01.07.2016 E: Recht der Dienste und Einrichtungen Giese: Beitrag E4-2016

Kostenübernahme für eine Nachtwache – Anmerkung zu BSG, Urteil vom 25.09.2014 – B 8 SO 8/13 R

Maren Giese bespricht in dem Beitrag eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25.09.2014. Der Senat befasste sich damit, ob eine Kostenübernahme für Nachtwachen als Leistungen zur Teilhabe (vorliegend: Eingliederungshilfe) möglich ist. Geklagt hatten zwei Brüder, die Leistungen in einem Wohnheim erhielten. Um das unbeaufsichtigte Verlassen der Zimmer zu unterbinden und andere Bewohner und Bewohnerinnen zu schützen, wurden Nachtwachen vor den Zimmern aufgestellt.

Der Senat ordnete die Sitzwachen grundsätzlich dem Leistungsspektrum der Eingliederungshilfe zu. Hielt aber eine Kostenübernahme im vorliegenden Fall nicht für geboten, da sich für die Kläger eine Verpflichtung zur Zahlung der Nachtwachen weder aus einer gültigen Zusatzvereinbarung (Nebenabrede) noch aus den Heimverträgen ergebe.

Die Autorin stimmt der Entscheidung des BSG voll zu.

Bei dem Beitrag handelt es sich um eine Zweitveröffentlichung. Die Erstveröffentlichung erfolgte in der der Zeitschrift Recht&Praxis der Rehabilitation (RP-Reha), Heft 4/2015.

(Zitiervorschlag: Giese: Kostenübernahme für eine Nachtwache – Anmerkung zu BSG, Urteil vom 25.09.2014 – B 8 SO 8/13 R; Beitrag E4-2016 unter www.reha-recht.de; 01.07.2016)

I. Thesen der Autorin

  1. Nachtwachen sind auch dann als Leistungen zur Teilhabe (hier: Eingliederungshilfe) anzusehen, wenn sie neben dem Ziel der Eingliederung weitere Ziele verfolgen.

  2. Die falsche Eingruppierung von Betroffenen in Maßnahmepauschalen bzw. deren nicht ausreichende Erfassung von tatsächlichem Bedarf darf nicht dazu führen, dass die Teilhabe des Betroffenen dadurch beeinträchtigt wird.

II. Wesentliche Aussagen der Entscheidung

  1. Die Kostenübernahme für eine Nachtwache als Leistung der Eingliederungshilfe durch den Sozialhilfeträger wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die erforderliche Nachtwache in einer Einrichtung auch dem Schutz anderer Bewohner dient.

  2. Ein Anspruch auf Kostenübernahme für eine Nachtwache gegen den Sozialhilfeträger besteht jedoch nicht, wenn die bzw. der Leistungsberechtigte dem Leistungserbringer weder aus dem Heimvertrag noch aus einer gültigen Zusatzvereinbarung zur Zahlung dieser Kosten verpflichtet ist, weil die Leistung bereits in der Maßnahmenpauschale enthalten ist.

III. Der Sachverhalt

Die 1986 geborenen klagenden Zwillingsbrüder sind erheblich behindert; sie stehen unter Betreuung durch ihre Mutter. Sie begehren die Kostenübernahme für nächtliche Sitzwachen, die während ihres Aufenthalts in einem Wohnheim im Zeitraum vom 1. April 2009 bis 7. Dezember 2010 bzw. bis zum 16. Oktober 2010 von der beigeladenen Trägerin des Wohnheims erbracht wurden. Sie sind beide nahezu gehörlos und minderbegabt. Darüber hinaus bestehen jeweils ein Aufmerksamkeitsdefizit, ein Hyperaktivitätssyndrom sowie eine emotional instabile Persönlichkeit. Zunächst lebten beide stationär in einer Heimsonderschule, ab September 2002 in einem Schülerinternat. Seit Juli 2005 waren sie tagsüber in der Werkstatt für Behinderte beschäftigt und lebten gemeinsam in einem Wohnheim der Beigeladenen. Dort vergewaltigten sie im April 2006 gemeinschaftlich eine Mitbewohnerin. Daraufhin wurden sie mehrere Wochen in einer Klinik für Psychiatrie untergebracht; eine weitergehende Unterbringung nach § 63 Strafgesetzbuch (StGB) lehnte das zuständige Amtsgericht wegen nicht hinreichender Wiederholungsgefahr und Unverhältnismäßigkeit ab. Daher wurden sie ab Juni 2006 in verschiedene Wohnheime der Beigeladenen verlegt. In den Wohnheimen wurden jeweils von 22.00 Uhr bis 6.30 Uhr Nachtwachen vor den Zimmern der Kläger aufgestellt, um das unbeaufsichtigte Verlassen der Zimmer zu unterbinden und die anderen Bewohnerinnen und Bewohner zu schützen.

Die in den Heimverträgen vereinbarten Kosten übernahm der beklagte Sozialhilfeträger. Darüber hinaus zahlte dieser aufgrund verschiedener zeitlich befristeter Nebenabreden einen täglichen Zuschlag „zur Abgeltung zusätzlicher Personalkosten“ vom 1. Juni 2006 bis 31. März 2009. Für die Zeit vom 1. April 2009 bis 31. März 2011 bewilligte der beklagte Sozialhilfeträger den Klägern zwar erneut die bisherigen Leistungen, lehnte jedoch die Verlängerung der Nebenabrede ab.

Die daraufhin eingelegte Klage war motiviert durch die Sorge der Mutter sowie der Kläger, dass sie bei Wegfall der Nachtwachen nicht mehr im Wohnheim verbleiben könnten; der Wechsel in eine geschlossene Einrichtung würde die bisherigen – wenn auch geringen – Therapiefortschritte zunichtemachen. Gleichwohl blieb die Klage in erster Instanz ohne Erfolg.[1] Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen verurteilte den Sozialhilfeträger auf die Berufung hin jedoch zur Kostenübernahme „dem Grunde nach“.[2] Dem LSG zufolge könnten die Nachtwachen nicht getrennt vom therapeutischen Gesamtzusammenhang gesehen werden und seien notwendig, damit die Eingliederungsleistungen überhaupt durchgeführt werden konnten. Unerheblich sei, ob die Nachtwache selbst einem pädagogischen Zweck diene. Zudem seien sie geeignet und erforderlich gewesen. Die Rechtsgrundlage sah das LSG in der Vergütungsvereinbarung i. V. m. dem im Land geltenden Rahmenvertrag.

Dagegen wandte sich der Beklagte mit der Revision. Die Nachtwachen beeinflussten laut Sozialhilfeträger die Teilhabe der klagenden Zwillinge allenfalls in sehr geringem Umfang und nur indirekt. Im Vordergrund stehe die Gefahrenabwehr zum Schutz der anderen Bewohner. Dafür sei die Eingliederungshilfe nicht zuständig.

IV. Die Entscheidung

Das Bundessozialgericht (BSG) hielt die Revision für begründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Kostenübernahme der Nachtwachen. Es handele sich zwar – anders als der Beklagte meine – um Leistungen zur Teilhabe der Eingliederungshilfe, gleichwohl bestünden aber keine Zahlungsansprüche gegen die Kläger und dementsprechend gegen den Beklagten.

Als Rechtsgrundlage käme laut BSG allenfalls § 19 Abs. 3 i. V. m. §§ 53 Abs. 1 S. 1, 54 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) XII und § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX in Betracht. Die personenbezogenen Voraussetzungen erfüllten beide Kläger. Darüber hinaus zählten die Nachtwachen als Hilfen zum selbstbestimmten Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten zu den Leistungen zur Teilhabe der Eingliederungshilfe (§ 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII i. V. m. § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX). Um deren Ziel, die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und die Eingliederung in die Gesellschaft, zu erreichen, seien die Nachtwachen notwendig, die Tageszeit ändere daran nichts. Dass durch die nächtlichen Sitzwachen die räumliche und persönliche Integrität Dritter gewahrt werden sollte, mache die Maßnahme noch nicht zu ausschließlicher Gefahrenabwehr. Eine Maßnahme könne vielmehr mehrere Ziele verfolgen. Dies ergebe sich, so das BSG, auch aus der Beschreibung des für die Kläger relevanten Leistungstyps (Leistungstyp 10 der Leistungsvereinbarung – Menschen mit hohem sozialem Integrationsbedarf), wonach Nachtwachen bei Bedarf ausdrücklich zum Leistungsangebot gehörten.

Die Kläger haben jedoch keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Übernahme der Kosten für die Nachtwachen, da sie selbst weder aus einer gültigen Zusatzvereinbarung (Nebenabrede) noch aus den Heimverträgen zur Zahlung verpflichtet sind.

§ 12 Abs. 7 des Rahmenvertrags[3] sieht zwar vor, dass bei Bedarf und für den Fall, dass zusätzliche Leistungen durch den Leistungstyp und die entsprechende Maßnahmenpauschale nicht abgedeckt werden, zwischen Sozialhilfeträger und der Einrichtung ein „zusätzlicher Betrag“ vereinbart werden kann. Eine solche Vereinbarung lag ab dem 1. April 2009 jedoch nicht (mehr) vor. Ebenso wenig wie aus einer Zusatzvereinbarung ergebe sich ein Anspruch aus den Heimverträgen selbst.

Nach § 75 Abs. 3 SGB XII ist der Sozialhilfeträger zur Vergütung von Leistungen verpflichtet, wenn mit dem Einrichtungsträger eine Vergütungsvereinbarung besteht. Dies war hier in beiden Einrichtungen der Fall. Aus dem Leistungserbringungsrecht der Sozialhilfe ergibt sich jedoch, dass der Sozialhilfeträger seine Leistung nicht an die Leistungsberechtigten als Geldleistung erbringt, sondern direkt an die verantwortliche Einrichtung. Der Sozialhilfeträger übernimmt dabei lediglich die Vergütung, die die Kläger der Einrichtung schulden, und tritt damit der bestehenden Schuld bei. Vorliegend hat das BSG jedoch eine solche Schuld verneint. Das nach § 4 der Heimverträge von den Klägern geschuldete Entgelt[4], wurde durch den Beklagten erbracht. Nach § 2 Abs. 4 Heimverträge erhalten die Bewohner die erforderlichen individuellen Maßnahmen gemäß der Leistungsvereinbarung. Hierzu werden für die Bewohner Leistungstypen (LT) bzw. die der Hilfebedarfsgruppe entsprechenden Leistungen ermittelt. Die Kläger wurden nach § 3 Abs. 2 Heimverträge dem LT 10 (Wohnangebote für Erwachsene mit geistiger Behinderung und hohem sozialen Integrationsbedarf), Hilfebedarfsgruppe 3 sowie dem LT für die Tagesstruktur 25 (Werkstatt für behinderte Menschen) zugeordnet. Laut Beschreibung orientieren sich Art und Umfang der Leistungen, z. B. die Sicherstellung einer „Rund-um-die-Uhr-Betreuung“ einschließlich der dazugehörigen Tagesdienste, Nachtbereitschaften oder Nachtwachen an den jeweiligen individuellen Bedarfen, vgl. Anlage 2 des Rahmenvertrags. Die Finanzierung der Nachtwachen werde somit mit der Maßnahmenpauschale bereits abgedeckt.

Darüber hinaus ergebe sich weder aus § 6 oder § 7 Heimverträge ein weiterer Anspruch. Diese sehen zwar eine mögliche Anpassung der Vergütung für den Fall einer Bedarfsänderung vor. Vorliegend hätten sich die Bedarfe der Kläger jedoch nicht geändert, da die Nachtwachen bereits mit deren Aufnahme eingerichtet wurde und nicht erst ab dem 1. April 2009. Darüber hinaus schloss der Senat einen Anspruch auf zusätzliche Leistungen der Eingliederungshilfe auf Grundlage der Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) als sog. „Auch-fremdes-Geschäft“ aus. Im Leistungserbringungsrecht der Sozialhilfe seien die Regelungen der GoA aus dem Zivilrecht nicht anwendbar. Vielmehr ergeben sich die Rechte und Pflichten innerhalb des sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses aus den § 75 ff. SGB XII.

V. Würdigung/Kritik

Der Entscheidung des BSG ist voll zuzustimmen. Sie hatte sich u. a. mit dem komplexen Leistungserbringungsrecht in der Sozialhilfe zu beschäftigen.

1. Nachtwache als Leistung der Eingliederungshilfe

Entgegen der Auffassung des Beklagten hat das BSG richtigerweise bestätigt, dass die Nachtwachen hier Leistungen zur Teilhabe der Eingliederungshilfe sein können.

Der Sozialhilfeträger erbringt diese Leistungen auf Grundlage der §§ 53, 54 SGB XII, wenn der bzw. dem Betroffenen die Aufbringung der Mittel für sie aus eigenem Einkommen und Vermögen nicht zuzumuten ist (§ 19 Abs. 3 SGB XII). Leistungsberechtigt sind Personen, die im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX behindert sind. Dies war bei beiden Klägern unstreitig. Des Weiteren muss die Aufgabe der Eingliederungshilfe, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und behinderte Menschen in die Gesellschaft einzugliedern (§ 53 Abs. 3 SGB IX), erfüllt werden können. Insbesondere soll sie die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen oder erleichtern. Die konkreten Leistungen ergeben sich aus § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 – 5 SGB XII, § 55 Abs. 2 Nr. 1 – 7 SGB IX und der Eingliederungshilfeverordnung. Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sind nach § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX auch Hilfen zum selbstbestimmten Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten. Diese Hilfen umfassen z. B. Übungen, um von Pflege möglichst unabhängig zu machen, Orientierungstraining von Menschen mit geistiger oder psychischer Behinderung, Begleitung in der näheren Umgebung oder Assistenz beim Verwalten eines Persönlichen Budgets.[5] Zentrales Merkmal ist stets das ‚selbstbestimmte Leben‘, so dass grundsätzlich alle Maßnahmen denkbar sind, die dazu dienen, den behinderten Menschen so weit wie möglich zu befähigen, alle wichtigen Alltagsverrichtungen in seinem Wohnbereich selbstständig vornehmen zu können, sich im Wohnumfeld zu orientieren oder dies zumindest mit sporadischer Unterstützung Dritter zu erreichen.[6] Diese Betreuungsleistungen können sowohl in ambulanter als auch stationärer Form erfolgen, müssen aber von fachlich geschultem Personal, also Diensten oder Einrichtungen (§§ 13 Abs. 2, 75 SGB XII), erbracht werden.[7] Demzufolge zählen, wie das BSG richtig festgestellt hat, auch nächtliche Sitzwachen zu den Hilfen zum selbstbestimmten Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten. Vorliegend waren sie im Leistungskatalog als mögliche Leistung der Einrichtung sogar ausdrücklich enthalten. Den beiden Klägern war es nur so möglich, überhaupt in der Einrichtung zu verbleiben und von den dortigen Strukturen (Tagesablauf, Alltagsverrichtungen, Einhalten von Regeln), sozialen Kontakten und anderen Hilfen der Einrichtung zu profitieren.[8] Die Kläger stattdessen über Nacht in ihren Zimmern einzuschließen ist weder angemessen noch eine verhältnismäßige Alternative.[9] Die Nachtwachen dienten daneben auch dem Schutz anderer Bewohner, da es in der Vergangenheit zu Übergriffen gekommen war. Dass neben der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auch andere Zwecke verwirklicht werden, steht der Eingliederungshilfe jedoch nicht entgegen.[10] Vielmehr kommt es auf das wesentliche Ziel der Leistung an.[11] Dieses war in erster Linie, dass die Kläger in der Gemeinschaft ihrer jeweiligen Einrichtung leben und so am Leben in der Gemeinschaft teilhaben konnten.

2. Anspruch auf Kostenübernahme gegen den Sozialhilfeträger

Das BSG hat den Anspruch der Kläger verneint, weil keine gesonderte Zahlungsverpflichtung für die Nachtwachen für sie bestand.

Die Kläger begehrten die Übernahme der Kosten für die Nachtwachen durch den Sozialhilfeträger, denen sie sich gegenüber der Beigeladenen ausgesetzt sahen.

Problematisch war hier aber wahrscheinlich eher das Leistungsverschaffungsverhältnis zwischen (Sozial-)Leistungsträger (Sozialhilfeträger) und Leistungserbringer (Einrichtungsträger) als das Verhältnis zwischen Leistungsberechtigtem und Sozialhilfeträger, das den Sozialhilfeanspruch aus dem Leistungsrecht zum Gegenstand hat (Grundverhältnis). Daneben gibt es im sozialhilferechtlichen Leistungsdreieck noch das Erfüllungsverhältnis zwischen Leistungsberechtigtem und Leistungserbringer (z. B. in Form des Heimvertrags).[12] Wenn der Leistungsträger die geschuldete Leistung (z. B. Leistungen der Eingliederungshilfe, Hilfe zur Pflege) nicht selbst erbringt, schließt er (§ 77 Abs. 1 S. 2 SGB XII) dazu mit dem jeweiligen Einrichtungsträger vorab einen Vertrag, sog. Leistungsverschaffungsverhältnis. Dieser Vertrag beinhaltet eine Leistungsvereinbarung (über Inhalt, Umfang und Qualität der Leistung), eine Prüfungsvereinbarung (über die Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistung) und eine Vergütungsvereinbarung (§ 75 Abs. 3 S. 1 SGB XII). Die Vergütungsvereinbarung setzt sich aus Pauschalen (vgl. Fn. 4) und Beträgen für die einzelnen Leistungsbereiche zusammen. Die Maßnahmepauschalen können zusätzlich nach Leistungstypen und innerhalb dessen nach Hilfebedarfsgruppen (Intensität des Hilfebedarfs) gegliedert werden.[13]

Die getroffenen Vereinbarungen finden ebenso Niederschlag im zivilrechtlichen Vertrag zwischen Einrichtungsträger und Leistungsberechtigtem (Erfüllungsverhältnis), z. B. hinsichtlich Vergütung und wichtigster Leistungsinhalte.[14] Maßstab ist jedoch stets der Bedarf des Leistungsberechtigten, § 8 Abs. 1 Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG). Den vereinbarten Leistungen entsprechend besteht ein Zahlungsanspruch des Einrichtungsträgers gegen den Leistungsberechtigten. Dieser hat einen Sachleistungsverschaffungsanspruch gegenüber dem Leistungsträger, also einen Anspruch auf Schuldbeitritt zu den für die Bedarfsdeckung entstehenden Aufwendungen.[15] Der Leistungsträger kommt diesem Anspruch derart nach, dass er, wenn mit der jeweiligen Einrichtung Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 S. 1 SGB XII abgeschlossen sind, direkt an die Einrichtung zahlt.[16] Bei einer Änderung des Pflege- oder Betreuungsbedarfs muss der Vertrag zwischen Leistungsberechtigtem und Einrichtung entsprechend angepasst werden (§ 8 WBVG). Dies ist vorliegend nicht geschehen und war auch nicht geboten; vielmehr bestand der Bedarf an nächtlichen Sitzwachen bereits beim Einzug. Darüber hinaus waren derartige Betreuungsleistungen bereits in den vereinbarten Leistungstypen und Hilfebedarfsgruppen ausdrücklich ausgewiesen. Sie waren somit ohnehin Bestandteil der Maßnahmepauschalen und wurden durch den Beklagten vergütet. Eine gesonderte Zahlungspflicht für die Kläger bestand somit nicht. Wenn die Vergütung dieser Maßnahmepauschalen zu gering ist, müssen sich Leistungserbringer und Leistungsträger darüber rechtzeitig verständigen. Grundsätzlich sind die Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII vor Beginn der jeweiligen Wirtschaftsperiode abzuschließen (§ 77 Abs. 1 S. 1 SGB XII). Bei unvorhersehbaren wesentlichen Änderungen der Entscheidungsgrundlagen zu den Vergütungsvereinbarungen sind jedoch Neuverhandlungen zulässig (§ 77 Abs. 3 SGB XII). Dass solche (Nach-)Verhandlungen nicht geschehen, darf nicht zu Lasten der Betroffenen gehen. Vielmehr ist aufgrund der existenziellen Bedeutung der Leistungen (Grundverhältnis) eine bedarfsgerechte Versorgung durch den Sozialhilfeträger in Zusammenarbeit mit dem Leistungserbringer zu gewährleisten.[17] Darüber hinaus bietet es sich an, die einzelnen Leistungstypen hinsichtlich ihres Inhalts und der jeweils enthaltenen Maßnahmen konkreter auszudifferenzieren, um alle Bedarfslagen sachgerecht abzudecken.[18]

Beitrag von Dipl. jur. Maren Giese, Universität Kassel

Fußnoten:

[1] SG Münster, Urt. v. 10.09.2010 – S 8 (12) SO 46/09.

[2] LSG NRW, Urt. v. 20.12.2012 – L 9 SO 607/10.

[3] Rahmenvertrag gemäß § 79 Abs. 1 SGB XII zu den Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII, Stand: 02.07.2001.

[4] Das geschuldete Entgelt setzte sich aus den Vergütungsbestandteilen „Pauschale für Unterkunft und Verpflegung (Grundpauschale), Pauschale für Betreuungsleistungen gemäß den Leistungstypen und ggf. Hilfebedarfsgruppen (Maßnahmenpauschale)“ und dem „Betrag für betriebsnotwendige Anlagen einschließlich ihrer Ausstattung (Investitionsbetrag)“ zusammen. In § 4 Abs. 2 der Heimverträge werden die kalendertäglich zu zahlenden Entgelte nach diesen Pauschale getrennt und im Einzelnen aufgeführt.

[5] Lachwitz in HK-SGB IX, § 55, Rn. 64,65,68.

[6] Lachwitz in HK-SGB IX, § 55, Rn. 65a; BSG, Urt. v. 15.12.2010 – B 14 AS 44/09 R, Rn. 15.

[7] Lachwitz in HK-SGB IX, § 55, Rn. 66, 68; FKS-SGB IX-Busch, § 55, Rn. 35.

[8] So auch Axmann, RdLH 2013, 83 (85).

[9] LSG, Urt. v. 20.12.2012 – L 9 SO 607/10, Rn. 37; dazu Axmann, RdLH 2013, 83 (85).

[10] Schneider in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII 18. Aufl. 2010, § 53 Rn. 38,39, 64 ff.; Schumacher, RdLH 2009, 166.

[11] Dazu auch Giese, Persönliche Assistenz für ein Kind mit Diabetes im Kindertagesheim, Beitrag A28-2012 unter www.reha-recht.de; BVerwG, Urt. v. 23.09.1999 – 5 C 26/98, Rn. 13; Kaiser in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, BeckOK SGB XII, § 53, Rn. 14.

[12] Pattar, Sozialhilferechtliches Dreiecksverhältnis – Rechtsbeziehungen zwischen Hilfebedürftigen, Sozialhilfeträgern und Einrichtungsträgern, SRa 2012, 85 (88).

[13] Pattar, Sozialhilferechtliches Dreiecksverhältnis – Rechtsbeziehungen zwischen Hilfebedürftigen, Sozialhilfeträgern und Einrichtungsträgern, SRa 2012, 85 (89).

[14] Jaritz, Vereinbarungen im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis, SRa 2012, 105 (106); Dillmann, Ménage á trois: Das sozialhilferechtliche Dreiecksverhältnis aus Sicht des Sozialhilfeträgers, SRa2012, 181 (187,188).

[15] BSG, Urt. v. 28.10.2008 – B 8 SO 22/07 R.

[16] Flint in Grube/Wahrendorf, SGB XII, §75, Rn. 40.

[17] Dillmann (Fn. 12), 181 (186); Jaritz (Fn. 12), 105 (105).

[18] Axmann, RdLH 2015, 76 (77).


Stichwörter:

Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, Leistungspflicht Heimträger, Maßnahmen, Selbstbestimmung, sozialrechtliches Dreiecksverhältnis, Vergütungsvereinbarung, Heimrecht


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