20.07.2017 D: Konzepte und Politik Ramm: Beitrag D32-2017

Wege in die berufliche Bildung für Jugendliche mit Behinderung – Teil 7: Zusammenfassende Bewertung

In dieser siebenteiligen Beitragsreihe beschäftigt sich Diana Ramm mit den Rahmenbedingungen des Zugangs zu beruflicher Bildung für Jugendliche mit Behinderung. Im vorliegenden letzten Teil fasst sie die Ergebnisse der vorherigen Beitragsteile zusammen und nimmt eine abschließende Bewertung vor.

Trotz einer Intensivierung der bildungspolitischen Diskussion sei das Berufsbildungssystem für Jugendliche mit Behinderung noch immer stark exklusiv angelegt. Leistungen der Bundesagentur für Arbeit und der Integrationsämter etwa böten zwar zahlreiche Möglichkeiten zur Förderung einer Ausbildung im Betrieb, in der Praxis überwiege jedoch die Ausbildung in außerbetrieblichen Bildungseinrichtungen. Insbesondere kleine und mittlere Betriebe müssten verstärkt über Unterstützungsmöglichkeiten informiert und motiviert werden, mehr Jugendliche mit Behinderung auszubilden.

Die Autorin spricht sich für ein Zusammenwirken aller betroffenen Akteure aus, um gemeinsame Ziele festzulegen und weitere Schritte zu planen und umzusetzen. Ebenso müsse eine individuell ausgerichtete Begleitung in die Berufsausbildung erfolgen.

(Zitiervorschlag: Ramm: Wege in die berufliche Bildung für Jugendliche mit Behinderung – Teil 7: Zusammenfassende Bewertung; Beitrag D32-2017 unter www.reha-recht.de; 20.07.2017.)


In der Gesamtschau kann festgehalten werden, dass das Berufsbildungssystem für Jugendliche mit Behinderung noch immer stark exklusiv angelegt ist und beansprucht wird. Mit der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die nach deutscher Übersetzung ein integratives Bildungssystem fordert, hat sich die bildungspolitische Diskussion, auch zur beruflichen Ausbildung für Jugendliche mit Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt, intensiviert.

Jugendliche, die eine betriebliche Ausbildung anstreben, werden insbesondere nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) und der Handwerksordnung (HwO) ausgebildet. Beide Normen bieten Rahmenbedingungen in Form von Nachteilsausgleichen, die Jugendliche mit Behinderungen die Möglichkeit eröffnen sollen, einen qualifizierten und anerkannten Berufsabschluss im dualen System zu erlangen. Dabei besteht die Möglichkeit zur Inanspruchnahme von ausbildungsbegleitenden Hilfen und Zuschüssen an Auszubildende und Betriebe.

Kann eine Berufsausbildung, auch unter Gewährung von Nachteilsausgleichen, nicht erreicht werden, steht ein breites Instrumentarium zur beruflichen Ausbildung Behinderter in Sonderformen zur Verfügung. Die Regelungen und Maßnahmen sind dabei bspw. der Arbeitsförderung oder der Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zugeordnet. Auch das BBiG und die HwO eröffnen mit ihren Sonderregelungen in § 66 BBiG bzw. § 42m HwO die Ausbildung in sog. Fachpraktikerberufe, in begründeten Ausnahmefällen aufgrund von Art und Schwere der Behinderung. Es ist bei der praktischen Anwendung der Regelungen insbesondere zu kritisieren, dass die Ausbildung ganz überwiegend in außerbetrieblichen Bildungseinrichtungen, wie den Berufsbildungswerken stattfindet und nur selten im Betrieb.

Maßnahmen der Arbeitsförderung und der Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zur beruflichen Bildung sind unter den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu fassen, mit dem Ziel die Erwerbsfähigkeit entsprechend der Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen. Jugendlichen mit Behinderung stehen somit Maßnahmen zur Berufsorientierung und -vorbereitung und zu einer Grundausbildung zur Verfügung. Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich beim Zugang aus dem zugrundeliegenden Verständnis von Behinderung in Verbindung mit den für die betriebliche Berufsausbildung einschlägigen "Gesetzen und bildungspolitischen Verlautbarungen"[1].

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) ist regelmäßig zuständiger Träger im Übergang von der Bildungsphase zur Erwerbsarbeit und zuständiger Träger für Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben. Die BA stellt bei der Vermittlung von behinderten Ausbildungs­suchenden sicher, dass diese eine verstärkte vermittlerische Unterstützung erhalten. Berufsausbildungen sind durch die BA förderungsfähig, wenn sie in einem anerkannten Ausbildungsberuf betrieblich oder außerbetrieblich durchgeführt werden und ein vorgeschriebener Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen wurde. Vor einer möglichen Berufsausbildung können Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf und Schwerbehinderung Berufsorientierungsmaßnahmen erhalten. Berufsvorbereitende Maßnahmen können gefördert werden, um eine Berufsausbildung vorzubereiten oder die berufliche Eingliederung zu erleichtern. Die Assistierte Ausbildung zielt auf den erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung und auf die Stabilisierung schwieriger Ausbildungsverhältnisse und beinhaltet die Unterstützung während der Berufsausbildung und eine mögliche ausbildungsvorbereitende Phase.

Das Leistungsspektrum der BA beinhaltet neben Leistungen für Jugendliche mit Behinderungen Leistungen an Arbeitgeber, wie bspw. Zuschüsse für eine behindertengerechte Ausgestaltung von Ausbildungs- oder Arbeitsplätzen oder o. g. Zuschüsse zur Ausbildungsvergütung behinderter und schwerbehinderter Menschen.

Die Förderung der Berufsausbildung durch die Integrationsämter beinhaltet für Arbeitgeber Zuschüsse zu Gebühren, insbesondere zu Prüfungsgebühren sowie Prämien und Zuschüsse zu den Kosten der Berufsausbildung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Behinderung. Neben den Leistungen an Arbeitgeber gibt das Schwerbehindertenrecht den Arbeitgebern auch Verpflichtungen auf, wie z. B. die Beschäftigungsquote schwerbehinderter Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und die Pflicht zur behinderungsgerechten Gestaltung von Arbeitsplatz und Arbeitsbedingungen.

Zu den Instrumenten zur Eingliederung Behinderter in das Arbeitsleben ist weiter die Unterstützte Beschäftigung zu zählen. Ziel ist es, Menschen mit Behinderungen mit besonderem Unterstützungsbedarf eine angemessene, geeignete und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu ermöglichen und zu erhalten sowie Alternativen zur Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) aufzuzeigen.

Die WfbM sollen diejenigen unterstützen, die noch ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Leistung erbringen können, und im Berufsbildungsbereich über ein möglichst breites Angebot an Berufsbildungs- und Arbeitsplätzen verfügen.

Obwohl mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) ab 01.01.2018 die Einführung einer Leistungsgruppe zur Teilhabe an Bildung geplant ist, vermögen diese Leistungen wahrscheinlich kaum, auch bedingt durch den eingeschränkten Trägerkreis, auf die berufliche duale Ausbildung zu wirken. Wie bereits angedeutet, sollte zukünftig kritisch überprüft werden, ob die Chance zur Annäherung an den inklusiven Arbeitsmarkt durch das mögliche Instrument „Budget für Ausbildung“ nicht vertan wurde (vgl. Teil 6[2]).

Es wird bemängelt, dass die statistischen Daten bspw. zum Übergang in eine duale Ausbildung bzw. zu Abgängerinnen und Abgängern mit sonderpädagogischem Förderbedarf nur unzureichend sind. Es fehlt jedoch die Diskussion zum Mehrwert einer erweiterten Erhebung. Es sollte immer eine mögliche Stigmatisierung derer mitbedacht werden, die eine Ausbildung ohne Angabe einer möglicherweise vorliegenden Behinderung oder einem Förderbedarf erreichen (vgl. Teil 4[3]).

Werden den dargestellten Maßnahmen vorhandene statistische Daten gegenübergestellt, wird die Auffassung bestätigt, dass regelmäßig exklusive Berufsbildungsangebote bzw. -orte in Anspruch genommen werden. Den anzustrebenden Ausbildungsweg in einem anerkannten Beruf im dualen System nehmen noch zu wenige junge Menschen mit Behinderungen in Anspruch bzw. können noch zu wenige in Anspruch nehmen. Es müssen Betriebe, vor allem kleinere und mittlere Betriebe, angesprochen werden, mehr Jugendliche mit Behinderung auszubilden, auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und einem drohenden Fachkräftemangel. Gesetzlich zur Verfügung stehende Hilfen und Zuschüsse sind dabei wichtige Instrumente zur Eingliederung jugendlicher Behinderter in eine duale Ausbildung im Betrieb. Insbesondere kleine und mittlere Betriebe sollten verstärkt über diese monetären Hilfsinstrumentarien informiert[4] und so ggf. motiviert werden, Jugendlichen mit Behinderung eine duale Ausbildung zu ermöglichen. Inwiefern die mit dem BTHG geplante ergänzende, unabhängige Teilhabeberatung (ab 01.01.2018: § 32 SGB IX) diesen Prozess unterstützen kann, wird die Praxis zeigen. Jedenfalls sollten sich die Ansprechstellen diesbezüglich verantwortlich zeigen.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) bemängelt vor allem die noch immer herrschenden segregierenden Zugangsregeln der ausbildenden Wirtschaft für Jugendliche mit Behinderung zur dualen Berufsausbildung.[5] Es sind aber nicht nur Betriebe zu sensibilisieren. Gerade an Schulen der beruflichen Bildung sind Bedingungen, die es Jugendlichen mit Behinderung und Förderbedarf überhaupt ermöglichen dort zu lernen, zu überprüfen, zu verbessern und zu schaffen. Dem Reform- und Entwicklungsbedarf in der Aus- und Weiterbildung Lehrender ist Rechnung zu tragen. Es muss auch kritisch überprüft werden, inwiefern die Sonderbeschulung von Kindern mit Behinderung die exklusiven Ausbildungswege begünstigt.

Die GEW hat 2015 14 Gelingensbedingungen für berufsbildende Schulen auf dem Weg zur Inklusion in einem Positionspapier zusammengefasst. Als Gelingensbedingungen sieht die GEW dabei u. a. an: Eine differenzierte organisatorische Gestaltung der Berufsausbildung (z. B. individualisierte Ausbildungsgestaltung, Teilzeitberufsausbildung), Beratung von Ausbildungsbetrieben und eine Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure in regionalen Netzwerken.[6] Bei der Gestaltung von Übergängen ergeben sich insbesondere Probleme aus der Beteiligung verschiedener Akteure, die in ihren eigenen Rechtsnormen und Logiken verhaftet sind.[7] Im Endeffekt sind durch Rehabilitationsträger und Leistungserbringer, Bund, Länder und weitere Akteure (z. B. das Bundesinstitut für Berufsbildung) gemeinsame Ziele festzulegen und in einem weiteren Schritt zu planen, umzusetzen und zu evaluieren. Euler und Severing meinen hierzu, dass die Umsetzung einer inklusiven Berufsausbildung eine anspruchsvolle Aufgabe ist und nur mit der Unterstützung aller Verantwortungsträger gelingen kann. Die Voraussetzungen dafür seien in Deutschland jedoch gegeben, sowohl durch die aufgebauten Kompetenzen zur beruflichen Bildung von Menschen mit Behinderung als auch die Institutionalisierung der Berufsbildung sowie durch die Wirtschaft, die sich die Förderung von Inklusion leisten kann.[8]

Aus der laufenden Diskussion heraus erscheint eine Individualisierung von bestehenden Maßnahmen in heterogenen Gruppen[9] als Mittel der Wahl, wobei die individuelle Berufsorientierung, Berufswegeplanung und schnittstellenübergreifende Übergangsbegleitung bereits während der schulischen Ausbildung angelegt ist.

Literatur

Enggruber, R.; Rützel, J.: Berufsausbildung junger Menschen mit Behinderungen.
Eine repräsentative Befragung von Betrieben, W. Bertelsmann Verlag: Bielefeld, 2014.

Euler, D.; Severing, E.: Impulspapier für die Diskussion: Inklusion in der beruflichen Bildung, Bertelsmann Stiftung: Gütersloh, 2013.

Euler, D.; Severing, E.: Inklusion in der beruflichen Bildung. Daten, Fakten, offene Fragen, Bertelsmann Stiftung: Gütersloh, 2014.

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft: Berufsbildende Schulen auf dem Weg zur Inklusion – GEW Positionen zu einer inklusiven beruflichen Bildung, Beschluss des Hauptvorstands der GEW vom 26.06.2015, Frankfurt am Main, 2015.

Welti, F.; Ramm, D.: Rechtliche Rahmenbedingungen für die Übergänge behinderter Menschen, insbesondere zur Hochschule, In: Welti, F.; Herfert, A. (Hrsg.): „Übergänge im Lebenslauf von Menschen mit Behinderungen. Hochschulzugang und Berufszugang mit Behinderung“, kassel university press, 2017.

Beitrag von Dr. Diana Ramm, Universität Kassel



Fußnoten:

[1] Vgl. Enggrüber/Rützel (2014), S. 16 f.

[2] Vgl. Beitrag D30-2017 unter www.reha.recht.de.

[3] Vgl. Beitrag D27-2017 unter www.reha.recht.de.

[4] Bspw. über die Industrie- und Handelskammer bzw. Innungen.

[5] Vgl. Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (2015), S. 1.

[6] Vgl. Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (2015), S. 3 ff.

[7] Vgl. Welti/Ramm (2017).

[8] Vgl. Euler/Severing (2014), S. 29.

[9] Vgl. Euler/Severing (2013), S. 7.


Stichwörter:

Behinderung, Berufsbildung, Berufsausbildung benachteiligter junger Menschen


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