vertreten (Kardiologie: 19%, Onkologie: 19%, Neurologie: 18%). 13% der Befragten sind an einer Reha-Einrichtung beschäftigt, die eine Entwöhnungsbehandlung anbietet.

Den höchsten Belegungsanteil in den Reha-Einrichtungen der Befragten weist entsprechend die Rentenversicherung mit 68% auf, gefolgt von einem Belegungsanteil der Krankenkassen von 26%. Knapp 40% der Rehabilitationsbehandlungen werden durchschnittlich als Anschlussrehabilitationen bzw. Anschlussheilbehandlungen durchgeführt.

Die Größe, die Belegungsanteile und auch der Indikationsmix verweisen auf eine recht hohe Repräsentativität. Insgesamt kommen die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in dieser Stichprobe damit aus typischen, in Trägerschaft der Rentenversicherung federgeführten Reha-Einrichtungen. Die folgenden Ergebnisse besitzen zumindest in dieser Hinsicht eine recht hohe externe Validität.

II. Zugangswege zur Sozialdienstlichen Beratung

Die Zuweisung erfolgt in über 80% der Fälle durch den behandelnden Arzt. Weitere häufig anzutreffende Zugangswege sind die Eigeninitiative der Rehabilitanden selbst sowie die Offene Sprechstunde. Bei beiden handelt es sich um Zugangswege, die von der subjektiven Beratungsbedürftigkeit der Rehabilitanden geprägt sind. Bei etwa der Hälfte der Befragten wird eine Auswahl und Zuweisung in der interdisziplinären Teamsitzung getroffen. Nur in 45% der Fälle entscheidet der Sozialdienst mit über die Auswahl. Bei der Hälfte der Befragten existiert kein standardisiertes Screening der beratungsbedürftigen Rehabilitanden.

Zwei Drittel der Befragten gibt an, dass die Auswahl zu Beginn der Rehabilitation getroffen wird. Nur bei knapp 6% wird eine Entscheidung überwiegend bereits vor Beginn des Aufenthaltes getroffen. Immerhin 28% geben an, dass erst im Laufe der Rehabilitation der Beratungsbedarf eruiert wird. Insgesamt führt dies dazu, dass 65% der Sozialdienste angeben, in ihrer Einrichtung komme es zu verspäteter Zuweisung zum Sozialdienst, so dass die Durchführung notwendiger sozialdienstlicher Tätigkeit erschwert ist. Der Anteil dieser verspätet zugewiesenen Rehabilitanden liegt mit 10% allerdings im kleinen Bereich.

In den Einrichtungen von 85% der Befragten sind Gruppen definiert, die grundsätzlich einen Termin zum Sozialdienst erhalten. Am häufigsten ist dies bei Rehabilitanden mit einer besonderen beruflichen Problemlage und einem damit zusammenhängenden Bedarf an einer medizinisch-beruflichen Orientierung der Fall (57%). Bei 42% der Befragten erhalten alle DRV-zugewiesenen Rehabilitanden einen Sozialdienst-Termin.

Bei nur 45% der Befragten sind in der Einrichtung schriftlich festgelegte Zuweisungskriterien vereinbart. In mehr als acht von zehn Fällen war der Sozialdienst bei der Festlegung dieser Kriterien auch aktiv beteiligt. Darüber hinaus scheint es jedoch in den meisten Fällen zumindest mündlich vereinbarte Indikationskriterien zu geben. Am häufigsten wird eine Beratung durch den Sozialdienst notwendig, wenn der Bedarf weiterführender Leistungen der Rentenversicherung – Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, stufenweise Wiedereingliederung, Erwerbsminderungsrente – im Raum steht. Eine große Rolle spielen auch sozialmedizinische Kriterien wie Arbeitslosigkeit oder längere Arbeitsunfähigkeit sowie potenzielle Barrieren für den Reha-Erfolg (unklare häusliche Situation, Arbeitsplatzkonflikte).

Insgesamt wird eine gute Bewertung der Zuweisungspraxis zur Sozialarbeit vorgenommen. Nur etwa 15% meinen, dass das Zuweisungsverfahren in der eigenen Einrichtung eher willkürlich geschieht. Gut ein Drittel stimmt dagegen voll und ganz der Aussage zu, die Zuweisung erfolge strukturiert und systematisch. Ein ähnlich hoher Anteil geht stark davon aus, die richtigen Fälle würden eine sozialrechtliche Beratung erhalten. Die Zuweisung scheint sich – mit einigen kleinen Abstrichen – an fachlich richtigen Kriterien zu orientieren und auch zum fachlich richtigen Zeitpunkt zu erfolgen.

III. Bewertung der Zusammenarbeit und Kommunikation

In fast 70% der Fälle erfolgt immer eine aktive Beteiligung an den Teamkonferenzen. Dies scheint mittlerweile zum Standard in der medizinischen Rehabilitation zu gehören. Die weitere Beteiligung wird da etwas kritischer gesehen. Noch relativ häufig fühlen sich die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter an der Diagnostik beteiligt. Auch scheinen aus ihrer Perspektive relevante Informationen bei der Festlegung der Rehabilitationsziele eine Rolle zu spielen. Weniger Beteiligung empfinden sie jedoch sowohl bei der Planung der Therapie in der Rehabilitation als auch bei der konkreten Erarbeitung und Formulierung von Rehabilitationszielen.

Die Kommunikation und der Austausch zwischen dem Sozialdienst und anderen Berufsgruppen erfolgt überwiegend über Teamsitzung und Fallbesprechungen sowie über die elektronische Patientenakte. Bei 70% der Befragten kommen schriftliche Berichte zum Einsatz. Die geringste Zustimmung erfahren bilaterale Gespräche.

IV. Bedeutung der Sozialarbeit

Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter wurden auch gefragt, wie sie verschiedene Aspekte ihrer Arbeit sowie allgemein die Bedeutung der Berufsgruppe in der medizinischen Rehabilitation bewerten. Eine sehr gute Bewertung erfahren Aspekte wie die Arbeitszeit und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Allerdings äußern sich die Befragten etwas kritischer hinsichtlich der Arbeitsmenge und der Personalausstattung.

Auch qualitative Aspekte der Arbeit erfahren eine insgesamt gute Bewertung. Der überwiegende Teil von etwa 70% der Befragten bewertet die Ausstattung am Arbeitsplatz, die Vielfalt sowie die Entscheidungsspielräume als gut bis sehr gut. Kritischer werden die Weiterentwicklungsmöglichkeiten gesehen. Während Fortbildungsmöglichkeiten noch als ausreichend eingeschätzt werden, scheinen Möglichkeiten des innerfachlichen Austauschs häufig zu fehlen. Insgesamt wird die Wertschätzung der Sozialen Arbeit in der medizinischen Rehabilitation jedoch zu fast 80% mit gut bis sehr gut bewertet.

V. Resümee

Die Befragung hatte zum Ziel in einem größeren Rahmen und an einer möglichst umfassenden Stichprobe die Selbsteinschätzung der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in Reha-Einrichtungen hinsichtlich der Zusammenarbeit und des Zuweisungsmanagements sowie allgemein zu Qualität und Bedeutung ihrer Arbeit in Reha-Einrichtungen zu erfassen. Die umfangreiche Stichprobe ist relativ gut vergleichbar mit Rehabilitationseinrichtungen, die durch die Rentenversicherung federführend belegt werden. Damit scheinen die Ergebnisse eine recht große Reichweite auch über diese Stichprobe hinaus zu besitzen.

Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass die Bedeutung und auch die Qualität der Arbeit der Sozialdienste in Rehabilitationseinrichtungen aus der Sicht der Betroffenen selbst als positiv eingeschätzt werden. Sozialdienste sind mittlerweile regulärer Bestandteil eines interdisziplinären Reha-Teams und aktiv in die gängigen Kommunikationsprozesse einer Reha-Einrichtung involviert. Aspekte der Sozialarbeit werden in der Diagnostik und auch bei der Reha-Zielvereinbarung berücksichtigt. Die Sozialarbeit ist in der medizinischen Rehabilitation angekommen!

Jedoch wird auch deutlich, dass ein Zuwachs an Bedeutung nicht nur zu einer uneingeschränkt besseren Einschätzung der Arbeitssituation führt. Mehr Bedeutung bedeutet mehr Verantwortung im Einzelfall. Und das bedeutet letztlich auch mehr Ressourcen, soll sich dieser positive Aspekt nicht in einer schlechteren Arbeitssituation für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter niederschlagen.

Entwicklungspotenziale zeigen sich hinsichtlich des Zuweisungsmanagements in den Einrichtungen. In fast allen Reha-Einrichtungen ist der ärztliche Dienst die primäre Zuweisungsquelle zur Sozialarbeit, gefolgt von der Eigeninitiative der Rehabilitanden. Der Sozialdienst selbst ist nur in gut der Hälfte der Einrichtungen in die Auswahl eingebunden. Auffällig ist auch, dass nur in etwa in der Hälfte der Fälle ein standardisiertes Screening bzw. schriftlich fixierte Zuweisungskriterien existieren, um eine gleichbleibend hohe und personenunabhängige Qualität der Zuweisung zu gewährleisten. Damit einher geht auch die Wahrnehmung, dass Rehabilitanden immer wieder zu spät in die Sozialberatung kommen, so dass relevante Aktivitäten nicht mehr durchgeführt werden können. Dies berichten immerhin 65% der Befragten, auch wenn die betroffene Patientenzahl eher gering ist. Ein verbessertes Zuweisungsmanagement hätte aber nicht nur auf positive Effekte auf die Prozesse in der Rehabilitation: Die Qualität des Zuweisungsmanagements ist der stärkste Einflussfaktor auf die Bewertung der Güte der Arbeit aus der Perspektive von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern.

Hinsichtlich der Bedarfskriterien für Sozialberatung in der medizinischen Rehabilitation ist man sich unter den Befragten recht einig: In erster Linie sollten Patienten zum Sozialdienst, wenn deutlich ist, dass weiterführende Leistungen angezeigt sind und eingeleitet werden müssen bzw. wenn schwierige Kontextfaktoren im privaten oder beruflichen Bereich vermutet werden. Allerdings deuten diese doch komplexen Kriterien darauf hin, dass eine Konkretisierung hilfreich sein könnte. Ein schriftlicher Kriterienkatalog, der angesichts der Homogenität der Ergebnisse auch einrichtungsübergreifend erarbeitet werden könnte, würde die Qualität der Bedarfserkennung sicherlich erhöhen und dafür sorgen, dass die richtigen Patienten zu einem möglichst frühen Zeitpunkt in die Sozialberatung gelangen.

Beitrag von Dr. Marco Streibelt, Deutsche Rentenversicherung Bund, Dipl.-Soz. Holger Adolph, eh. Deutsche Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen (DVSG), Norbert Gödecker-Geenen, Westfälische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, Dipl.-Soz. Christina Keßler, M.A., Klinik Eichholz, Bad Waldliesborn


Stichwörter:

Sozialdienst, Medizinische Rehabilitation, Rehabilitationseinrichtung


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