10.03.2016 D: Konzepte und Politik Welti: Beitrag D8-2016

Zugänglichkeit und Barrierefreiheit der gesundheitlichen Infrastruktur – rechtliche Anforderungen – Teil 2

In einem zweiteiligen Beitrag geht Felix Welti der Frage nach, welche rechtlichen Anforderungen an die Zugänglichkeit und Barrierefreiheit im Gesundheitswesen bestehen und wie diesen in der Praxis entsprochen wird. Im ersten Teil befasste er sich dafür bereits mit den Ergebnissen der Evaluation des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) und den rechtlichen Grundlagen, die die Akteure zur Umsetzung von Zugänglichkeit und Barrierefreiheit verpflichten.  

Im zweiten Teil des Beitrags geht Welti nun näher auf die Inhalte dieser Verpflichtungen sowie den Stand deren Umsetzung ein. Im Einzelnen werden dabei die rechtlichen Vorgaben zur Barrierefreiheit, insbesondere aus dem BGG, thematisiert, die Hinwirkungspflicht bei der Leistungserbringung sowie die Wechselwirkungen zu anderen Leistungen. Anschließend prüft der Autor die Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung. Er schließt mit dem Fazit, dass die rechtliche Ausgangslage zwar nicht optimal sei, jedoch zahlreiche Anknüpfungspunkte biete. Es gelte jetzt, diese zu nutzen, Initiativen zu ergreifen und auftretende Konflikte mit den gegebenen rechtlichen Mitteln auszutragen.  

 

Der Beitrag wird des Weiteren erscheinen: Welti, Zugänglichkeit und Barrierefreiheit der gesundheitlichen Infrastruktur – Rechtliche Anforderungen –, in Welti/Bieback/Igl/Bögemann, Der Beitrag des Sozialrechts zur Realisierung des Rechts auf Gesundheit und des Rechts auf Arbeit für behinderte Menschen, LIT-Verlag, vsl. Juni 2016. Wir danken für die Vorabveröffentlichung.

(Zitiervorschlag: Welti: Zugänglichkeit und Barrierefreiheit der gesundheitlichen Infrastruktur – rechtliche Anforderungen – Teil 2; Beitrag D8-2016 unter www.reha-recht.de; 10.03.2016)


 

IV. Inhalt der Verpflichtungen

1. Barrierefreiheit

Umfang und Inhalte der in § 17 Abs. 1 Nr. 4 SGB I enthaltenen Pflicht zur Barrierefreiheit[1] können im Wesentlichen aus den Behindertengleichstellungsgesetzen von Bund und Ländern entnommen werden[2]. Je nach dem Rechtskreis des Sozialleistungsträgers gelten hier Bundes- oder Landesrecht, also Bundesrecht für bundesweit tätige Krankenkassen, das Landesrecht des Sitzlandes bei Krankenkassen, die in nicht mehr als drei Ländern tätig sind. Dies könnte zu erheblichen Schwierigkeiten bei den Leistungserbringern führen, da sie regelmäßig für alle Kassen tätig werden, wenn die vertraglichen Bindungen unterschiedlich wären. Im vertragsärztlichen Bereich würde der Weg über die öffentlich-rechtliche Kassenärztliche Vereinigung zur allgemeinen Geltung des jeweiligen Landesrechts führen. Bislang ist dieses Problem nicht aufgefallen, vielleicht mangels ernsthafter Rechtspraxis, vielleicht auch, weil Definitionen und Inhalte des Bundes- und Landesrechts zur Behindertengleichstellung weitgehend gleich sind. Unterschiede gibt es bei der bundesrechtlich 2011 neu geregelten barrierefreien Informationstechnik[3]. Dies betrifft jedenfalls die Internetangebote der Sozialleistungsträger und der Kassenärztlichen Vereinigungen. Auch hier wäre ein bundeseinheitlicher Standard sehr wünschenswert.

Der Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsgesetzes vom 13. Januar 2016 verspricht insofern eine Lösung, als in Zukunft Bundesrecht gelten soll, wenn Behörden Bundesrecht ausführen. Dies ist wegen der engen Verbindung zwischen Leistungsrecht und die Leistungen erschließender Barrierefreiheit auch sachgerecht. Die vorgesehene Erweiterung des Geltungsbereichs auf „sonstige Bundesorgane“ würde im Übrigen auch eventuelle Zweifel beseitigen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss als Bundesorgan sui generis an das BGG gebunden ist.

Barrierefreiheit ist nach § 4 BGG zu bestimmen. Danach sind barrierefrei bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind. Dass dazu auch die Auffindbarkeit gehört, hätte sich bei verständiger Auslegung ergeben, soll aber, wohl wegen schlechter Erfahrungen sinnesbehinderter Menschen, in der Neuregelung klargestellt werden. Für Gebäude wird in § 8 BGG ein Bezug zu den anerkannten Regeln der Technik hergestellt. Dies sind vor allem die DIN 18040, 18041, mit deren Hilfe viele, aber nicht alle Zweifelsfragen bei der Bestimmung gebotener Barrierefreiheit zu lösen sind. Im Zweifel sind jedoch Sinn und Zweck des gleichberechtigten Zugangs entscheidend. Ohne Beteiligung der Betroffenen durch ihre Verbände, wie sie auch Art. 4 Abs. 3 UN-BRK gebietet, kann die gebotene Barrierefreiheit meist nicht bestimmt werden[4].

Neben den gebäudebezogenen Pflichten sind die Rechte auf Verwendung von Gebärdensprache und Kommunikationshilfen (§ 9 BGG, KHV)[5], barrierefreie Bescheide und Vordrucke (§ 10 BGG, VBD)[6] und Barrierefreie Informationstechnik (§ 11 BGG, BITV 2.0) zu nennen, die jeweils in Verordnungen konkretisiert sind. Eine Pflicht zur Benutzung Leichter Sprache[7] für Menschen mit Lernschwierigkeiten entwickelt sich. Nach dem Reformentwurf sollen Träger öffentlicher Gewalt von 2018 an verpflichtet werden, mit Menschen mit geistigen Behinderungen in einfacher und verständlicher Sprache zu kommunizieren.

§ 8 BGG verpflichtet die Träger öffentlicher Gewalt bislang nur bei Neubauten und großen Um- und Erweiterungsbauten zur Barrierefreiheit. Der Reformentwurf soll die fragwürdige und schwer interpretierbare Beschränkung auf „große“ Umbauten entfallen lassen, so dass jede Baumaßnahme zum Anlass von mehr Barrierefreiheit werden kann und muss. Darüber hinaus müssen bis 2021 Berichte zum Stand der Barrierefreiheit im Baubestand erstellt werden. Der Evaluationsbericht hatte auch einen Stichtag zur Herstellung der Barrierefreiheit empfohlen[8]. Dem folgt der Entwurf nicht, möglicherweise weil erst nach Feststellung des Handlungsbedarfs ein Stufenplan zu seiner Realisierung für möglich gehalten wird.

2. Hinwirkungspflichten bei der Leistungserbringung

§ 17 Abs. 1 Nr. 4 SGB I geht aber schon seit 2002 für die Sozialleistungsträger weiter und über § 8 BGG hinaus. Die Hinwirkungspflicht verdichtet sich bei eigenen Gebäuden, Diensten und Einrichtungen mittlerweile, nach dreizehn Jahren, zur Bereitstellungspflicht. Nur in atypischen Konstellationen, etwa bei Denkmalschutz, dürften Verwaltungs- und Dienstgebäude sowie eigene Einrichtungen danach noch Barrieren aufweisen. In diesen Fällen sind Barrieren durch angemessene Vorkehrungen im Einzelfall zu kompensieren.

Die Hinwirkungspflicht gilt auch für angemietete Gebäude. Hier stellt sich die Frage, ob Krankenkassen oder Leistungserbringer wie z. B. Vertragsärzte als Mieter die Möglichkeit haben, erfolgreich auf Barrierefreiheit hinzuwirken. Für behinderte Menschen und ihre Mitbewohner hatte das Bundesverfassungsgericht im Rahmen des Mietverhältnisses über Wohnraum eine Pflicht des Vermieters zur Rücksichtnahme begründet, nach der es behinderten Menschen möglich sein muss, einen Wohnungswechsel zu vermeiden und – auf eigene Kosten – z. B. einen Treppenlift im Treppenhaus des Vermieters einzubauen[9]. Dies ist vom Gesetzgeber in § 554a BGB nachvollzogen worden. Krankenkassen und Vertragsärzte sind, auch im Rahmen verfassungsrechtlicher Wertungen, verpflichtet, behinderten Menschen Zugang zu Verwaltung und Behandlung zu geben. Dies könnte ihnen im Mietverhältnis § 554a BGB entsprechende Rechte geben, Umbauten auf eigene Kosten vom Vermieter zu verlangen.

Ihre Hinwirkungspflicht in Bezug auf die Leistungserbringer müssen die Sozialleistungsträger durch das Leistungserbringungsrecht umsetzen. Hierzu bedarf es keines weiteren Rechtsbefehls, auf den möglicherweise viele noch warten. Vielmehr bestimmt § 17 Abs. 1 Nr. 4 SGB I, dass Barrierefreiheit Teil einer bedarfsgerechten und gleichmäßigen Versorgung der Versicherten ist, die insbesondere Krankenkassen und Leistungserbringer durch das Leistungserbringungsrecht sicherzustellen haben (§ 70 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Um die Barrierefreiheit zu fördern, ist diese insbesondere als verbindliches Qualitätskriterium für alle Leistungserbringer zu nutzen. Dieses kann schon jetzt allen Leistungserbringungsverträgen zu Grunde gelegt werden und muss bereichsspezifisch in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (§ 92 SGB V), in den Mantel- und Gesamtverträgen (§§ 83, 87 SGB V), in Rahmenverträgen und Rahmenempfehlungen konkretisiert werden. Wie bei anderen Qualitätsanforderungen auch kommt den Vereinbarungspartnern dabei die unangenehme Aufgabe zu, die damit verbundenen Lasten angemessen zu verteilen.

Insbesondere in Bezug auf Arztpraxen müssen die Vertragspartner der Gesamtverträge auf Landesebene, die Kassen und kassenärztlichen Vereinigungen, sowie die für die Bedarfsplanung Verantwortlichen die Realisierung der Barrierefreiheit sicherstellen. Sie haben dabei zu beachten, dass die freie Arztwahl nach § 76 Abs. 1 SGB V auch behinderten Menschen zusteht, so dass diese eben nicht auf eine Minimalversorgung verwiesen werden können.

Zuletzt wurde viel beachtet, dass in der neuen Fassung von § 103 Abs. 4 Satz 5 Nr. 8 SGB V[10] vorgesehen ist, die Belange behinderter Menschen bei der Zulassung von Vertragsärzten durch die aus Kassen und Kassenärztlichen Vereinigungen gebildeten Zulassungsausschüsse zu berücksichtigen. Um die Vorgaben von Grundgesetz, UN-BRK und § 17 Abs. 1 Nr. 4 SGB I umzusetzen, hätten die Ausschüsse dies aber schon bisher tun können und tun müssen. Dass der Gesetzgeber diese Pflicht jetzt zusätzlich festschreibt, ist ein Indiz für eine bislang unzureichende Berücksichtigung. Wie schon oft trägt die jetzt begonnene kleinteilige Umsetzung eines allgemeinen Grundsatzes die Gefahr in sich, dass im Umkehrschluss geglaubt wird, der Gesichtspunkt dürfe überall vernachlässigt werden, wo er nicht explizit festgeschrieben ist.

Dies ist auch wichtig, im Hinblick auf Barrieren in den Köpfen, durch die behinderte Menschen vorschnell nicht als potenzielle eigene Patientinnen und Patienten gesehen, sondern der Zuständigkeit von Sondersystemen zugeschrieben werden. Insbesondere die Sozialpädiatrischen Zentren (§ 119 SGB V), ermächtigte Einrichtungen der Behindertenhilfe (§ 119a SGB V) und Pflegeheime (§ 119b SGB V) sowie die neuerdings ermöglichten Medizinischen Behandlungszentren für erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen (§ 119c SGB V) sollen die Regelversorgung ergänzen, nicht ersetzen.

Auch Barrieren in den Kalkulationen sind zu beachten. Nicht für jede personenbezogene Erschwernis der Behandlung kann eine eigene Abrechnungsziffer verlangt werden[11]. Wo aber ein struktureller Mehrbedarf an Zeit und Expertise vorhanden ist, müssen die Vertragsparteien der Gesamtverträge und des einheitlichen Bewertungsmaßstabs sich damit befassen.

3. Wechselwirkungen zu anderen Leistungen

Barrierefreiheit aller Lebensbereiche ist Verhältnisprävention. Sie verhindert, dass aus Beeinträchtigungen größere Behinderungen werden als erforderlich. Insoweit kann Barrierefreiheit auch helfen, teure Gesundheitsleistungen zu vermeiden. Das kann aber nur auf der Basis der realen Verhältnisse geschehen, nicht der erst zu erreichenden. So scheint verfrüht, wenn das Bundessozialgericht es 2010 als generelle Tatsache eingeschätzt hat, dass im Nahbereich der Wohnung typischerweise keine Barrieren mehr zu überwinden sind und die Krankenkassen deshalb das Grundbedürfnis Mobilität für Rollstuhlfahrer nicht mehr mit einer Treppenraupe unterstützen müssen[12]. Genauso wenig könnte aus den Vorgaben in § 3a Abs. 2 Arbeitsstättenverordnung für die Barrierefreiheit in Betrieben, die schwerbehinderte Menschen beschäftigen, geschlossen werden, dass dort auf unterstützende Leistungen zur Teilhabe der Rehabilitationsträger oder des Integrationsamtes[13] verzichtet werden könnte.

Die durch das Präventionsgesetz in § 20a SGB V neu geregelten Leistungen zur Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten sollen Aufbau und Stärkung gesundheitsförderlicher Strukturen unterstützen[14]. Als Lebenswelten werden auch die medizinische und pflegerische Versorgung benannt (§ 20a Abs. 1 Satz 1 SGB V). Zwar werden die Krankenkassen dadurch nicht zu umfassenden Trägern der Verhältnisprävention. Sie sollten sich aber ermutigt sehen, die Verhaltensprävention auch auf das Verhalten der für die Lebenswelt der medizinischen und pflegerischen Versorgung verantwortlichen Personen auszurichten.

Soll medizinische und pflegerische Versorgung im eigenen Haushalt behinderter Menschen stattfinden, ist oftmals dessen Barrierefreiheit eine Bedingung für gleichberechtigtes Leben in der Gemeinschaft und um weiter im eigenen Haushalt zu leben und gepflegt zu werden. Insofern sind die Zuschüsse für wohnumfeldverbessernde Maßnahmen der Pflegekassen (§ 40 Abs. 4 SGB XI) wichtig, um Behinderung und Pflegebedürftigkeit zu mindern. Es sollte erwogen werden, diese Leistungen auch zur Prävention von Pflegebedürftigkeit einzusetzen[15].

V. Rechtsdurchsetzung

Gelingt es Sozialleistungsträgern und Leistungserbringern nicht, den Anforderungen von § 17 Abs. 1 Nr. 4 SGB I und einer insgesamt barrierefreien Leistungserbringung gerecht zu werden, sind die Aufsichtsbehörden gefordert. Sie haben die Vertrags- und Vereinbarungspartner auf diese Pflicht hinzuweisen und sie durchzusetzen (§§ 87–89 SGB IV). Die Verbände behinderter Menschen könnten ihnen dabei eine große Hilfe sein, wenn sie von ihrem Recht auf Verbandsklagen nach § 13 BGG Gebrauch machten und damit Rechtsverstöße sichtbar würden.

Ein Beispiel dafür, wie eine solche Einigung verfehlt werden kann, zeigt der zuerst in Hamburg geführte Rechtsstreit darüber, wer Gebärdensprachdolmetscher[16] im Krankenhaus bezahlt. Nach § 17 Abs. 2 SGB I haben hörbehinderte Menschen das Recht bei der Ausführung von Sozialleistungen, insbesondere auch bei ärztlichen Untersuchungen und Behandlungen, Gebärdensprache zu verwenden. Die Leistungsträger sind verpflichtet, die Kosten zu tragen. Gleichwohl fand ein Gehörloser in Hamburg niemanden, der die Kosten übernahm. Eine gegen die Krankenkasse gerichtete Klage verwies das Sozialgericht zunächst an die ordentliche Gerichtsbarkeit[17], da sie gegen das Krankenhaus zu richten sei. Hintergrund war die Argumentation der Kasse, der Gebärdensprachdolmetscher sei schon mit der Fallpauschale bezahlt. Das Bundessozialgericht hat nun die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit für den Rechtsstreit bejaht[18], der hoffentlich zur Klärung der Rechtsfrage beiträgt[19]. Nicht akzeptabel erscheint dabei zumindest, dass es zu keiner vorläufigen Kostenübernahme zu Gunsten des Versicherten kam, der ja unstreitig einen Anspruch hat, sich mit seinen Ärzten angemessen verständigen zu können.

Sind im Übrigen die Leistungen der Krankenversicherung oder eines anderen Sozialleistungsträgers nicht barrierefrei erreichbar, so könnte sich ein Anspruch auf individuelle angemessene Vorkehrungen ergeben. Das können die Fahrtkosten zu einem barrierefreien Leistungserbringer sein oder die Kosten von Assistenz und individueller Unterstützung, die wegen mangelnder Barrierefreiheit erforderlich werden. Ein Anspruch auf Erstattung dieser Kosten könnte auf den Gesichtspunkt des Systemversagens[20] gestützt werden. Es ist allerdings zu erwarten, dass die Rechtsprechung zu solchen Begehren eher restriktiv sein würde. Es würde voraussichtlich darauf abgestellt werden, ob ohne die angemessenen Vorkehrungen der Anspruch in keiner Weise realisiert werden könnte. Der UN-BRK würde aber eher entsprechen, auf die gleiche Verwirklichung des Rechts auf Auswahl von Leistungserbringern abzustellen.

Aufsichtsbehörden und Kammern sind im Rahmen der Qualitätssicherung gefordert, die Barrierefreiheit von Krankenhäusern, Arztpraxen und anderen Diensten und Einrichtungen zu überprüfen. Barrieren können einen Verstoß gegen den Auftrag der Krankenhäuser zur Berücksichtigung behinderter Menschen sein, der zumindest in § 6d Hamburgisches Krankenhausgesetz (HmbKrhG) explizit festgeschrieben ist. Aber Barrieren stehen auch der allgemein gebotenen Aufnahmebereitschaft (vgl. § 15a Abs. 1 Nr. 1 HmbKrhG) der Krankenhäuser entgegen. Die Freiheit von Ärztinnen und Ärzten, eine Behandlung abzulehnen (§ 7 Abs. 2 Satz 2 Muster-Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte [MBO]), ist im Lichte von § 19 AGG und der UN-BRK kein Recht, behinderte Menschen auf Grund innerer oder äußerer Barrieren nicht zu behandeln.

VI. Schluss

Die normative Ausgangslage für Barrierefreiheit und Zugänglichkeit der gesundheitlichen Versorgung ist bei genauer Betrachtung zwar nicht optimal, bietet aber viele Anknüpfungspunkte. Es ist zu wünschen, dass die Diskussion über die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention bewirkt, dass sie stärker als bisher genutzt werden. Dazu bedarf es einer Dynamik, die entstehen kann, wenn die Interessierten und Informierten nicht auf die anderen warten, sondern vorangehen und notfalls Konflikte führen. Das Recht bietet ihnen Formen, diese auszutragen.

Beitrag von Prof. Dr. Felix Welti, Universität Kassel

Fußnoten:

[1] Vgl. Martin Theben, Barrierefreiheit in: Olaf Deinert/ Felix Welti, Stichwortkommentar Behindertenrecht, 2014, S. 87 ff.

[2] Ausführlicher: Felix Welti, Sozialrecht und Barrierefreiheit, SGb 2015, S. 533–539.

[3] Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung – BITV 2.0.) vom 12.11.2011 (BGBl. I S. 1843); vgl. Minou Banafsche Barrierefreiheit in: Olaf Deinert/ Felix Welti, Stichwortkommentar Behindertenrecht, 2014, S. 83 ff.

[4] Vgl. dazu Felix Welti, Barrierefreiheit als Rechtsbegriff, DÖV 2013, S. 795–801.

[5] Verordnung zur Verwendung von Gebärdensprache und anderen Kommunikationshilfen im Verwaltungsverfahren nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (Kommunikationshilfen­verordnung – KHV) vom 17.07.2002 (BGBl. I S. 2650); vgl. Judith Brockmann, Kommunikationshilfen in: Olaf Deinert/ Felix Welti, Stichwortkommentar Behindertenrecht, 2014, S. 480 ff.

[6] Verordnung zur Zugänglichmachung von Dokumenten für blinde und sehbehinderte Menschen im Verwaltungsverfahren nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (Verordnung über barrierefreie Dokumente in der Bundesverwaltung – VBD) vom 17.07.2001 (BGBl. I S. 2652).

[7] Valentin Aichele, Leichte Sprache als Schlüssel zu mehr Selbstbestimmung, SuP 2014, S. 153–163.

[8] Evaluation (Fn 1), S. 508.

[9] BVerfG, B. v. 28.03.2000, Az. 1 BvR 1460/99, NJW 2000, S. 2658; Bernd Horstmann, Mietrecht in: Olaf Deinert/ Felix Welti, Stichwortkommentar Behindertenrecht, 2014, S. 627 ff.

[10] Vgl. Kilian Ertl, Die Kriterien der Auswahlentscheidung im Praxisnachfolgeverfahren, NZS 2016, S. 12–17.

[11] Vgl. etwa LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 26.01.2011, Az. L 11 KA 5/09 – juris.

[12] BSG, Urt. v. 07.10.2010, Az. B 3 KR 13/09 R, BSGE 107, 44; dazu Jörg Hackstein, Diskussionsforum www.reha-recht.de, A 25/2011.

[13] Vgl. dazu VG Saarland, Urt. v. 29.05.2015, Az. 3 K 1015/14 – juris.

[14] Vgl. Felix Welti, Das Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und Prävention – was bringt dieses Präventionsgesetz?, Gesundheit und Pflege (GuP) 2015, S. 211–216.

[15] Vgl. zuletzt BSG, Urt. v. 25.11.2015, Az. B 3 P 3/14 R – juris.

[16] Vgl. Judith Brockmann, Gebärdensprache in: Olaf Deinert/ Felix Welti, Stichwortkommentar Behindertenrecht, 2014, S. 338.

[17] SG Hamburg, B. v. 01.02.2013, Az. S 6 KR 857/11; bestätigt durch LSG Hamburg, B. v. 05.08.2013, Az. L 1 KR 23/3 B.

[18] BSG, B. v. 29.07.2014, Az. B 3 SF 1/14 R, SozR 4-1200 § 17 Nr. 2; vgl. Daniel Hlava, Diskussionsforum www.reha-recht.de, A24-2014.

[19] Vgl. Marcus Kreutz, Zur rechtswidrigen Vernachlässigung der Gebärdensprache im Bereich der allgemeinen Krankenhausleistungen, ZfSH/SGB 2011, S. 629–634.

[20] Vgl. etwa BSG, Urt. v. 07.05.2013, Az. B 1 KR 44/12 R, BSGE 113, 241.


Stichwörter:

Zugänglichkeit, Barrierefreiheit, Leistungsträger, Leistungserbringer, Behindertengleichstellungsgesetz (BGG), Verbandsklage


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