29.09.2021 A: Sozialrecht Jordan: Beitrag A30-2021

Die verwaltungsrechtliche Abwicklung des Persönlichen Budgets nach § 29 SGB IX durch die Träger der öffentlichen Jugendhilfe – Teil II: Die Zielvereinbarung als Voraussetzung des Persönlichen Budgets

Der Autor, PHDr. Andreas Jordan, befasst sich in dem zweiteiligen Beitrag mit der Frage, wie das Persönliche Budget durch die Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe als zuständige Rehabilitationsträger abzuwickeln ist.

In Beitragsteil II werden verschiedene Rechtsfragen zur Zielvereinbarung gem. § 29 Abs. 4 SGB IX bearbeitet. Dabei widmet er sich den Fragen, welchen Rechtscharakter die Zielvereinbarung hat, ob zum Abschluss einer Zielvereinbarung ein persönliches Erscheinen notwendig ist, wer die daran Beteiligten in der Kinder- und Jugendhilfe sind und ob dazu auch die Eltern gehören. Anschließend geht er auf die Höhe des Persönlichen Budgets ein sowie auf die Fallkonstellation, dass zwischen den Beteiligten kein Einvernehmen bezüglich des Inhalts einer Zielvereinbarung hergestellt wird und unter welchen Voraussetzungen die Zielvereinbarung gekündigt werden kann. Abschließend diskutiert Jordan die Besonderheiten des Persönlichen Budgets in der Kinder- und Jugendhilfe. 

PhDr. Andreas Jordan, LL.M., arbeitet als Sozialjurist beim Landkreis Kassel und ist Lehrbeauftragter an der CVJM-Hochschule Kassel sowie der Universität Kassel.

(Zitiervorschlag: Jordan: Die verwaltungsrechtliche Abwicklung des Persönlichen Budgets nach § 29 SGB IX durch die Träger der öffentlichen Jugendhilfe – Teil II: Die Zielvereinbarung als Voraussetzung des Persönlichen Budgets; Beitrag A30-2021 unter www.reha-recht.de; 29.09.2021)

I. Einleitung

Das Thema dieses zweiteiligen Beitrag ist die verwaltungsrechtliche Abwicklung des Persönlichen Budgets (§ 29 SGB IX), wenn der Antrag bei einem Träger der öffentlichen Jugendhilfe als Rehabilitationsträger gestellt wird. In diesem Teil des Beitrags wird sich mit verschiedenen Fragen zur Zielvereinbarung im Rahmen des Persönlichen Budgets auseinandergesetzt.

II. Abschluss einer Zielvereinbarung

Im zweiten Schritt muss der leistende Rehabilitationsträger mit dem Leistungsberechtigten eine Zielvereinbarung abschließen. Die Zielvereinbarung wird im Rahmen des Bedarfsermittlungsverfahrens für die Dauer des Bewilligungszeitraumes der Leistungen in Form des Persönlichen Budgets abgeschlossen (§ 29 Abs. 4 S. 8 SGB IX) und greift die Regelungen aus § 4 der aufgehobenen Budgetverordnung auf.[1] Die Pflicht zum Abschluss der Zielvereinbarung ist seit dem 1. Januar 2018 keine untergesetzliche Norm mehr. Es besteht nunmehr für alle Beteiligten eine Rechtspflicht zum Abschließen einer Zielvereinbarung.[2] Damit ist klargestellt, dass nicht das Jugendamt die Ausführungsform der Hilfe bestimmt, sondern die Leistungsberechtigten selbst. Die Basis der Zielvereinbarung sind Gespräche zwischen dem Jugendamt und dem Budgetnehmenden. Sinn und Zweck der Zielvereinbarung ist, eine Zweckentfremdung des Persönlichen Budgets zu verhindern.

a) Rechtscharakter der Zielvereinbarung

Klärungsbedürftig ist die Frage, welchen Rechtscharakter die in § 29 Abs. 4 SGB IX normierte Zielvereinbarung hat.

Nach § 29 Abs. 4 SGB IX schließen der Leistungsträger nach Absatz 3 (“leistender Rehabilitationsträger”) und die Leistungsberechtigten zur Umsetzung des Persönlichen Budgets eine Zielvereinbarung ab. Sie enthält mindestens Regelungen über

  • die Ausrichtung der individuellen Förder- und Leistungsziele,
  • die Erforderlichkeit eines Nachweises zur Deckung des festgestellten individuellen Bedarfs,
  • die Qualitätssicherung sowie
  • die Höhe der Teil- und des Gesamtbudgets.

Mit der Vorschrift fordert der Gesetzgeber den Leistungsträger und den Leistungsberechtigten dazu auf, zusammen eine Zielvereinbarung abzuschließen. Die Zielvereinbarung ist kein weiteres Planungsinstrument im SGB IX, sondern enthält die gesetzliche Aufforderung, eine rechtsverbindliche Vereinbarung zu treffen. Diese Vereinbarung hat den Rechtscharakter eines öffentlich-rechtlichen Vertrages nach § 53 Abs. 1 S. 1 SGB X. Das gesetzliche Gewebe der Vereinbarung ist dem Wortlaut nach untrennbar mit dem rechtlichen Anspruch aus § 29 Abs. 1 S. 1 SGB IX verwoben.

Der öffentlich-rechtliche Vertrag kommt zustande, wenn zwei übereinstimmende Willenserklärungen abgegeben wurden (Angebot und Annahme). Im Gegensatz zum Privatrecht kann ein öffentlich-rechtlicher Vertrag nur schriftlich geschlossen werden.[3] Die Zielvereinbarung selbst ist ein subordinationsrechtlicher Vertrag, da zwischen den Vertragspartnern ein Über- bzw. Unterordnungsverhältnis besteht. Auch für öffentlich-rechtliche Verträge gilt, dass Verträge einzuhalten sind. Die Zielvereinbarung beinhaltet also eine Rechtspflicht, die sowohl den leistenden Rehabilitationsträger als auch den Leistungsberechtigten bindet.[4]

b) Terminvereinbarung

Nach § 18 S. 2 Nr. 1 SGB X muss das Jugendamt ein Verwaltungsverfahren einleiten, wenn ein Antrag nach § 29 Abs. 1 SGB IX vorliegt. Aufgrund der objektiven Rechtsverpflichtung durch den Gesetzgeber („muss“), ist es die Aufgabe des Jugendamtes, einen gemeinsamen Termin für das Abschließen einer Zielvereinbarung festzulegen und den Leistungsberechtigten einzuladen.

Nach § 61 SGB I soll der Leistungsberechtigte auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers persönlich zu dem Zielvereinbarungsgespräch erscheinen.

Eine interessante Frage ist, ob die Rehabilitationsträger die Zielvereinbarung auch mit Hilfe einer Videokonferenz durchführen dürfen, da der Gesetzgeber diese Möglichkeit nicht explizit festgeschrieben hat.

Die Vorschrift spricht eindeutig davon, dass der Leistungsberechtigte „persönlich erscheinen“ soll. Unter „persönlich erscheinen“ versteht man umgangssprachlich, dass sich eine Person zeigen soll. Sie soll für andere wahrnehmbar sein.[5] Die Sichtbarkeit in einer Videokonferenz ist nach diesem Wortverständnis eine persönliche Erscheinung, die durch den Begriffskern „persönliches Erscheinen“ erfasst ist.

Bekräftigt wird dieses Normenverständnis auch durch den Sinn und Zweck der Regelung. Hintergrund ist, dass die mit einer Sozialleistung in Verbindung stehenden Fragen nicht immer schriftlich zu klären sind.[6] Das persönliche Erscheinen dient der mündlichen Erörterung und hat das Ziel, komplexe Fragestellungen unkompliziert in einem persönlichen Gespräch zu klären.[7]

Diese Auffassung wird auch durch die Bestrebungen des Gesetzgebers im Verwaltungsgerichtsverfahren gestützt. Seit dem 1. November 2013 haben die Verfahrensbeteiligten nach § 102a VwGO die Möglichkeit, die Gerichtsverhandlung in Form einer Videokonferenz durchzuführen. Die Verwaltungsgerichte entscheiden auf Antrag, ob sie die Verhandlung in Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen.[8] Mit dieser Vorschrift öffnet sich der Gesetzgeber der Digitalisierung und begrüßt die Nutzung von Videokonferenzen.[9] Folglich können die Rehabilitationsträger die Zielvereinbarung auch mit Hilfe einer Videokonferenz durchführen. Die Reglungen zum Sozialdatenschutz im SGB VIII bleiben unberührt.

Sollte es durch die Einladung zu Auslagen oder einem Verdienstausfall kommen, können auf Antrag des Leistungsberechtigten die notwendigen Auslagen erstattet werden (§ 65a SGB I).

Sofern der Leistungsberechtigte nicht zu dem Termin erscheint, kann der leistende Rehabilitationsträger das beantragte Persönliche Budget bis zur Nachholung der Mitwirkung versagen (§ 66 Abs. 1 SGB I in Verbindung mit § 67 SGB I).

c) Die Beteiligten der Zielvereinbarung

Nach § 29 Abs. 4 SGB IX wird die Zielvereinbarung zwischen dem Leistungsberechtigten und dem leistenden Rehabilitationsträger abgeschlossen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Personen an dem Zielvereinbarungsprozess teilnehmen müssen, damit die Vereinbarung rechtmäßig zustande kommt.

Ein wichtiger Baustein der Zielvereinbarung ist der Leistungsberechtigte. Das sind nach § 35a SGB VIII die Kinder und Jugendlichen selbst. Diese müssen jedoch durch ihren gesetzlichen Vertreter bzw. durch ihren Vormund vertreten werden. Somit ist es die Aufgabe der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nicht nur den/die gesetzlichen Vertreter in den Zielvereinbarungsprozess miteinzubinden, sondern auch die Kinder und Jugendlichen selbst.

Diese Auffassung wird auch durch die Systematik des Kinder- und Jugendhilferechts gestützt. Nach § 8 Abs. 1 SGB VIII sind Kinder und Jugendliche entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen. Die Vorschrift richtet sich an die Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Das Wort „sind“ deutet darauf hin, dass der Jugendhilfeträger eine entsprechende Beteiligung sicherstellen muss.

Sinn und Zweck der Vorschrift ist, die Rechte von Kindern und Jugendlichen zu stärken und sie aktiv in die Entscheidungsprozesse einzubinden. Das Alter und die Rechtsfigur der Einsichtsfähigkeit sind für die Anwendung von § 8 Abs. 1 SGB VIII nicht relevant. Die Aufforderung („entsprechend ihrem Entwicklungsstand”) stellt auf den individuellen Entwicklungsstand ab und erfordert differenzierte sozialpädagogische Konzeptionen von den Rehabilitationsträgern, die eine Beteiligung sicherstellen.[10]

Fraglich ist allerdings, wer den Aushandlungsprozess für den leistenden Rehabilitationsträger (Jugendamt) übernimmt, da sich in § 29 Abs. 4 SGB IX kein konkreter Hinweis darauf befindet. In diesem Zusammenhang bietet es sich an, auf § 36 Abs. 2 S. 1 SGB VIII zurückzugreifen und für das Zielvereinbarungsverfahren analog anzuwenden. Der Vorschrift zum Hilfeplanverfahren ist zu entnehmen, dass die Entscheidung über die im Einzelfall angezeigte Hilfe im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte getroffen werden muss, wobei mit dieser Formulierung nicht Fachkräfte aus verschiedenen Fachrichtungen gemeint sind.[11] Der Gesetzgeber möchte, dass wichtige Entscheidungen nicht von einer einzelnen Fachkraft allein getroffen werden, sondern von mindestens zwei Fachkräften. Damit soll sichergestellt werden, dass im Rahmen des Aushandlungsprozesses unterschiedliche Perspektiven in den Entscheidungsprozess miteinbezogen werden.[12] Wenn man bedenkt, wie vielschichtig und facettenreich die Programme und Möglichkeiten des Rehabilitationsrechts sind, ist es nur konsequent, wenn Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte getroffen werden.[13]

Nach diesem systematischen Verständnis müsste das Zielvereinbarungsverfahren aus mindestens vier bis fünf Personen bestehen. Der bzw. dem Leistungsberechtigten selbst (Kind oder Jugendliche/r), ihren/seinen gesetzlichen Vertretern (Eltern oder Vormund) und mindestens zwei Fachkräften des Jugendamtes.

d) Unterstützung der Eltern

Eine interessante Frage ist, ob die Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Leistungsberechtigten bei der Verwirklichung des Persönlichen Budgets unterstützen müssen. 

Nach dem Wortlaut des § 29 Abs. 1 SGB IX hat das Persönliche Budget die Funktion, den Leistungsberechtigten in „eigener Verantwortung“ ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

Ebenso wie § 29 SGB IX zielt auch § 1 Abs. 1 SGB VIII darauf ab, den jungen Menschen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Person zu erziehen. Um das Ziel zu erreichen, sollen nach § 1 Abs. 3 SGB VIII die jungen Menschen individuell und in ihrer sozialen Entwicklung gefördert werden. Die Eltern nehmen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle ein. Denn die Jugendhilfe hat nicht nur den gesetzlichen Auftrag, die Kinder zu fördern, sie soll auch die betroffenen Familien beraten und unterstützen.

Im Ergebnis legen beide Vorschriften ihren rechtlichen Fokus auf die Eigenverantwortlichkeit. Allerdings geht § 1 SGB VIII im Gegensatz zu § 29 SGB IX weiter und bestimmt, dass neben den jungen Menschen auch die Eltern unterstützt werden sollen. Der „Soll“-Charakter dieser Vorschrift verdeutlicht, dass die Unterstützung und Beratung der Eltern keine Ermessensentscheidung ist, sondern eine Pflichtaufgabe, von der nur in „atypischen“ Fällen abgewichen werden darf. Ein solcher Fall könnte vorliegen, wenn die Eltern sich weigern, mit dem Jugendamt zusammenzuarbeiten.

e) Höhe des Budgets

Die Höhe des Budgets muss im Rahmen der Hilfeplanung und der Gespräche über die Zielvereinbarung festgelegt werden. Mit dieser Vorgabe entsteht die rechtliche Frage, wie die Höhe des Gesamtbudgets bestimmt werden kann.

Nach § 78a SGB VIII müssen die öffentlichen und die freien Träger der Jugendhilfe (Leistungserbringer) Vereinbarungen über die Qualität und die Höhe der Kosten abschließen. In den sogenannten Entgeltvereinbarungen wird festgelegt, in welcher Höhe das Leistungsentgelt an den jeweiligen Träger zu zahlen ist. Das Entgelt setzt sich aus den Personal- und Sachkosten zusammen.

Nach § 29 Abs. 2 S. 7 SGB IX sollte die Höhe des Persönlichen Budgets die Kosten aller bisher individuell festgestellten Leistungen nicht überschreiten, die ohne das Persönliche Budget zu erbringen sind. Sofern die Träger der öffentlichen Jugendhilfe Eingliederungshilfe in Form von Dienstleistungen (§ 11 SGB I) erbringen, übernimmt das Jugendamt die Kosten auf der Grundlage der ausgehandelten Entgelte gemäß § 77 und 78a ff. SGB VIII. Nach § 77 SGB VIII erstrecken sich die Vereinbarungen auf alle Einrichtungen und Dienste der freien Jugendhilfe. Unter Berücksichtigung des Leistungserbringungsrechts in der Kinder- und Jugendhilfe bedeutet das, dass die Höhe des Persönlichen Budgets nicht höher sein sollte als die ausgehandelten Kosten in den Entgeltvereinbarungen. Mit dieser Regelung soll sichergestellt werden, dass der Übergang von Sach- und Dienstleistungen zum Persönlichen Budget nicht mit unplanmäßigen Mehrkosten ansteigt.[14] Ein Budget sollte damit nicht höher sein, als die Kosten, die nach Maßgabe der Leistungs- und Entgeltvereinbarungen zur Deckung des individuell, unter Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts festgestellten Teilhabebedarfs durch Naturalleistungen anfallen würden[15]

Fraglich ist, ob ein Budgetnehmer dennoch Mehrkosten gegenüber dem Jugendamt geltend machen kann. Im Gegensatz zum allgemeinen Wunsch- und Wahlrecht in § 5 SGB VIII („Soll-Vorschrift”) geht § 36 Abs. 1 S. 4 SGB VIII weiter und verpflichtet die Jugendämter der Wahl und den Wünschen zu entsprechen, sofern diese nicht mit „unverhältnismäßigen Mehrkosten” verbunden sind („Muss-Vorschrift“). Mehrkosten liegen damit über den Durchschnittskosten im überörtlichen Vergleich. Unter „unverhältnismäßigen Mehrkosten” versteht man Mehrkosten, die nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu der Bedeutung des Wunsches stehen.[16]

In der Praxis wird den Mehrkosten stattgegeben, wenn diese nicht höher als 20% der Durchschnittkosten aus den Entgeltvereinbarungen sind. Obwohl sich die Formel in der Praxis bewährt hat, sollte die wertende Betrachtung der Mehrkosten mehr als ein rechnerischer Kostenvergleich sein.[17] Im Ergebnis hat der Budgetnehmer über § 36 Abs. 1 S. 4 SGB VIII einen rechtlichen Anspruch auf die Geltendmachung von Mehrkosten im Rahmen der Zielvereinbarung, sofern diese nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden sind.

f) Aushandlungsprozess bringt kein Einvernehmen

Der Gesetzgeber hat den Beteiligten die gesetzliche Aufgabe gegeben, sich zusammenzusetzen und eine Zielvereinbarung abzuschließen. Der rote Faden der Zielvereinbarung wird deutlich durch die in § 29 Abs. 4 S. 2 SGB IX aufgelisteten Mindeststandards.

Doch wie geht man vor, wenn der Aushandlungsprozess nicht den gewünschten Erfolg bringt, weil die Beteiligten sich nicht einigen können?

In diesen Fällen sollte das Jugendamt die vom Gesetzgeber festgelegten Mindestinhalte der Zielvereinbarung als Nebenbestimmung zum Verwaltungsakt gemäß § 32 SGB X erlassen.

Nach § 32 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Die Regelung zu den Nebenbestimmungen soll sicherstellen, dass ein Rechtsanspruch nicht ins Leere läuft.

Der Abschluss einer Zielvereinbarung ist eine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Gewährung eines Persönlichen Budgets.[18] Die vorausgesetzte Zielvereinbarung hat zur Folge, dass die Jugendämter den Antrag auf ein Persönliches Budget ablehnen müssten, wenn sich das Jugendamt und der Budgetnehmer nicht auf die Modalitäten der Zielvereinbarung einigen können, obwohl sie einen gebundenen Anspruch auf das Persönliche Budget haben. Das ist jedoch ein rechtlicher Widerspruch, der nur mit dem Rechtsinstitut der Nebenbestimmungen gelöst werden kann. Mit Hilfe der Nebenbestimmungen muss der leistende Rehabilitationsträger sicherstellen, dass die gesetzlichen Mindeststandards berücksichtigt werden und der Rechtsanspruch verwirklicht werden kann.[19] Im Konfliktfall könnten die Budgetnehmer die Nebenbestimmung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes (§ 123 VwGO) oder einer Klage (§ 45 VwGO) vom Gericht überprüfen lassen.[20]

III. Kündigung der Zielvereinbarung

Das Persönliche Budget ist von den Jugendhilfeträgern durch Verwaltungsakt zu bewilligen. Eine Befristung des Persönlichen Budgets ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts[21] und des Bundessozialgerichts[22] unzulässig. In der Terminvorschau vom BSG heißt es:

„Die Befristung des gebundenen Verwaltungsakts über das persönliche Budget war rechtswidrig, weil sie weder durch Rechtsvorschrift zugelassen ist noch sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsakts erfüllt werden (§ 32 Abs 1 SGB X)”.[23]

Das Gesetz sieht vor, dass der Leistungsberechtigte gemäß § 29 Abs. 1 S. 6 SGB IX zunächst für sechs Monate an die Entscheidung zum Persönlichen Budget gebunden ist.

Nach § 29 Abs. 2 SGB IX wird das Verfahren zur Ermittlung des Bedarfes in der Regel erst nach zwei Jahren wiederholt, wobei von dieser Frist in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden kann. Schwierig ist, dass sich die Zwei-Jahres-Frist nicht auf die jugendhilfespezifische Systematik übertragen lässt. Ein Grund dafür ist, dass sich die Bedarfe von Kindern und Jugendlichen aufgrund ihrer Entwicklungsgeschwindigkeit wesentlich schneller als von Erwachsenen verändern. Dementsprechend ist der „begründete Ausnahmefall“ in der Kinder- und Jugendhilfe eher die Regel als die Ausnahme. Aus diesem Grunde enthält § 36 Abs. 2 S. 2 SGB VIII auch die Vorgabe, dass die Art der Hilfe (§ 35a SGB VIII) sowie die notwendigen Leistungen (Bedarf) regelmäßig überprüft werden sollen. Der Hintergrund ist, den Jugendämtern einen flexiblen Handlungsrahmen zu geben, der es ihnen ermöglicht, zeitnah auf sich verändernde Bedarfe während der Leistungserbringung zu reagieren.

Nach § 29 Abs. 4 S. 4 SGB IX können die Beteiligten (Jugendamt und Budgetnehmende/r), die die Zielvereinbarung abgeschlossen haben, diese aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung schriftlich kündigen, wenn ihnen die Fortsetzung der Vereinbarung nicht zumutbar ist.

Dem Wortlaut nach kommt die Kündigung des Vertrages nur aus wichtigem Grund in Betracht. Für den Budgetnehmenden liegt ein wichtiger Grund vor, wenn die Vereinbarung nicht mehr zumutbar ist. Die Grenze der Zumutbarkeit liegt „insbesondere in den persönlichen Lebensverhältnissen des Leistungsberechtigten“. Obwohl die leistungsberechtigten Kinder und Jugendlichen von ihren Eltern vertreten werden, muss sich der Kündigungsgrund an der Lebenswelt des Kindes bzw. des Jugendlichen orientieren. Das Wort „insbesondere“ deutet jedoch darauf hin, dass es neben den persönlichen Lebensverhältnissen auch noch andere Gründe geben kann, die eine rechtmäßige Kündigung legitimieren. Die Gründe sind vom Jugendamt im Einzelfall zu prüfen.

Der Verwaltungsakt zum Persönlichen Budget ist nach der Kündigung des Budgetnehmers gemäß § 47 Abs. 1 SGB X aufzuheben und die Leistung zur Teilhabe ist wieder als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen.

Das Jugendamt selbst kann die Zielvereinbarung kündigen, wenn die Vertragsmodalitäten oder die Qualitätssicherung nicht eingehalten werden oder wenn erforderliche Nachweise vom Budgetnehmer nicht eingereicht wurden. Die Aufhebung des Verwaltungsaktes richtet sich in diesen Fällen nach § 48 Abs. 1 SGB X. Eine Rückforderung des bereits gezahlten Budgets ist nach § 47 Abs. 2 SGB X möglich, vorausgesetzt, dem Budgetnehmer wurde vom Jugendamt eine Frist gesetzt oder das Geld wurde grob fahrlässig verwendet.

IV. Diskussion

Das Persönliche Budget beinhaltet für die leistungsberechtigten Kinder und Jugendlichen und deren Eltern die Möglichkeit, sich unabhängig von den Jugendämtern ihre Leistung eigenverantwortlich und selbständig einzukaufen. Dadurch wird die rechtliche Position der seelisch behinderten Kinder und Jugendlichen gestärkt. Bei der verwaltungsrechtlichen Abwicklung des Persönlichen Budgets in der Kinder- und Jugendhilfe sind jedoch einige rechtliche Besonderheiten zu beachten. Dazu gehört die Teilnahme mehrerer Fachkräfte an der Zielvereinbarung, die verlängerte Bearbeitungsfrist für den Antrag, die Höhe des Persönlichen Budgets, die Kündigung und dass die Eltern bei der Verwirklichung des Persönlichen Budgets durch die Jugendämter unterstützt werden müssen.

Obwohl die Kinder und deren Eltern bei der Planung und Organisation der Hilfen einen großen Freiraum haben, ist es wichtig, dass die Jugendämter die Umsetzung der Zielvereinbarung in regelmäßigen Abständen überprüfen (§ 20 SGB X). Schließlich sind die Träger der öffentlichen Jugendhilfe für die Sicherstellung des Kinderschutzes verantwortlich. Die Qualitätsvereinbarung nimmt in diesem Zusammenhang eine übergeordnete Rolle ein. Denn auch Art. 7 Abs. 2 UN-BRK sieht vor, dass bei allen Maßnahmen, die Kinder mit Behinderungen betreffen, das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt ist, der vorrangig zu berücksichtigen ist.

Dennoch steht das Persönliche Budget in einem rechtlichen Konkurrenzverhältnis zu dem Wunsch- und Wahlrecht in § 36 Abs. 1 S. 4 SGB VIII. Viele Leistungsberechtigte würden wahrscheinlich gar nicht auf die Idee kommen, ein Persönliches Budget zu beantragen, wenn sie durch die Fachkräfte der Jugendämter auf das Wunsch- und Wahlrecht gemäß § 36 Abs. 1 S. 4 SGB VIII hingewiesen würden. Nach dieser Vorschrift haben die leistungsberechtigten Kinder, Jugendlichen und deren gesetzliche Vertreter die rechtliche Möglichkeit zwischen Einrichtungen und Diensten frei zu wählen, sofern die Wahl nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist.

Im Gegensatz zu dem allgemeinen Wunsch- und Wahlrecht aus § 5 SGB VIII („Soll-Vorschrift”) handelt es sich bei dem Wunsch- und Wahlrecht in § 36 Abs. 1 S. 4 SGB VIII um eine „Muss-Vorschrift”.

Die Verwirklichung des Wunsch- und Wahlrechtes hätte für die Jugendämter den „Vorteil”, dass die pädagogische und verwaltungsrechtliche Steuerungsverantwortung in den Händen der Jugendämter verbleibt, zumal sich die Höhe des Persönlichen Budgets ohnehin an den ortsüblichen Entgelten der Leistungsträger orientiert.

Durch die Leistungserbringung der Jugendämter werden die Eltern der seelisch behinderten Kinder und Jugendlichen entlastet, da sie sich nicht selbst auf die Suche nach einem geeigneten Leistungserbringer begeben müssen. Außerdem entfällt die aufwendige Verwaltung des Budgets.

Es gibt in der Praxis Hinweise darauf, dass die fehlende Verwirklichung des Wunsch- und Wahlrechts ein Grund dafür ist, dass die Eltern ein Persönliches Budget beantragen.

In dem Beschluss vom OVG Bremen[24] heißt es beispielsweise:

„Schule und Jugendamt lehnten den von der Mutter des Antragstellers vorgeschlagenen Assistenten ab, weil er weder beim A noch bei der B beschäftigt sei.”

Das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten darf nicht zu einem Machtkampf zwischen den Fachkräften der Jugendämter und den Eltern werden. Nicht selten kommt es zwischen den Beteiligten zu Meinungsverschiedenheiten, und es wird darum gestritten, was das Beste für die Kinder ist. Viele Fachkräfte vergessen dabei, dass das Wunsch- und Wahlrecht eine objektive Rechtsverpflichtung ist, die das Jugendamt bindet.

Beitrag von PhDr. Andreas Jordan, LL.M.

Fußnoten

[1] Jabben, in: NPGWJ, SGB IX, § 29 Rn. 9.

[2] OVG Bremen, Beschl. v. 25.05.2020, 2 B 66/20.

[3] Sommer, Lehrbuch Sozialverwaltungsrecht, 2010.

[4] Ausführlich dazu Welti, Rechtsfragen des Persönlichen Budgets nach § 17 SGB IX. Gutachten im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung der modelhaften Erprobung Persönliches Budget nach § 17 Abs. 6 SGB IX, https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/33058; zuletzt abgerufen am 24.02.2021.

[5] Duden | erscheinen | Rechtschreibung, Bedeutung, Definition, Herkunft; zuletzt abgerufen am 11.02.2021.

[6] Bundestags-Drucksache 7/868, S. 33.

[7] Hase, in: BeckOK SozR, SGB I § 61 Rn. 1.

[8] Bundestags-Drucksache 19/18966, 30 f.

[9] Welti/Höland, Arbeits- und Sozialgerichte und die Sozialverwaltung in der Pandemie, SozSich 12/2020, S. 448–449.

[10] Meysen, in: FK-SGB VIII, § 8 Rn. 5.

[11] Kunkel/Kepert, in: LPK-SGB VIII, § 36 Rn. 33.

[12] Schmidt, in: Münder/Wiesner/Meysen, Handbuch KJHR, Kap. 3.8 Rn. 18.

[13] Tillmanns, in: MünchKomm BGB, SGB VIII, § 36 Rn. 4.

[14] Welti, in: Deinert/Welti, SWK-BehindertenR 2018, Persönliches Budget Rn. 13.

[15] BSG, Urteil vom 28.01.2021 – B 8 SO 9/19 R –, juris, Rn. 26 ff.; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.08.2015 – L 8 SO 327/13 –, juris, Rn. 21.

[16] Kunkel/Kepert, in: LPK-SGB VIII, § 36 Rn. 27.

[17] Kunkel/Kepert, in: LPK-SGB VIII, § 36 Rn. 27.

[18] OVG Bremen, Beschl. v. 25.05.2020, 2 B 66/20, S. 7; andere Ansicht Rosenow, Klare Worte zum Persönlichen Budget in der Kinder- und Jugendhilfe – Anmerkung zum Beschluss OVG Bremen, 25.5.2020, 2 B 66/20; Beitrag A18-2020 unter www.reha-recht.de; 18.09.2020.

[19] So auch BVerwG, Urt. v. 09.12.2015, 6 C 37/14.

[20] Welti, in: Deinert/Welti, SWK-BehindertenR 2018, Persönliches Budget Rn. 23.

[21] BVerwG, Urt. v. 09.12.2015, 6 C 37/14.

[22] BSG 28.01. 2021, B 8 SO 9/19 R, siehe hierzu auch Terminbericht des BSG Nr. 5/21 zu Angelegenheiten der Sozialhilfe.

[23] Terminvorschau zur Verhandlung B 8 SO 9/19 R, https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2021/2021_01_28_B_08_SO_09_19_R.html; zuletzt abgerufen am 24.02.2021.

[24] OVG Bremen, Beschl. v. 25.05.2020, 2 B 66/20, S. 1.


Stichwörter:

Persönliches Budget, Kinder- und Jugendhilfe, Persönliches Budget als Leistung der Kinder- und Jugendhilfe, Budgetbemessung, Zielvereinbarung


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