28.07.2017 D: Konzepte und Politik Falk et. al.: Beitrag D34-2017

Kurzbericht zur internationalen Tagung "Das Recht auf Arbeit für Menschen mit Behinderungen
– Internationale Perspektiven"

Die Autorinnen berichten von der internationalen Tagung "Das Recht auf Arbeit für Menschen mit Behinderungen − Internationale Perspektiven", die vom 8. bis 10. März in Kassel stattfand. Veranstalter waren der Forschungsverbund Sozialrecht und Sozialpolitik der Hochschule Fulda und der Universität Kassel (FoSS), das International Center for Development and Decent Work (ICDD) sowie die Hochschule der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). Die Tagung bot Gelegenheit zum Austausch über die Umsetzung des Art. 27 UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die Rolle geschützter Beschäftigungsverhältnisse, Return to Work-Konzepte und angemessene Vorkehrungen.

(Zitiervorschlag: Falk et. al.: Kurzbericht zur internationalen Tagung "Das Recht auf Arbeit für Menschen mit Behinderungen – Internationale Perspektiven"; Beitrag D34-2017 unter www.reha-recht.de; 28.07.2017.)


I. Das Recht auf Arbeit aus Art. 27 UN-BRK und die Inklusion in die Gesellschaft[1]

Im ersten Vortrag behandelte Prof. Dr. Eberhard Eichenhofer (Friedrich-Schiller-Universität Jena) das Thema "UN-BRK als internationales Recht". Aus einer historischen Perspektive begann er mit der Würde des Menschen, verdeutlicht im Zitat von Friedrich Schiller (1795) "Nichts mehr davon, ich bitt‘ euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen; Habt ihr die Blöße bedeckt, Gibt sich die Würde von selbst." Seit der Gründung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) 1919 seien die Sozialstandards international gesetzt. Die Geschichte der Menschenrechte sei eng mit der Entwicklung der Staaten selbst verbunden (Magna Charta Libertatum, Gründung der USA, Französische Revolution). Anfangs seien die Menschenrechte personell eng gefasst gewesen, so galten sie nur für die vermögenden männlichen Staatsbürger in den gewährenden Staaten. Ausgeschlossen waren vermögenslose Menschen, abhängig Beschäftigte, Frauen sowie Ausländerinnen und Ausländer. Die Entwicklung des 19. und 20. Jahrhunderts habe den Personenkreis auf die bis dahin ausgeschlossenen Gruppen erweitert und ergänzte diese ebenso um besonders schutzwürdige Personen wie Kinder, Menschen aus anderen Kulturkreisen und Menschen mit Behinderung. Mit dieser Erweiterung sei eine fundamentale inhaltliche Veränderung einhergegangen, so hielten Rechte für Arbeiter und Arbeiterinnen, soziale Rechte, Gleichbehandlungs- und Gleichstellungsgebote sowie die Internationalisierung menschenrechtlichen Schutzes Einzug in die Menschenrechte. Durch die internationalen Menschenrechtsgarantien (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR)[2] wandelten sich die Menschenrechte von Ausprägungen staatlicher Souveränität zu international verbindlichen Verpflichtungen, wodurch die Staaten verpflichtet seien die Menschenrechte zu achten, zu schützen und zu gewährleisten.

Die UN-BRK normiere die internationalen Menschenrechte für Menschen mit Behinderung und sichere deren Teilhabe an den Menschenrechten. Das Anliegen von Menschen mit Behinderung werde nicht mehr nur als Diskriminierungsproblem begriffen, sondern als Frage der elementaren individuellen Rechte. Beispiele für spezifische Rechte seien die Zugänglichkeit[3] (accessibility) nach Art. 9 UN-BRK[4] und die Ermächtigung (Empowerment) u. a. in Art. 6 UN-BRK. Ziel sei die Sicherung der gleichen Freiheiten und Rechte für alle. Rechtstechnisch geschehe dies, indem Diskriminierungen zugleich zu subjektiven Rechten der Opfer potentieller Diskriminierungen werden und erst dadurch umfassend wirken.

Prof. Dr. Martin Kronauer (Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin) erörterte, dass Art. 27 UN-BRK kein Recht auf Arbeit bereithalte, sondern eines auf Tätigkeit. Er schilderte die Bedeutung von Arbeit, die weit über finanzielle Aspekte hinausgehe. Arbeit liefere Zeitstruktur, soziale Kontakte und wirke als Antriebskraft. Sie sei daher Voraussetzung für Inklusion und gleichzeitig Ursache von Exklusion, wenn Menschen der Zugang verweigert werde.

José Carlos Do Carmo (Ministerium für Arbeit und Beschäftigung, São Paulo, Brasilien) sprach über die Bedeutung des brasilianischen Quotengesetzes für die Eingliederung von Menschen mit Behinderung. Das Gesetz verpflichtet Arbeitgeber mit 100 oder mehr Mitarbeitenden, eine gewisse Prozentzahl von Menschen mit Behinderung zu beschäftigen (2% bis 5%). Halten sich Arbeitgeber nicht an diese Bestimmung, sind von ihnen Geldstrafen zu entrichten. Der Referent beschrieb das Gesetz aus heutiger Sicht als unverzichtbares Mittel zur Umsetzung von Inklusion. Langfristiges Ziel sei jedoch eine tatsächlich inklusive Gesellschaft, in der ein Quotengesetz unnötig sei.

Klaus Lachwitz (Inclusion International) referierte zur Umsetzung des Rechts auf Arbeit und Beschäftigung aus der Perspektive von Menschen mit Behinderungen. Er kritisierte, dass die UN-BRK nicht durchgehend so umgesetzt werde, wie sie originär gemeint sei. Durch die Übersetzung in verschiedene Sprachen komme es zu Abweichungen, wodurch die Regelungen teilweise an Gehalt verlieren. Insbesondere die deutsche Fassung von Art. 27 UN-BRK sei zu ungenau.[5] Österreich[6] habe sich aus diesem Grund bereits von dieser Fassung abgewandt und praktiziert nach dem Text einer eigenen Übersetzung.

II. Inklusion und Exklusion durch geschützte Arbeit?

In weiteren Vorträgen und Expertengesprächen wurden Modelle und Wirkungen geschützter Beschäftigung kontrovers diskutiert.[7]

Prof. Dr. Lisa Waddington (Universität Maastricht, Niederlande) referierte zur Relevanz des Arbeitsrechts in der geschützten Beschäftigung. Einen Verstoß gegen Art. 27 UN-BRK stelle der Umstand dar, dass Beschäftigte in geschützten Arbeitsverhältnissen keinen Mindestlohn erhielten. Problematisch sei hierbei ihr Status als "arbeitnehmerähnliche Personen". Die Referentin ging sodann auf die Rechtssache Fenoll (C-316/13) ein, in der sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit der unionsrechtlichen Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs zu befassen hatte.[8] Kathrin Völker (Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen [BAG WfbM]) hingegen vertrat, dass der arbeitnehmerähnliche Status Werkstattbeschäftigten alle Rechte verschaffe, die auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hätten. Es sei bedauerlich, dass Menschen in WfbM keinen Mindestlohn erhielten. Andererseits könne sich in Deutschland die Zahlung des Mindestlohns negativ auf die rentenrechtliche Privilegierung der WfbM-Beschäftigten auswirken. In der späteren Diskussion wurde erfragt, ob die Referentin einen systematisch begründeten Zusammenhang von Mindestlohn und privilegierter Rentenstellung[9] sehe oder dieser eher politisch begründet sei. Völker sah eher eine politische Motivation. Positiv bewertete sie, dass das Sozialrecht einen Rechtsanspruch auf eine WfbM-Beschäftigung bereithalte.[10] Dieser sei insbesondere wegen ihres Auftrags, Übergänge auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu fördern, von Bedeutung. In der Diskussion wurde kritisiert, dass dieser Auftrag praktisch keine Wirkung zeige, was auch in den Abschließenden Bemerkungen des Fachausschusses für Menschen mit Behinderung bemängelt werde.[11] Gleichzeitig wurde darauf verwiesen, dass auch der erste Arbeitsmarkt nicht ausreichend passende Arbeitsangebote bereithalte.

In einem weiteren Vortrag stellte Prof. Dr. Yi-Chun Chou (Soochow Universität, Taipei, Taiwan) die Studie "Behindertenwerkstattpolitik für Menschen mit Behinderungen in Japan und Taiwan" vor und arbeite heraus, dass Werkstätten in ostasiatischen Ländern grundsätzlich auch der ökonomischen Entwicklung dienten.[12]

III. Arbeit als Schlüssel für Teilhabe und Beteiligung

Die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, Verena Bentele, verdeutlichte in ihrem Vortrag, dass das Recht auf Arbeit mit weiteren wichtigen Rechten aus der UN-BRK zusammenhängt. Hierfür ging sie auf die Bedeutung von Bildung, Barrierefreiheit[13] und Bewusstseinsbildung[14] ein. Daran anknüpfend benannte sie verschiedene Leistungen des deutschen Sozialrechts, wie die Assistierte Ausbildung[15] und das Budget für Arbeit (ab 01.01.2018: § 61 SGB IX[16], die geeignet seien, die Teilhabe am Arbeitsleben voranzubringen.

IV. Wege zur Verwirklichung – Verantwortung des Staates und gesellschaftlicher Akteure

Prof. Dr. Roy Sainsbury (University of York, Großbritannien) stellte das Projekt DISTINCT vor, mit dem untersucht werden soll, wie in Großbritannien, trotz einer aktuell schlechten wirtschaftlichen Situation und wenigen Möglichkeiten zur Schaffung neuer Arbeitsplätze, die behinderungsbedingte Beschäftigungslücke ("disability employment gap") verringert bzw. langfristig geschlossen werden kann.

Einen weiteren thematischen Schwerpunkt der Tagung bildeten Return to Work (RTW)-Konzepte verschiedener Länder. Dr. Friedrich Mehrhoff (DGUV) stellte das Zertifizierungsprogramm zum Disability-Manager der DGUV vor und beschrieb folgende wesentliche Gelingensfaktoren: ganzheitlich denken, früh beginnen, individuell denken und mehrere Beteiligte einbeziehen. Wesentlich seien zudem ein proaktives Vorgehen, Fallmanagement, die Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Beschäftigten im Reha-Prozess sowie die Erstellung von Aktionsplänen. In einem weiteren Vortrag sprach Prof. Dr. Madan Kundu (Southern University Baton Rouge, USA) über die Qualifizierung in der Ausbildung für Personal im Bereich RTW. Hierfür stellte er zwei Zertifizierungskurse vor, den Master of Science in Rehabilitation System sowie den Master of Science in Clinical Rehabilitation Counseling. Anschließend ging er auf die Ergebnisse mehrerer Studien ein, in denen Faktoren herausgearbeitet wurden, die es für ein gelingendes RTW braucht. Auch hier zeigte sich der Einsatz von Fallmanagern als besonders wichtig. Insgesamt sei deutlich geworden, dass in den verschiedenen Ländern ähnliche Anforderungen gestellt werden, sich die Umsetzung jedoch unterscheidet. Eine Zertifizierung sei in jedem Fall wichtig und die Etablierung eines internationalen Zertifikats wünschenswert. Anschließend sprach Jürgen Menze (Associate Expert in Disability Inclusion, International Labour Organization, Schweiz) über die Vorteile, die Inklusion den Unternehmen bringt, und über Anforderungen an eine gelingende Inklusion. Zu diesen zählten Bewusstsein und Zugänglichkeit sowie angemessene Vorkehrungen[17].

V. Vergleichbarkeit und Konvergenzen nationaler Rechtsordnungen – Angemessene Vorkehrungen

Dr. Delia Ferri (Maynooth University, Irland) referierte zu "Angemessenen Vorkehrungen als Tor zum Recht auf Arbeit" und erörterte dabei die Umsetzung in der Europäischen Union. Sie erläuterte zunächst den Unterschied zwischen Zugänglichkeit und angemessenen Vorkehrungen und ging auf Art. 5 der Gleichbehandlungsrahmen-Richtlinie (2000/78/EG) ein. Zudem diskutierte sie die Entscheidungen Jungelin/ Schweden (CRPD/C/12/D/5/2011) des Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderung sowie die Rechtssachen C-335/11 und 337/11 (HK Danmark)[18] des Europäischen Gerichtshofes (EuGH). In allen drei Entscheidungen ging es um angemessene Vorkehrungen und die Frage, was unverhältnismäßige Mehrkosten sind. Daran anschließend stellte sie rechtsvergleichend dar, wie das Konzept der angemessenen Vorkehrungen in verschiedenen Ländern umgesetzt wird und welche Konsequenzen aus der Nichtbeachtung der Pflicht zum Treffen angemessener Vorkehrungen erwachsen. Im Ergebnis gewähren die meisten Länder Schadensersatz[19]. Als Hauptproblem für eine fehlende Umsetzung angemessener Vorkehrungen nannte Ferri, dass viele Arbeitgeber die entsprechenden Gesetze nicht kennen.[20]

VI. Vertiefung der Themen in Workshops

Die zahlreichen Veranstaltungsthemen wurden in zehn Workshops vertieft. Die Autorinnen berichten aus den Workshops 1, 2 und 5.

Workshop 1: Teilhabe am Arbeitsleben – Menschen mit Behinderungen zwischen Inklusion und Exklusion – eine europäische Perspektive

In Workshop 1 fassten Prof. Dr. Martin Kronauer und Prof. Dr. Roy Sainsbury zunächst Gemeinsamkeiten und Unterschiede ihrer Vorträge vom Vormittag zusammen und verglichen die Teilhabechancen von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben in Deutschland und Europa. Insgesamt ließen sich ein Abbau von Diskriminierung und die stärkere Wirkung von Menschenrechten erkennen. Gleichzeitig erfolgten jedoch ein Abbau sozialer Rechte und ein Wandel der Arbeitsmärkte. Primäres Ziel sei nicht mehr die unbedingte Vollbeschäftigung von jedermann, sondern die individuelle Qualifikation, um auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehen zu können. Als problematisch bewerteten die Teilnehmenden die in vielen europäischen Ländern geltenden Quotenregelungen bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen. Das Zahlen von Ausgleichsabgaben (oder "Ausgleichstaxen") zur Kompensierung nicht erfüllter Beschäftigungsquoten ermögliche vor allem großen und wohlhabenden Unternehmen ein "Freikaufen". Unter diesen Bedingungen seien die Beschäftigungsquoten nicht zielführend bei der Inklusion von Menschen mit Behinderungen, stattdessen müssten andere Anreize gesetzt werden. Als aktuelle Hauptgründe für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen benannten die Teilnehmenden eigene Betroffenheit (bzw. Betroffenheit im näheren Umfeld), ein soziales Image des Arbeitgebers sowie den Nutzen einer bestimmten Behinderung für ein Unternehmen (z. B. Autismus in der IT-Branche).

Workshop 2: Das "gleiche" Recht auf Arbeit – was leisten die sozialen Menschenrechte für Menschen mit und ohne Behinderung?

In einem einführenden Vortrag referierte Prof. Nai Yi-Sun (Department of Law, National Chengchi University, Taiwan) über die Implementierung der UN-BRK in Taiwan und die Herausforderung, sich völkerrechtlich an diese zu binden, ohne Mitglied der Vereinten Nationen zu sein. Die Regierung in Taiwan sei zunächst davon ausgegangen, dass die UN-BRK weitgehend umgesetzt sei. Eine Vereinbarkeitsprüfung habe jedoch gezeigt, dass Art. 27 nicht hinreichend umgesetzt ist. Die Referentin ging weiterhin beispielhaft auf die Problematik der körperlichen Eignungsprüfung für Staatsanwälte in Taiwan ein und beschrieb diese als nicht vereinbar mit der UN-BRK. Zudem sei im taiwanischen Recht das Konzept der angemessenen Vorkehrungen nicht verankert. Problematisch sei auch, dass die Arbeitsförderung zwar Instrumente zur Teilhabeförderung bereithalte, diese aber weitgehend unbekannt seien. In der anschließenden Diskussion zeigte sich, dass in Deutschland ähnliche Probleme hinsichtlich der Umsetzung der UN-BRK bestehen.

Workshop 5: Das Konzept von Behinderung in der ICF und der Behindertenrechtskonvention und die Realisierung des Rechts auf Arbeit/Perspektiven der internationalen Kooperation: Bedeutung von Daten, Statistiken und Methoden

In Workshop 5 referierten Prof. Dr. Jerome Bickenbach (Fakultät Kultur- und Sozialwissenschaften, Universität Luzern, Schweiz) sowie Prof. Dr. Marianne Hirschberg (Fakultät für Gesellschaftswissenschaften Hochschule Bremen).

Die Teilnehmenden vertieften im Workshop u. a. Themen, die Bickenbach bereits in seinem Vortrag im Plenum umriss. In diesem sprach er zu Art. 33 UN-BRK und der Bedeutung von Daten für soziale Entwicklungen und Reformen. Die Konzepte der Datenerhebung müssten sich am bio-psycho-sozialen Konzept von Behinderung ausrichten und Umweltbarrieren berücksichtigen. Ebenso müsse in einem interaktiven Ansatz das soziale Umfeld der betreffenden Personen als Hauptquelle der Informationen dienen. Die erhobenen Daten müssten repräsentativ, wahrhaftig und vergleichbar sein. Die ICF biete einen guten Rahmen für eine gemeinsame Sprache. Sie sei akademisch fundiert und vergleichbar und nutze das bio-psycho-soziale Modell.

Bickenbach betonte, dass die ICF die einzige verfügbare Basis für die Beurteilung einer Behinderung sei. Die Vorteile der Verwendung der ICF-Beurteilung von Behinderungen lägen in ihrer optimalen Berichtsstruktur, der garantierten Prozesslegitimität und der Funktion als internationale Plattform für Bewertung und Messung. Die ICF diene auch als Beurteilungsgrundlage der UN-BRK. Sie orientiere sich besonders an deren Fähigkeiten und nicht nur an den Einschränkungen einer Person. Die ICF könne in beiden Bereichen[21] herangezogen werden und daraus könnten die verfügbaren Kapazitäten einer Person geschlossen werden. Die systematischen Vorteile des ICF-Ansatzes lägen z. B. in der Verschiebung von einem Standardbild des passiven Leistungsempfängers zu einem teilnehmenden Mitglied in der Arbeitswelt, der Bewertung und Hervorhebung von Stärken und weniger von Defiziten sowie in der Förderung der Behindertenpolitik.

Hirschberg merkte zur ICF-Definition der Behinderung an, dass diese ein Oberbegriff von drei Komponenten und Ergebnis der Interaktion mehrerer Komponenten sei. „Behinderung ist ein Oberbegriff für Beeinträchtigungen, Aktivitätsbeschränkungen und Beteiligungsbeschränkungen.“ Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichne als Behinderung die negativen Aspekte der Interaktion zwischen einem Individuum (mit einem Gesundheitszustand) und den individuellen Kontextfaktoren (ökologische und persönliche Faktoren). Insgesamt kam Hirschberg zu dem Schluss, dass Klassifikationen und Definitionen wie in der ICF und der UN-BRK wirkungsvoll sind und es wichtig sei, alle Aspekte der Behinderung einer Person und ihrer umfassenden psychosozialen und physischen Umgebung zu berücksichtigen. Die UN-BRK zeichne sich dadurch aus, dass Behinderung im Zusammenhang mit einem Menschenrechtsansatz gebraucht werde. Letztlich seien wichtige Instrumente für Menschen mit Behinderungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt ein angemessener Arbeitsplatz (individuelles Recht) sowie angemessene Maßnahmen für strukturelle und systematische Erreichbarkeit in der Gesellschaft (Menschenrechtsgrundsatz). Notwendig sei die Achtung der Zerbrechlichkeit des Körpers als humane Bedingung.

Beitrag von Dipl. jur. Angelice Falk und Cindy Schimank (Sozialrecht, LL.M.), beide Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Mirjam Schülle (M. Sc.), Dr. Diana Ramm, beide Universität Kassel

 


Fußnoten:

[1] Grundlegende Informationen zu Art. 27 UN-BRK in dem Beitrag Trenk-Hinterberger: Die Bedeutung des Art. 27 BRK für das Recht auf Teilhabe am Arbeitsleben; Forum D, Beitrag D10-2012 unter www.reha-recht.de; 01.06.2012.

[2] Diese wurde im Jahre 1948 von der Generalversammlung der UN verabschiedet.

[3] In der Schattenübersetzung heißt es "Barrierefreiheit" statt "Zugänglichkeit".

[4] Grundlegende Informationen zu Zugänglichkeit und Barrierefreiheit finden Sie in dem Beitrag Welti: Zur praktischen Bestimmung der rechtlich gebotenen Barrierefreiheit; Forum D, Beitrag D18-2013 unter www.reha-recht.de; 05.07.2013).

[5] Art. 27 UN-BRK in den verschiedenen Übersetzungen ist abrufbar unter https://www.behindertenbeauftragter.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Broschuere_UNKonvention_KK.pdf?__blob=publicationFile, S. 41.

[7] Siehe Dunz: Teilbericht zur internationalen Tagung "Das Recht auf Arbeit für Menschen mit Behinderungen – Internationale Perspektiven"; Beitrag D29-2017 unter www.reha-recht.de; 06.07.2017.

[8] Siehe hierzu Wendt: Behinderte Menschen in europäischen Behindertenwerkstätten sind unionsrechtlich Arbeitnehmer – Anmerkung zu EuGH, Urt. v. 26.03.2015, C-316/13 (Rs. Fenoll); Forum B, Beitrag B14-2015 unter www.reha-recht.de; 02.12.2015.

[9] Kritisch zur rentenrechtlichen Privilegierung: Nebe/Waldenburger, Budget für Arbeit. Forschungsprojekt im Auftrag des Integrationsamtes des Landschaftsverbandes Rheinland sowie Ritz, Teilhabe von Menschen mit wesentlichen Behinderungen am Arbeitsmarkt. Gutachten im Auftrag der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung.

[10] Diese besteht allerdings nur bei Vorliegen des eines Mindestmaßes wirtschaftlich verwertbarer Arbeit [Anm. der AutorInnen], kritisch hierzu: Hoffmann/Kohte: Kündigung eines Werkstattvertrages und der Verlust der Aufnahmevoraussetzungen in eine Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) – Anmerkung zum Urteil des LAG Düsseldorf vom 11.11.2013 – 9 Sa 469/13 – unter der Beachtung des Verlusts der Aufnahmevoraussetzungen in eine WfbM und der Bedeutung des Betreuungsschlüssels; Forum B, Beitrag B1-2015 unter www.reha-recht.de; 19.02.2015.

[11] Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Abschließende Bemerkungen über den ersten Staatenbericht Deutschlands unter http://www.gemeinsam-einfach-machen.de.

[12] Detaillierte Informationen siehe Dunz: Teilbericht zur internationalen Tagung "Das Recht auf Arbeit für Menschen mit Behinderungen – Internationale Perspektiven"; Beitrag D29-2017 unter www.reha-recht.de; 06.07.2017.

[13] Siehe hierzu Welti: Zur praktischen Bestimmung der rechtlich gebotenen Barrierefreiheit; Forum D, Beitrag D18-2013 unter www.reha-recht.de; 05.07.2013.

[14] Hoffmann/Kohte: Maßnahmen zur Bewusstseinsförderung und zur generellen Sensibilisierung – eine sozialpolitische Aufgabe; Forum D, Beitrag D27-2015 unter www.reha-recht.de; 14.08.2015.

[15] Siehe hierzu Schimank: Assistierte Ausbildung für junge Menschen mit Behinderung – Teil 1 – Ausgangspunkt und rechtliche Grundlagen sowie Teil 2 – Aufbau und Ausgestaltung; Beitrag D25-2016 unter www.reha-recht.de; 13.07.2016.

[16] Vertiefend siehe Nebe/Waldenburger, Budget für Arbeit, a. a. O. sowie Nebe/Schimank: Das Budget für Arbeit im Bundesteilhabegesetz; Teil 1: Darstellung der Entwicklung und kritische Betrachtung bis zur Befassung im Bundesrat; Beitrag D47-2016 und Schimank: Das Budget für Arbeit im Bundesteilhabegesetz – Teil 2: Öffentliche Anhörung und abschließende Beratung im Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie 2. und 3. Lesung im Bundestag; Beitrag D60-2016, beide unter www.reha-recht.de; 9.12.2016.

[17] Siehe hierzu Welti: Das Diskriminierungsverbot und die "angemessenen Vorkehrungen" in der BRK – Stellenwert für die staatliche Verpflichtung zur Umsetzung der in der BRK geregelten Rechte; Forum D, Beitrag D9-2012 unter www.reha-recht.de; 31.05.2012 sowie Aichele: Barrieren im Einzelfall überwinden: Angemessene Vorkehrungen gesetzlich verankern; Forum D, Beitrag D6-2012 unter www.reha-recht.de; 23.03.2012.

[18] Entscheidungen des EuGHs vom 11.04.2013 in den verbundenen Rechtssachen C‑335/11 und C‑337/11.

[19] Siehe hierzu Rosendahl: Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung – unmittelbar klagbarer Anspruch auch auf eine konkrete Tätigkeit möglich – Anmerkung zu LAG Frankfurt, Urteil v. 05.11.2012 – 21 Sa 593/10; Forum B, Beitrag B3-2013 unter www.reha-recht.de; 20.08.2013 sowie Rosendahl: Anspruch auf Schadensersatz bei Verweigerung einer behinderungsgerechten Beschäftigung – Anmerkung zu LAG Frankfurt, Urteile v. 21.03.2013 – 5 Sa 842/11 und 5 Sa 1720/11; Forum B, Beitrag B12-2014 unter www.reha-recht.de; 08.08.2014.

[20] Die Ausführungen der Referentin basierten auf der Studie "Reasonable accommodation for disabled people in employment contexts", abrufbar unter http://ec.europa.eu/justice/discrimination/files/reasonable_accommodation_in_employment_contexts_final_en.pdf.

[21] Gemeint sind sowohl der Bereich einer Fähigkeit als auch der einer Einschränkung einer Person.


Stichwörter:

UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), Art. 27 UN-BRK, Rückkehr ins Erwerbsleben (return to work), Angemessene Vorkehrungen, Inklusion


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