14.06.2018 A: Sozialrecht Wörmann: Beitrag A10-2018

Inklusionsunternehmen als andere Leistungsanbieter

Der Autor Daniel Wörmann fasst in diesem Beitrag wesentliche Ergebnisse eines Projekts des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) zusammen, das in der Zeit vom 1.Juni 2017 bis 30. November 2017 durchgeführt wurde und in dem speziell Chancen und Risiken von Inklusionsunternehmen als andere Leistungsanbieter (§ 60 SGB IX) untersucht wurden. Daneben widmet sich der Beitrag auch allgemeinen Rahmenbedingungen für den Erfolg anderer Leistungsanbieter (§ 60 SGB IX).

Als Chancen stellten sich zunächst u. a. Einzelarbeitsplatzintegration als Möglichkeit zur inklusiven Beschäftigung und die Weiterentwicklung der Angebotslandschaft des Arbeitsmarktes heraus. Risiken seien beispielsweise Probleme bei der Anrechenbarkeit auf die Ausgleichsabgabe, die Blockierung von kleineren Anbietern sowie die Schaffung eines neuen Marktes ohne mehr Übergangschancen.

Sodann werden Personenzentrierung, Partnerschaftliche Zusammenarbeit und Persönliche Beratung als die drei Prioritäten der Anforderungen an Inklusionsunternehmen benannt.     

(Zitiervorschlag: Wörmann: Inklusionsunternehmen als andere Leistungsanbieter; Beitrag A10-2018 unter www.reha-recht.de; 14.06.2018)

I. Einleitung

Mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) hat der Gesetzgeber umfassende Neuregelungen der Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben auf den Weg gebracht. Eine wesentliche Änderung ist die Einführung von anderen Leistungsanbietern als neuer Leistungstatbestand. Bisher besteht für Menschen mit Behinderungen, die nicht, noch nicht oder noch nicht wieder in der Lage sind, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden zu können, die Chance, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) in Anspruch zu nehmen. Ein betrieblicher Einsatz außerhalb der WfbM kann bisher nur über einen betriebsintegrierten Arbeitsplatz (BiAp) oder eine ausgelagerte WfbM-Gruppe erfolgen. In beiden Fällen behalten die Beschäftigten ihren WfbM-Status bei und werden weiter über die WfbM begleitet und unterstützt. Seit dem 1. Januar 2018 besteht die Möglichkeit, die bisher von der WfbM erbrachten Leistungen auch bei einem anderen Leistungsanbieter gemäß § 60 SGB IX in Anspruch zu nehmen. Welche Unternehmen dies sein können, hat der Gesetzgeber nicht näher geregelt. Im Rahmen eines Projekts des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) wurde untersucht, welche Chancen und Risiken einhergehen, wenn Inklusionsunternehmen andere Leistungsanbieter werden. Ferner wurde untersucht, welche Rahmenbedingungen notwendig sind, damit andere Leistungsanbieter erfolgreich sein können.

II. Untersuchungsdesign

Das Projekt wurde vom 1. Juni 2017 bis 30. November 2017 durchgeführt. Das Projektende lag damit vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung am 1. Januar 2018. Es bestand die Herausforderung, einen Leistungstatbestand zu untersuchen, den es zum Zeitpunkt der Untersuchung noch gar nicht gab. Die Situation erforderte, das Untersuchungsdesign und die Forschungsmethode so zu gestalten, dass sie der Komplexität des untersuchten Gegenstandes gerecht werden. Um flexibel auf einzelne Aspekte einzugehen und Zusammenhänge aufzuzeigen, wurden teilstandardisierte qualitative Experteninterviews geführt. In Anlehnung an sozialwissenschaftliche Netzwerkanalysen wurden Interviews auf drei Ebenen durchgeführt: Mikro-, Meso- und Makroebene.

Mikroebene: Betrachtung von beschäftigten Personen auf BiAp in Unternehmen. Experten in diesem Sinne waren Beschäftigte auf BiAp sowie Akteurinnen und Akteure, die Beschäftigte begleiten und deren Situation/Werdegang einschätzen können. Der Fokus der Interviews lag bei individuellen Anforderungen der Leistungsberechtigten an die Leistungserbringung. Es wurden sechs Fälle identifiziert und 30 Interviews mit insgesamt 35 beteiligten Personen geführt.

Mesoebene: Auf organisationaler Ebene wurden Unternehmen betrachtet. Experten in diesem Sinne waren Vertretungen von Inklusionsunternehmen, die Interesse haben, als anderer Leistungsanbieter aktiv zu werden. Der Fokus der Interviews lag auf den Rahmenbedingungen für Unternehmen. Es wurden drei Integrationsunternehmen identifiziert und mit acht Expertinnen und Experten zehn Interviews geführt.

Makroebene: Auf interorganisationaler Ebene wurde das Zusammenspiel verschiedener Akteure betrachtet. Experten in diesem Sinne waren Akteurinnen und Akteure, die die Gesamtsituation um das Thema andere Leistungsanbieter bewerten können und/oder im Bereich der Beschäftigung und Unterstützung der Zielgruppenmitarbeitenden tätig sind. In den Interviews wurden Einschätzungen zu Rahmenbedingungen erfragt und diskutiert. Es wurden drei Interviews mit drei Akteuren geführt.

III. Chancen und Risiken

Inklusionsunternehmen sind mit ihrer Ausrichtung, sozialen Verantwortung und Expertise in der Betreuung, Unterstützung und Begleitung von Menschen mit Behinderungen gut aufgestellt, um auch den Anforderungen an andere Leistungsanbieter gerecht zu werden. In Bezug auf neue Herausforderungen sehen interviewte Vertreterinnen und Vertreter von Inklusionsunternehmen gute Anknüpfungspunkte und handhaben die bisher unklaren Anforderungen pragmatisch: „Wir sehen uns gut aufgestellt (…) Wenn wir noch mehr Know-how brauchen, dann müssen wir es einkaufen oder unsere Mitarbeitenden vorbereiten, ist doch ganz klar. Haben wir doch auf dem Weg zum Inklusionsunternehmen auch gemacht“.[1]

Die untersuchten Inklusionsunternehmen kennen die Herausforderungen in Bezug auf die Gestaltung eines inklusiven Arbeitsmarkts und haben sowohl erste Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der Zielgruppe (Betreuung von Praktikanten aus Förderschulen, Beschäftigung von WfbM-Mitarbeitenden auf BiAp) als auch eine grobe Vorstellung von einem möglichen Einsatz auf Nischenarbeitsplätzen. Nachfolgende Chancen wurden identifiziert: Weiterentwicklung der Angebotslandschaft, Einzelarbeitsplatzintegration als Möglichkeit zur inklusiven Beschäftigung, Schaffung von Übergängen in Inklusionsunternehmen. Im Projektverlauf sind folgende potenzielle Risikofaktoren identifiziert worden: Mangelnde Anbindung an das Hilfesystem, Probleme bei der Anrechenbarkeit auf die Ausgleichsabgabe, Blockierung von kleineren Anbietern, Schaffung eines neuen Markts ohne mehr Übergangschancen, Creaming-Effekt.

1. Chancen

Die größte Chance bei der Zulassung von Inklusionsunternehmen als andere Leistungsanbieter besteht in der Weiterentwicklung des Arbeitsmarkts:

„Je mehr Anbieter es gibt und je bunter die Angebotsvielfalt ist, desto individueller kann Hilfe werden. Deshalb sind andere Anbieter an sich schon jetzt wertvoll.“[2] Die „Monopolstellung“ der WfbM wird aufgebrochen und es entsteht mehr Wettbewerb.

Durch die mögliche Schaffung von individuellen Angeboten für Menschen, die nichts mit der WfbM zu tun haben wollen, entsteht mit dem neuen Leistungstatbestand eine neue Chance für Teilhabe. Die Bildungsvielfalt steigt und Angebote können „arbeitsmarktnäher“ in speziellen Nischen stattfinden. Untersuchte Unternehmen im Rheinland zeigen großes kreatives Potenzial und beweisen, dass dies an sehr vielen Stellen denkbar ist. Exemplarisch verdeutlicht dies ein potenzieller Leistungserbringer, der BiAp anbietet und die Tätigkeitsfelder dazu personenzentriert anpasst: „Wir haben das Arbeitsfeld neu geschaffen und ihn auch so eingesetzt, dass seine Behinderung ihm dennoch ermöglicht, mitzuarbeiten. Da er Schwierigkeiten hat, sich an einen festen Rhythmus zu halten, macht er jetzt mehr Pausen. Er hat auch einen separaten Dienstplan. Letztlich arbeitet er in einem „normalen“ Arbeitsfeld, aber vollkommen losgelöst von anderen. Wenn wir ihm diese Anpassung nicht ermöglicht hätten, wäre er hier gescheitert.“[3]

Gelingt es, Menschen in Nischen dieser Art zu beschäftigen und gleichzeitig eine Einzelarbeitsplatzlösung, außerhalb von Gruppenbeschäftigung, im betrieblichen Alltag zu realisieren, entstehen neue inklusive Beschäftigungsformen. Diese stellen in der Regel eine Win-Win-Situation dar: Die Beschäftigten werden durch ihre Arbeit wertgeschätzt und erhalten viel Zuspruch, die Unternehmen entlasten ihre Mitarbeitenden. Da die Beschäftigungslösungen inklusiv sind, entsteht für alle Beschäftigten die Chance, auf dem direkten Wege Erfahrungen auf dem ersten Arbeitsmarkt zu machen, die Belastung zu erproben und final auch auf den ersten Arbeitsmarkt zu wechseln. Inklusionsunternehmen als andere Leistungsanbieter können dabei eine Brücke von heutigen „WfbM-Leistungen“ in das Inklusionsunternehmen hinein sein und Brüche in den Erwerbsbiografien vermeiden. Konkret wurde dies im Rahmen der Einzelfallanalysen auf Mikroebene:

„Wir hatten zum Beispiel mal eine Dame mit Down-Syndrom hier. Die hat ein Praktikum gemacht. Wir haben zwei Arbeitsfelder ausprobiert, in der Küche und in der Wäscherei. Sie hat dort unterstützende Tätigkeiten übernommen und das hat geklappt. Das ist jemand, den wir uns grundsätzlich richtig gut vorstellen können. Sie ist nicht so fit wie die anderen [Zielgruppenmitarbeitende im Inklusionsunternehmen] und hat Einschränkungen, klar. Aber für die Werkstatt ist sie auch zu stark und da will sie auch nicht hin (...) Sie ist dann in die Werkstatt, war aber ganz unglücklich dort, ist dann krank geworden und hat gesagt, sie sei dort unterfordert. Jetzt geben wir ihr mit einem Langzeitpraktikum noch einmal die Chance bei uns. Vielleicht auch mit Hinblick auf das Integrationsunternehmen. Aber wenn es da nicht reicht, können wir sie nicht einstellen.“[4]

Hier können Inklusionsunternehmen als andere Leistungsanbieter ansetzen und ein konsekutives Rehabilitationsangebot schaffen.

„Die Übergänge müssen fließend sein, da sehe ich Integrationsunternehmen oder Dienstleister wie XY [Inklusionsunternehmen im Rheinland, welches bereits vor dem 01.01.2018 Leistungen analog zum neuen Leistungstatbestand angeboten hat] weit vorne. Denen ist es ja egal, ob die Menschen auf WfbM-Status beschäftigt werden oder bei besserer Leistung in das Integrationsunternehmen gehen.“[5]

Gelingt der Übergang in das Inklusionsunternehmen nicht, bietet ein anderer Leistungsanbieter auch eine Inklusive Beschäftigung, die für den Menschen einen nicht zu unterschätzenden Mehrwert bietet. „Reha bleibt natürlich das Ziel, auch der Schritt auf den ersten Arbeitsmarkt über 500+ [Teil des LVR-Budgets für Arbeit – Aktion Inklusion[6]], aber ob es alle schaffen, da bin ich mir nicht sicher. Dauerhafte Beschäftigung hat ja auch einen Wert.“[7]

2. Risiken

Andere Leistungsanbieter müssen gut an das Hilfesystem und die bestehenden Netzwerke angebunden werden. Gelingt dies nicht, bleiben andere Leistungsanbieter unbekannt und es wird sich niemand für eine inklusive Beschäftigung dieser Art entscheiden.

„Es braucht definitiv eine Vernetzung, anderenfalls haben Sie das Problem, dass niemand weiß, wie die anderen Anbieter ticken. Das ist vor allem deshalb wichtig, weil die anderen Anbieter – ich sage mal – volllaufen. Irgendwann sind die einigen wenigen Plätze da ja besetzt. Aber das Angebot muss ja trotzdem Akteuren bekannt sein. Für Menschen, die irgendwann neu dazukommen.“[8]

Nur bei einer Anbindung an das Hilfe- und Unterstützungssystem können auch beratende Stellen unterstützen und vermitteln.

„Wenn die anderen Anbieter nicht bekannt sind, wird es schwierig. Dann lässt sich auch keiner auf das Konstrukt ein. Und ich kann dann nicht dahingehend beraten, weil ich sie auch nicht kenne.“[9]

Ein weiteres Problem ist die Anrechenbarkeit auf die Ausgleichsabgabe. Andere Leistungsanbieter sind grundsätzlich mit Werkstätten gleichgestellt, dies regelt § 60 Abs. 2 SGB IX.[10] Wird von einer vollkommenen Gleichstellung ausgegangen, würde dies auch für die Anrechenbarkeit von Leistungen der anderen Leistungsanbieter auf die Ausgleichsabgabe gelten.[11] § 223 SGB IX verweist explizit auf „anerkannte Werkstätten für behinderte Menschen“. Dies bedeutet in der Praxis, dass Personalaufwendungen für einen berufsintegrierten Arbeitsplatz oder auf dem Markt eingekaufte Leistungen abzugsfähig sind, wenn sie von einer WfbM erbracht werden, aber nicht, wenn sie von einem anderen Leistungsanbieter erbracht werden. Aus Sicht von Inklusionsunternehmen als andere Leistungsanbieter ist das eine falsche Entwicklung. Statt der dringend gebotenen nachdrücklichen Inklusionsorientierung des allgemeinen Arbeitsmarktes und der Entflechtung der starken Werkstattpositionen besteht die Gefahr, dass es diesbezüglich zu einer unveränderten Starrheit kommt. Der Gesetzgeber will auf der einen Seite mehr Wettbewerb und mehr Inklusion durch andere Leistungsanbieter, unterscheidet hinsichtlich § 223 SGB IX, jedoch weiterhin zwischen anderen Leistungsanbietern und WfbM. Dies konterkariert die Inklusionsbemühungen und die Forderungen aus der abschließenden Bemerkungen über den ersten Staatenbericht zur Umsetzung der UN-BRK. Insbesondere dann, wenn andere Leistungsanbieter mit Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarkts kooperieren und wirtschaftliche Beziehungen zu anderen Unternehmen eingehen.[12]

Weiterer Risikofaktor ist die Blockierung von kleineren Anbietern. Andere Leistungsanbieter können Leistungen individualisieren, flexibilisieren und Lösungen für einzelne Menschen schaffen. Dies wird nicht gelingen, wenn die Hürden für andere Leistungsanbieter in der Leistungs- und Prüfungsvereinbarung (LPV) der Kostenträger zu hoch angelegt werden. Für kleinere Einrichtungen besteht die Gefahr, dass die Investitionen für die Schaffung eines einzelnen Angebots in keinem Verhältnis mit dem zu erwartenden Nutzen stehen könnten. Im Sinne der Inklusion wäre dies fatal, da gerade Einzelfalllösungen viel Potential bieten. An dieser Stelle besteht eine zentrale Steuerungsmöglichkeit für die Kostenträger. Ein möglicher Weg im Umgang mit diesem Sachverhalt ist die Modularisierung von Leistungen. Auch hat das Projekt gezeigt, dass die Gefahr besteht, dass ein neuer Markt ohne Übergangschancen entsteht und die Unternehmen ausschließlich leistungsstarke Menschen mit Behinderungen beschäftigen könnten. Es ist in diesem Zusammenhang nur ein Problem, dass die Unternehmen auf günstige Arbeitskräfte zurückgreifen. Ein weiteres sind die (Nischenarbeitsplatz)Stellen als solche. Oft schaffen die Unternehmen Stellen, aus denen – selbst bei guter Leistung – keine Planstellen entstehen können. Gibt es keine Passung zwischen Tätigkeit und realen Anforderungen, erledigen die Beschäftigten zwar wertvolle unterstützende Arbeiten, eine Übernahme auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wird aber nicht gelingen. In der Praxis wird es darum gehen, Maßnahmen zu treffen, die ein Ausnutzen des arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnisses der WfbM oder eines anderen Leistungsanbieters erschweren und Perspektiven für die Menschen aufzuzeigen.

IV. Anforderungsmodell

„Was braucht es, damit andere Leistungsanbieter erfolgreich sein können?“ Die Beantwortung der zweiten Forschungsfrage zeigt, dass die Anforderungen der im Rheinland angesiedelten Inklusionsunternehmen in drei Prioritäten („3P“) geclustert werden können. Die drei Prioritäten werden als „Anforderungsmodell“ bezeichnet und nachfolgend erläutert.

1. Erste Priorität: Personenzentrierung

Personenzentrierung ist der wohl wichtigste Aspekt im neuen Leistungstatbestand. Bereits in der öffentlichen Diskussion wurden andere Leistungsanbieter vielfach als Entwicklungschance für ein Mehr an individueller, passgenauer Teilhabe am Arbeitsleben gelobt. „Personenzentrierung“ als Schlagwort ist dabei nicht ausreichend, es braucht auch Strukturen, in denen diese Entwicklungsperspektive praktisch umgesetzt wird. Personenzentrierung im Sinne des Leistungstatbestands muss sowohl auf Ebene des Kostenträgers als auch auf Ebene des Leistungserbringers umgesetzt werden. Als vorteilhaft hat sich in der Praxis ein Dreischritt gezeigt, der ursprünglich aus der „Unterstützten Beschäftigung“ (UB) stammt: „Identifizieren – platzieren – qualifizieren“.

„Normalerweise findet im Arbeitsmarkt – auch ideologisch – die Überlegung ‚first train then place‘ statt. Wir machen aber ‚first place then train‘. Die Logik der UB übertragen wir also auf unser Tun insgesamt.“[13]

Identifizierung meint die Feststellung des individuellen Bedarfes in Teil- und Gesamtplanverfahren, die Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts und die Gestaltung der Arbeitsumgebung in Bezug auf den Beschäftigten. Damit verbunden ist auch eine personenzentrierte Finanzierung auf Basis des individuellen Bedarfs. Der LVR plant, diese für andere Leistungsanbieter bereits zu implementieren.[14] Für die Umsetzung in der Praxis braucht es ein praktisch anwendbares Instrument zur Operationalisierung der individuellen Bedarfe.

„Wir [potenzielle Leistungsanbieter] brauchen Anhaltspunkte für die mögliche Hilfeerbringung. Das wird schwierig, das ist gar nicht so leicht einzuschätzen, da dies ja voraussetzt, dass Sie den Bedarf des Einzelnen in einem Arbeitskontext klar beziffern können. Und das ja bevor er angefangen hat, denn da setzen die Teil- und Gesamtplanverfahren ja an.“[15]

Platzierung meint den Einsatz des Einzelnen in einem Unternehmen entsprechend der Vorgaben. In diesem Zusammenhang ist § 62 SGB IX zu beachten, der entscheidend das Wahlrecht der Menschen mit Behinderung stärkt.

Herausfordernd wird diese, wenn andere Leistungsanbieter mit Vorstellungen konfrontiert werden, die nicht gedeckt werden können:

„Und wenn einer zu Ihnen kommt und sagt, er will Bäcker werden oder er will Maler werden. Was machen Sie dann? Wie gelingt Teilhabe dann? Der andere Anbieter hat ja nur ein Angebot und die WfbM hat vielleicht mehr Arbeitsangebote aber eben keinen Malerbereich. Sie brauchen mehr Träger, die individuelle, personenzentrierte Lösungen suchen.“[16]

Da auch Inklusionsunternehmen – wie WfbM – mit ihren Arbeitsfeldern beschränkt sind, gilt es das Arbeitsangebot der Unternehmen in der Breite zu betrachten.

„Denkbar ist für uns ein Gebilde über unser Integrationsunternehmen hinaus. Als Integrationsunternehmen sind wir im Bereich Gastronomie und Schulverpflegung unterwegs. Und dann kommen Felder dazu, wo wir heute schon mit anderen Zielgruppen, lernbehinderten Menschen Ausbildung ermöglichen. Sei es in einer unserer Radstationen, unseren gastronomischen Bereichen, in der Hauswirtschaft unserer Mädchenwohnheime oder eben dem Bereich offene Ganztagsschule. (...) Und in allen Bereichen ist es vorstellbar, Menschen zu beschäftigen.“[17]

Mit dieser Betrachtungssichtweise nutzen Unternehmen ihr Know-how als Inklusionsunternehmen in der Breite und schaffen es, ein bunteres Feld an Beschäftigungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Diese Kreativität ist in Bezug auf inklusive Arbeitsmöglichkeiten ausgesprochen wünschenswert.

Qualifizierung meint die Art der Leistungserbringung, das Angebot von Arbeitstraining „on-the-job“ und ein Schulungsangebot „off-the-job“. Die Analyse von potenziellen Leistungsanbietern, die bereits vergleichbare Leistungskonstrukte anbieten, zeigt, dass insbesondere ein externes – nicht zum Arbeitsbereich gehörendes – Arbeitstraining sehr erfolgreich sein kann. Durch eine Kombination aus externer Unterstützung und Anleitung am Arbeitsplatz und eigenständigen Arbeitsphasen ohne Anleitung, wird die Eigenständigkeit erhöht und es gibt klare Rollenverteilungen in Bezug auf die/den Arbeitstrainer/in und die Vorgesetzten des Beschäftigten. Kommt es zwischen den Akteuren zu kritischen Situationen, übernimmt die/der Arbeitstrainer/in auch eine „Dolmetscherfunktion“ und vermittelt zwischen beiden.

„Unterschätzen Sie diese Arbeit in das Unternehmen hinein nicht. Es ist verdammt anstrengend, mit dieser Zielgruppe zusammenarbeiten. Das können Sie einen Tag gut aushalten, aber die Menschen sind länger da.“[18]

Diese Art der Qualifizierung fördert individuell, personenzentriert und stellt insbesondere in Wirtschaftsunternehmen eine umsetzungsfähige Konzeption dar.

2. Zweite Priorität: Partnerschaftliche Zusammenarbeit

Die Anforderung „partnerschaftliche Zusammenarbeit“ bezieht sich auf eine Vernetzung aller handelnden Akteure. Wesentliche Faktoren sind: Modularisierung der Leistungen, Schaffung lokaler Netzwerke, Übernahme einer Lotsenfunktion durch den Integrationsfachdienst (IFD)[19] und die Einbindung des Leistungstatbestands in bestehende Strukturen.[20]

Wesentlicher Aspekt ist die modularisierte Leistungserbringung. Bereits mit Veröffentlichung des Referentenentwurfs zum BTHG, setzte in der Fachöffentlichkeit eine Diskussion um die Gefahr einer Absenkung der qualitativ hohen und guten Standards der WfbM für andere Leistungsanbieter ein.

In dieser Diskussion wurde vernachlässigt, dass für kleinere Unternehmen die Gefahr besteht, die hohen Anforderungen nicht erfüllen zu können. Dies ist insbesondere dann kritisch zu bewerten, wenn potenzielle Anbieter die Leistung erbringen könnten, aber bereits im Vorfeld zurückschrecken, da der konzeptionelle Aufwand zur Erstellung einer LPV unverhältnismäßig ist.

Dies gilt insbesondere bei Unternehmen, die für Einzelfälle Lösungen schaffen wollen und sich mit Anforderungen beschäftigen müssen, die im Zweifel keine Relevanz für jenen Leistungsberechtigten haben, welchen sie beschäftigen wollen (bspw. Organisation eines Fahrdiensts nach § 8, Abs. 4 WVO) oder für eine einzelne Person schwer zu realisieren ist (bspw. Durchführung von Fortbildungen in Form von arbeitsbegleitenden Maßnahmen nach § 5, Abs. 3 WVO).

„Gerade, wenn wir an den inklusiven Arbeitsmarkt denken, dann reden wir über die Integration einer Person an einen Ort und nicht - wie bei der WfbM - von einer ganzen Reihe an Personen in verschiedene Bereiche. Außerdem glaube ich nicht, dass der Mensch das im Zweifel alles braucht.“[21]

Um diesen individuellen Lösungen nicht mit einer pauschalen Absenkung qualitativer Standards zu begegnen, bedarf es anderer Lösungen. § 15 WVO regelt, dass „mehrere Werkstätten desselben Trägers oder verschiedener Träger innerhalb eines Einzugsgebietes (…) zur Erfüllung der Aufgaben einer Werkstatt und der an sie gestellten Anforderungen eine Zusammenarbeit vertraglich vereinbaren“[22] können. Dieser Logik folgend, könnten auch verschiedene andere Leistungsanbieter gemeinsam eine Leistung erbringen und in der Summe alle Anforderungen erfüllen.

In der Praxis gibt es bereits Ansätze: Ein Inklusionsunternehmen im Rheinland bietet mit einem Partnerunternehmen der freien Wirtschaft Leistungen an, die als Prototyp für einen anderen Leistungsanbieter bezeichnet werden können. Das Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarkts stellt einen Nischenarbeitsplatz zur Verfügung, das Inklusionsunternehmen begleitet und unterstützt die WfbM-Beschäftigten auf BiAp.

„Inklusion bedeutet auch, ich bewege mich zwischen allen heute schon verfügbaren Qualifizierungs- und Unterstützungsangeboten und bringe sie in einer neuen institutionsübergreifenden und individuell ausgerichteten Form zusammen.“[23]

Wird diese Idee einer institutionsübergreifenden Leistungserbringung weitergedacht, erfordert dies eine Modularisierung von „Werkstattleistungen“.

Zwischen dem LVR und den rheinischen Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege wurde bereits in 2014 eine „Empfehlungsvereinbarung zur Modularisierung der Teilhabeleistungen in rheinischen Werkstätten für Menschen mit Behinderung bei Inanspruchnahme des persönlichen Budgets“ getroffen.[24] Zielsetzung der Regelung ist es, Werkstattbeschäftigten die Möglichkeit zu geben, die bislang ausschließlich durch die WfbM erbrachten Leistungen in Form des Persönlichen Budgets auch außerhalb der Werkstatt in Anspruch zu nehmen. Drei Module können auch durch Anbieter außerhalb der WfbM erbracht werden: „Angebote zum Erwerb spezieller persönlichkeitsfördernder Kompetenzen“, „Maßnahmen zur Förderung des Übergangs auf den allgemeinen Arbeitsmarkt“ sowie die „Beförderungsleistungen“.[25] Werden die Module jetzt um die Leistungen „Berufsbildungsbereich“, „Arbeitsbereich“ sowie „Mittagessenverpflegung“ ergänzt, können Träger gemeinsam den Bedarf des Einzelnen decken. Leistungen, die Träger A nicht abbilden kann oder will, können von Träger B „eingekauft“ werden (bspw. Fahrdienst oder Seminare/Angebote zur Persönlichkeitsentwicklung). 

Ferner entstehen für die Leistungsberechtigten Vorteile:

  • Das Wunsch- und Wahlrecht des Menschen mit Behinderungen wird gestärkt.
  • Die Leistungen werden personenzentrierter erbracht, da der Leistungsberechtigte nicht nur an einen Anbieter gebunden ist.
  • Die Anbieter sind gefordert, den individuellen Bedarf des Menschen zu decken und damit im Zweifel auch Lösungen mit einem Partner zu finden.
  • Es besteht die Chance, Leistungen auch in Form eines Persönlichen Budgets zu erbringen; die einzelne Person kann ihr Unterstützungsarrangement somit selber zusammenzustellen/aktiv daran mitwirken.

Über die Modularisierung können konzeptionelle Anforderungen verringert werden, ohne dass Qualitätsstandards pauschal gesenkt werden.

Gelingt es im zweiten Schritt dann, auf regionaler Ebene lokale Netzwerke zu schaffen, in denen sich andere Leistungsanbieter untereinander kennenlernen und austauschen können, wird eine Grundlage für Kooperation gelegt. Ferner könnten in diesen Netzwerken Akteure wie Schulen, IFD und die Reha-Beratung der Arbeitsagentur eingebunden werden, um mehr Durchlässigkeit im System zu ermöglichen.

3. Dritte Priorität: Persönliche Beratung

Die Frage, ob und inwieweit sich Unternehmen vorstellen können, anderer Leistungsanbieter zu werden, hängt neben den Rahmenbedingungen auch mit einer Beratung und Transparenz seitens der Kostenträger zusammen.

In den Interviews des Projekts wird deutlich, dass es von Seiten der Kostenträger im Wesentlichen zwei Elemente braucht: zum einen eine vertrauensvolle partnerschaftliche Entwicklung potenzieller Anbieter im Sinne einer vertrauensvollen Zusammenarbeit, zum anderen eine gute Form der Öffentlichkeitsarbeit. Beide Aspekte hängen dabei miteinander zusammen.

Ausgangspunkt für die zwei Elemente sind die positiven  Erfahrungen der Inklusionsunternehmen im Rheinland bei ihrer Gründung. Die Unternehmen berichten von einer „fördernden“ und „fordernden“ „vertrauensvollen Zusammenarbeit“.[26] Im LVR-Integrationsamt gibt es eine niedrigschwellige Form der Beratung für jedes interessierte Unternehmen, die in dieser Form durchaus partnerschaftlichen, dienstleistenden Charakter hat.

Die Beratung hat für den Kostenträger den Vorteil, dass eine erste Beurteilung des Vorhabens in Bezug auf Produkte, Dienstleistungen, aber auch Personal- und Finanzierungskonzepte vorgenommen werden kann. Dem Anbieter kann signalisiert werden, ob die Ideen tragfähig sind und worin Weiterentwicklungsnotwendigkeiten bestehen. Diese Art der Beratung kann die Grundlage für ein affirmatives Zugehen im Rahmen der Gründung von anderen Leistungsanbietern sein.

Neben der Beratung braucht es eine gute Form der Öffentlichkeitsarbeit, mutmachende Beispiele aus der betrieblichen Praxis und transparente Förderrichtlinien. Dies steigert das Interesse an dem Leistungstatbestand und fördert auch bei Leistungsberechtigten die Neugier, diesen inklusiven Weg der betrieblichen Teilhabe zu gehen. Eine Leistungsberechtigte dazu:

„Ich wollte schon immer Wäscheexpertin sein. (…) Hier im Krankenhaus geht das. Das ist voll gut. In die Werkstatt will ich auf keinen Fall noch mal. In der Werkstatt arbeiten ist doch langweilig“.[27]

Beitrag von Daniel Wörmann, Landschaftsverband Rheinland (LVR)    

Fußnoten

[1] Interview mit potenziellem Leistungsanbieter auf Mesoebene.

[2] Interview auf Makroebene.

[3] Interview mit potenziellem Leistungsanbieter auf Mikroebene.

[4] Interview mit potenziellem Leistungsanbieter auf Mesoebene.

[5] Interview auf Makroebene.

[6] Vgl dazu: LVR (2018): LVR-Budget für Arbeit – Aktion Inklusion. URL: www.lvr.de/de/nav_main/soziales_1/integrationsamt_2/foerdermoeglichkeiten/budget_fuer_ arbeit_3/budget_fuer_arbeit.jsp, zuletzt abgerufen am: 26.04.2018.

[7] Interview mit potenziellem Leistungsanbieter auf Mesoebene.

[8] Interview auf Makroebene.

[9] Interview auf Makroebene.

[10] Ausnahmen dieser Gleichstellung sind in § 60, Abs.2, Nr. 1-6 SGB IX geregelt.

[11] Grundlegend ist § 140 SGB IX: „Arbeitgeber, die durch Aufträge an anerkannte Werkstätten für behinderte Menschen zur Beschäftigung behinderter Menschen beitragen, können 50 vom Hundert des auf die Arbeitsleistung der Werkstatt entfallenden Rechnungsbetrages solcher Aufträge (Gesamtrechnungsbetrag abzüglich Materialkosten) auf die Ausgleichsabgabe anrechnen. Dabei wird die Arbeitsleistung des Fachpersonals zur Arbeits- und Berufsförderung berücksichtigt, nicht hingegen die Arbeitsleistung sonstiger nichtbehinderter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.“

[12]   Mögliche Lösung ist die Öffnung des § 223 IX für andere Leistungsanbieter. Im Sinne eines inklusiven Arbeitsmarkts wäre es besser, die Regelung abzuschaffen. Dies würde die von der Staatenprüfung bemängelten finanziellen Fehlanreize, für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen, korrigieren. Arbeitgebende würden finanziell verstärkt gefordert, innerhalb ihrer Strukturen einen inklusiven Arbeitsmarkt zu realisieren.

[13] Interview mit potenziellem Anbieter auf Makroebene.

[14] LVR (2011): „Umsetzung des BTHG: Andere Leistungsanbieter“, Drucksache 14/2107, 17.08.2017.

[15] Interview auf Makroebene.

[16] Interview auf Makroebene.

[17] Interview auf Mesoebene.

[18] Interview auf Makroebene.

[19] Die Einbindung des IFD kann analog zur NRW-Landesinitiative "Teilhabe an Arbeit - 1.000 Außenarbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen / Betriebsintegrierte Arbeitsplätze für Werkstattbeschäftigte - als Chance zur Inklusion auf dem Arbeitsmarkt" erfolgen. Vgl. dazu:  transfer – Unternehmen für soziale Innovation: „Teilhabe an Arbeit – 1.000 Außenarbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen. Evaluation der Landesinitiative, Juli 2015. Durch eine Verankerung in den Leistungs- und Prüfungsvereinbarung, kann eine Kooperation zwischen den anderen Leistungsanbietern und den IFD sichergestellt werden. Dieser Aspekt ist ein neuralgischer Punkt. Die Begleitung durch den IFD erfolgt im besten Fall konstant, sodass der IFD den Menschen bereits kennt und von der Schule über einen anderen Leistungsanbieter bis hin zu einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung begleitet. Auch kann der IFD bei einem Ende der Beschäftigung unterstützend eingreifen (bspw. Kündigung oder Insolvenz).

[20] Dies gilt insbesondere in Bezug auf den Übergang von Schule und Beruf. In der Schule muss der Leistungstatbestand „erlebbar“ werden, anderenfalls steht am Ende der Schulzeit im Zweifel die Entscheidung, dass der „sichere“ Weg in die WfbM der Richtige ist. In NRW ist dies im Rahmen von STAR - Schule trifft Arbeitswelt - zur Integration (schwer-) behinderter Jugendlicher möglich. Das Angebot der der nordrhein-westfälischen Integrationsämter setzt drei Jahre vor der Schulentlassung an. Die von den Integrationsämtern beauftragten IFDs bieten Berufswegeplanungen an, führen Potentialanalysen und Berufsfelderkundungen durch, vermitteln betriebliche Praktika und leisten wertvolle Elternarbeit.

[21] Interview mit potenziellem Anbieter auf Makroebene.

[22] Vgl. § 15 WVO.

[23] Interview mit potenziellem Anbieter auf Mesoebene.

[24] Vgl. Anlage zur LVR (2015): „Modularisierung der Werkstattleistungen“, Vorlage 14/383, 10.03.2015.

[25] Vgl. LVR (2015), a. a. O.

[26] Interview mit potenziellem Anbieter auf Mesoebene.

[27] Interview mit Leistungsberechtigtem auf Mikroebene.


Stichwörter:

Andere Leistungsanbieter, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, Inklusionsbetrieb (Integrationsprojekt, Integrationsunternehmen), Bundesteilhabegesetz (BTHG), Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), Ausgleichsabgabe, Inklusion, Personenzentrierte Leistungserbringung


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