21.10.2021 A: Sozialrecht Tietz: Beitrag A37-2021

Die Genehmigungsfiktion im Rehabilitationsrecht – Teil II: Folgen der Rechtsprechungsänderung und Handlungsoptionen für die Versicherten

Mit drei Entscheidungen vom 28. Juni 2020 hat sich auch der 3. Senat des BSG der geänderten Rechtsprechung des 1. Senats zu § 13 Abs. 3a SGB V angeschlossen. § 13 Abs. 3a SGB V soll den Versicherten nur noch einen Kostenerstattungsanspruch gegen die Krankenkassen gewähren. Das bisherige Wahlrecht der Versicherten zwischen einem Sachleistungsanspruch auf der einen und dem Kostenerstattungsanspruch auf der anderen Seite wird aufgegeben.

Diese einschneidende Änderung im Rahmen der Rechtsfolge von § 13 Abs. 3a SGB V hat insbesondere Konsequenzen für mittellose Versicherte und wirft die Frage nach Handlungsoptionen in der Praxis auf. In Teil II des Beitrags sollen verschiedene Optionen dargestellt werden. Insbesondere wird dabei auf die Möglichkeit der Abtretung des Kostenerstattungsanspruchs und eine Finanzierung der Leistung mittels Darlehen eingegangen.

(Zitiervorschlag: Tietz: Die Genehmigungsfiktion im Rehabilitationsrecht – Teil II: Folgen der Rechtsprechungsänderung und Handlungsoptionen für die Versicherten; Beitrag A37-2021 unter www.reha-recht.de; 21.10.2021)

I. Folgen der Rechtsprechung für die Versicherten

Die Rechtsprechungsänderung wird in der Praxis für die Versicherten große Auswirkungen haben. Durch den Wegfall des Naturalleistungsanspruchs stehen insbesondere mittellose Versicherte vor der Frage, wie sie den entstandenen Leistungsanspruch finanzieren und damit letztlich durchsetzen können. Der 3. BSG-Senat hat in seinem Urteil vom 28. Juni 2020 auf die Rechtsprechung zu § 13 Abs. 3 SGB V und die Möglichkeit einer Kostenfreistellung verwiesen. Darüber hinaus werden auch die Möglichkeiten einer Abtretung des Kostenerstattungsanspruchs an den Leistungserbringer sowie die Finanzierung mittels Darlehen angesprochen.[1] Alle drei Varianten sollen im Folgenden kurz dargestellt und erörtert werden.

1. Kostenfreistellung

Der 3. Senat benennt in seinem Urteil die Möglichkeit einer Kostenfreistellung, um die Folgen eines fehlenden Naturalleistungsanspruchs für mittellose Versicherte abzufedern.[2] In dem Zusammenhang wird auf die Rechtsprechung zu § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V verwiesen.[3] Auch im Rahmen von § 13 Abs. 3a SGB V und § 18 Abs. 3 SGB IX können Freistellungsansprüche auf Seiten der Rechtsfolge den Anspruch auf Kostenerstattung ergänzen.

Ein Anspruch auf Freistellung entsteht dabei aber nur dann, wenn zwischen der leistungsberechtigten Person und dem Leistungserbringer ein wirksames zivilrechtliches Schuldverhältnis (bspw. nach § 630a BGB) besteht. Im Gegensatz zum Kostenerstattungsanspruch entsteht der Anspruch auf Freistellung schon, bevor dem Versicherten tatsächliche Kosten entstanden sind.[4] Der Freistellungsanspruch ist damit besonders bei Konstellationen denkbar, in denen die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion vorliegen, eine Realisierung des Kostenerstattungsanspruchs jedoch an den fehlenden finanziellen Mitteln scheitert.

2. Abtretung des Kostenerstattungsanspruchs

Sobald der versicherten Person auf Grund des mit dem Leistungserbringer eingegangenen Schuldverhältnisses tatsächliche Kosten entstanden sind, wandelt sich der Freistellungsanspruch dann in einen Kostenerstattungsanspruch. Denkbar wäre es, den Kostenerstattungsanspruch sicherungshalber vor Beginn der Behandlung abzutreten, um so deren Finanzierung zu ermöglichen. Fraglich ist dabei aber zunächst, ob die Abtretung eines Kostenerstattungsanspruchs zulässig ist.

a) Zulässigkeit der Abtretung eines Kostenerstattungsanspruchs

Rechtliche Grundlage der Abtretung ist hier § 53 SGB I, welcher die im Bereich des Sozialrechts gegenüber der allgemeinen Regelung in §§ 398 ff. BGB speziellere Norm darstellt. Übertragung i. S. v. § 53 SGB I ist dabei gleichbedeutend mit Abtretung nach §§ 398 ff. BGB.[5] Diese Abtretung ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag (§ 53 SGB X).[6] Maßgeblich für die Einordnung ist der Vertragsgegenstand (Gegenstandstheorie), weshalb auch ein Vertrag zwischen zwei privaten Rechtssubjekten als öffentlich-rechtlich charakterisiert werden kann.[7] Der Kostenerstattungsanspruch, als Vertragsgegenstand des Abtretungsvertrags, ist eine Leistung i. S. v. § 11 S. 1 SGB I und damit Teil des öffentlichen Rechts.

§ 53 Abs. 1 SGB I schließt die Abtretung zunächst für Dienst- und Sachleistungen aus, da sie im Bereich des Sozialrechts individuelle höchstpersönliche Bedürfnisse betreffen.[8] Sie können dementsprechend nicht an eine andere Person als die ursprünglich leistungsberechtigte erbracht werden, vgl. auch § 399 BGB. Während das BSG davon ausgeht, dass Kostenerstattungsansprüche nach § 53 Abs. 2 SGB I abtretbar sind[9], ist dies innerhalb des Schrifttums umstritten.[10] Entscheidend ist in dem Zusammenhang, wie der Kostenerstattungsanspruch im Verhältnis zum Primäranspruch eingeordnet wird: Zum einen kann er als eigenständige Geldleistung i. S. v. § 53 Abs. 2 SGB I wahrgenommen werden, was im Ergebnis zur Zulässigkeit einer Abtretung führt.[11] Zum anderen kann er aber systematisch auch dem zu Grunde liegenden Primäranspruch zugeordnet werden. Damit unterfiele auch der Anspruch auf Kostenerstattung § 53 Abs. 1 SGB I. Eine Abtretung wäre dementsprechend unzulässig.[12]

Der Gesetzgeber will mit § 53 SGB I die Verkehrsfähigkeit von Sozialleistungsansprüchen verbessern. Dabei war insbesondere der soziale Schutz der Leistungsberechtigten im Fokus.[13] Da die Genehmigungsfiktion nach der neuen Rechtsprechung des BSG keinen eigenständigen Sachleistungsanspruch mehr begründet[14], fällt für (mittellose) Versicherte die in den meisten Fällen einzige Möglichkeit weg, ihren Anspruch aus der fingierten Genehmigung auch durchzusetzen.

Die Abtretung soll dem entgegenwirken und eine Inanspruchnahme auch ohne Rücksicht auf vorhandene finanzielle Mittel ermöglichen. Die Abtretung erfolgt in diesen Fällen also primär zur Verwirklichung der sozialen Rechte und erhöht somit potenziell den sozialen Schutz der Leistungsberechtigten. Ausschlaggebendes Kriterium für den Ausschluss in § 53 Abs. 1 SGB I ist darüber hinaus der höchstpersönliche Charakter, welchen Leistungen nach dem SGB regelmäßig haben. Der Anspruch auf Kostenerstattung ist aber gerade kein solcher Anspruch mit höchstpersönlichem Charakter. Er ist auf eine Geldleistung gerichtet, die grundsätzlich gegenüber jeder Person erbringbar ist, da es bei ihrer Erfüllung keiner bestimmten Individualisierung bedarf.

Die Abtretung eines Kostenerstattungsanspruchs ist in diesem Zusammenhang zulässig.

Mit dem wirksamen Abschluss eines Abtretungsvertrags tritt der neue Gläubiger in die Rechtsposition des bisherigen Gläubigers, vgl. § 398 S. 2 BGB. Grundsätzlich kommt damit auch eine gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs in Frage. Eine Ausnahme bildet hier jedoch die Abtretung eines Kostenerstattungsanspruchs. Hier muss zwischen dem zu Grunde liegenden Sach- oder Dienstleistungsanspruch und dem Auszahlungsanspruch unterschieden werden. Nur Letzterer ist für den neuen Gläubiger einklagbar.[15]

b) Formelle Voraussetzungen der Abtretung nach § 53 Abs. 2 SGB I

Zur Wirksamkeit öffentlich-rechtlicher Verträge sind die §§ 53–60 SGB X zu beachten. Ergänzend können nach § 61 S. 2 SGB X die Regelungen des BGB herangezogen werden. Im Mittelpunkt steht hier vor allem die gem. § 56 SGB X erforderliche Schriftform.

Da der Abtretungsvertrag jedoch über eine Kostenerstattung zwischen privaten Rechtssubjekten geschlossen wird, der lediglich auf Grund des Vertragsgegenstands als öffentlich-rechtlicher Vertrag eingestuft wird, scheidet eine direkte Anwendung der §§ 53–60 SGB X aus.[16] Die Regeln des SGB gelten nach § 1 Abs. 1 S. 1 SGB X nur, soweit es sich um öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit einer Behörde handelt.[17] Somit scheidet auch das Schriftformerfordernis aus § 56 SGB X, das insbesondere Dokumentations- und Schutzzwecken[18] dient, in direkter Anwendung aus.

Fraglich ist, ob eine analoge Anwendung von § 56 SGB X geboten ist. Dies setzt voraus, dass eine vergleichbare Interessenlage sowie eine planwidrige Regelungslücke vorliegen und die Analogie nicht gesetzlich ausgeschlossen ist.[19] Problematisch in diesem Zusammenhang ist das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat sich im Gesetzgebungsverfahren des SGB I mit der Frage eines Schriftformerfordernisses im Rahmen von § 53 SGB I auseinandergesetzt und die Norm im Ergebnis ohne ein solches erlassen.[20] Dieser Umstand spräche gegen eine planwidrige Regelungslücke und damit gegen eine analoge Anwendung von § 56 SGB X auf den Abtretungsvertrag.[21]

Daraus ergäbe sich eine weitestgehende Formfreiheit. Die Dokumentations- und Schutzfunktion von § 56 SGB X ist nach Einschätzung von BSG und Gesetzgeber hinreichend über die ergänzend heranzuziehenden Regelungen des BGB sichergestellt.[22] Dieser grundlegende zivilrechtliche Schuldnerschutz (§§ 398 ff. BGB) wird in § 53 Abs. 4 SGB I noch erweitert und an sozialrechtliche Gegebenheiten angepasst.

Gegenstand der parlamentarischen Diskussion um § 53 SGB I war indes nicht ein pauschales Schriftformerfordernis. Der Gesetzentwurf der Regierung vom 22. Oktober 1987[23] sah lediglich in § 53 Abs. 4 S. 1 SGB I–E vor, dass eine Übertragung oder Verpfändung auf einem amtlichen Vordruck zu erfolgen habe, der vom jeweiligen Sozialleistungsträger zur Verfügung zu stellen ist.[24] Laut Regierungsentwurf war es das Ziel, die Übertragung und Verpfändung über das grundsätzliche Schriftformerfordernis hinaus auf eine bestimmte Form festzulegen.[25] Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung nahm zu diesem Entwurf in seinem Bericht vom 10. Juni 1988 Stellung und empfahl, aus Gründen der Vereinfachung des Rechtsverkehrs auf dieses bestimmte Formerfordernis zu verzichten.[26] Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber in Bezug auf § 53 SGB I von jeglicher Regelung eines Schriftformerfordernisses absehen wollte.[27]

Demnach liegt eine planwidrige Regelungslücke vor. Da auch kein besonderes Analogieverbot ersichtlich ist, kann § 56 SGB X in entsprechender Weise auf den Abtretungsvertrag nach § 53 SGB I angewendet werden. Durch diese analoge Anwendung wird auch dem eigentlichen Sinn und Zweck von § 53 SGB I, dem Schutz vor übereilter Übertragung oder Verpfändung von Geldleistungen und der rechtssicheren Abwicklung des Prozesses,[28] Rechnung getragen.[29]

Sofern ein Abtretungsvertrag nicht dem Schriftformerfordernis analog § 56 SGB X entspricht, ist er analog § 58 Abs. 1 SGB X[30] i. V. m. § 125 S. 1 BGB nichtig.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Bestimmtheit der abgetretenen Forderung. Im Rahmen der Abtretung eines Kostenerstattungsanspruchs sollte die Einhaltung des Bestimmtheitsgebots aber keine größeren Probleme bereiten, da bereits das Entstehen des Kostenerstattungsanspruchs einen hinreichend bestimmten Leistungsantrag voraussetzt.[31]

Für die Abtretung von Sozialleistungsansprüchen müssen die Vertragsschließenden geschäftsfähig sein gem. § 104 BGB. Auf die sozialrechtliche Handlungsfähigkeit nach § 36 SGB I kommt es nicht an, da es sich bei dem zivilrechtlichen Rechtsgeschäft der Abtretung nicht um einen der in § 36 Abs. 1 S. 1 SGB I genannten Fälle handelt.

c) Materielle Voraussetzungen der Abtretung nach § 53 Abs. 2 SGB I

Die materiellen Voraussetzungen einer Abtretung richten sich nach § 53 Abs. 2 SGB I. Sie können sich anhand von Nr. 1 oder Nr. 2 vollziehen.

§ 53 Abs. 2 Nr. 1 SGB I

Nach § 53 Abs. 2 Nr. 1 SGB I können Ansprüche auf Geldleistungen übertragen werden, wenn sie zur Erfüllung oder zur Sicherung von Ansprüchen auf Rückzahlungen von Darlehen und auf Erstattung von Aufwendungen dienen, die im Vorgriff auf fällig gewordene Sozialleistungen zu einer angemessenen Lebensführung gegeben oder gemacht worden sind. Die Regelung soll es Dritten ermöglichen, dem Leistungsberechtigten Vorschüsse oder private Hilfen zu gewähren.[32] Das Gesetz formuliert dabei keine Obergrenzen, der Anspruch kann dementsprechend auch in Gänze übertragen werden.[33]

Dritter kann in dem Zusammenhang jede natürliche und juristische Person mit Ausnahme des für die Leistung zuständigen Trägers sein. Die von dem Dritten erbrachte Leistung kann in einem Darlehen oder Aufwendungen bestehen.

Im Rahmen der Abtretung eines Kostenerstattungsanspruchs sind zwei Konstellationen denkbar:

Zum einen könnte sich die leistungsberechtigte Person zur Finanzierung der Behandlung für ein Darlehen (§§ 488 ff. BGB) entscheiden. Dabei kann der Kostenerstattungsanspruch gemäß § 53 Abs. 2 Nr. 1 SGB I sowohl zur Rückzahlung des Darlehens als auch zur Sicherung der Darlehensrückforderung genutzt werden.

Finanzierung mittels Darlehen nach §§ 488 ff. BGB

Zunächst soll auf das grundlegende Geschäft, den Darlehensvertrag, eingegangen werden.

In Frage kommt dabei vor allem ein Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag gemäß § 491 Abs. 2 S. 1 BGB, für das besondere Verbraucherschutzbestimmungen zu beachten sind. Gemäß § 491 Abs. 2 S. 1 BGB handelt es sich dabei um einen entgeltlichen Darlehensvertrag, der zwischen einem Unternehmer als Darlehensgeber und einem Verbraucher als Darlehensnehmer abgeschlossen wird.

Die leistungsberechtigte Person und Inhaberin des Kostenerstattungsanspruchs (Darlehensnehmerin) ist problemlos als Verbraucherin i. S. v. § 13 BGB zu qualifizieren, da der Abschluss des Darlehensvertrags weder gewerblichen noch selbstständigen beruflichen Zwecken zugerechnet werden kann.

Der Darlehensgeber muss als Unternehmer i. S. v. § 14 BGB zu qualifizieren sein. Demnach kommen, unabhängig von der Organisationsform, alle natürlichen und juristischen Personen als Darlehensgeber in Betracht, die den Abschluss des Darlehensvertrags in Ausübung einer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit anstreben.

Zur Anwendung der Vorschriften über einen Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrags nach § 491 Abs. 2 BGB muss dieses gegen Entgelt erfolgen. Unter Entgelt ist dabei jede Art von vertraglicher Gegenleistung des Verbrauchers für die Gewährung des Kredits gemeint.[34] Zinslose bzw. gebührenfreie Darlehen sind daher vom Anwendungsbereich gem. § 491 Abs. 2 BGB ausgeschlossen.[35]

Fraglich könnte im Einzelfall lediglich sein, ob ein Darlehen zur Finanzierung einer Behandlung nicht schon generell unter den Ausschlusstatbestand des § 491 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 BGB fällt. Vom Anwendungsbereich des Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrags sind danach ausgenommen Darlehen, die innerhalb von drei Monaten zurückzuzahlen sind und nur geringe Kosten verursachen. In diesen Fällen sei das Risiko für den Darlehensnehmer überschaubar, was eine Reduzierung des gesetzlichen Verbraucherschutzes rechtfertige.[36] Ob dies der Fall ist, kann nicht pauschal bewertet werden, sondern bestimmt sich anhand des Einzelfalls. Sofern jedoch die Ausnahme gem. § 491 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 BGB greift, unterliegt das Darlehen nach § 491 Abs. 2 S. 1 BGB den besonderen Vorgaben für Verbraucherdarlehen. Der Darlehensvertrag ist aber dennoch ein Verbrauchervertrag nach § 310 Abs. 3 BGB und unterliegt damit auch zumindest den Schutzregeln der §§ 312 ff. BGB.[37]

Je nach Erscheinungsform des Darlehensvertrags werden die allgemeinen Vorgaben aus § 491 Abs. 2 BGB durch spezielle Bestimmungen ergänzt.[38]

Auch die unentgeltliche Gewährung eines Darlehens scheint denkbar und ist wohl gerade für mittellose Versicherte von Vorteil. Mit Einführung der §§ 514 f. BGB[39] wurde der Verbraucherschutz beim Abschluss unentgeltlicher Darlehensverträge angehoben, was gerade im Hinblick auf die Verlockungsgefahr solcher unentgeltlicher Darlehensverträge folgerichtig war.[40]

Gerade bei unentgeltlichen Darlehensverträgen stellt sich für den Darlehensgeber aber die Frage nach der Sicherung seiner zukünftigen Forderung. Und damit stellt sich die Frage nach einer Abtretung.

Die Sicherungsabtretung

Zur Sicherung einer Forderung (Sicherungsabtretung) kann der Sicherungsgeber dem Sicherungsnehmer die volle Gläubigerstellung abtreten.[41] Die abgetretene Forderung muss dafür zunächst bestimmbar und übertragbar sein. Der Sicherungsabtretung liegt ein sog. Sicherungsvertrag zwischen Sicherungsnehmer und Sicherungsgeber zu Grunde.[42] Dadurch erlangt der Sicherungsnehmer im Außenverhältnis gegenüber dem Drittschuldner alle Gläubigerrechte.[43]

Im Innenverhältnis regeln die Vertragsparteien vor allem die Frage der Verwertung der Sicherheit bei Eintritt des Sicherungsfalls, die Verwendung der vom Sicherungsnehmer eingezogenen Beiträge sowie die Rückübertragung der abgetretenen Forderung nach dem Wegfall des Sicherungszwecks.[44] Nach den §§ 134, 138, 307 ff. BGB unterliegt der Sicherungsvertrag einer inhaltlichen Kontrolle.

Die Sicherungsabrede ist, anders als etwaige Pfandrechte, grundsätzlich nicht akzessorisch zum Kausalgeschäft (hier dem Darlehensvertrag).[45] Kausalgeschäft (Darlehensvertrag) und Verfügungsgeschäft (Sicherungsabtretung) können aber schriftlich in gemeinsamer Form vereinbart werden. Über § 139 BGB wirken sich dann die Mängel des einen rechtlichen Geschäfts auch auf das andere aus.[46]

Abtretung gegenüber dem Leistungserbringer[47]

Die versicherte Person könnte aber auch mit dem Leistungserbringer vereinbaren, mit der Abtretung des Kostenerstattungsanspruchs seine Leistung zu erfüllen (sogenannte Leistung erfüllungshalber).[48] Dieser kann seinen Vergütungsanspruch dann nach der Behandlung aus der abgetretenen Forderung verlangen.

Problematik im Rahmen der Fiktionsbescheinigung

Auch für eher finanziell schwächere Leistungsberechtigte scheint es also auch ohne einen Naturalleistungsanspruch mehrere Wege zu geben, über den Kostenerstattungsanspruch die begehrte Leistung geltend machen zu können. Ein Blick auf die weiteren Voraussetzungen aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 SGB I und die Urteile des BSG relativiert diese erste optimistische Einschätzung jedoch wieder.

Die Leistungen/Aufwendungen müssen vom Leistungsberechtigten mit dem erkennbaren Willen getätigt worden sein, im Hinblick auf eine fällige Sozialleistung vorzuleisten.[49] Dieser Wille kann im Vertrag festgehalten und somit in ausreichender Weise kundgetan werden. Problematischer ist in diesem Zusammenhang ein anderer Aspekt, der sich aus der Rechtsprechungsänderung des BSG ergibt. Die fingierte Genehmigung räumt den Versicherten lediglich eine vorläufige Rechtsposition ein. Die Fiktion schließt das Verwaltungsverfahren nicht ab. Der zuständige Träger ist daher weiterhin berechtigt und auch verpflichtet, über den Antrag zu entscheiden.[50] Um die Fälligkeit der Sozialleistung gegenüber den Darlehensgebern oder anderen Dritten darlegen zu können, bedarf es regelmäßig einer Bescheinigung über den Eintritt der Genehmigungsfiktion. In der Vergangenheit wurden diese Bescheinigungen, die rechtsdogmatisch entweder auf § 42a Abs. 3 VwVfG (analog) oder § 33 Abs. 2 S. 2, 3 SGB X (analog) gestützt werden können[51], von den zuständigen Krankenkassen auch problemlos ausgestellt.[52] Nun aber besteht für die Leistungsberechtigten die Gefahr, dass in Folge der Kontaktaufnahme die Träger an das noch nicht abgeschlossene Verfahren erinnert werden und dieses daraufhin durch einen ablehnenden Bescheid beenden. Der Anspruch auf Kostenerstattung würde dadurch vorerst verloren gehen.[53] Selbst wenn der Träger aber die geforderte Bescheinigung über den Eintritt der Genehmigungsfiktion ausstellt, besteht fortwährend die Gefahr, dass eine ablehnende Entscheidung das Verwaltungsverfahren beendet. Insoweit gewährte die alte Rechtsprechung des BSG den Leistungsberechtigten einen höheren Schutz, da sich der Bestand und die Wirksamkeit der Genehmigungsfiktion nach deren Entstehen anhand der Grundsätze in §§ 44 ff. SGB X und den materiellen Voraussetzungen, die zum Entstehen der Genehmigungsfiktion führten (§ 13 Abs. 3a S. 1–5 SGB V), beurteilten.[54]

Folge dessen wäre, dass den Leistungsberechtigten nur noch das Widerspruchs- und Klageverfahren bliebe, was wiederum mit weiteren Kosten und zeitlichen Ressourcen verbunden ist.[55] Gerade in diesem Bereich deuten rechtstatsächliche Beobachtungen daraufhin, dass vor allem Menschen aus finanziell schwachen Verhältnissen sowie Angehörige von Minderheiten nicht in der Lage sind, ihre rechtlichen Ansprüche weiter zu verfolgen.[56]

Im Ergebnis führt das wohl dazu, dass die Gewährung eines Darlehens/Refinanzierung einer Aufwendung erheblich erschwert wird, da Bestand und/oder Fälligkeit des Kostenerstattungsanspruchs in den meisten Fällen nicht glaubhaft dargelegt werden können. Darüber hinaus ist der Bestand des Kostenerstattungsanspruchs bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens mit Unsicherheiten verbunden, die potenzielle Darlehensgeber und Leistungserbringer abschrecken könnten.

Gleiches gilt in unveränderter Form auch für den Anspruch auf Kostenfreistellung. Denn auch in diesen Fällen muss gegenüber dem Leistungserbringer der Eintritt der Genehmigungsfiktion glaubhaft gemacht werden.

Neben der Vorlage einer Bescheinigung über den Eintritt der Fiktion sind auf den ersten Blick auch keine anderen Möglichkeiten ersichtlich, um die Fälligkeit der Leistung darlegen zu können. Insbesondere kommt auch eine Glaubhaftmachung nach § 23 Abs. 1 S. 2 SGB X nicht in Betracht, da die Norm gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 SGB X bei einem öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen privaten Rechtssubjekten keine direkte Anwendung finden kann. Eine darüber hinaus gehende analoge Anwendung scheitert in der Folge an der nicht vergleichbaren Interessenlage, da sich die Glaubhaftmachung i. S. v. § 23 Abs. 1 S. 2 SGB X explizit auf die Amtsermittlung nach § 20 Abs. 1 S. 1 SGB X bezieht.

II. Fazit

Die Rechtsprechungsänderung des BSG hat ein geteiltes Echo der Literatur hervorgerufen. Mit Blick auf das anfängliche Ziel des Gesetzgebers lässt sich m.E. jedoch konstatieren, dass die Urteile des 1. und 3. Senats der Genehmigungsfiktion ihre grundsätzliche Wirkung genommen haben. § 13 Abs. 3a SGB V und § 18 Abs. 3 SGB IX sind primär zum Schutz der Leistungsberechtigten erlassen worden. Sie sollten die schon bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten wirkungsvoll in einem frühen Stadium ergänzen und die Träger zu einer schnelleren Bearbeitung der Anträge motivieren. Durch die restriktive Auslegung entfällt nun aber ein gewichtiger Teil der Sanktionswirkung, wodurch ein wichtiger Anreiz für die Träger zur schnelleren Bearbeitung der Anträge verloren geht. Die eigentliche Schutzfunktion der Genehmigungsfiktion lässt sich kaum noch erkennen.[57] Der Verweis der Rechtsprechung auf das Widerspruchs- und Klageverfahren konterkariert die Ziele des Gesetzgebers, die Leistungsberechtigten bei Fristversäumnissen seitens der Träger gerade nicht auf den kosten- und zeitintensiven Rechtsschutzweg zu verweisen.

Beitrag von Alexander Tietz, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Fußnoten

[1] BSG, Urteil v. 28.06.2020, B 3 KR 14/18 R, Rn. 25.

[2] BSG, Urteil v. 28.06.2020, B 3 KR 14/18 R, Rn. 25.

[3] Vgl. BSG, Urteile v. 10.02.2000, B 3 KR 26/99 R; 13.07.2004, B 1 KR 11/04 R, 18.07.2006, B 1 KR 24/05 R.

[4] BSG, Urteil v. 18.07.2006, B 1 KR 24/05 R, Rn. 22.

[5] Siefert, in: KassKomm SGB I, 111. EL, Stand: September 2020, § 53 SGB I, Rn. 7.

[6] BSG, Urteil v. 27.11.1991, 4 RA 80/90, Rn. 20 ff.; BSG, Urteil v. 8.12.1993, 10 RKg 1/92, Rn. 19; BSG, Urteil v. 15.06.2010, B 2 U 26/09 R, Rn. 7; BSG v. 18.07.2006 – B 1 KR 24/05 R, Rn. 12; Mrozynski, in: Ders., SGB I, § 53 SGB I Rn. 7; Jung, in: Wannagat, SGB I, § 53 SGB I Rn. 10; Klose, in: Jahn, SGB I, § 53 SGB I Rn. 8; Siefert, in: KassKomm, SGB I, § 53 SGB I Rn. 7; a. A. Gabbert, Kompass 9/10 2009, 11; Timme, in: LPK-SGB I, § 53 SGB I Rn. 5; Baier, in: Krauskopf, SGB I, § 53 SGB I Rn. 7 ff.; Lilge, SGB I, § 53 SGB I Rn. 10 und 10a.

[7] Wehrhahn, in: KassKomm SGB X, 111. El, September 2020, § 53 SGB X, Rn. 9.

[8] Siefert, in: KassKomm SGB I, 111. EL, Stand: September 2020, § 53 SGB I, Rn. 5.

[9] BSG, Urteil v. 18.07.2006, B 1 KR 24/05 R, Rn. 13.

[10] Mrozynski, in: Ders., SGB I, 6. Auflage 2019, § 53 SGB I, Rn. 3; Lilge, in: Ders./Gutzler, SGB I, 5. Auflage 2019, § 53 SGB I, Rn. 22 ff.

[11] Mrozyinski, in: Ders., SGB I, 6. Auflage 2019, § 53 SGB I, Rn. 3, eine Abtretung könne aber nur gegenüber dem involvierten Leistungserbringer erfolgen; Häusler, in: Hauck/Noftz, SGB I, § 53 SGB I, Rn. 22; Siefert, in: KassKomm SGB I, 111. EL, Stand: September 2020, § 53 SGB I, Rn. 5.

[12] Timme, in: LPK-SGB I, § 53 SGB I, Rn. 9; Pflüger, in: jurisPK-SGB I, 2. Auflage 2011, Stand: 04.10.2016, § 53 SGB I, Rn. 20.

[13] Bundestags-Drucksache, 7/868, S. 32.

[14] BSG, Urteil v. 28.06.2020, B 3 KR 14/18 R, Leitsatz, juris.

[15] Siefert, in: KassKomm-SGB I, 111. EL, September 2020, § 53 SGB I, Rn. 15.

[16] So auch BVerwG, Urteil v. 12.06.1992, 7 C 3/91, Rn. 9.

[17] Wehrhahn, in: KassKomm SGB X, 111. EL, September 2020, § 53 SGB X, Rn. 10; Engelmann, in: Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 53 SGB X, Rn. 27.LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 30.10.2009, L 4 U 3728/08, Rn. 38.

[18] BSG, Urteil v. 13.12.2011, B 1 KR 9/11 R, Rn. 15.

[19] BGH, Urteil v. 04.12.2014, III ZR 61/14, Rn. 9, juris.

[20] Bundestags-Drucksache, 7/868, S. 32; 11/2460, S. 6, 15; 11/1004, S. 4, 9, 11.

[21] BSG, Urteil v. 15.06.2010, B 2 U 26/09, Rn. 24 ff.

[22] BSG, Urteil v. 15.06.2010, B 2 U 26/09, Rn. 25, Bundestags-Drucksache, 11/2460, S. 6, 15.

[23] Bundestags-Drucksache, 11/1004.

[24] Bundestags-Drucksache, 11/1004, S. 4, 11 f.

[25] Bundestags-Drucksache, 11/1004, S. 11 f.

[26] Bundestags-Drucksache, 11/2460, S. 15.

[27] Siefert, in: KassKomm SGB I, 111. EL, September 2020, § 53 SGB I, Rn. 11.

[28] Bundestags-Drucksache, 11/1004, S. 11.

[29] Siefert, in: KassKomm SGB I, 111. EL, September 2020, § 53 SGB I, Rn. 11.

[30] Auch § 58 SGB X ist nach § 1 Abs. 1 S. 1 SGB X von einer direkten Anwendung ausgeschlossen, sofern es sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen zwei privaten Rechtssubjekten handelt.

[31] BSG, Urteil v. 27.08.2019, B 1 KR 1/19 R, Rn. 16 ff., juris.

[32] Mrozyinski, in: Ders., SGB I, 6. Auflage 2019, § 53 SGB I, Rn. 23.

[33] Pflüger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Auflage 2018, Stand: 15.03.2018, § 53 SGB I, Rn. 54.

[34] Schürnbrand/Weber, in: MüKo-BGB, 8. Auflage 2019, § 491 BGB, Rn. 37.

[35] Bundestags-Drucksache, 16/11643, S. 75; BGH, Urteil v. 13.05.2014, XI ZR 405/12, Rn. 40, juris.

[36] Nietsch, in: Erman, BGB, 16. Auflage 2020, § 491 BGB, Rn. 21.

[37] Bundestags-Drucksache 16/11643, 76; Schürnbrand/Weber, in: MüKo-BGB, 8. Auflage 2019, § 491 BGB, Rn. 71 (m.w.N.).

[38] Schürnbrand/Weber, in: MüKo-BGB, 8. Auflage 2019, § 491 BGB, Rn. 53.

[39] Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkredit-Richtlinie v. 11.03.2016, BGBl. I, S. 396.

[40] Schürnbrand/Weber, in: MüKo-BGB, 8. Auflage 2019, vor § 491 BGB, Rn. 1f., § 514 BGB, Rn. 1.

[41] Stürner, in: Jauernig, BGB, 18. Auflage 2021, § 398 BGB, Rn. 14.

[42] Rohe, in: Hau/Poseck, BeckOK-BGB, 59. Edition, Stand: 01.08.2021, § 398 BGB, Rn. 74.

[43] Stürner, in: Jauernig, BGB, 18. Auflage 2021, § 398 BGB, Rn. 15; Roth/Kieninger, in: MüKo-BGB, 8. Auflage 2019, § 398 BGB, Rn. 107.

[44] Stürner, in: Jauernig, BGB, 18. Auflage 2021, § 398 BGB, Rn. 16; Rohe, in: BeckOK-BGB, 56. Edition, Stand: 01.08.2021, § 398 BGB, Rn. 74 ff.

[45] Roth/Kieninger, in: MükoBGB, 8. Auflage 2019, § 398 BGB, Rn. 26, 108.

[46] BGH, Urteil v. 23.09.1981, VIII ZR 242/80, Rn. 33 ff., juris.

[47] Für Mrozynski ist dies auch der einzig gangbare Weg; SGB I, 6. Auflage 2019, § 53 SGB I, Rn. 3.

[48] Fetzer, in: MüKo-BGB, 8. Auflage 2020, § 364 BGB, Rn. 9.

[49] Siefert, in: KassKomm-SGB I, 111. EL, September 2020, § 53 SGB I, Rn. 22.

[50] BSG, Urteil v. 26.05.2020, B 1 KR 9/18 R, Rn. 29 ff, juris.

[51] Kellner, NJW 2018, S. 3486, 3489.

[52] BSG, Urteil v. 07.11.2017, B 1 KR 24/17 R, Rn. 44.

[53] Kellner, NJW 2020, S. 3267, 3272.

[54] BSG, Urteil v. 11.07.2017, B 1 KR 26/16 R, Rn. 35, juris.

[55] So im Ergebnis auch BSG, Urteil v. 18.06.2020, B 3 KR 14/18 R, Rn. 25.

[56] Dazu Fuchs, in: Boulanger/Rosenstock/Singelnstein, Interdisziplinäre Rechtsforschung, 1. Auflage 2019, S. 243, 246 ff.; Baer, Rechtssoziologie, 2. Auflage 2015, § 7, Rn. 27 f.

[57] a. A. Lund, Beitrag A25-2021 unter www.reha-recht.de.


Stichwörter:

Genehmigungsfiktion, Kostenerstattung, Kostenerstattungsanspruch, Freistellung, Bundessozialgericht (BSG)


Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Mit * gekennzeichnete Felder müssen ausgefüllt werden.