08.02.2017 D: Konzepte und Politik Goldbach: Beitrag D3-2017

Aktuelle Herausforderungen in der medizinischen Rehabilitation – Ein Beitrag zum DVfR-Kongress "Teilhabe – Anspruch und Wirklichkeit in der medizinischen Rehabilitation" am 14./15. November 2016 in Berlin, Teil I

Christiane Goldbach berichtet in ihrem zweiteiligen Beitrag über den DVfR-Kongress "Teilhabe – Anspruch und Wirklichkeit in der medizinischen Rehabilitation", der vom 14. bis 15. November 2016 in Berlin stattfand. Zudem gibt sie einen Überblick über die aktuellen Herausforderungen der medizinischen Rehabilitation, welche in einigen Vorträgen des Kongresses besonders hervorgehoben wurden.

Insbesondere die bislang unzureichende Berücksichtigung der Kontextfaktoren, das Spannungsfeld zwischen spezialisierten Angeboten und einer regionalen Infrastruktur, der für die Festlegung von Teilhabeziele und -konzepten zur Verfügung stehende enge Zeitrahmen sowie die koordinierte bzw. vernetzte Erbringung medizinischer Teilhabeleistungen, wurden benannt. Kritisiert wurde weiterhin, dass der bereits in den §§ 17, 19 SGB IX vorgesehene Sicherstellungsauftrag bislang unzureichend umgesetzt worden sei. Zudem wurde darauf aufmerksam gemacht, dass sowohl die Ärzteschaft als auch die Erbringer von Heilmitteln lediglich über geringe Kenntnisse der ICF verfügten, was eine entsprechende Anpassung der Ausbildungsinhalte nahelegt.

(Zitiervorschlag: Goldbach: Aktuelle Herausforderungen in der medizinischen Rehabilitation – Ein Beitrag zum DVfR-Kongress "Teilhabe – Anspruch und Wirklichkeit in der medizinischen Rehabilitation" am 14./15. November 2016 in Berlin, Teil I; Beitrag D3-2017 unter www.reha-recht.de; 08.02.2017.)


Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§§ 1, 4 Abs. 1 SGB IX; Art. 3 lit. c, 26 Abs. 1 S. 1 UN-BRK) und Selbstbestimmung (§ 1 SGB IX; Art. 3 lit. a, 19 UN-BRK) sind zentrale Ziele aller Leistungen zur Teilhabe und damit auch der medizinischen Rehabilitation (vgl. §§ 5 Nr. 1, 26 SGB IX). Mit Blick auf die Umsetzung besteht jedoch verbreitet die Annahme, dass die bislang bestehenden Leistungsangebote einer umfassenden Teilhabeorientierung nur unzureichend Rechnung tragen.[1]

Diese Diskrepanz zwischen Recht und Praxis war Ausgangspunkt eines von der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) getragenen Kongresses zum Thema "Teilhabe – Anspruch und Wirklichkeit in der medizinischen Rehabilitation" am 14./15. November 2016 in Berlin. Als zentralen Fokus hat sich der Kongress eine Auseinandersetzung mit der Perspektive der Teilhabe in der Praxis der medizinischen Rehabilitation und dahingehenden Verbesserungsmöglichkeiten gesetzt. Dabei wurden zugleich aktuelle Diskussionsprozesse in den Blick genommen, die auch die medizinische Rehabilitation betreffen. Dies waren zum einen das Projekt "RehaInnovativen – Weiterentwicklung der medizinischen und medizinisch-beruflichen Rehabilitation", das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Juni 2015 aufgelegt wurde und zum anderen das vom Bundestag am 1. Dezember 2016 verabschiedete Bundesteilhabegesetz (BTHG), das zum Zeitpunkt des Kongresses noch in der Entwurfsfassung vom 05.09.2016 vorlag.[2]

Ziel dieses zweiteiligen Beitrages ist es, einige zentrale Aspekte herauszustellen, die auf dem Kongress in verschiedenen Referentenbeiträgen, Workshops und zwei Plenar-Diskussionen thematisiert wurden und damit einen Blick auf die zentralen Herausforderungen der medizinischen Rehabilitation zu geben.[3]

I. Hintergrund

In der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ist Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ein zentraler Grundsatz (Art. 3 lit. c UN-BRK) und konkret als Ziel von Rehabilitation und Habilitation in Art. 26 Abs. 1 S. 1 UN-BRK niedergelegt. Auch das SGB IX regelt eine möglichst umfassende Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Ziel aller Leistungen zur Teilhabe (vgl. §§ 1, 4 Abs. 1 SGB IX) und normiert zugleich, dass rehabilitative Leistungen trägerübergreifend an einer (drohenden) Behinderung anzusetzen haben. Das Vorliegen von Behinderung impliziert das Bestehen einer Teilhabebeeinträchtigung (vgl. § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX).

Für das Verständnis von Behinderung und Teilhabe im Sinne des SGB IX ist die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (International Classification of Functioning, Disability and Health; ICF) zugrunde zu legen.[4] Danach ist Behinderung eine Beeinträchtigung von Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und resultiert aus einer Wechselwirkung zwischen dem gesundheitlichen Problem einer Person und ihren Kontextfaktoren (bio-psycho-soziales Modell der Komponenten von Gesundheit; vgl. auch Art. 1 S. 2 UN-BRK).[5] Teilhabe ist in der ICF als Einbezogen-Sein in eine Lebenssituation beschrieben, wobei neun Lebensbereiche, wie Kommunikation, Mobilität oder Allgemeine Aufgaben und Anforderungen unterschieden werden, in denen Teilhabebeeinträchtigungen bestehen können.[6]

Daraus folgt zum einen, dass Behinderung nicht mit einer funktionellen Beeinträchtigung gleichzusetzen ist, sondern immer auch ein Defizit im Bereich der Teilhabe voraussetzt und zum anderen, dass primär eine Verwirklichung von Teilhabe als Ziel medizinischer Rehabilitation verankert ist und nicht die Heilung einer Gesundheitsstörung. Damit sind Einwirkungen auf funktionelle Beeinträchtigungen nur insoweit relevant, wie es ihr Beitrag zur Verbesserung der Teilhabe ist.[7]

Auf dem Kongress wurde der Begriff der Teilhabe in verschiedenen Zusammenhängen thematisiert. Insbesondere Prof. Dr. Johannes Eurich (Universität Heidelberg) erläuterte den Begriff aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive und bezog sich dabei unter anderem auf den Befähigungsansatz (Capability Approach) von Amartya Sen und Martha Nussbaum. Besonders betonte Eurich, dass Teilhabe zu den Menschenrechten gehöre; diese seien voraussetzungslos und müssten nicht verdient werden. Folglich habe jeder Mensch einen elementaren Anspruch auf Teilhabe, der den Staat verpflichte, die Voraussetzungen zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben zu schaffen. Diesbezüglich stellte er auch heraus, dass Teilhabe bedeute, einen Platz in der Gesellschaft zu haben und gebraucht zu werden und damit mehr sei als nur Teilnahme. Für die medizinische Rehabilitation betonte Eurich, dass Teilhabe nicht mit der somatischen Wiederherstellung gleichzusetzen sei, sondern eine Berücksichtigung der Kontextfaktoren voraussetze. Vor diesem Hintergrund seien Rehabilitationssysteme zur Schaffung von Teilhabe aus der Perspektive der Betroffenen zu gestalten, was ein wichtiges und zentrales Unterfangen für eine humane Gesellschaft darstelle.

II. Aktuelle Herausforderungen

Vor dem Hintergrund, dass Teilhabe nach dem SGB IX einerseits Leistungsvoraussetzung (vgl. § 2 Abs. 1 SGB IX) und andererseits prioritäres Ziel der medizinischen Rehabilitation (vgl. §§ 1, 4 Abs. 1 SGB IX) ist, stellte unter anderem Dr. Matthias Schmidt-Ohlemann (DVfR) heraus, dass die Praxis gleichwohl noch immer von einem kurativen Paradigma geprägt sei in dem die Behandlung eines "Kranken" im Vordergrund stehe. Diesbezüglich müsse die Wahrnehmung und Veränderung von Kontextfaktoren vermehrt Gegenstand medizinischer Rehabilitation werden (Verhältnisrehabilitation). Er stellte gesellschaftliche Aufgaben und Erwartungen an die Leistungen dar, die von besonderer Bedeutung für die Weiterentwicklung der medizinischen Rehabilitation zugunsten einer erhöhten Teilhabeorientierung sein dürften.

1. Bedarfsgerechtigkeit und Individualisierung auf allen Ebenen der Leistungserbringung

Nach dem Verständnis der ICF kann eine Person trotzt erheblicher Einschränkungen im Bereich der Körperfunktionen und -strukturen noch zur Teilhabe befähigt sein, wenn der Lebenshintergrund entsprechend beschaffen ist.[8] Diesen Lebenshintergrund eines Betroffenen bildet die ICF in den Kontextfaktoren, aufgeteilt in die Komponenten Umweltfaktoren und personenbezogene Faktoren, ab.[9] Bereits daraus lässt sich ein personenzentriertes Rehabilitationsverständnis ableiten, das den Rehabilitanden[10] in seiner individuellen Lebenssituation als primären Akteur für den Erfolg rehabilitativer Maßnahmen betrachtet[11].

Die Achtung der individuellen Autonomie und Unabhängigkeit behinderter Menschen sowie ihrer Unterschiedlichkeit, sind auch als zentrale Grundsätze der UN-BRK in Art. 3 lit. a und d UN-BRK niedergelegt. Des Weiteren ist nach § 9 Abs. 1 S. 1 SGB IX bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe den berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten zu entsprechen und gem. § 9 Abs. 1 S. 2 SGB IX ist hierbei auf die persönliche Lebenssituation, das Alter, das Geschlecht, die Familie sowie die religiösen und weltanschaulichen Bedürfnisse der Leistungsberechtigten Rücksicht zu nehmen. Nach § 33 S. 1 SGB I sind – auch unabhängig von der Äußerung eines Wunsches – die persönlichen Verhältnisse eines Berechtigten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse bei der Ausgestaltung nicht abschließend bestimmter Rechte zu berücksichtigen, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen.[12] Damit wird ein Gebot der individuellen Leistungskonkretisierung aufgestellt,[13] das eine bedarfsgerechte, personenzentrierte Leistungserbringung verlangt (Individualisierungsprinzip).[14]

Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass die Leistungsträger ihrer Infrastrukturverantwortung aus § 19 Abs. 1 S. 1 SGB IX dahingehend gerecht werden, dass für eine Vielfalt heterogener Bedarfslagen eine entsprechende Diversität an Leistungserbringern zu Verfügung steht, welche die jeweils notwendigen Leistungen möglichst gemeindenah erbringen können (vgl. Art. 25 S. 3 lit. b und c, Art. 26 S. 2 lit. b UN-BRK; s. auch Art. 19 lit. b UN-BRK).[15]

Des Weiteren haben die Rehabilitationsträger dem Individualisierungsgrundsatz bei der funktionsbezogenen Feststellung des individuellen Bedarfs (vgl. § 10 Abs. 1 S. 1 SGB IX) Rechnung zu tragen. Grundlage der Bedarfsermittlung muss die ICF sein, wie auch der Verweis auf die funktionsbezogene Feststellung zum Ausdruck bringt.[16] In Art. 26 Abs. 1 S. 2 lit. a UN-BRK ist dazu eine multidisziplinäre Bedarfsfeststellung niedergelegt, womit deutlich wird, dass der UN-BRK die Annahme zugrunde liegt, dass keine Berufsgruppe die Qualifikation zur alleinigen Ermittlung eines umfassenden Bedarfs innehat.

Auf Grundlage dieser Bedarfsfeststellung haben die Rehabilitationsträger sodann – ebenfalls unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse und Wünsche eines Rehabilitanden (vgl. § 33 SGB I; § 9 I SGB IX) – eine Entscheidung über die Form der Leistungserbringung (vgl. §§ 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1–3, Abs. 2, SGB IX) zu treffen und ggf. einen zur Ausführung am besten geeigneten Leistungserbringer auszuwählen (§§ 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 19 Abs. 4 S. 1 SGB IX).[17]

Einem solchen Leistungserbringer obliegt es schließlich, die medizinische Rehabilitation so durchzuführen, dass er damit dem zuständigen Rehabilitationsträger bei der Erfüllung seiner öffentlich-rechtlichen Pflichten gegenüber dem Anspruchsberechtigten dient;[18] folglich sind insbesondere die Rehabilitationsziele (vgl. §§ 1, 4 Abs. 1, 26 Abs. 1 SGB IX) möglichst umfassend zu erreichen.[19] Hierbei haben die Leistungserbringer den Leistungsberechtigten möglichst viel Raum zur eigenverantwortlichen Gestaltung ihrer Lebensumstände zu lassen und ihre Selbstbestimmung zu fördern (vgl. § 9 Abs. 3 SGB IX) indem sie ihnen unter anderem angemessene Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen (vgl. § 21 Abs. 1 Nr.4 SGB IX).

Zusammenfassend wird damit an verschiedenen Stellen des SGB IX – der UN-BRK entsprechend – deutlich, dass das gesamte System der Leistungserbringung bedarfsgerecht und personenzentriert, unter Berücksichtigung einer möglichst weitgehenden Selbstbestimmung, zu gestalten ist. Im Rahmen des Kongresses wurden verschiedene Probleme beim Umgang der Praxis mit diesen Anforderungen angesprochen und Verbesserungsmöglichkeiten erörtert.

So wies Norbert van Kampen (Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg) in einer Plenar-Diskussion unter anderem darauf hin, dass Teilhabeverwirklichung aus Betroffenensicht eine zielgruppenorientierte Rehabilitation voraussetze und dafür sehr spezialisierte Angebote notwendig seien, die für die Betroffenen auch transparent sein müssten. Die Informationen über die Leistungserbringer selbst seien in diesem Zusammenhang nicht immer geeignet, um einen bedarfsgerechten Leistungserbringer auszumachen. Damit in Verbindung stehend wurde herausgearbeitet, dass die Gewährleistung von Spezialisierung einerseits und Regionalität andererseits beim Aufbau einer Infrastruktur von Leistungserbringern (vgl. § 19 Abs. 1 S. 1 SGB IX) ein Spannungsverhältnis erzeuge, da spezielle Angebote aufgrund eines zu geringen Nutzerkreises nicht flächendeckend angeboten werden könnten.

Bezogen auf die Sicherstellung einer individuell bedarfsgerechten Leistungserbringung in einer medizinischen Rehabilitationseinrichtung erläuterte Dr. Inge Ehlebracht-König (Ärztliche Direktorin a. D. Reha-Zentrum Bad Elisen) die Schwierigkeit, dass bei der Aufnahme eines Rehabilitanden innerhalb sehr kurzer Zeit konkrete Teilhabeziele festgelegt und ein Rehabilitationskonzept entwickelt werden müssten. Zu diesem Zeitpunkt sei der Rehabilitand in der Einrichtung noch weitestgehend unbekannt und habe seine Ziele häufig selbst noch nicht definiert. Die strukturellen Bedingungen der begrenzten Rehabilitationsdauer ließen jedoch kaum alternative Vorgehensweisen zu.

Die Weiterentwicklung der Individualisierung in der medizinischen Rehabilitation ist auch Gegenstand des Projektes RehaInnovativen, das Richard Fischels (BMAS) zu Beginn des Kongresses kurz vorstellte und dabei zeigte, dass sich eine von drei Arbeitsgruppen des Projektes mit dem Handlungsfeld "Rehabilitation individualisieren" befasst. Die aktuellen Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe wurden unter der Leitung von Dr. Rolf Buschmann-Steinhage (DRV Bund), der zugleich Sprecher der Arbeitsgruppe ist, in einem Workshop des Kongresses diskutiert.

Mit Blick auf das Bundesteilhabegesetz (BTHG) wurde zum Thema bedarfsgerechter Leistungen in der medizinischen Rehabilitation in Impulsreferaten, Diskussionen und einem Workshop erörtert, welche Neuerungen das Gesetz dahingehend bringen könnte. Grundsätzlich wurde zunächst festgestellt, dass die geplanten Regelungen mehrheitlich nicht dazu führten, die medizinische Rehabilitation inhaltlich zu verändern, jedoch Anpassungen im Verwaltungsverfahren vorgesehen seien, die auch die medizinische Rehabilitation beträfen. Eingehend diskutiert wurde insbesondere die Bedeutung des Bedarfsfeststellungsverfahrens.

Der vom Bundestag verabschiedete und nunmehr auch im Bundesgesetzblatt[20] bekanntgegebene Gesetzesentwurf[21] sieht einheitliche Regelungen für alle Rehabilitationsträger zur Bedarfsermittlung (§ 13 SGB IX-E) und zur Aufstellung eines Teilhabeplans (§ 19 SGB IX) vor. Nach § 20 Abs. 1 S. 1 SGB IX-E kann der für die Durchführung des Teilhabeplanverfahrens (§ 19 SGB IX-E) verantwortliche Rehabilitationsträger mit Zustimmung der Leistungsberechtigten eine Teilhabeplankonferenz durchführen. Speziell für die Eingliederungshilfe sind in §§ 117 ff. SGB IX-E nochmals umfangreiche Regelungen für ein Gesamtplanverfahren und eine Gesamtplankonferenz niedergelegt.

Kritisiert wurden diesbezüglich insbesondere die Doppelstrukturen von Teilhabeplankonferenz und Gesamtplankonferenz sowie das Fehlen einer konsistenten ICF-Orientierung, die ausschließlich für die Bedarfsfeststellung in der Eingliederungshilfe (§ 118 Abs. 1 S. 2 SGB IX-E) ausdrücklich Erwähnung finde, jedoch nicht in der trägerübergreifenden Regelung des § 13 SGB IX-E. Ebenso wurde die „Kann-Regelung“ in § 20 Abs. 1 S. 1 SGB IX-E zumindest mehrheitlich für unzureichend gehalten und stattdessen für einen verbindlichen Anspruch auf Durchführung einer Teilhabeplankonferenz plädiert.

Überdies wurde darauf hingewiesen, dass festgestellte Bedarfe auch leistungsrechtlich hinterlegt sein müssten. Diesbezüglich wurde die Frage diskutiert, ob Einzelleistungen medizinische Rehabilitation sein könnten, was bislang weitestgehend abgelehnt werde. Zur Rolle des Vertragsarztes in der medizinischen Rehabilitation wurde herausgestellt, dass dahingehend notwendige Vereinbarungen in Gesamtverträgen (§§ 73 Abs. 3, 83 SGB V) bislang noch nicht erfolgt seien.

Beitrag von Christiane Goldbach, LLM, Universität Kassel

 


Fußnoten:

[1] So stellte beispielsweise Stange schon früh heraus, dass eine zu starke Zentralisierung und Institutionalisierung der Rehabilitation in überörtlichen Einrichtungen und eine mangelnde Verzahnung zwischen ambulantem und stationärem Sektor bestehe (Stange, KRV 1995, S. 210 (213). Für ein Fortbestehen dieser Probleme spricht, dass der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) erst jüngst einen Strukturwandel für notwendig hielt, um eine Verlagerung der Rehabilitationsangebote in die Sozialräume der Betroffenen zu realisieren (SVR, Gutachten 2014, Bedarfsgerechte Versorgung – Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungsbereiche, BT-Drs. 18/1940, Rn. 426). Des Weiteren stellten Höder/Deck als Ergebnis einer multizentrischen, explorativen Feldstudie fest, dass medizinische Rehabilitation in der Praxis häufig noch mit physikalischer Therapie gleichgesetzt wird und dadurch kuratives Denken und Handeln im Vordergrund steht (Höder/Deck, Aufgaben- und Rollenverteilung in der medizinischen Rehabilitation, Bestandsaufnahme und Prüfung von Optimierungsmöglichkeiten und Entlastungsmöglichkeiten, Abschlußbericht 2011, S. 9).

[2] Gesetzentwurf der Bundesregierung zum BTHG vom 05.09.2016 (BT-Drs. 18/9522). Verabschiedet wurde das Gesetz am 01.12.2016 in der Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 30.11.2016 (BT-Drs. 18/10523). Am 16.12.2016 hat der Bundesrat seine Zustimmung erteilt. Veröffentlicht wurde das Gesetz im Bundesgesetzblatt 2016, Teil I Nr. 66 vom 29.12.2016, S. 3234.

[3] Mit Blick auf die Intention des Beitrages werden nur vereinzelt Referenten namentlich genannt, ohne dass damit eine Bewertung vorgenommen werden soll. Das Programm ist mit allen Beteiligten auf der Internetseite der DVfR abrufbar: http://www.dvfr.de/veranstaltungen-der-dvfr (abgerufen am 17.11.2016).

[4] Eine Orientierung an der ICF ist in jedem Fall geboten, auch wenn Behinderung im Sinne der ICF weiter gefasst ist als nach § 2 Abs. 1 SGB IX. Dies lässt sich zunächst aus der Gesetzesbegründung zu § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX entnehmen, in der deutlich wird, dass der Behinderungsbegriff die Weiterentwicklung des Klassifikationssystems von Behinderung im Rahmen der World Health Organisation (WHO) berücksichtigen soll, die in die Verabschiedung der ICF mündete, BT-Drs. 14/5074, S. 98. Des Weiteren entspricht die Berücksichtigung der ICF mit Blick auf den Behinderungsbegriff aus Art. 1 S. 2 UN-BRK auch einer konventionskonformen Auslegung des § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX. Hierzu unter vielen Fuchs, in: Cramer/Fuchs/Hirsch/Ritz (Hrsg.), SGB IX – Kommentar zum Recht schwerbehinderter Menschen, 6. Aufl.2011, § 2 Rn. 6 ff; Welti, in: Deinert/Welti (Hrsg.), Stichwortkommentar Behindertenrecht (SWK), 2014, Behinderung Rn. 6; Grotkamp/Cibis/Bahemann u. a., Gesundheitswesen 2014, S. 172 (177).

[5] ICF, Deutschsprachige Version, abrufbar unter www.dimdi.de, S. 23.

[6] Ebd. S. 19 f.

[7] Vgl. Welti, Behinderung und Rehabilitation im sozialen Rechtsstaat, 2005, S. 136 f.

[8] Zur Befähigung als Teilhabevoraussetzung (sog. Befähigungsansatz) DVfR, Zur Bedeutung der Heilmittel für die Förderung der Teilhabe unter Berücksichtigung des Auftrags therapeutischer Fachberufe – ein Beitrag zur aktuellen Diskussion, Februar 2016, abrufbar unter http://www.dvfr.de/stellungnahmen (abgerufen am 18.11.2016), S. 16 f.

[9] ICF, Deutschsprachige Version, abrufbar unter www.dimdi.de, S. 21 f.

[10] Im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit ausschließlich die männliche Form verwendet. Es können dabei aber sowohl männliche als auch weibliche Personen gemeint sein.

[11] Vgl. Köpke, Stellenwert und Potential der Sozialarbeit in der medizinischen Rehabilitation, Forum D, Beitrag 29-2013, www.reha-recht.de, S. 1.

[12] Hierzu siehe auch: Walling, Das Prinzip der Individualisierung von Leistungen zur Teilhabe in der gesetzlichen Rentenversicherung, 2015, S. 365; Amann, in: Deinert/Welti (Hrsg.), SWK, 2014, Wunsch- und Wahlrecht Rn. 5; Neumann, in Deinert/Neumann (Hrsg.), Handbuch SGB IX, 2. Aufl. 2009, § 6 Rn. 8 f.; Welti, in: Lachwitz/Schellhorn/Welti (Hrsg.), Handkommentar-SGB IX, 3. Aufl. 2010, § 9 Rn. 7, 17.

[13] Hierzu tiefergehend: Welti/Sulek, VSSR 2000, S. 453 ff.; Welti/Sulek, in: Igl/Welti, Die Verantwortung des sozialen Rechtsstaats, 2001, S. 131 (150 f.).

[14] Umfassend Walling, Das Prinzip der Individualisierung von Leistungen zur Teilhabe in der gesetzlichen Rentenversicherung, 2015; konkret zum Begriff Individualisierungsprinzip m. w. N. ebd. S. 32.

[15] Vgl. Welti/Sulek, in: Igl/Welti, Die Verantwortung des sozialen Rechtsstaats, 2001, S. 131 (153); Welti/Fuchs/Köster, Das Leistungserbringungsrecht des SGB IX: Rechtlicher Rahmen für Verträge zwischen Diensten und Einrichtungen und Rehabilitationsträgern (§ 21 SGB IX), Rechtsgutachten 2007, S. 26; Köster, Das Leistungserbringungsrecht der medizinischen Rehabilitation, S. 113.

[16] Welti/Raspe, DRV 2004, S. 76 (92); m. w. N. Welti, in: Lachwitz/Schellhorn/Welti (Hrsg.), Handkommentar-SGB IX, 3. Aufl. 2010, § 10 Rn. 5; Mrozynski/Jabben, SGB IX Teil 1, 2. Aufl. 2011, § 10 Rn. 14; Ulrich, in: Deinert/Welti (Hrsg.), SWK, 2014, Kooperation der Leistungsträger Rn. 4.

[17] M. w. N. Welti/Fuchs/Köster, Das Leistungserbringungsrecht des SGB IX: Rechtlicher Rahmen für Verträge zwischen Diensten und Einrichtungen und Rehabilitationsträgern (§ 21 SGB IX), Rechtsgutachten 2007, S. 21.

[18] Vgl. Banafsche, in: Deinert/Welti (Hrsg.), SWK, 2014, Leistungserbringungsrecht Rn. 31.

[19] Vgl. Welti/Fuchs/Köster, Das Leistungserbringungsrecht des SGB IX: Rechtlicher Rahmen für Verträge zwischen Diensten und Einrichtungen und Rehabilitationsträgern (§ 21 SGB IX), Rechtsgutachten 2007, S. 18 f.

[20] Bundesgesetzblatt 2016, Teil I Nr. 66 vom 29.12.2016, S. 3234.

[21] Gesetzentwurf der Bundesregierung zum BTHG vom 05.09.2016 (BT-Drs. 18/9522) in der Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 30.11.2016 (BT-Drs. 18/10523).


Stichwörter:

Teilhabeplanverfahren, Gesamtplanverfahren, Teilhabeplankonferenz, Medizinische Rehabilitation, Teilhabebeeinträchtigung, UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), ICF, Bedarfsfeststellung, Kooperation der Rehabilitationsträger, Kontextfaktoren, Bundesteilhabegesetz (BTHG), Gesamtplankonferenz, Gesamtplan


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