19.05.2016 E: Recht der Dienste und Einrichtungen Timm: Beitrag E3-2016

Vergütungsverhandlungen in der medizinischen Rehabilitation

Jasmin Timm thematisiert im vorliegenden Beitrag die Rechte und Pflichten bei der Aushandlung von Versorgungsverträgen zwischen Krankenkassen und Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen nach § 111 Sozialgesetzbuch V. Aufgrund mangelnder gesetzlicher Vorgaben zur Ermittlung der Entgelte und zum Verhandlungsverfahren schrecken nach Ansicht der Autorin viele Einrichtungsträger vor langen und aufwändigen Vergütungsverhandlungen zurück. Als Ausweg schlägt Timm eine Orientierung an der Ermittlung von Pflegesätzen vor, die mit dem Stufen-Modell (Plausibilitätsprüfung, externer Vergleich, wirtschaftliche Angemessenheit) durch das Bundessozialgericht (BSG) bereits hinreichend geregelt wurde.  

Als Besonderheit bei der Übertragung auf Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen sei, so Timm, jedoch der Grundsatz der Beitragssatzstabilität zu beachten sowie die Steuerungsmöglichkeit der Krankenkassen bei der Wahl der Rehabilitationseinrichtungen. Um sich dem Druck durch die Krankenkassen entgegenzustellen und eine Kostenunterdeckung zu vermeiden, sollten Einrichtungsträger selbstbewusst auskömmliche Vergütungen verhandeln und sich dabei auf die BSG-Rechtsprechung berufen sowie Angebote und Preise der Mitbewerber kennen. Nur so könne eine langfristige fach- und sachgerechte Versorgung gesichert werden.

(Zitiervorschlag: Timm: Vergütungsverhandlungen in der medizinischen Rehabilitation; Forum E, Beitrag E3-2016 unter www.reha-recht.de; 19.05.2016)


 

I. Thesen der Autorin

  1. Auskömmliche Vergütungen sind in Einzelverhandlungen zu realisieren.

  2. Von klaren rechtlichen Vorgaben des Bundessozialgerichts (BSG) zu Pflegesätzen kann profitiert werden.

II. Einleitung

Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen haben seit eh und je mit steigendem Kostendruck zu kämpfen. Oft liegen die letzten Vergütungserhöhungen durch die Krankenkassen lange zurück. Mit Blick auf die Zukunft ist es daher für sie besonders wichtig, jetzt nicht nur kostendeckende, sondern auskömmliche Vergütungen mit den Kostenträgern zu verhandeln und zu vereinbaren. Dabei kommt es nicht nur auf eine gute Kalkulation sondern auch darauf an, seine Rechte zu kennen und effektiv zu vertreten. Viele Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen schrecken vor langen und aufwändigen Vergütungsverhandlungen zurück, weil klare gesetzliche Vorgaben zur Ermittlung der Entgelte und zum Verhandlungsverfahren fehlen.

Der Beitrag soll aufzeigen, welche Rechte und Pflichten Einrichtungen im Rahmen von Vergütungsverhandlungen haben. Insbesondere der Blick auf andere Leistungsbereiche soll dabei helfen. So gibt es bereits diverse Schiedsstellen- und Gerichtsentscheidungen zu Vergütungsverhandlungen in der stationären und ambulanten Pflege (Sozialgesetzbuch (SGB) XI), der häuslichen Krankenpflege (SGB V) und einige Schiedssprüche und Rechtsprechung zur Eingliederungshilfe (SGB XII). Sie geben Antworten auf wichtige Fragen nach der Refinanzierung von Tariflöhnen oder der Kalkulation von Gewinnzuschlägen. Die Grundsätze sind häufig auch auf die medizinische Rehabilitation übertragbar und sollten den Verhandlungsführern der Einrichtung bekannt sein.

III. Ermittlung der Vergütungen

Die erste Hürde zu neuen Vergütungen stellt für viele Einrichtungen die Kalkulation dar. Die Entgelte sind prospektiv, das heißt für die Zukunft, zu ermitteln. Aus der Gesetzesbegründung zu § 111 SGB V ergibt sich, dass die Vergütungen leistungsgerecht sein müssen.[1] Bereits bei der Berechnung stellt sich daher die Frage, welche Kosten die Krankenkassen zu refinanzieren haben. Leistungsgerechte Vergütungen haben die Leistungsstruktur und den Leistungsumfang der jeweiligen Einrichtung zu beachten. Eine schlichte Berücksichtigung der individuellen Kostensituation und die damit verbundene Erstattung der tatsächlich angefallenen Kosten durch die Leistungsträger sind damit ausgeschlossen. Gute Einzelverhandlungen sind deshalb unumgänglich, weil Verluste nicht nachträglich durch die Leistungsträger ausgeglichen werden. Gleichzeitig verbleiben erwirtschaftete Gewinne aber bei den Einrichtungen. Mangels gesetzlicher Vorgaben oder Rechtsprechung ist die Vorgehensweise bei der Entgeltberechnung oft unklar. Ein Blick auf die Pflegeeinrichtungen hilft hier aber weiter. Für Pflegeeinrichtungen hat das BSG nämlich ausdrücklich klargestellt, wie die Pflegesätze zu ermitteln sind. Es hat hierzu ein Stufen-Modell entwickelt.[2] Da in der Pflege genauso wie in der Rehabilitation zukunftsgerichtete, leistungsgerechte Vergütungen vereinbart werden sollen, liegt eine Übertragbarkeit nahe. Es empfiehlt sich deshalb, sich bei der Ermittlung der Vergütungen zunächst an der Rechtsprechung zur Pflegevergütung zu orientieren, bis sich eine eigene Rechtsprechung zu Vergütungen von Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen etabliert hat.

Auch für Pflegeeinrichtungen gestaltete es sich zunächst schwierig, auskömmliche Pflegesätze zu verhandeln. Bis 2009 erfolgte die Entgeltermittlung in der Pflege allein im Rahmen eines externen Vergleichs.[3] Die Pflegekassen verglichen dabei die von einer Einrichtung geforderten Vergütungen mit den Pflegesätzen vergleichbarer Einrichtungen im örtlichen Einzugsgebiet. Nur wenn die geforderten Sätze unter oder im Durchschnitt lagen, wurden sie vereinbart. Die tatsächlichen Gestehungskosten, Tarifbindung oder besondere Personalstrukturen blieben dabei unberücksichtigt. Es war daher fast unmöglich, die Pflegesätze fortzuentwickeln und an gestiegene Kosten anzupassen.

Mit Urteilen vom 29. Januar 2009 hat das BSG diese Rechtsprechung aufgegeben und entschieden, dass die Ermittlung von leistungsgerechten Entgelten in einem mehrstufigen Verfahren zu erfolgen hat.[4]

  • Auf der ersten Stufe wird im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung bewertet, ob die vorgelegten Unterlagen und die Kalkulation nachvollziehbar sind. Ausgangspunkt ist dabei regelmäßig die Kostenkalkulation der vorherigen Vereinbarung. Normale Kostensteigerungen, verursacht beispielsweise durch gestiegene Verbrauchskosten, Lohnsteigerungen oder verbesserte Personalschlüssel, sind immer plausibel. Nur Abweichungen zu Kostenansätzen der Vorjahre müssen erklärt und gegebenenfalls belegt werden. Aber auch diese sind plausibel, wenn die Einrichtung darlegen kann, dass die Kostenansätze in dem vorherigen Vergütungszeitraum fehlerhaft oder bewusst zu niedrig angesetzt wurden. Das kann beispielsweise mit der Gewinn- und Verlustrechnung der Einrichtung belegt werden.

  • Auf einer zweiten Stufe findet noch immer ein externer Vergleich statt. In diesen Vergleich sind alle Einrichtungen im Einzugsgebiet einzubeziehen, die ähnliche oder gleiche Leistungen erbringen. Das gilt unabhängig von Größe oder Tarifgebundenheit. Liegen die geforderten Vergütungen beim Vergleich mit anderen Einrichtungen im unteren Drittel der aktuellen Pflegesätze der anderen Einrichtungen, ist ohne weitere Prüfung von der Wirtschaftlichkeit auszugehen. Die geforderten und plausiblen Vergütungen sind dann von den Kostenträgern zu vereinbaren.

  • Anders als nach der bis dahin geltenden Rechtsprechung können aber auch Vergütungen, die über dem unteren Drittel liegen, wirtschaftlich angemessen sein. Der externe Vergleich gibt nämlich keine Obergrenze mehr für Vergütungen vor. In diesen Fällen ist auf einer dritten Stufe noch die wirtschaftliche Angemessenheit zu bewerten. Dabei kommt es auf die Besonderheiten der Einrichtung an, die sich beispielsweise aus der Einhaltung der Tarifbindung, Größe und Lage der Einrichtung, aus einem besonderen Leistungsangebot oder aus Besonderheiten im Versorgungsvertrag ergeben können. In weiteren Entscheidungen hat das BSG hierzu klargestellt, dass die Tarifbindung einer Einrichtung der Wirtschaftlichkeit nicht entgegensteht[5] und ein Gewinnzuschlag Bestandteil einer leistungsgerechten Vergütung ist.[6] Der Gewinnzuschlag soll dabei neben dem unternehmerischen Gewinn einen Wagniszuschlag enthalten, der nicht kalkulierbare Risiken wie Auslastung, Forderungsausfall oder Krankheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern abdeckt. Ohne einen solchen Zuschlag stünde am Ende der Vertragslaufzeit bestenfalls die schwarze Null. Diese könnte aber nur dann erreicht werden, wenn sich keinerlei betriebswirtschaftliche Risiken verwirklichen. Aus unternehmerischer Sicht ist die Kalkulation und Vereinbarung eines pauschalen Gewinnzuschlages daher zwingend.

Diese für Einrichtungsträger positiven Leitsätze können sich Vorsorge- und Rehabilitationsträger zu Nutze machen und ihren Forderungen gegenüber den Krankenkassen mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BSG Nachdruck verleihen. Auch über Streitigkeiten wegen Vergütungen nach § 111 SGB V hat letztinstanzlich das BSG zu entscheiden. Es sind derzeit keine Gründe ersichtlich, weshalb das Gericht von seiner dargestellten Rechtsprechung in Bezug auf Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen abweichen und diese betriebswirtschaftlichen Grundsätze nicht auf Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen anwenden sollte.

IV. Besonderheiten für Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen

Bei Vergütungsverhandlungen gemäß § 111 SGB V für Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen sind dennoch zwei Punkte besonders zu beachten: Anders als Pflege- und Eingliederungshilfeeinrichtungen sind sie nach § 71 SGB V an den Grundsatz der Beitragssatzstabilität gebunden und gemäß § 40 Abs. 3 SGB V darauf angewiesen, dass die Krankenkassen sie für die Rehabilitation von Versicherten in Anspruch nehmen („Zuweisungen“).

Der Grundsatz der Beitragssatzstabilität sieht vor, dass Veränderungen der jeweiligen Vergütung nicht höher ausfallen dürfen, als die Grundlohnsummenveränderung. Das ergibt sich aus § 71 Abs. 2 SGB V. Dennoch ist bei länger zurückliegenden Vergütungsvereinbarungen die Addition von Grundlohnsummensteigerungen der seit der letzten Verhandlung vergangenen Jahre nach dem Gesetzeswortlaut möglich. Das hat das BSG zumindest für die häusliche Krankenpflege bestätigt.[7]

Nach § 40 Abs. 3 SGB V bestimmen die Krankenkassen für ihre Versicherten nicht nur Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung der medizinischen Rehabilitation, sondern auch die Rehabilitationseinrichtung nach pflichtgemäßem Ermessen. Diese Steuerungsmöglichkeit erhöht den Druck, den die Kassen im Rahmen von Vergütungsverhandlungen gegenüber den Einrichtungen aufbauen können, enorm. Nicht selten stellen die Leistungsträger bei Verhandlungen – mehr oder weniger offen – in Aussicht, die Zuweisungen von Versicherten zu reduzieren, wenn teure Vergütungssätze vereinbart werden. Das darf Einrichtungen aber nicht davon abhalten, Vergütungsvereinbarungen abzuschließen, die auskömmlich sind. Andernfalls führt der Weg über kurz oder lang in die Kostenunterdeckung. Um wirksam mit den Kassen zu verhandeln, sollten Einrichtungen Leistungsangebote und Preise der Mitbewerber kennen. Nur so ist es möglich einzuschätzen, ob die Preise tatsächlich weit über den Vergütungen anderer, vergleichbarer Träger liegen. Hier sind auch die Verbände der Leistungserbringer gefragt.

V. Zusammenfassung

Einrichtungsträger sollten selbstbewusst in Vergütungsverhandlungen mit den Krankenkassen eintreten und müssen auskömmliche Vergütungen kalkulieren und verhandeln. Die tatsächlichen Kosten müssen in jedem Fall gedeckt sein. Um höhere Vergütungen zu erhalten, sollten Einrichtungen die Rechtsprechung des BSG zur Pflegesatzvergütung kennen und dem Leistungsträger vorhalten. Gewinne müssen einkalkuliert werden, um unvorhersehbare Risiken abzudecken. Ebenso müssen besondere, den Eigenheiten der Einrichtung geschuldete Kosten von den Krankenkassen refinanziert werden. Nur so kann langfristig eine betriebswirtschaftlich die Existenz sichernde Vergütung der Einrichtungen und eine sach- und fachgerechte Versorgung der Rehabilitanden durch die Krankenkassen sichergestellt werden.

Beitrag von Jasmin Timm, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Sozialrecht

Fußnoten:

[1] Vgl. Begründung zu § 111 SGB V, BT-Drs. 17/5178, S. 21.

[2] BSG, Urt. v. 29.01.2009 – B 3 P 6/08 KR R; B 3 P 7/08 R; B 3 P 9/08 R; B 3 P 9/07 R.

[3] Vgl. BSG, Urt. v. 14.12.2000 – B 3 P 18/00 R; B 3 P 19/00 R.

[4] BSG, Urt. v. 29.01.2009 – B 3 P 6/08 KR R; B 3 P 7/08 R; B 3 P 9/08 R; B 3 P 9/07 R.

[5] BSG, Urt. v. 25.11.2010 – B 3 KR 1/10 R; Urt. v. 16.05.2013 – B 3 P 2/12 R.

[6] BSG, Urt. v. 16.05.2013 – B 3 P 2/12 R.

[7] BSG, Urt. v. 25.11.2010 - B 3 KR 1/10 R.


Stichwörter:

Vergütung, Vergütung in der Reha, Vergütung in der Rehabilitation, Medizinische Rehabilitation, Rehabilitationseinrichtung, Vergütungsvereinbarung, § 111 SGB V, Vergütungssatz


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