15.12.2014 D: Konzepte und Politik Heiden: Diskussionsbeitrag D27-2014

„Nichts über uns ohne uns!“ – Von der Alibi-Beteiligung zur Mitentscheidung! Ein Diskussionsbeitrag zur Umsetzung des Gebotes der „Partizipation“ der UN-Behindertenrechtskonvention

(Zitiervorschlag: Heiden: „Nichts über uns ohne uns!“ – Von der Alibi-Beteiligung zur Mitentscheidung! Ein Diskussionsbeitrag zur Umsetzung des Gebotes der „Partizipation“ der UN-Behindertenrechtskonvention; Forum D, Beitrag D27-2014 unter www.reha-recht.de; 15.12.2014)

Der Autor beschäftigt sich in dem vorliegenden Beitrag intensiv mit der Bedeutung von Partizipation, insbesondere im Hinblick auf den derzeitigen Reformprozess der Eingliederungshilfe und der Schaffung eines Bundesteilhabegesetzes.

Die UN-Behindertenrechtskonvention fordert an verschiedenen Stellen die Partizipation von Betroffenen bzw. Selbsthilfe- oder Selbstvertretungsorganisationen. Doch was genau ist darunter zu verstehen? Worin besteht der Unterschied zur Teilhabe? Und wie gelingt Partizipation im Sinne der Behindertenrechtskonvention?

Diese und weitere Fragen beantwortet der Autor in seinem Text. Er stellt dazu verschiedene Modelle der Partizipation dar und schlägt verschiedene Maßnahmen vor, wie die Partizipation von Selbstvertretungsorganisationen gewährleistet werden kann.

I. Thesen[1]

  1. Ein grundlegend neues Verständnis von Partizipation mit neuen Formaten ist erforderlich. Dies bedeutet eine neue Qualität und nicht ein „Mehr desselben!“ herkömmlicher Beteiligungsformen.

  2. Entsprechend Artikel 4 Abs. 3 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) sind insbesondere Organisationen von Menschen mit Behinderungen (DPOs) im Sinne von Partizipation zu beteiligen.

  3. Wenn Partizipation nachhaltig gelingen soll, ist sie gesetzlich zu verankern.

  4. Finanzielle und personelle Ressourcen im Sinne von „Empowerment“ und „Capacity Building“ sind maßgebliche Unterstützungsfaktoren für eine gelingende und barrierefreie Partizipation.

II. Einleitung

Im derzeitigen Reformprozess zur Eingliederungshilfe soll ein Bundesteilhabegesetz (BTHG) geschaffen werden. Dazu heißt es auf einer Webseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS): „Die Erarbeitung des Bundesteilhabegesetzes erfolgt nach dem im Koalitionsvertrag niedergeschriebenen Grundsatz „Nichts über uns – ohne uns“. Menschen mit Behinderung und ihre Verbände werden wie auch die weiteren betroffenen Akteure von Anfang an und kontinuierlich am Gesetzgebungsprozess beteiligt. Zu diesem Zweck hat die Bundesministerin für Arbeit und Soziales eine „Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz“ konstituiert. In insgesamt neun Sitzungen wird die Arbeitsgruppe bis April 2015 mögliche Reformthemen und -ziele eines Bundesteilhabegesetzes besprechen und mögliche Kompromisslinien zu den verschiedenen Themen der anstehenden Reform abwägen.“[2] Auf dieser Internetseite werden auch die Sitzungsprotokolle eingestellt und die relevanten Informationen sind in Leichter Sprache und Gebärdensprache verfügbar. Dieser Beteiligungsprozess ist nach Ansicht des Autors ein Schritt in die richtige Richtung, wenn es um die Umsetzung des Partizipationsgebotes geht. Um aber langfristig und nachhaltig zu wirken, sollte das Konzept der „Partizipation“ von Grund auf neu gedacht werden. Der vorliegende Beitrag will die Diskussion dazu anregen.

III. Partizipation – Querschnittsanliegen der UN-BRK

Wenn derzeit von der Umsetzung der UN-BRK gesprochen wird, so ist der meistgenannte Begriff dabei „Inklusion“, obgleich sie in der amtlichen deutschen Übersetzung gar nicht auftaucht. Ein anderer wesentlicher Begriff dagegen fristet eher ein Schattendasein, obgleich er nach Hirschberg[3] (2010) ein „Querschnittsanliegen“ der UN-BRK sei: Die Rede ist von „Partizipation“. Das ist zunächst keine Überraschung, da in der deutschen Fassung – sowohl in der amtlichen Übersetzung als auch in der Schattenübersetzung des NETZWERK ARTIKEL 3 e. V. – „participation“ mit „Teilhabe“ übersetzt wird.      An insgesamt 17 Stellen der 50 Artikel ist im englischen Originaltext von „participation“ die Rede, vielfach in Verbindung mit dem Zusatz „full“, also „umfassend“. Insbesondere sind in unserem Zusammenhang die Artikel 4 und 33 und dort jeweils deren Absatz 3 der Konvention maßgeblich. Doch was versteht man genau unter dem Begriff „Partizipation“ und was ist der Unterschied zu „Teilhabe“? Die Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) definiert in ihrem Politlexikon Partizipation wie folgt: „Partizipation bezeichnet die aktive Beteiligung der Bürger und Bürgerinnen bei der Erledigung der gemeinsamen (politischen) Angelegenheiten (...) In einem rechtlichen Sinne bezeichnet Partizipation die Teilhabe der Bevölkerung an Verwaltungsentscheidungen.“[4]          

Aus dem Bereich der Gesundheitsförderung wird diese Position von Wright/Block/von Unger gestützt: „Partizipation bedeutet in unserem Verständnis nicht nur Teilnahme, sondern auch Teilhabe, also Entscheidungsmacht bei allen wesentlichen Fragen der Lebensgestaltung. Dazu gehört die Definitionsmacht und somit die Möglichkeit, die Gesundheitsprobleme (mit-)bestimmen zu können, die von gesundheitsfördernden bzw. präventiven Maßnahmen angegangen werden sollen. Je mehr Einfluss jemand auf einen Entscheidungsprozess einnimmt, umso größer ist seine/ihre Partizipation.“[5] Nach der UN-BRK geht es folgerichtig um die Teilhabe an Entscheidungen. In unserem Zusammenhang müsste man „Partizipation“ also in Anlehnung an Susanne Hartung[6] mit „Entscheidungsteilhabe“ übersetzen, im Deutschen leider ein Wortungetüm, aber dem Sinn nach zutreffend.

IV. Modelle der Partizipation

In der Literatur existieren mehr oder weniger abgestufte Modelle, die den Grad der Partizipation bzw. Nicht-Partizipation verdeutlichen und an denen real existierende Formate politischer (Nicht-) Beteiligung gemessen werden können. Im deutschen Sprachraum stößt man auf ein Partizipationsmodell aus Österreich[7], das drei Stufen in der Frage „Beteiligung der Öffentlichkeit“ unterscheidet[8]. Es kennt die folgenden drei Intensitätsstufen:

  • Information: die Öffentlichkeit wird über Planungen oder Entscheidungen informiert, sie hat aber keinen Einfluss darauf

  • Konsultation: die Öffentlichkeit kann zu einer gestellten Frage oder zu einem vorgelegten Entwurf Stellung nehmen

  • Kooperation: die Öffentlichkeit gestaltet die Planung oder die Entscheidung aktiv mit, zum Beispiel bei Runden Tischen oder Stakeholderprozessen

Diese Dreiteilung wird auch vom deutschen „Handbuch für eine gute Bürgerbeteiligung“ aufgegriffen, das vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) im November 2012 veröffentlicht wurde.[9] Die Dreiteilung ist nach Ansicht des Autors jedoch nicht ausreichend, vor allem dann nicht, wenn man sich im Vergleich dazu einmal die komplexeren Stufenmodelle zur Partizipation ansieht, die über das Ziel der „Beteiligung der Öffentlichkeit“ hinausgehen.

V. Leiter- und Stufenmodelle

Diese Modelle gehen in der Regel auf eine frühe Veröffentlichung (1969) der US-ameri-kanischen Planungstheroretikerin Sherry R. Arnstein[10] und ihr Modell einer „ladder of participation“ [11] (Leiter der Partizipation) zurück, die sie für den Bereich der Stadtentwicklung entworfen hat. In dieser Aufgliederung geht sie von drei Komplexen mit insgesamt acht Abschnitten aus. Sie beginnt mit zwei Abschnitten im Bereich der „Nonparticipation“ (Nicht-Partizipation). Der folgende Bereich stellt „Tokenism“ (Alibipolitik) dar, der das „Informieren“, „Anhören“ und „Besänftigen“ umfasst. Wirkliche Partizipation mit einer schrittweisen Zunahme der Entscheidungsmacht beginnt bei ihr erst bei den Abschnitten 6–8, der „Citizen Power“, also der „Macht der Bürger*innen“, die die Stufen „Partnerschaft“, „Delegierte Macht“ und „Bürger*innen-Kontrolle“ umfasst. Arnstein betont, dass dies eine idealtypische und vereinfachende Beschreibung, doch hilfreich in der Unterscheidung sei, wenn es um die Partizipation von Bürger*innen geht. Aus der partizipatorischen Gesundheitsforschung stammend, haben Wright/Block/von Unger ein neun-Stufen-Modell der Partizipation erstellt, das sich ebenfalls an die Arnstein-Vorgaben anlehnt[12].

Die bisherigen Verfahren der Beteiligung von Verbänden im Bereich der Behindertenpolitik sind nach Meinung des Autors nicht ausreichend, da sie sich vielfach auf Vorstufen der Partizipation beziehungsweise im Grenzbereich zwischen Nicht-Partizipation und Partizipation bewegen. Es sind deshalb neue Formate zu entwickeln, die echte Partizipation ermöglichen.

VI. Vorschlag für ein Maßnahmenpaket zur Partizipation von DPOs

Zur Gewährleistung von Partizipation nach dem Verständnis der UN-BRK wird vom Autor deshalb ein Maßnahmenpaket vorgeschlagen. In diesen zehn Maßnahmen wird der Schwerpunkt auf die Ausgestaltung der politischen Partizipation von Selbstvertretungs-Organisationen (Disabled Persons Organizations – DPOs) gelegt, da diese nach Artikel 4 Abs. 3 UN-BRK besonders angesprochen werden. Doch wer sind solche DPOs? 

Unter DPOs versteht der CRPD-Fach­ausschuss „disabled persons organizations, to be those comprised by a majority of persons with disabilities – at least half of its membership – governed, led and directed by persons with disabilities“[13] (Übersetzung des Autors: Selbstvertretungs-Organisationen behinderter Menschen sind solche, deren Mitgliedschaft mindestens zur Hälfte aus behinderten Menschen besteht und die von Menschen mit Behinderungen verwaltet, geführt und gelenkt werden.) Damit legt sich der Ausschuss eindeutig fest, wenn er zusätzlich feststellt „given particular value to the efforts to contributing with the Committee’s work by organizations representing persons with disabilities, including organizations representing women and children with disabilities“; (Übersetzung des Autors: ein besonderer Wert kommt den Bemühungen zu, die Arbeit des Ausschusses zu unterstützen, wenn sie von Organisationen stammen, die Menschen mit Behinderungen, einschließlich der Organisationen, die Frauen und Kinder mit Behinderungen repräsentieren). Alle anderen Verbände, also die Nicht-DPOs, werden unter „Civil Society Organizations“ gefasst, auch als NGOs (Non Govermental Organizations) oder NROs (Nicht-Regierungs-Organisationen) bezeichnet.

1. Maßnahme 1: Ergänzung Behinder­tengleichstellungsgesetz (BGG)

Im BGG wird ein neuer Abschnitt 5 mit den §§ 16 ff „Politische Partizipation und Interessenvertretung“ eingefügt. Darin enthalten ist auch ein Paragraph zu einer Verordnungsermächtigung für eine „Partizipationsverordnung“ gemäß Artikel 4 Abs. 3 UN-BRK.

2. Maßnahme 2: Erstellung einer Partizipationsverordnung

In einer Partizipationsverordnung sind die Einzelheiten dieser Mitwirkung zu regeln. Zur finanziellen Ressourcenabsicherung ist in der Partizipationsverordnung eine Fördergrundlage für Selbstvertretungs-Organisa­tionen (DPOs) zu schaffen.

3. Maßnahme 3: Änderungen in den Landesgleichstellungsgesetzen

Die Landesgleichstellungsgesetze der Länder (LGGs) sind entsprechend der Maßnahmen 1 und 2 zu ergänzen.

4. Maßnahme 4: Überarbeitung der Patientenbeteiligungsverordnung und Pflegebeteiligungsverordnung

Diese beiden Verordnungen sind durch die darin aufgeführten Organisationen und Gremien zu überprüfen und im Sinne einer umfassenden Partizipation zu ändern. Dies betrifft in erster Linie das – bislang nicht gewährte und durchaus kontrovers diskutierte – Stimmrecht im Gemeinsamen Bundesausschuss[14].

5. Maßnahme 5: Überarbeitung der Selbsthilfeförderung

Die Regelungen zur Selbsthilfeförderung im § 20c SGB V, im § 29 SGB IX sowie im § 45d SGB XI müssen BRK-konform erneuert werden. Ebenfalls müssen die Gemeinsamen Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Rehabilitation (BAR)[15] entsprechend geändert werden.

6. Maßnahme 6: Stärkung der Mitwirkungsrechte

Die Rechte der Schwerbehindertenvertretung müssen gestärkt werden.[16] Die Heimmitwirkungsverordnung und die Werkstätten­mitwirkungsverordnung müssen von den Heim- und Werkstattbeiräten auf die Vereinbarkeit mit der UN-BRK geprüft und gegebenenfalls geändert werden.

7. Maßnahme 7: Gemeinsame Erarbeitung von geeigneten Standards, Mitentscheidungs­formaten, Verfahrensordnungen zur Transparenz von Prozessen und Verantwortlichkeiten

Es sind kreative Formate (etwa in Zukunftswerkstätten) zur Erarbeitung und Diskussion von Partizipations-Standards zu organisieren. Dabei geht es um Formen der individuellen Partizipation beziehungsweise der Partizipation für Organisationen oder Mischformen.

8. Maßnahme 8: Innerverbandliche Maßnahmen – Menschen mit Behinderungen

Eine umfassende Neuausrichtung der Verbändelandschaft von Menschen mit Behinderungen ist unter Berücksichtigung der Vielfalt der Verbände zu prüfen. Zu prüfen ist unter anderem auch die Einbindung nicht organisierter Menschen mit Behinderungen. – Als Maßnahmen der innerverbandlichen Weiterbildungen sind flächendeckend Trainings zum politischen Empowerment anzubieten.

9. Maßnahme 9: Kinder mit Behinderungen

Es sind Strategien zu entwickeln, mit denen Kinder mit Behinderungen nach den Artikeln 4 Abs. 3 sowie dem Artikel 7 der UN-BRK und dem Artikel 23 der Kinderrechtskonvention ihre eigenen Organisationen und Partizipationsformate begründen können.

10. Maßnahme 10: Qualitätssicherung in der Partizipation

Für eine diskriminierungsfreie Partizipation auf Augenhöhe sind die Konzepte von Ableismus[17], Geschlechtergerechtigkeit[18] sowie von Intersektionalität/ Mehrfachdiskriminierung[19] zu berücksichtigen. An handwerklichen Fähigkeiten sind Kenntnisse der ModerationsMethode[20], der Gewaltfreien Kommunikation (GFK)[21] sowie einer erfolgreichen Feedback-Kultur hilfreich.

VII. Empowerment als Schlüssel zur Partizipation

Wie bereits in Maßnahme 8 angesprochen, ist das Konzept des Empowerment ein wesentlicher Schlüssel zur erfolgreichen Umsetzung von Partizipation. Da gerade der Empowerment-Begriff schillernd daherkommt, sei er an dieser Stelle zur Verdeutlichung kurz umrissen: Im Rahmen einer Jahresversammlung der American Psychological Association hielt der amerikanische Gemeindepsychologe Julian Rappaport 1980 eine Rede, die als Grundlegung des modernen Empowerment-Ansatzes für die Arbeit in Sozial-Zusammenhängen gilt und die für den hier angesprochenen Bereich der Partizipation wesentliche Aspekte auffaltet: Rappaport kritisierte in seiner Ansprache den „Defizit“-Ansatz der professionellen Helfer*innen in der amerikanischen Public Health Arbeit, die von der „Bedürftigkeit“ der Betroffenen (behinderte Menschen, psychisch kranke Menschen, etc.) ausging und sie „fürsorglich“ in einer bevormundenden Perspektive, quasi wie „Kinder“ behandelte und mehr oder weniger gut „versorgt“ hat. Er wandte sich aber gegen ein einfaches, entgegengesetztes Modell der „Anwaltschaft“ (im Original „Advocacy“), bei dem wiederum die professionellen Helfer*innen die „Expert*innen“ sind und zu wissen glauben, dass nur die „vollen Bürgerrechte“ das Beste für ihr Klientel seien. Die Bedürftigkeiten der Betroffenen spielten in diesem Konzept keinerlei Rolle mehr. Jedoch „Rechte ohne Ressourcen zu besitzen, ist ein grausamer Scherz“, sagte Rappaport[22].    

Rappaport plädiert demzufolge für ein Modell des „Empowerment“, das vom Vorhandensein vieler Fähigkeiten bei den Menschen ausgeht und angebliche Defizite als Ergebnis defizitärer sozialer Strukturen und mangelnder Ressourcen sieht. „Offen gesagt“, so Rappaport, „meine ich, dass es sich um ´empowerment` bei all den Programmen und politischen Maßnahmen handelt, die es den Leuten möglich machen, die Ressourcen, die ihr Leben betreffen, zu erhalten und zu kontrollieren.“[23] In der aktuellen Umsetzung des Empowerment-Ansatzes in Deutschland werden in der Regel drei unterschiedliche Ebenen des „Empowerments“ genannt:[24]

  1. die individuelle Ebene (unterstützt durch Beratung und Trainings)
  2. die Gruppenebene (in Selbsthilfegruppen)
  3. die institutionelle Ebene (Beteiligung von Bürger*innen, Verbänden)

Auf allen drei Ebenen sind deshalb umfassende Ressourcen erforderlich, die Empowerment-Prozesse und damit die Voraussetzungen für eine gelingende Partizipation erst möglich machen.

VIII. Ressourcen zum „Capacity Building“

Um DPOs zu einer gelingenden „Entscheidungsteilhabe“ zu befähigen, müssen Ressourcen zum „Capacity Building“[25] bereitgestellt werden. In erster Linie scheinen damit finanzielle Ressourcen gemeint zu sein. Ohne diese geht in der Regel natürlich nichts – Partizipation benötigt dringend Finanzen. Ergänzt werden müssen die Finanzen jedoch durch die Ressourcen „Zeit“ (ist ausreichend Zeit für eine Vorbereitung, Mitwirkung und Nacharbeit vorhanden?), „Personal“ (gibt es genügend hauptamtlich arbeitende Personen, die die Mitwirkung mitgestalten?), „Fachkompetenz“ (sind diese Personen inhaltlich so qualifiziert, dass sie fachlich auf Augenhöhe mitwirken können?) und „Barrierefreiheit/angemessene Vorkehrungen“ (sind die Rahmenbedingungen so gestaltet, dass eine barrierefreie Mitwirkung überhaupt möglich ist?).   

Vor allem die Garantie von umfassender Barrierefreiheit ist eine entscheidende Ressource zur Partizipation behinderter Menschen. Sie ist nicht auf die rein physische Zugänglichkeit begrenzt, oder Gebärdensprach- oder Schriftdolmetschung, sondern umfasst beispielsweise auch die Bereitstellung von Sitzungsunterlagen in elektronischer Form oder in Braille oder einen Vortrag in Leichter Sprache. Ferner sind die Bereitstellung nötiger Hilfsmittel oder erforderlicher Assistenzen[26] zu berücksichtigen, inklusive einer Kinderbetreuung für Eltern mit Behinderungen. Zur Ressource von barriere­freien Veranstaltungen existieren erfreulicherweise bereits eine Menge Handreichungen[27] für barrierefreie Events oder die e-Partizipation – in der Praxis scheitert es aber häufig schon an fehlenden Räumlichkeiten für den physischen Zugang. Deshalb muss die Ressource Barrierefreiheit auch in den zu erstellenden Geschäfts- oder Verfahrensordnungen umfassend verankert sein.

IX. Fazit

„Partizipation“ ist ein Kernprinzip für eine gelingende Umsetzung der UN-Behinderten­rechtskonvention. Bislang wird dieses Querschnittsanliegen in seiner Bedeutung unterschätzt. Um zum Erfolg zu kommen, bedarf es noch erheblicher Anstrengungen aller Beteiligten. Der gerade stattfindende breite Beteiligungsprozess zum BTHG kann ein erster wichtiger Beitrag dabei sein.

Zum Autor:

H.- Günter Heiden (M.A.), Jahrgang 1953, lebt in Berlin und arbeitet als freiberuflicher Publizist. Seine Themenschwerpunkte sind: Menschenrechte, gesetzliche Gleichstellung, internationale Behindertenpolitik, Selbstvertretung von Menschen mit Lernschwierigkeiten, barrierefreies Naturerleben. Im Jahr 1990 hat er den „Inititiativkreis Gleichstellung Behinderter“ mit gegründet und 1993 die Anhörung der Behindertenverbände vor der Verfassungskommission koordiniert. Aktuell (2012–2015) ist er für das NETZWERK ARTIKEL 3 e. V. Koordinator der BRK-Allianz.

Fußnoten:

[1] Dieser Diskussionsbeitrag ist die bearbeitete und gekürzte Fassung einer gleichnamigen Handreichung, die der Autor im Juni 2014 für das NETZWERK ARTIKEL 3 – Verein für Gleichstellung und Menschenrechte Behinderter e. V. verfasst hat; diese Publikation liegt in einer barrierefreien PDF-Datei unter www.netzwerk-artikel-3.de vor.

[2] Vgl. www.gemeinsam-einfach-machen.de/BRK/DE/StdS/Bundesteilhabegesetz/bundesteilhabegesetz_node.html (Stand: 23. November 2014).

[3] Hirschberg, Marianne, Partizipation – ein Querschnittsanliegen der UN-Behindertenrechts­konvention, Positionen der Monitoring-Stelle 3/2010, Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.), Berlin, Dezember 2010.

[4] www.bpb.de/nachschlagen/lexika/politiklexikon/17998/partizipation (Stand: 23. November 2014)

[5] www.partizipative-qualitaetsentwicklung.de/partizipation.html (Stand: 23. November 2014)

[6] Hartung, Partizipation – wichtig für die individuelle Gesundheit? Auf der Suche nach Erklärungsmodellen, in: Rosenbrock/Hartung (Hrsg.), Handbuch Partizipation und Gesundheit, 2012.

[7] Vgl. Arbter, Öffentlichkeitsbeteiligung ja, aber wie? Standards für qualitätsvolle Beteiligungs­prozesse, Tagungsband der International Conference for Electronic Democracy, 29–30 September 2008, Krems.

[8] Vgl. dazu www.partizipation.at/standards_oeb.html (Stand: 23. November 2014).

[9] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS), Handbuch für eine gute Bürgerbeteiligung, 2012.

[10] Arnstein, A Ladder of Citizen Participation, JAIP, Vol. 35, No. 4, July 1969, pp. 216–224.

[11] lithgow-schmidt.dk/sherry-arnstein/ladder-of-citizen-participation.html (Stand: 23. November 2014)

[12] Vgl. dazu Wright/Block/von Unger, Stufen der Partizipation in der Gesundheitsförderung: Ein Modell zur Beurteilung von Beteiligung, Infodienst für Gesundheitsförderung, 3/2007, S. 4-5; Wright/Block/Unger, Partizipation in der Zusam­menarbeit zwischen Zielgruppe, Projekt und Geldgeber/in, in: Wright, Partizipative Qualitäts­entwicklung in der Gesundheits­förderung und Prävention, 2010, S. 75–92.

[13] Vgl. CRPD/C/11/2, Annex II: Guidelines on the Participation of Disabled Persons Organizations (DPOs) and Civil Society Organizations in the work of the Committee, Geneva 2014.

[14] Vgl. etwa www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/berufspolitik/article/531454/einfluss-patienten-gba.html (Stand: 23. November 2014).

[15] Vgl. dazu www.bar-frankfurt.de/46.html (Stand: 23. November 2014).

[16] Vgl. dazu das Positionspapier des Fachausschusses unter www.behindertenbeauftragte.de/gzb/DokumenteKoordinierungsstelle/Downloads/Beirat/20130603_PosPapierSchwbvertretung.pdf oder www.schwbv.de/pdf/Resolution_10-Jahre-BEM.pdf (Stand: 23. November 2014).

[17] Vgl. www.genderinstitut-bremen.de/glossar/ableismus.html (Stand: 23. November 2014).

[18] Vgl. www.bpb.de/apuz/26759/geschlechtergerechtigkeit-gender (Stand: 23. November 2014).

[19] Vgl. www.bpb.de/apuz/130420/intersektionalitaet-e-t-nach-hause-telefonieren (Stand: 23. November 2014).

[20] Vgl. www.buergergesellschaft.de (Stand: 23. November 2014).

[21] Vgl. www.fachverband-gfk.org (Stand: 23. November 2014).

[22] Vgl. Rappaport, Ein Plädoyer für Widersprüchlichkeit, Ein sozialpolitisches Konzept von ‚empowerment‘ anstelle präventiver Ansätze, in: Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis 2/1985, S. 257–285 (268).

[23] Ebd. S. 272

[24] Vgl. Herriger, Empowerment in der sozialen Arbeit, Eine Einführung, 2. Auflage 2002, S 83.

[25] In der UN-BRK wird dieser Begriff in Artikel 32 im Zusammenhang der Entwicklungs­zusammenarbeit angesprochen. In Deutschland bedürfen viele DPOs nach Ansicht des Autors jedoch auch umfassende Maßnahmen zum „Capacity Building“.

[26] Vgl. dazu auch Reiser blog.nonprofits-vernetzt.de/index.php/burger-statt-klienten-mehr-mitbestimmung-fur-behinderte-menschen/ (Stand: 23. November 2014).

[27] Vgl. dazu www.barrierefreiheit.de/veröffentlichungen.html (Stand: 23. November 2014).


Stichwörter:

Empowerment, Partizipation, Beteiligungsrechte, Beteiligungsrechte von Verbänden, Gesellschaftliche Teilhabe, Teilhaberecht, Reform der Eingliederungshilfe, Selbsthilfe, Selbstvertretungsorganisationen


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