17.02.2016 D: Konzepte und Politik Fuchs: Beitrag D5-2016

Zum Entwurf „Erstes allgemeines Gesetz zur Stärkung der Sozialen Inklusion in Nordrhein-Westfalen“

Im vorliegenden Beitrag stellt der Autor Harry Fuchs den nordrhein-westfälischen Entwurf für ein „Erstes allgemeines Gesetz zur Stärkung der Sozialen Inklusion in Nordrhein-Westfalen“ vor. Nordrhein-Westfalen ist damit das erste Bundesland, das ein Landesgesetz zur Umsetzung der allgemeinen Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) vorsieht. Ziel des Gesetzes ist die inklusive Weiterentwicklung landesgesetzlicher Regelungen („inklusive Gesetzgebung“) i. S. d. Art. 4 Abs. 5 UN-BRK.  

Der Autor stellt zunächst die elf Artikel des Gesetzesentwurfs kurz vor. Diese enthalten neben der Schaffung eines Inklusionsgrundsätzegesetzes (IGG NRW) (Artikel 1) zahlreiche Anpassungen bereits bestehender Regelungen an die UN-BRK, so z. B. des Behindertengleichstellungsgesetzes NRW (BGG NRW) (Artikel 2), des Ausführungsgesetzes zum SGB XII (Artikel 3) oder der Kommunikationshilfenverordnung (Artikel 4, 5, 8). Anschließend geht der Autor auf die Artikel 1 und 2 ein und setzt sich kritisch mit deren rechtlichen Inhalten sowie den in der Anhörung zum Gesetzesentwurf geäußerten Anmerkungen auseinander. Er schließt mit einem Ausblick auf das weitere Gesetzgebungsverfahren, das voraussichtlich noch in 2016 abgeschlossen werden soll.

(Zitiervorschlag: Fuchs: Zum Entwurf „Erstes allgemeines Gesetz zur Stärkung der Sozialen Inklusion in Nordrhein-Westfalen“; Beitrag D5-2016 unter www.reha-recht.de; 17.02.2016)


 

Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen (NRW) hat dem Landtag von Nordrhein-Westfalen im September 2015 den Entwurf zum „Gesetz zur Stärkung der Sozialen Inklusion in Nordrhein-Westfalen“ zur Beratung und Beschlussfassung zugeleitet.

I. Zielsetzung des Gesetzentwurfs

Das Land Nordrhein-Westfalen will damit – als erstes Bundesland – auf der Landesebene ein Gesetz zur Umsetzung der allgemeinen Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Kraft setzen. Die Landesregierung verwirklicht mit diesem Entwurf zugleich die im Aktionsplan des Landes Nordrhein-Westfalen zur Umsetzung der UN-BRK „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“ eingegangene Selbstverpflichtung zur inklusiven Weiterentwicklung landesgesetzlicher Regelungen.

Der Entwurf knüpft an Art. 4 Abs. 5 UN-BRK an, wonach die Bestimmungen der UN-BRK ohne Einschränkungen oder Ausnahmen für alle Ebenen staatlichen Handelns, d. h. für Bund, Länder und Kommunen umzusetzen sind.

Die Landesregierung sieht darin eine große Herausforderung, für das Land im Sinne einer inklusiven Rechtskultur sowohl allgemeine als auch spezialgesetzliche Regelungen zu treffen, die dazu beitragen, dass die Anforderungen der UN-BRK auch bezogen auf die besondere Situation in Nordrhein-Westfalen umgesetzt werden können.

Darüber hinaus stellt die Landesregierung im Entwurf fest, dass das Ziel der UN-BRK, Menschen mit Behinderungen den vollen, gleichberechtigten und wirksamen Genuss der Menschenrechte zu ermöglichen, und damit eine inklusive Gesellschaft anzustreben, sowohl vielen Trägern öffentlicher Belange als auch in der Gesellschaft selbst nicht bekannt oder zumindest nicht gegenwärtig ist. Dies unterstreiche die Notwendigkeit, im Sinne der Entwicklung eines inklusiven Bewusstseins auf diese Träger einzuwirken. Gesetzliche Regelungen könnten hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Dies gelte umso mehr, als die Träger öffentlicher Belange für die Umsetzung der Anforderungen der UN-BRK eine besondere Vorbildfunktion haben. Art. 33 UN-BRK verpflichtet alle staatlichen Ebenen dazu, die Anforderungen der UN-BRK schrittweise umzusetzen.

Des Weiteren gehöre zur Umsetzung der allgemeinen Anforderungen und zur Entwicklung einer inklusiven Rechtskultur auch die Überprüfung und gegebenenfalls die Anpassung bereits bestehender Gesetze und ihrer Ausführungsbestimmungen zur Sicherung der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Dies gelte insbesondere für das Behindertengleichstellungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (BGG NRW).

Zu den mit dem Aufbau einer inklusiven Rechtskultur in Verbindung stehenden Herausforderungen gehöre außerdem, dass die rechtlichen Regelungen, die sich auf besondere Lebenssituationen von Menschen mit Behinderungen beziehen, dort festgelegt werden, wo sie auch für alle anderen Menschen getroffenen worden sind oder getroffen werden. Bei der Weiterentwicklung der landesrechtlichen Regelungen seien in Umsetzung der Anforderungen diese allgemeinen Grundsätze wegen ihrer Querschnitts­bedeutung immer mit zu berücksichtigen.

Damit wird die Gesetzgebung im Land Nordrhein-Westfalen im Sinne der UN-BRK zu einer „inklusiven Gesetzgebung“ weiterentwickelt.

II. Gegenstand des Gesetzentwurfes

Mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf werden für das Land Nordrhein-Westfalen im Wesentlichen allgemeine, d. h. nicht fachspezifische, landesgesetzliche Regelungen zur Umsetzung der Anforderungen der UN-BRK getroffen.

Die Landesregierung will bei der notwendigen Anpassung landesgesetzlicher Regelungen schrittweise vorgehen. Neben den im jetzt vorliegenden Entwurf enthaltenen allgemeinen Regelungen sind im Land Nordrhein-Westfalen bereits im Jahr 2015 in Spezialgesetzen (z. B. im Schulrecht) Änderungen aufgrund der UN-BRK erfolgt. Weitere Anpassungen landesrechtlicher allgemeiner sowie fachspezifischer Regelungen werden folgen.

Der Entwurf enthält folgende elf Artikel:

In Artikel 1, dem Inklusionsgrundsätzegesetz, werden wesentliche Grundsätze im Zusammenhang mit den Anforderungen des allgemeinen Teils der UN-BRK in Nordrhein-Westfalen landesgesetzlich verankert.

In Artikel 2, der Novelle des Behindertengleichstellungsgesetzes des Landes NRW, werden insbesondere notwendige Anpassungen für die Sicherstellung der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen vorgenommen.

In Artikel 3 werden im Ausführungsgesetz zum Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AG SGB XII) Regelungen zur Entfristung und damit zur dauerhaften Zuständigkeit der Landschaftsverbände (überörtlicher Träger der Sozialhilfe) für das selbstständige Wohnen von Menschen mit Behinderungen und darüber hinaus einige Regelungen zur Beseitigung von Schnittstellen zwischen örtlichem und überörtlichem Träger der Eingliederungshilfe zur Zusammenarbeit im Rahmen der Durchführung der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII getroffen.

In Artikel 4 und 5 werden entsprechend der Regelungen im BGG NRW und der Kommunikationshilfenverordnung zur Wahrnehmung der Elternrechte Vorkehrungen zur Sicherstellung der Kommunikation von Hörbeeinträchtigten oder Gehörlosen für den Bereich der Elterngespräche in Kindertagespflege, Kindertageseinrichtungen und Schulen getroffen.

Artikel 6 und 7 enthalten Regelungen zur Erleichterung der eigenständigen Ausübung des Wahlrechts von Menschen mit erheblichen Sehbehinderungen.

Artikel 8 beinhaltet die Anpassung der Kommunikationshilfenverordnung an die Änderungen im BGG NRW sowie die Anpassung der Vergütungssätze an die bundesrechtlichen Regelungen, um eine einheitliche Rechtsanwendung und damit eine einheitliche Vergütung zu gewährleisten.

Mit Artikel 9 wird die Verordnung für barrierefreie Dokumente entsprechend der Änderungen im BGG NRW angepasst.

Artikel 10 hebt die Verordnung zum Landesbehindertenbeirat auf, der durch einen Inklusionsbeirat mit angeschlossenen Fachbeiräten, u. a. dem Fachbeirat Partizipation bei der Beauftragten des Landes für die Belange behinderter Menschen, abgelöst wird.

Artikel 11 regelt das Inkrafttreten.

Mit dem Ersten allgemeinen Gesetz zur Stärkung der Sozialen Inklusion in Nordrhein-Westfalen behält sich der Gesetzgeber gleichzeitig vor, im Zeitverlauf gegebenenfalls notwendige weitere allgemeine rechtliche Regelungen zur Stärkung der Sozialen Inklusion in Nordrhein-Westfalen zu treffen.

Nachfolgend werden lediglich die Artikel 1 und 2 vertieft.

III. Artikel 1: Inklusionsgrundsätzegesetz Nordrhein-Westfalen (IGG NRW)

Mit dem Inklusionsgrundsätzegesetz sollen in einem ersten Schritt aus der UN-BRK resultierende allgemeine Anforderungen in landesgesetzliche Regelungen überführt werden. Damit verdeutlicht der Landesgesetzgeber, dass auch auf der Landesebene eine besondere Verpflichtung zur Umsetzung der allgemeinen Anforderungen der UN-BRK besteht.

Die bisher schon im BGG NRW verorteten allgemeinen und grundsätzlichen Regelungen werden an die Anforderungen der UN-BRK angepasst und in das Inklusions­grundsätzegesetz übernommen.

Zielvorstellung des Inklusionsgrundsätzegesetzes ist – entsprechend der Vorgabe der UN-BRK – die Förderung und Stärkung inklusiver Lebensverhältnisse und damit notwendiger Schritte auf dem Weg in eine inklusive Gesellschaft.

Mit der Verankerung der allgemeinen und grundsätzlichen Anforderungen der UN-BRK in § 1 Inklusionsgrundsätzegesetz werden zugleich die Träger öffentlicher Belange aufgefordert, die Ziele der UN-BRK im Rahmen ihres Zuständigkeits- und Aufgabenbereiches zu verwirklichen.

Der unmittelbare Geltungsbereich (§ 2 IGG) umfasst alle Dienststellen und Einrichtungen des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände, der sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen und der Beliehenen. Die Sätze 3 und 4 enthalten eine Aufzählung Träger öffentlicher Belange (u. a. Landtag, Gerichte, Staatsanwaltschaften, Krankenhäuser, Hochschulen, Landesrechnungshof) durch die die besondere Verpflichtung der einzelnen Träger deutlich herausgestellt werden soll. Diese Aufzählung ist nicht als abschließend zu verstehen und somit gegenüber Veränderungen in der Struktur der Träger öffentlicher Belange offen.

Der Geltungsbereich ist gegenüber der bisherigen Fassung in § 1 BGG NRW neu gefasst, sieht jedoch keine Änderungen im Umfang hinsichtlich der verpflichteten Träger öffentlicher Belange vor. Lediglich formell Beliehene, die als Private hoheitliche Aufgaben für die Träger öffentlicher Belange ausführen, werden zusätzlich in den Anwendungsbereich einbezogen, da diese durch die Beleihung als privatrechtlich organisierte Träger mittelbarer Staatsgewalt den gleichen rechtlichen Verpflichtungen unterliegen wie der Träger öffentlicher Belange selbst. Zu den Trägern öffentlicher Belange zählen auch Schulen; sowohl öffentliche Schulen im Sinne des § 6 Abs. 3, 4 SchulG und § 124 SchulG, als auch Ersatzschulen im Sinne des § 100 Abs. 4 SchulG, soweit diese als Beliehene tätig werden. Folglich bildet der Umfang der Beleihung für die Ersatzschulen zugleich auch den Rahmen der Trägerschaft öffentlicher Belange ab.

Während der vom Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landtages von Nordrhein-Westfalen am 11. Januar 2016 durchgeführten Anhörung wurde gefordert, den Geltungsbereich auf weitere juristische Personen des privaten Rechts, insbesondere auf Leistungserbringer von Sozialleistungen, auszudehnen.

Die Definition des § 3, wer zu den Menschen mit Behinderungen gehört, wird gegenüber der bisherigen Regelung im BGG des Landes entsprechend den Vorgaben in Art. 1 Satz 2 der UN-BRK auf die Wechselwirkung von verschiedenen Barrieren und der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft abgestellt. Damit wird im Inklusionsgrundsätzegesetz eine Abkehr von dem bislang defizitorientierten Behinderungsbegriff des BGG vorgenommen. Hinsichtlich des Zeitraums von sechs Monaten wird die bisherige Formulierung aus dem BGG offener gestaltet, wonach es nicht zwingend auf den Zeitraum von sechs Monaten ankommt.

In der Anhörung wurde dazu gefordert, den Begriff der Barrieren durch „einstellungs- und umweltbedingt“ zu konkretisieren, sowie die Regelung auch auf drohende Behinderungen zu erstrecken.

§ 4 folgt hinsichtlich der Berücksichtigung der besonderen Belange von Frauen und des Wohles der Kinder und Jugendlichen den Vorgaben der Art. 6 und 7 UN-BRK. In Abs. 1 werden die Belange von Mädchen neu aufgenommen. Abs. 2 stellt zusätzlich auf die besonderen Belange von Kindern mit Behinderungen ab.

Mit § 5 werden die Träger öffentlicher Belange verpflichtet, an der Gestaltung inklusiver Lebensverhältnisse mitzuwirken (Abs. 1). Nach Abs. 2 tragen sie den spezifischen Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen Rechnung. Diese Vorschrift wird im BGG NRW durch die Verankerung des Konzeptes der angemessenen Vorkehrungen weiter konkretisiert. Durch Bezugnahme auf Art. 3 UN-BRK soll die Beachtung der allgemeinen Grundsätze der UN-BRK erreicht werden. Abs. 3 geht von einer schrittweisen Verwirklichung dieser Ziele aus und verpflichtet die Träger zur Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterstützung.

Die Regelung in Abs. 4, nach der sich die Träger öffentlicher Belange durch den Wechsel in eine Organisationsform des Privatrechts oder die Übertragung von Aufgaben an eine Organisation des Privatrechts, an der sie selbst beteiligt sind, nicht der Verpflichtung der Beachtung der Anforderungen der UN-BRK entziehen können, wurde in der Anhörung zum Teil als zu unbestimmt diskutiert.

Ebenso die Regelung in Abs. 5, nach der auch bei der Vergabe von Zuwendungen und Fördermitteln die Ziele des Gesetzes nach Möglichkeit mit zu berücksichtigen sind. Hiermit soll die besondere Verpflichtung zur Beachtung der Rechte von Menschen mit Behinderungen auch gegenüber Dritten deutlich herausgestellt und als Signalwirkung auch im Zuwendungs- und Förderbereich rechtlich verankert werden.

Nach § 6 sollen besondere gesetzliche Regelungen, die ausschließlich auf Menschen mit Behinderungen Anwendung finden, vermieden und die Bestimmungen, die sich aus den besonderen Belangen von Menschen mit Behinderungen ergeben, in den jeweiligen fachgesetzlichen Regelungen getroffen werden. Die damit begründete „inklusive Gesetzgebung“ folgt konsequent dem Inklusionsprinzip der UN-BRK und ist zu begrüßen.

Das stellt jedoch an den Gesetzgebungsalltag die Anforderung, bei allen Gesetzgebungsverfahren konsequent und systematisch die Auswirkungen der UN-BRK zu prüfen. Nach der Begründung des Entwurfs soll dazu in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Landesregierung (GGO) sichergestellt werden, dass die Rechte von Menschen mit Behinderungen entsprechend der Anforderungen der UN-BRK im Rahmen der Gesetzgebung stets beachtet werden. Mit Blick auf die Ferne der Fachministerien zur UN-BRK wurde in der Anhörung vorgeschlagen, diese Prüfung entweder in der Staatskanzlei oder dem für die Umsetzung der UN-BRK federführenden Ministerium institutionell zu verankern.

Nach § 7 sollen Sondereinrichtungen und Sonderdienste für Menschen mit Behinderungen soweit wie möglich abgeschafft und stattdessen inklusive Einrichtungen und Dienste geschaffen werden, um Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen eine volle, gleichberechtigte und wirksame Teilhabe zu ermöglichen. Die mit § 8 beim federführenden Arbeits- und Sozialministerium entsprechend Art. 33 UN-BRK zur Koordinierung der Maßnahmen zur Umsetzung der UN-BRK eingerichtete „Kompetenz- und Koordinierungsstelle“ wird durch § 7 Abs. 3 mit der Prüfung beauftragt, ob und inwieweit bestehende Einrichtungen und Dienste des Landes für die Allgemeinheit im Sinne der UN-BRK angepasst werden müssen.

Der Entwurf enthält in § 9 eine eher schwache Regelung zur Beteiligung von Menschen mit Behinderung. Während der Anhörung wurde, insbesondere von den Verbänden behinderter Menschen, darauf gedrängt, keine Regelung zu treffen, die hinter der in Art. 4 Abs. 3 UN-BRK zurückbleibt.

Mit § 10 werden die sich aus § 9 ergebenden Anforderungen an die Partizipation von Menschen mit Behinderungen sowie die Anforderungen des Art. 33 UN-BRK bezogen auf die Schnittstelle zwischen der Landesregierung und der Zivilgesellschaft institutionell geregelt. Die Landesregierung hatte bereits nach der Verabschiedung des Aktionsplanes des Landes Nordrhein-Westfalen zur Umsetzung der UN-BRK „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“ einen „Inklusionsbeirat“ berufen, der sich am 20. Dezember 2011 konstituierte. Die Besetzung mit den unterschiedlichen Akteuren aus dem Bereich der Behindertenpolitik, d. h. Vertreterinnen und Vertretern der Organisationen und Verbände der Menschen mit Behinderungen sowie Vertreterinnen und Vertretern der Landesregierung, der Leistungserbringer für Menschen mit Behinderungen und weiterer wesentlicher Organisationen, hat sich als ein geeignetes Forum für einen Austausch auf Augenhöhe erwiesen. Deswegen wird der Inklusionsbeirat nunmehr gesetzlich dauerhaft fundiert. Er bietet die Möglichkeit, alle die Landesregierung betreffenden Themenfelder zu analysieren, zu diskutieren sowie die teils sehr unterschiedlichen Vorstellungen vorbehaltlos und offen auszutauschen. In den Sitzungen sollen die Mitglieder des Inklusionsbeirates die Landesregierung beraten und beim Umsetzungsprozess der UN-BRK unterstützen.

Nach § 11 wird das Land Nordrhein-Westfalen zur Wahrnehmung der Aufgaben im Sinne des Art. 33 Abs. 2 UN-BRK (Monitoringstelle) eine vertragliche Vereinbarung mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte e. V. schließen.

Die Landesregierung wird mit § 12 verpflichtet, dem Landtag alle fünf Jahre über die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen und den Stand der Umsetzung der UN-BRK, erstmalig zum 31. Dezember 2018, zu berichten. In der Anhörung wurde gefordert, die Frist auf zwei Jahre zu verkürzen.

IV. Änderung des Behindertengleichstellungsgesetzes Nordrhein-Westfalen

Mit der Überleitung der bisher im Behindertengleichstellungsgesetz verorteten allgemeinen und grundsätzlichen Regelungen in das Inklusionsgrundsätzegesetz erhält das Behindertengleichstellungsgesetz Nordrhein-Westfalen nunmehr den Charakter eines Gesetzes zur Vermeidung von Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen. Die im BGG NRW darüber hinaus enthaltenen und an die Vorgaben der UN-BRK angepassten Regelungen zur Zugänglichkeit und Barrierefreiheit verstärken diesen antidiskriminierenden Charakter des novellierten BGG NRW.

Während im Inklusionsgrundsätzegesetz allgemeine Grundsätze und Definitionen zur Verwirklichung von Inklusion in der Gesellschaft geregelt werden, beschäftigt sich das Behindertengleichstellungsgesetz vorrangig mit der Gleichstellung und der Verhinderung von Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen sowie mit Fragen der Barrierefreiheit.

Hinsichtlich des Geltungsbereiches wird in § 1 Abs. 2 auf die Definition der Träger öffentlicher Belange des Inklusionsgrundsätzegesetzes verwiesen. Die Anforderungen, auf Dritte (Private) hinsichtlich der Verwirklichung der Ziele dieses Gesetzes hinzuwirken, werden mit der Regelung in Abs. 4 erhöht. Auch wenn ein unmittelbarer rechtlicher Zugriff auf Private durch das BGG aufgrund des Anwendungsbereiches der Vorschrift unterbleibt, ist doch über diese Vorschrift mittelbar eine Wirkung gegenüber Privaten und damit eine Verbreitung der Grundsätze des Behindertengleichstellungsgesetzes beabsichtigt.

Dies wurde während der Anhörung deutlich kritisiert und eine stärkere Einbeziehung Privater gefordert.

Bei der Vergabe von Zuwendungen und Fördermitteln sind die Ziele des Gesetzes nach Möglichkeit mit zu berücksichtigen. Hiermit soll die besondere Verpflichtung zur Beachtung der Rechte von Menschen mit Behinderungen auch gegenüber Dritten deutlich herausgestellt und als Signalwirkung auch im Zuwendungs- und Förderbereich rechtlich verankert werden. Dies kann – ausweislich der Begründung – für die Praxis bedeuten, dass beispielsweise Förderrichtlinien um Anforderungen dieses Gesetzes ergänzt werden, so dass die Wirkungen der UN-BRK auf die Zuwendungsempfänger erweitert werden. Dabei soll im Rahmen der Entscheidung über die Gewährung von Zuwendungen und Förderungen immer abgewogen werden, ob und inwieweit die UN-BRK zu berücksichtigen ist.

§ 2 regelt die „Nichtdiskriminierung“. Entgegen dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 UN-BRK wird nicht jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung verboten. Es wird in Abs. 2 lediglich festgestellt, dass Träger öffentlicher Belange Menschen nicht diskriminieren dürfen und Maßnahmen zu ergreifen haben, um Diskriminierung zu verhindern (Präventionspflicht).

In Abs. 4 erfolgt eine Umkehr der Beweislast für das Vorliegen einer Diskriminierung. Der Träger öffentlicher Belange trägt die Beweislast dafür, dass eine Diskriminierung nicht vorliegt. Darüber hinaus werden, entsprechend der Regelung in § 4 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG), auch die mehrdimensionale Diskriminierung sowie die Anforderungen an eine Rechtfertigung hierfür festgelegt. Demnach ist eine Ungleichbehandlung dann als Diskriminierung einzustufen, wenn die Voraussetzungen für eine Rechtfertigung nach den §§ 8 bis 10 AGG nicht erfüllt sind.

Absolut nicht nachvollziehbar ist allerdings die geplante Regelung in Abs. 2 Satz 2, nach der eine Diskriminierung ausnahmsweise durch zwingende Gründe zu rechtfertigen sein soll. In der Anhörung wurde die Unvereinbarkeit, insbesondere des Satzes 2, mit der menschenrechtlichen Vorgabe der UN-BRK herausgearbeitet. Es zeichnet sich ab, dass der Gesetzgeber hier noch Korrekturen anbringen wird.

Zu den „Angemessenen Vorkehrungen“ übernimmt § 3 den Wortlaut aus Art. 2 UN-BRK und stellt fest, dass das Versagen angemessener Vorkehrungen eine Diskriminierung darstellt.

Damit wird das Konzept der angemessenen Vorkehrungen ausdrücklich gesetzlich verankert. Das Konzept der angemessenen Vorkehrungen besagt, dass die Träger öffentlicher Belange im Rahmen ihrer Möglichkeiten alle erforderlichen aber auch angemessenen Maßnahmen bzw. Vorkehrungen zu treffen haben, um eine Teilhabe für Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen.

Das BGG NRW verfügte bisher bereits über einen sehr umfassenden und vor allem offenen Begriff von Barrierefreiheit, der „gestaltete Lebensbereiche“ erfasst. Der Begriff der gestalteten Lebensbereiche ist weit zu verstehen, hierzu gehören u. a. als bauliche und sonstige Anlagen auch Bildungs-, Sozial-, Kultur- und Sporteinrichtungen. Mit einer Ergänzung in § 4 Abs. 2 letzter Satz wird berücksichtigt, dass die Verständlichkeit der Informationen bei der Gestaltung von Lebensbereichen eine Barriere darstellen kann. Insofern soll auch dieses Verständnis von Barrierefreiheit durch Informationen z. B. in einfacher oder Leichter Sprache oder in anderen besonderen Formen der Informationsübermittlung (Braille-Schrift, Piktogramme, Gebärden usw.) im BGG NRW verankert werden.

Die Regelung zum Abschluss von Zielvereinbarungen im bisherigen BGG NRW hat sich nach Auffassung der Landesregierung bewährt. Deswegen wird in § 5 Abs. 1 die Verpflichtung zur Aufnahme von Verhandlungen nunmehr auf alle Träger öffentlicher Belange ausgedehnt und nicht mehr auf die kommunalen Körperschaften begrenzt.

Die Landesverbände werden nach Abs. 1 Satz 3 berechtigt, im Sinne der Vorschrift im Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes Zielvereinbarungen mit Unternehmen bzw. Unternehmensverbänden abzuschließen. Damit ist nicht mehr die Verhandlungsführung durch den Bundesverband Voraussetzung für die Einleitung des Zielvereinbarungsprozesses. Mit der Erweiterung des Anwendungsbereiches soll einerseits die Breitenwirkung der Vorschrift erhöht, andererseits sollen die formalen Anforderungen an die Vorschrift gesenkt werden. Durch die Einbeziehung der Landesverbände der Menschen mit Behinderungen wird die praktische Bedeutung dieser Regelung für die Verhandlungen vor Ort gestärkt.

Mit der Regelung in Abs. 6 werden die Träger öffentlicher Belange verpflichtet, den Abbruch von Zielvereinbarungsgesprächen oder die Nicht-Einhaltung von Zielvereinbarungen gegenüber dem das Register führenden Ministerium zu begründen. Damit soll die Verbindlichkeit von Zielvereinbarungsgesprächen und Zielvereinbarungen gestärkt werden. Durch die Hervorhebung der bereits in § 12 BGG NRW normierten Beratungsfunktion der oder des Landesbehindertenbeauftragten in Abs. 4 wird die enge Zusammenarbeit des focal points mit der Interessenvertreterin oder dem Interessenvertreter der behinderten Menschen in Nordrhein-Westfalen auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Hierdurch wird sichergestellt, dass im Rahmen der Aufgabenwahrnehmung durch die Kompetenz- und Koordinierungsstelle Sichtweisen der Betroffenen in maßgebliche Entscheidungsprozesse mit einfließen und Berücksichtigung finden.

Um die Position der Verbände der Menschen mit Behinderungen zur Durchsetzung der Barrierefreiheit zu stärken, wird beim Instrument der Verbandsklage in § 6 Abs. 1 die Beschränkung auf die Feststellungsklage aufgehoben. Stellen die Menschen mit Behinderungen einen Verstoß gegen die bestehenden rechtlichen Vorschriften zur Einhaltung von Barrierefreiheit fest, wird ihnen nunmehr die Möglichkeit eröffnet, im Wege der Verbandsklage nicht nur feststellen zu lassen, dass ein solcher Rechtsverstoß besteht, sondern darüber hinaus auch eine Verpflichtung zur Beseitigung dieses Verstoßes auf dem Rechtsweg anzustreben. Die statthafte Klageart bestimmt sich künftig im Einzelfall nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen.

In § 6 Abs. 2 wird klargestellt, dass Fragen der Barrierefreiheit generell Fragen von allgemeiner Bedeutung sind. Somit sind die Verbände künftig nicht mehr zur Darlegung verpflichtet, dass Fragen der Barrierefreiheit viele Menschen betreffen können.

Bauliche Anlagen, öffentliche Wege, Plätze, Straßen sowie öffentlich zugängliche Verkehrsanlagen und Beförderungsmittel sind „nach den geltenden Rechtsvorschriften“, u. a. der Landesbauordnung, barrierefrei zu gestalten (§ 7). Nach der Landesbauordnung sind die zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit oder die natürlichen Lebensgrundlagen, dienenden allgemein anerkannten Regeln der Technik zu beachten (§ 3 BauONRW). Nach Auffassung des zuständigen Bauministeriums erfasst diese Regelung auch die Verpflichtung zum barrierefreien Bauen im Sinne des BGG NRW. Da dies aber nicht der Praxis entspricht, fordern die Verbände von Menschen mit Behinderung eine konkrete Bezugnahme auf die DIN-Normen 18.040, 18.040-1, 18.025-1 und 18.025-2 im BGG NRW.

Menschen mit Behinderung haben nach § 8 das Recht, mit Trägern öffentlicher Belange zu kommunizieren. Damit werden alle im Einzelfall erforderlichen Kommunikationshilfen erfasst und die Gleichrangigkeit unterschiedlicher Kommunikationshilfen unterstrichen. Dass die Verwendung der Gebärdensprache nicht mehr besonders heraus gestellt wird, führte in der Anhörung zu kritischen Stellungnahmen der Betroffenen, die allerdings übersehen, dass ihre Rechte nicht beeinträchtigt, gleichwohl aber andere Gruppen behinderter Menschen nunmehr gleichgestellt werden.

Künftig haben ausdrücklich auch Eltern mit einer Hör- oder Sprachbehinderung einen Anspruch auf Kommunikationshilfen, wenn sie im Verwaltungsverfahren ihre Rechte als gesetzliche Vertreter ihrer Kinder wahrnehmen. Die bisherige Voraussetzung, wonach eine mündliche barrierefreie Kommunikation nur dann erfolgen soll, wenn eine schriftliche Verständigung nicht möglich ist, wurde gestrichen.

Der gesetzliche Auftrag der Schulen, Eltern zu informieren, zu beraten und sie bei der Erfüllung ihrer Erziehungsaufgaben zu unterstützen, umfasst selbstverständlich auch die Beratung und Unterstützung hör- und sprachbehinderter Eltern. Schulen können mit Eltern mit einer hochgradigen Hör- oder Sprachbehinderung jedoch im Allgemeinen nur schriftlich oder mittels einer Kommunikationshilfe (z. B. Gebärdensprachdolmetscher) kommunizieren. Der Anspruch auf die notwendigen und geeigneten Kommunikationshilfen stellt sicher, dass Eltern mit einer hochgradigen Hör- oder Sprachbehinderung ihre gesetzlichen Rechte und Pflichten tatsächlich und wirkungsvoll wahrnehmen können. Die Verpflichtung zur kostenfreien Zurverfügungstellung oder Auslagenerstattung von geeigneten Kommunikationshilfen im Schulbereich betrifft öffentliche Schulen im Sinne des § 6 Abs. 3, 4 SchulG und des § 124 SchulG. Bei genehmigten Ersatzschulen gilt für die Auslagenerstattung die Regelung gemäß § 4 Absatz 2 Nr. 1b) Kommunikationshilfenverordnung entsprechend.

Danach wird nunmehr für Eltern mit einer Hör- oder Sprachbehinderung für alle Angelegenheiten der individuellen Schullaufbahn ihres Kindes sowie in Schulmitwirkungsangelegenheiten (z. B. Elternsprechtage, Anlassbezogene individuelle Elterngespräche sowie Tätigkeiten in schulischen Mitwirkungsgremien) eine Auslagenerstattung möglich. Maßgeblich für den Anspruch auf Kommunikationshilfen ist stets der bildungsbiographische Hintergrund des Gespräches, da der Anknüpfungspunkt für den Anspruch der Bildungs- und Erziehungsauftrag von Schule und Eltern ist. Durch die Regelung wird somit den Elternrechten und -pflichten Rechnung getragen. Sofern es sich um pädagogische Angelegenheiten handelt, agieren öffentliche Schulen als Einrichtung des Landes. Sind hingegen Angelegenheiten des Schulgebäudes und der Schulanlagen, der Ausstattung der Schule, die notwendigen Haftpflichtversicherungen, Kosten der Lernmittelfreiheit sowie der Schülerfahrkosten betroffen, so handeln die öffentlichen Schulen als Einrichtung des zumeist kommunalen Schulträgers, insoweit besteht jedoch kein Anspruch auf Kommunikationshilfen außerhalb eines Verwaltungsverfahrens.

Für die Kommunikation in Kindertageseinrichtungen und Tagespflegepersonen ist eine entsprechende Regelung vorgesehen.

§ 8 Abs. 2 Satz 2 enthält eine Sollvorschrift, mit Menschen mit geistiger oder kognitiver Behinderung in einer leicht verständlichen Sprache zu kommunizieren. Ein Rechtsanspruch auf Verwendung von Leichter Sprache sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt, da ein Aufbau entsprechender Kompetenzen bislang nicht gegeben ist, nicht realisierbar. Dem haben die Verbände der Betroffenen in der Anhörung unter Hinweis auf die zwischenzeitlich in NRW dazu vorhandenen Netzwerkstrukturen nachhaltig widersprochen und auch darauf hingewiesen das „leicht verständliche Sprache“ nicht gleichbedeutend mit „Leichter Sprache“ ist.

Die Regelung zur Gestaltung von Bescheiden, amtlichen Informationen und Vordrucken im bisherigen BGG NRW war ausschließlich auf blinde und sehbehinderte Menschen ausgerichtet und wird nunmehr mit § 9 darüber hinaus auf die besonderen Belange aller behinderten Menschen erweitert. Die Träger öffentlicher Belange sind künftig gehalten, grundsätzlich den Empfängerhorizont bei ihren Erklärungen mit zu berücksichtigen und – soweit möglich – Formulierungen in leicht verständlicher Sprache zu wählen.

Zur barrierefreien Informationstechnik enthält der Entwurf in § 10 lediglich redaktionelle Änderungen.

In den §§ 11 und 12 werden die Rechtstellung und die Aufgaben des/der Beauftragten für die Belange behinderter Menschen des Landes NRW weiter konkretisiert. Ihm/ihr wird u. a. die Möglichkeit eingeräumt, einen Beirat, bestehend aus höchstens neun ausgewählten Experten aus der organisierten Behindertenselbsthilfe, zu bilden. Aufgabe des Beirates ist es, die oder den Landesbehindertenbeauftragte/n fachlich zu beraten.

§ 13 sieht vor, dass die Gemeinden und Gemeindeverbände das Nähere zur Wahrnehmung der Belange von Menschen mit Behinderungen auf örtlicher Ebene in ihren Satzungen bestimmen und die Landesregierung dazu eine Mustersatzung erarbeitet.

V. Ausblick

Der Landtag von Nordrhein-Westfalen wird den Gesetzentwurf weiter beraten. Es zeichnet sich ab, dass einige Hinweise und Anregungen aus der Anhörung am 11. Januar 2016 aufgegriffen werden. Es ist zu erwarten, dass der Entwurf noch im Laufe des Jahres 2016 vom Landtag Nordrhein-Westfalen beschlossen und das Gesetz in Kraft treten kann.

Beitrag von Dr. Harry Fuchs, Düsseldorf


Stichwörter:

Behindertengleichstellungsgesetz (BGG), Barrierefreiheit, Kommunikationshilfenverordnung (KHV), Inklusionsgrundsätzegesetz


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