12.06.2020 A: Sozialrecht Dittmann: Beitrag A15-2020

Die rehabilitationsrechtliche Genehmigungsfiktion aus wissenschaftlicher, richterlicher und anwaltlicher Sicht –
Neues vom 13. REHA-Rechtstag 2019

Der Autor René Dittmann berichtet in dem vorliegenden Beitrag vom 13. REHA-Rechtstag 2019. und hier im Besonderen über drei Vorträge zum Thema rehabilitationsrechtliche Genehmigungsfiktiongemäß § 18 SGB IX. Die Vorträge beleuchteten diese Neuerung im Teilhaberecht des SGB IX aus Sicht der Wissenschaft sowie aus richterlicher und anwaltlicher Sicht.

(Zitiervorschlag: Dittmann: Die rehabilitationsrechtliche Genehmigungsfiktion aus wissenschaftlicher, richterlicher und anwaltlicher Sicht – Neues vom 13. REHA-Rechtstag 2019; Beitrag A15-2020 unter www.reha-recht.de; 12.06.2020)

I. Einleitung

Auf dem 13. REHA-Rechtstag 2019 wurden aktuelle Entwicklungen und Fragen des Rehabilitationsrechts vorgestellt und diskutiert. Ein Thema der Veranstaltung war die rehabilitationsrechtliche Genehmigungsfiktion in § 18 SGB IX. Die drei dazu gehaltenen Vorträge beleuchteten diese Neuerung im Teilhaberecht des SGB IX[1] aus wissenschaftlicher, richterlicher und anwaltlicher Sicht.

II. Wesentliche Aussagen

Aus wissenschaftlicher Perspektive setzte sich Prof. Dr. Torsten Schaumberg (Fachhochschule Nordhausen) mit der Genehmigungsfiktion des § 18 SGB IX auseinander und kam zu vier Thesen:[2]

  1. Durch die Genehmigungsfiktion erlangen Leistungsberechtigte nicht nur einen Kostenerstattungsanspruch, sondern auch einen Sachleistungsanspruch.
  2. Die fingierte Genehmigung eines Teilhabeleistungsantrags bewirkt einen vollgültigen Verwaltungsakt.
  3. Der Trägerausschluss des § 18 Abs. 7 SGB IX bezieht sich institutionell auf die in der Norm genannten Träger und nicht materiell auf deren Leistungen.
  4. Im Falle des § 15 Abs. 1 SGB IX teilt der „gesplittete“ Antrag das Schicksal des „Hauptantrags“. Ist der leistende Rehabilitationsträger ein Träger der Eingliederungshilfe, der Kinder- und Jugendhilfe oder der Kriegsopferfürsorge, so ist eine Genehmigungsfiktion im Hinblick auf den „gesplitteten“ Antrag selbst dann nicht möglich, wenn der beteiligte Rehabilitationsträger der Genehmigungsfiktion unterliegt.

Dr. Peter Ulrich (Landessozialgericht Sachsen-Anhalt) schloss sich den Auffassungen von Schaumberg an. Insbesondere wies er zur Frage nach einem aus der Genehmigungsfiktion folgenden Sachleistungsanspruch darauf hin, dass es bei den Verfahren zur Genehmigungsfiktion nach dem SGB V (§ 13 Abs. 3a SGB V) überwiegend um Sachleistungsansprüche gehe. Dies müsse der Gesetzgeber, der sich in den Gesetzgebungsmaterialen auf die besagte Rechtsprechung beziehe,[3] im Blick gehabt haben. Die Verneinung eines Sachleistungsanspruchs durch Genehmigungsfiktion würde dem gegenüber bedeuten, dass mit der Genehmigungsfiktion ein Anspruch für nur eine geringe Anzahl von Personen geschaffen würde.

Ansonsten wies Ulrich unter anderem darauf hin, dass der Eintritt einer Genehmigungsfiktion eines fiktionsfähigen Antrags bedürfe, was im Übrigen auch erforderlich sei, um gemäß § 14 Abs. 1 SGB IX zu prüfen, ob eine begehrte Leistung ins Leistungsspektrum des angegangenen Rehabilitationsträgers fällt. Diesbezüglich habe der angegangene Träger eine Hinwirkungspflicht, dass unverzüglich klare und sachdienliche Anträge gestellt und unvollständige Angaben ergänzt werden (§ 16 Abs. 3 SGB I), sodass jeder Berechtigte die ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig erhält, unter der Maßgabe, dass der Zugang zu Leistungen möglichst einfach gestaltet wird (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 und 3 SGB I). Ein fiktionsfähiger Antrag liege in Anknüpfung an § 18 Abs. 5 Nr. 1 und 2 SGB IX vor, wenn eine konkrete Leistung betroffen sei, die vom Antragsteller oder der Antragstellerin subjektiv für erforderlich gehalten werden dürfe und nicht offensichtlich außerhalb des gesetzlichen Leistungskatalogs liege. Auf die Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Leistung komme es damit nicht mehr an.

Die anwaltliche Perspektive vertrat Dr. Oliver Tolmein (Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Hamburg). Er betonte das Umfeld der Genehmigungsfiktion, das häufig durch einen Bezug zu grundrechtsrelevanten Rechten geprägt sei. Außerdem sei daran zu erinnern, dass es den Antragstellern nicht um eine Genehmigungsfiktion gehe, sondern darum, „ihr gutes Recht“ zu bekommen. Dabei könne anwaltliche Beratung von Nutzen sein, z. B. bezüglich der hinreichenden Bestimmtheit eines Rehabilitationsantrags. Bezüglich letzterem weist Tolmein aber darauf hin, dass dies eigentlich erst Gegenstand der Bedarfsermittlung (§ 14 Abs. 2 S. 1 SGB IX) sei.

Eine wichtige Frage aus der Praxis betreffe den Eingang des Antrags, der den Beginn für die Entscheidungsfrist von zwei Monaten setze (§ 18 Abs. 1 SGB IX). Zu klären sei, was als Antrag gelte, wobei die Akteneinsicht eine wichtige Rolle spiele. Im Einzelfall nicht einfach zu beurteilen sei auch die Frage der Mitwirkung nach § 18 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX. Außer wegen fehlender Mitwirkung der Leistungsberechtigten kann die Zweimonatsfrist auch verlängert werden, wenn ein geeigneter Sachverständiger nachweislich nur beschränkt verfügbar ist (§ 18 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 SGB IX) oder soweit ein Sachverständiger nachweislich mehr Zeit (bis zu vier Wochen) zur Begutachtung benötigt (§ 18 Abs. 2 S.2 Nr. 2 SGB IX). Tolmein wirft die Frage auf, was zu tun sei, wenn dieser Zeitraum der Fristverlängerung abgelaufen sei, aber kein Gutachten vorliege und der Antrag zur Vermeidung des Fiktionseintritts vom zuständigen Rehabilitationsträger abgelehnt werde.[4]

Resümierend stellt Tolmein fest, dass es in manchen Fällen tatsächlich leichter sei eine Leistung durch eine Genehmigungsfiktion, statt auf dem ordentlichen Weg zu bekommen. Das könne allerdings nicht als Fehler der Genehmigungsfiktion gesehen werden, sondern liege in der Verantwortung der Verwaltungspraxis.

Beitrag von René Dittmann, LL.M., Universität Kassel

Fußnoten

[1] Eingefügt mit dem Bundesteilhabegesetz vom 29.12.2016, in Kraft seit dem 01.01.2018, BGBl. I, S. 3234.

[2] Mehr dazu: Schaumberg: Kostenerstattung nach Genehmigungsfiktion gem. § 18 Abs. 4 SGB IX.

[3] Bundestags-Drucksache 18/9522, S. 238.

[4] Vgl. SG Dortmund, Urteil vom 08. Mai 2019 – S 49 KR 2287/18 –, juris.


Stichwörter:

REHA-Rechtstag, Genehmigungsfiktion, Rehabilitationsträger, Antragstellung, Frist, Fristbeginn, Verwaltungsvorschriften


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