26.09.2019 D: Konzepte und Politik Turhan: Beitrag D16-2019

Ein Jahr Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) – Ein Zwischenbericht aus Sicht eines Bundesverbandes für Menschen mit Behinderungen

Die Autorin ist Referentin für Soziales Recht und Projekte beim Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V. (bvkm) und Leiterin des Netzwerks unabhängige Beratung. Sie gewährt einen Einblick in den Aufbauprozess und die Herausforderungen der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) im Rahmen der Förderung nach § 32 SGB IX aus Sicht des bvkm. Zu diesen Herausforderungen zählt sie das Förderantragsverfahren, die Wahrnehmung der EUTBs durch Ratsuchende und etablierte Beratungsstellen, die zu gewährleistende fachliche Unabhängigkeit durch EUTBs von Leistungserbringern, die Verankerung der Peer-Beratung sowie die Öffentlichkeitsarbeit und Zusammenarbeit mit Fachverbänden der Behindertenselbsthilfe. Außerdem greift die Autorin Grenzen und Möglichkeiten beim Umfang der Beratung vor allem im Zusammenhang mit Rechtsdienstleitungen auf.

(Zitiervorschlag: Turhan: Ein Jahr Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) – Ein Zwischenbericht aus Sicht eines Bundesverbandes für Menschen mit Behinderungen; Beitrag D16-2019 unter www.reha-recht.de; 26.09.2019)

I. Einleitung

Der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V. (bvkm) wurde 1959 gegründet und vertritt als Fachverband der Behindertenselbsthilfe die Interessen von bundesweit rund 28.000 Familien mit schwerst-mehrfachbehinderten Kindern und Angehörigen. Der bvkm ist gemeinsam mit dem Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter (BSK) Gründer des „Netzwerks unabhängige Beratung“,[1] das seit 2015 unabhängige Beratungsstellen aufgebaut, Beraterinnen und Berater berufsbegleitend weitergebildet und vernetzt hat. Ziel des Netzwerkes war es, die anstehende gesetzliche Neuausrichtung der Eingliederungshilfe und der personenzentrierten Leistungserbringung durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) frühestmöglich praktisch und exemplarisch auf Verbändeebene umzusetzen und eigene Erfahrungswerte zu erhalten. Von den rund 300 Mitgliedsorganisationen des bvkm haben rund 30 Beratungsstellen zur Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) aufgebaut. Dieser Beitrag stellt keine empirischen Ergebnisse dar, vielmehr wird ein Einblick in den praktischen Aufbauprozess und die Herausforderungen gegeben, die sich im ersten Jahr für die an den bvkm angebundenen EUTBs stellten.[2]

II. Erste Herausforderung: Der Förderantrag

Zum 1. Januar 2018 hat die neue Bundesförderung, die in § 32 SGB IX geregelte EUTB für Menschen mit Behinderungen, offiziell begonnen. Aufgrund der sehr hohen Zahl von über 1000 Förderanträgen, die den Fördergeber Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) erreichten, wurden jedoch noch bis Ende des Jahres 2018 Änderungsanträge und Widersprüche bearbeitet und beschieden.[3]. Insofern gilt der offizielle Starttermin nur für einen Teil der inzwischen geförderten bundesweit 511 EUTB-Beratungsstellen. Die Förderung wurde zunächst bis zum 31. Dezember 2022 befristet. Die Bundesregierung plant eine Entfristung.[4] Das Förderantragsverfahren wurde von den antragstellenden Vereinen ganz überwiegend als sehr anspruchsvoll bezeichnet. Sowohl die inhaltliche Beschreibung des Antragsvorhabens als auch die technische Umsetzung der Antragstellung mit der webbasierte Fördermitteldatenbank ProDaBa, die von der mit der Administration der Anträge beauftragten Dienstleisterin, der Gesellschaft für sozialen Unternehmensberatung (gsub), zur Verfügung gestellt worden ist, stellte die Antragstellenden vor Herausforderungen.

Ein Blick auf Förderziel und Zuwendungszweck[5] der Förderung macht deutlich, dass es hierbei um nicht weniger als die „Geburt“ eines „neuen“ Konzeptes geht. Auch wenn hier bekannte Elemente zu einem sinnvollen Ganzen zusammengebracht wurden, ist die EUTB für alle Beteiligten, sowohl Fördergeber und Dienstleister als auch Beratungsstellen, eine neue Konstruktion. Ziel des neuen Beratungskonzeptes ist es, ein „von Leistungsträgern und Leitungserbringern unabhängiges ergänzendes niedrigschwelliges Beratungsangebot für Menschen mit Behinderungen“, mit dem wichtigen Anliegen, die Beratungsmethode der „Peer Beratung“[6] auszubauen“. Dabei soll die EUTB „ergänzend und nicht in Konkurrenz zur gesetzlichen Beratungs- und Unterstützungspflicht der Rehabilitationsträger nach dem SGB IX“[7] auftreten, und dabei „ganzheitlich, die Persönlichkeit und Situation der Ratsuchenden aufgreifend beraten und deren gesamtes soziales Umfeld mit dem Ziel einbeziehen. Die Eigenverantwortung und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen zu stärken, wobei „rechtliche Beratung sowie Begleitung im Widerspruchs- und Klageverfahren nicht geleistet werden.“[8] Im Antragsverfahren erreichten den bvkm zahlreiche Anfragen der Mitgliedsorganisationen, wie z. B. Wie sind die Fragen im Antragsformular zu verstehen? Was ist eigentlich mit „Unabhängigkeit des Antragstellers“ gemeint? Wer ist „Peer“? Wie kann ein bisher rein ehrenamtlich tätiger Verein, den mindestens 5%-igen Eigenanteil an den zuwendungsfähigen Gesamtausgaben aufbringen und nachweisen? Welche Kosten lassen sich über die Verwaltungsausgabenpauschale decken, welche nicht? Welche Qualifikationen sollen die Beraterinnen und Berater haben? Die Einführung der EUTB erfüllt eine jahrzehntelange Forderung der Selbsthilfe nach einer unabhängigen, anwaltschaftlichen Beratung für Menschen mit Behinderungen, die nur den Ratsuchenden verpflichtet sein sollte. Gleichzeitig stellte die zentral geführte Umsetzung für Selbsthilfevereine eine Herausforderung dar. Das von bvkm und BSK initiierte „Netzwerk unabhängige Beratung“ hat diese Schwierigkeiten frühzeitig aufgegriffen und bot eine zusätzliche Möglichkeit, sich vor Beratungsbeginn zu vernetzen. Gemeinsam haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von über zehn unabhängigen Beratungsstellen und die Leiterinnen des Netzwerkes in mehreren Vernetzungs- und Arbeitsgruppentreffen die einzelnen Kriterien der EUTB-Förderung besprochen und diskutiert. Die gebündelten Erfahrungen und Kompetenzen wurden schließlich zu einem Leitfaden mit Beispielen, Formulierungsvorschlägen und weiteren Hinweisen zusammengetragen, die es im Antrag zu beachten galt. Diese vorbereitende Auseinandersetzung mit den Anforderungen an die unabhängige Teilhabeberatung war für die Antragstellung dringend erforderlich.

III. Zweite Herausforderung: „Warum jetzt auch noch die EUTB?“

Zu den großen Herausforderungen für die EUTB-Beratungsstellen nach Förderbeginn gehörte vor allem, die örtliche Öffentlichkeit und die Beratungsinteressierten auf das neue Angebot aufmerksam zu machen. Dabei zeigten sich zwei bemerkenswerte Phänomene. Noch bevor die Ratsuchenden von sich aus auf die EUTB zukamen, nahmen öffentliche Träger wie Jobcenter, Rentenversicherungen, Krankenkassen und Jugendhilfe die Gelegenheit wahr, ihre Kunden auf diese Beratungsstellen hinzuweisen. Teilhabeberaterinnen und -berater berichten, dass z. B. Jobcenter ihre Leistungsberechtigten mit Behinderungen sogar direktiv aufforderten, bei der EUTB einen Beratungstermin wahrzunehmen, sich z.B. Hilfe beim Ausfüllen von Antragsformularen zu holen und schriftlich bestätigen zu lassen, dass sie dort waren. Leistungsberechtigte Ratsuchende werden also von Leistungsträgern zur EUTB „geschickt“. Das ist nicht unbedenklich. In der Außenwirkung kann das bei den Ratsuchenden dazu führen, dass sie die EUTB nicht als niedrigschwelliges und freiwilliges Beratungsangebot erleben. Wichtig ist, dass Ratsuchende die EUTB als eigenes, ihre Position stärkendes, von Leistungsträgern unabhängiges Beratungsangebot wahrnehmen. Denn die „Unabhängigkeit“ von Leistungsinteressen, sei es als Leistungsträger oder Leistungserbringer, ist der wesentliche, vertrauensschaffende Aspekt in der EUTB. Und zugleich waren es Kolleginnen und Kollegen etablierter Beratungsstellen, gegenüber denen sich die EUTB-Teilhabeberaterinnen und -berater rechtfertigen mussten. Rechtfertigen, wofür es auch noch die EUTB bräuchte. Die Herausforderung bestand auch hier darin, die „Unabhängigkeit“ als Abgrenzungsmerkmal (vielleicht sogar Alleinstellungsmerkmal) zu erklären. Die Teilhabeberaterinnen und -berater mussten schnell lernen, sich abzugrenzen und den Kerngedanken der EUTB herauszuarbeiten und zu kommunizieren. Der Grundsatz als erste Anlaufstelle für jede Beeinträchtigung, in jeder Lebenslage, niedrigschwellig, kostenfrei, größtmöglich barrierefrei ansprechbar zu sein („Eine für alle“), klingt sehr gut und ist zugleich nicht greifbar. Wer soll das können, zu allen leistungsrechtlichen Fragen und vielfältigen Lebenslagen eine Antwort zu haben? Einige Teilhabeberaterinnen und -berater berichten, dass sie sich inzwischen als „Verweisberatung“ verstehen und für sie, nach der Bedarfsermittlung in der Beratung, die Vermittlung an die zuständigen, spezialisiert geschulten Organisationen und Einrichtungen im Vordergrund steht. Wenn es zudem um Orientierung und Begleitung im örtlichen Sozialraum sowie die persönliche Stärkung und die Unterstützung bei der Umsetzung von Lebensvorstellungen geht, sehen sie sich als erste Anlaufstelle. Beraterinnen und Berater mit fundierten Beratungserfahrungen im Bereich der Rehabilitationsleistungen sehen sich oftmals als die letzte Instanz, die von Menschen mit Behinderungen aufgesucht wird, weil sie sich von anderen Beratungsstellen nicht in ihrem Sinne unterstützt sehen.

1. Inanspruchnahme der EUTB durch Ratsuchende

Die Akzeptanz durch die Ratsuchenden, die einmal den Weg zu den EUTB-Beratungsstellen gefunden haben, war zu keinem Zeitpunkt ein Problem. Der Bedarf an einer solchen Beratung wird von den Teilhabeberaterinnen und -beratern als groß bezeichnet. Die Ratsuchenden schätzen vor allem die niedrigschwellige, kostenfreie und flexible Beratung. Die Unabhängigkeit wird dabei als besonders wichtig beurteilt und vor allem als unabhängig von Leistungsträgern verstanden, bei der keine Sanktionen zu befürchten seien, so die Rückmeldungen von Teilhabeberaterinnen und -beratern. Berichtet wird, dass sich in der Anfangsphase der EUTB weniger Menschen mit komplexen Behinderungen und ihre Angehörigen in der Beratung einfanden. Auf diese Personengruppe sollte bei der Weiterentwicklung des EUTB-Angebots ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Ihr Bedarf an Leistungen der Eingliederungshilfe ist groß, und damit auch der Beratungsumfang, der bisher vor allem über die Leistungsträger erfolgte. Diese Angebotslücke kann jetzt durch die EUTB gefüllt werden. Gut angenommen wird die Teilhabeberatung von Menschen mit chronischer Krankheit oder von Behinderung bedrohter Menschen und Senioren, die im Alter mit dem Thema Behinderung konfrontiert worden sind oder aufgrund eines neurologischen Leidens oder Schlaganfalls pflegebedürftig geworden sind.

2. Umfang der Beratung – Grenzen und Möglichkeiten

Der Beratungsumfang der EUTB ist mit der Einschränkung in den Förderkriterien, dass „eine rechtliche Beratung sowie eine Begleitung in Widerspruchs- und Klageverfahren nicht geleistet wird“, nicht hinreichend bestimmt. Dies führt, so ergibt es sich aus den zahlreichen Nachfragen beim bvkm, zu Zweifeln bei der Konkretisierung der Aufgabe. Die vom BMAS auf Anfrage des bvkm gegebene Erläuterung, ist nicht präzise genug, um Nichtjuristinnen und Nichtjuristen Rechtssicherheit in der Beratung zu geben. Demnach sei mit der obigen Formulierung kein Ausschluss einer Rechtsberatung im Sinne des § 8 des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) gewollt. Vielmehr sei die Vorschrift so zu verstehen, dass eine sozial-rechtliche Beratung im Sinne des RDG bis zur fristwahrenden Einlegung eines Widerspruches möglich ist.[9]  

Die Förderrichtlinie schließt die Erlaubnis für Rechtsdienstleistungen nach § 8 Abs. 1 Nr. 5 RDG nicht aus. Danach sind Rechtsdienstleistungen erlaubt, die Verbände der freien Wohlfahrtspflege, anerkannte Träger der freien Jugendhilfe und anerkannte Verbände nach § 15 Abs. 3 Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) erbringen. Diese Erlaubnis setzt voraus, dass die Verbände über die erforderliche personelle, sachliche und finanzielle Ausstattung verfügen und sicherstellen, dass die Rechtsdienstleistung durch eine Person mit Befähigung zum Richteramt oder unter Anleitung einer solchen Person erfolgt (§ 7 Abs. 2 RDG). Verbände, die nicht zu den in § 8 RDG genannten Verbänden gehören oder die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 2 RDG nicht in ihrer Verbandsstruktur erfüllen, dürfen keine Rechtsdienstleistungen erbringen, können aber auch Träger von EUTB sein. Rechtsdienstleistungen sind Tätigkeiten in konkreten fremden Angelegenheiten, soweit sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordern (§ 2 Abs. 1 RDG). Allgemeine Informationen über Rechtsfragen oder Beratung im Einzelfall, die zu keiner rechtlichen Bewertung kommt, sondern nur auf Rechtsprobleme hinweist, ist keine Rechtsdienstleistung.

Hilfreich wäre im System der EUTB der regelhafte fachliche Hinweis an leistungsberechtigte Ratsuchende, dass sie einen Antrag auf Beratungshilfe beim Amtsgericht ihres Wohnortes (in der Regel) stellen können. Diese steht ihnen zu, wenn sie die Kosten einer notwendigen Rechtsberatung bei einer Anwältin oder einem Anwalt selbst nicht aufbringen können oder die Angelegenheit weder selbst noch durch Unterstützung, beispielsweise der Verbraucherzentrale oder eines Verbandes, klären können. Der Beratungshilfeschein, den das Amtsgericht bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen direkt aushändigt, dient als Sicherheit dafür, dass die Vergütung der Erstberatung einer Anwältin oder eines Anwaltes von der Landeskasse übernommen wird.

IV. Dritte Herausforderung: „Eine unabhängige Beratung für alle“

Bei 511 neuen EUTB-Beratungsstellen bundesweit,[10] stellt sich auch die Frage, ob und in welcher Form „Konkurrenz“ zwischen den Beratungsstellen eine Rolle spielt.

Die anfängliche Unsicherheit, wie mit den Vorgaben des Fördergebers „Eine für alle“ und „unabhängig sowohl von Leistungsträgern als auch von Leistungserbringern“ zu sein, umzugehen ist, hat sich weitgehend gelegt. Die Vorgabe, dass die Beratungsstellen grundsätzlich Beratung zu jeder Lebenslage und Fragestellung von Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen, also eine Beratungsstelle für alle sein soll, hatte bei den Beraterinnen und Beratern Sorgen ausgelöst. Viele befürchteten, die Förderung zu gefährden, wenn sie sich spezialisieren. Einige gehen nun den Weg der größtmöglichen Vernetzung, um damit viele Partner zu haben, auf die bei Bedarf verwiesen werden kann. Klar ist, dass vor allem eine fachliche Beratung die EUTB prägen sollte und Schwerpunktsetzungen sinnvoll sein werden.

1. Leistungserbringer als Träger von EUTB-Beratungsstellen

Unter den Trägern der EUTB befinden sich auch Leistungserbringer (Betreiber von Diensten und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen), vielfach große Wohlfahrts- und Sozialverbände. Dabei sollte die Unabhängigkeit sowohl von den Leistungsträgern als auch den Leistungserbringern erfolgen. Oder doch nicht? Die Förderkriterien sehen hier eine Öffnungsklausel vor. Denn, wenn es für eine ausreichende Abdeckung an regionalen Beratungsangeboten und/oder an Angeboten für spezifische Teilhabebeeinträchtigungen erforderlich ist, sind Leistungserbringer nicht von der Antragstellung ausgeschlossen.[11]

Während diese Regelung für die erwähnte Spezialisierung der Beratungsangebote spricht, steckt in ihr ein gewisser Widerspruch, mit dem die Beratungsstellen umgehen müssen. Nach der ersten Antragsphase im August 2017 konnten trotz großer Antragszahlen nicht alle Regionen in Deutschland ausreichend mit förderungsfähigen Beratungsstellen bedient werden. So wurden mit der zweiten Antragsphase[12] weitere Anträge bewilligt, darunter viele Trägervereine, die selbst Leistungen erbringen. Der Fördergeber sieht die geforderte „Unabhängigkeit“ gegeben, wenn u. a. die fachliche Unabhängigkeit des Personals z. B. im Arbeitsvertrag geregelt und die EUTB-Beratungsstelle räumlich von den erbrachten Leistungen des Trägers getrennt angesiedelt wird. Das gestaltet sich nicht immer einfach. Problematisch sind Angebote der EUTB, in denen EUTB-Mitarbeitende zugleich zeitweise in den Einrichtungen und Diensten des Trägers arbeiten.

Bewirkt die EUTB konzeptionell eher Konkurrenz als Zusammenarbeit der Beratungsstellen? Diese Frage spielte insbesondere für die EUTBs, deren Träger aus der klassischen, ehrenamtlich geführten Selbsthilfe stammen und keine Leistungsanbieter sind, eine Rolle. Sie befürchteten, dass die „Unabhängigkeit der Beratung“ in der Praxis nicht immer gewährleistet werden könne, wenn Leistungserbringer EUTB anbieten.

Die EUTB-Beraterinnen und -berater selbst sprechen nicht von Konkurrenz untereinander. Sie schließen sich inzwischen in regionalen Vernetzungsgruppen zusammen und tauschen sich fachlich aus. Ihrer Ansicht nach, gebe es so etwas wie Konkurrenz eher zwischen den Trägern, bei denen noch ein Nebeneinander statt eines Miteinanders herrsche. Grundsätzlich ist es sehr wohl möglich und angesichts der vorhandenen Fachlichkeit und Vernetzung auch wünschenswert, dass Anbieter der Behindertenhilfe mit dem Paradigmenwechsel des Bundesteilhabegesetzes ihre Systeme verändern und organisatorisch unabhängige Beratungsangebote entwickeln. Wichtig ist hierfür, die fachliche Unabhängigkeit der EUTB zu definieren, abzusichern und mit Schulungen und Qualitätsstandards ihre träger- und zielgruppenübergreifende Beratung zu unterstützen.

2. Peer-Beratung in der EUTB

Nur wenige EUTB-Beratungsstellen haben es geschafft, überwiegend hauptamtliche Peer-Beraterinnen und -berater einzustellen. Die meisten haben Beraterinnen und Berater sowohl mit als auch ohne eigene Beeinträchtigung. Einige Beratungsstellen haben auch gar keine hauptamtlichen Beraterinnen und Berater mit eigener Behinderung bzw. mit Erfahrung als Eltern oder Geschwister von Menschen mit Behinderung. Dahinter ist weder fehlendes Bewusstsein noch der fehlende Wille zu vermuten. Träger berichten, dass es insgesamt nicht einfach war, qualifiziertes Fachpersonal zu bekommen und sich auf die Stellenanzeigen wenige Menschen mit eigener Beeinträchtigung beworben hätten. Aus der Sicht des bvkm, der seine Wurzeln in der Elternselbsthilfe hat, bieten sich mit der EUTB gute Chancen, durch Öffnung gegenüber den bestehenden Strukturen der Selbsthilfe, alternative Angebote zu entwickeln. Eltern sind wichtige „Peers“, die sich beispielsweise in ehrenamtliche Funktionen in EUTB-Beratungsstellen einbringen könnten. Was wollten die Beteiligten mit der EUTB erreichen? Knapp formuliert, geht es um die Stärkung der Betroffenen und selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen der Gesellschaft. Interessante Angebote von Eltern können andere betroffene Eltern von Kindern mit Behinderungen ansprechen und stärken. Daraus kann sich eine feste Struktur entwickeln, von der auch die Trägervereine im Sinne der Stärkung der Selbsthilfe profitieren können.

V. Ist die EUTB in der Beratungslandschaft angekommen?

Die EUTBs sind vor Ort und stellen sich aktiv bei Schulen, Ärztinnen und Ärzten und Vereinen vor. Viele haben einen eigenen Internetauftritt. Hilfreich für die öffentliche Wahrnehmung der EUTB ist sicherlich auch das einheitliche Erscheinungsbild durch das gemeinsame Logo, das das BMAS im Sinne einer Corporate Identity vorgegeben hat. Auch erste Formen der Zusammenarbeit mit Rehabilitationsträgern werden ausprobiert, um das neue Beratungsangebot an die Zielgruppe heranzutragen. In der öffentlichen Darstellung sehen sie sich jedoch noch nicht angemessen abgebildet. Auf der Internetseite der Fachstelle Teilhabeberatung[13] und auf YouTube sind zwar Kurzfilme zu finden. Ratsuchende werden aber so kaum erreicht. Die Beraterinnen und Berater erwarten größere Öffentlichkeitskampagnen vom Fördergeber BMAS, die sich gezielt an den Personenkreis der Angebote richten und diese ansprechen. So könnten an öffentlich stark frequentierten Orten wie Innenstädte, Marktplätze, Einkaufscenter, Litfaßsäulen, S- und U-Bahnhöfen dauerhafte Werbeplakate zur EUTB angebracht werden. Auch regelmäßige kurze Videos zur EUTB im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und Radio, wären sicherlich ein bewährtes Werbemittel. Angesichts der jährlichen Fördersumme von 58 Mio. Euro und der Absicht, die menschenrechtsbasierten Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention durch personenbezogene Teilhabeleistungen wirksam und nachhaltig umzusetzen, bedarf es dieser Maßnahmen nach über einem Jahr seit Beginn der EUTB dringend. Die EUTB darf keine interne Veranstaltung werden. Wünschenswert wäre es auch, dass sich Formen der Zusammenarbeit der Fachverbände der Behindertenselbsthilfe mit der Fachstelle Teilhabeberatung gestalten ließen. Auf Anregung des „Netzwerkes unabhängige Beratung“ fand im Jahr 2018 eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Fachstelle Teilhabeberatung statt. Im Rahmen der bundesweiten berufsbegleitenden Weiterbildung „Personen- und teilhabezentrierte Beratung“ des Netzwerks wurde die obligatorische Grundqualifikation für die EUTB-Beraterinnen und Berater miteinbezogen.[14] Insbesondere bei der Entwicklung von Qualitätsstandards in der Beratung sowie der fachlichen Weiterbildung der Beraterinnen und Berater könnten die Erfahrungen der Verbände miteinfließen.

VI. Entfristung der EUTB-Förderung!

Die Bundesregierung hatte die Entfristung der, zunächst bis zum 31.12.2022 geförderten, EUTB in Aussicht gestellt, um den Beteiligten durch einen nahtlosen Übergang in die Anschlussfinanzierung Planungssicherheit zu ermöglichen. Der am 14.08.2019 beschlossene Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Angehörigen-Entlastungsgesetz, sieht tatsächlich auch die Entfristung über das Jahr 2020 sowie die Aufstockung der EUTB-Förderung von derzeit jährlich 58 Millionen Euro auf 65 Millionen Euro zum 01.01.2023 vor.[15] Das ist ein wichtiger Schritt hin zur selbstbestimmten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, den der bvkm begrüßt.

Die Träger der EUTB sowie die Teilhabeberaterinnen und -berater, erhalten somit die Planungssicherheit und Möglichkeit, dauerhaft fachlich gute und kreative, auf die Bedürfnisse der Menschen mit Behinderungen ausgerichtete Beratungsangebote zu entwickeln und umzusetzen.

Die anstehende Umsetzungsstufe des Bundesteilhabegesetzes durch Inkrafttreten der reformierten Eingliederungshilfe zum 01.01.2020 wird den Bedarf an Informationen und Beratung erhöhen. Die erfreulich frühzeitige Entfristung der EUTB-Förderung stellt eine Wertschätzung der bisherigen Arbeit der Beratungsstellen dar und wird diese nachhaltig motivieren. Der bvkm wird die haupt- und ehrenamtlichen EUTB-Teilhabeberaterinnen und -berater auch weiterhin als Ansprechpartner begleiten und u. a. durch beratungsqualifizierende Veranstaltungen im Netzwerk unabhängige Beratung stärken.

Von Hülya Turhan, Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V.

Fußnote

[1] Das „Netzwerk unabhängige Beratung“ ist ein gemeinsames Kooperationsprojekt des bvkm und des BSK, www.bvkm.de – www.bsk-ev.org. beide zuletzt abgerufen am 23.09.2019.

[2] Zum Entwicklungsprozess der EUTB im Rahmen des BTHG-Gesetzgebungsverfahrens siehe: Turhan, Hülya (2018): Zum Stand der Umsetzung der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung. In: Zeitschrift für Inklusion – Gemeinsam Leben, 3/2018, S.166 ff, Beltz Juventa Verlag. Weinheim.

[3] Vgl. Fachbeitrag von Alfons Polczyk, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Leiter des Referats Va4 „Förderung der Teilhabe“ auf der Fachtagung „Netzwerk unabhängige Beratung – Erfahrungen, Ergebnisse, Impulse“ Berlin, 29. Mai 2019. Abrufbar unter: https://bvkm.de/wp-content/uploads/2019/08/fachbeitrag-von-alfons-polczyk-1.pdf, zuletzt abgerufen am 23.09.2019.

[4] Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe vom 14.8.2019, Bundestags-Drucksache 19/13399 Seiten 4–5; Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin Kerstin Griese vom 27. Dezember 2018 auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Corinna Rüffer, Bundestags-Drucksache 19/6961, S. 93–94.

[5] Siehe Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bekanntmachung Förderrichtlinie zur Durchführung der „Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung“ für Menschen mit Behinderungen vom 17. Mai 2017, Punkt 1 Förderziel und Zuwendungszweck. Abrufbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/BTHG/EUTB/EUTB_Foerderrichtlinie.pdf;jsessionid=8366CD212590F6255FB00D04F312493D.1_cid345?__blob=publicationFile&v=4, zuletzt abgerufen am 23.09.2019.

[6] Aus dem engl., deutsche Übersetzung „Beratung von Betroffenen durch Betroffene“, vgl. auch www.teilhabeberatung.de/woerterbuch/peer-counseling, zuletzt abgerufen am 23.09.2019.

[7] Förderrichtlinie zur Durchführung der „Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung“ für Menschen mit Behinderungen vom 17. Mai 2017. Siehe Fußnote 5.

[8] Ebenda.

[9] Vgl. https://bvkm.de/wp-content/uploads/2019/08/auslegungshinweise-des-bmas-zur-eingrenzung-der-rechtlichen-beratung-im-rahmen-der-richtlinien-fur-die-eutb-1.pdf, zuletzt abgerufen am 23.09.2019.

[10] Siehe Fachbeitrag von Alfons Polczyk, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Leiter des Referats Va4 „Förderung der Teilhabe“ auf der Fachtagung „Netzwerk unabhängige Beratung – Erfahrungen, Ergebnisse, Impulse“ Berlin, 29. Mai 2019. Abrufbar unter: https://bvkm.de/wp-content/uploads/2019/08/fachbeitrag-von-alfons-polczyk-1.pdf, zuletzt abgerufen am 23.09.2019.

[11] Förderrichtlinie zur Durchführung der „Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung“ für Menschen mit Behinderungen vom 17. Mai 2017, Punkt 3. 5.

[12] Vgl. https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/GEM/DE/AS/Umsetzung_BTHG/EUTB/2_Antragsrunde/EUTB_2_AR_node.html;jsessionid=A30A9A6E33EE714065246AACE8E36F2A.1_cid330, zuletzt abgerufen am 26.09.2019.

[13] Siehe www.teilhabeberatung.de, zuletzt abgerufen am 23.09.2019. Die vom BMAS beauftragte Fachstelle Teilhabeberatung hat u. a. die Aufgabe, Aus- und Weiterbildungen für die Teilhabeberater*innen sowie Qualitätsstandards für die Beratung zu entwickeln.

[14]   Für Informationen zur Weiterbildung „Personen- und teilhabezentrierte Beratung“ siehe: https://bvkm.de/unsere-themen/gesellschaftliche-und-politische-teilhabe/, zuletzt abgerufen am 26.09.2019. Für Informationen zur Zusammenarbeit mit der Fachstelle Teilhabeberatung siehe: https://bvkm.de/wp-content/uploads/2019/08/bericht-zum-3.-weiterbildungsmodul.pdf, zuletzt abgerufen am 26.09.2019.

[15] Bundestags-Drucksache 19/13399, S. 4–5.


Stichwörter:

Beratung, Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB), Rechtsberatung, Teilhabeberatung, Selbsthilfe, Qualitätssicherung, Qualitätsstandards, Peer Counseling


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