08.04.2015 D: Konzepte und Politik Ramm/Schäfer: Beitrag D10-2015

Tagungsbericht „Ein Blick zurück und zwei nach vorn – Behindertenpolitik in Deutschland zwischen Fürsorge und Menschenrechten“ – Veranstaltung des Deutschen Behindertenrates zum Welttag der Menschen mit Behinderungen am 3. Dezember 2014 in Berlin

Die Autorinnen berichten im vorliegenden Beitrag von der Veranstaltung des Deutschen Behindertenrates „Ein Blick zurück und zwei nach vorn – Behindertenpolitik in Deutschland zwischen Fürsorge und Menschenrechten“ vom 3. Dezember 2014 in Berlin. Die Veranstaltung thematisierte die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) aus der Perspektive der Exekutive, der Judikative und der Legislative. In verschiedenen Impulsreferaten und Vorträgen wurden noch bestehende Handlungsbedarfe thematisiert. Hierzu gehöre beispielsweise der Bereich der beruflichen Teilhabe behinderter Menschen oder das Thema Barrierefreiheit.

Die Ministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, betonte in ihrem Beitrag, dass der Nationale Aktionsplan der Bundesregierung ein wichtiges Signal für die Umsetzung der UN-BRK in den verschiedenen Lebensbereichen sei. Auch die anstehende Staatenprüfung könne weitere Impulse geben.

Thematisiert wurden ebenso eine Novellierung des Behindertengleichstellungsgesetzes sowie das geplante Teilhabegesetz. Insbesondere die Anrechnung von Einkommen und Vermögen sowie ein einheitliches Bedarfsfeststellungsverfahren wurden diskutiert.

(Zitiervorschlag: Ramm/Schäfer: Tagungsbericht „Ein Blick zurück und zwei nach vorn – Behindertenpolitik in Deutschland zwischen Fürsorge und Menschenrechten“ – Veranstaltung des Deutschen Behindertenrates zum Welttag der Menschen mit Behinderungen am 3. Dezember 2014 in Berlin; Forum D, Beitrag D10-2015 unter www.reha-recht.de; 08.04.2015)


I.       Einleitung

Am 3. Dezember 2014 richtete der Deutsche Behindertenrat (DBR) die Veranstaltung „Ein Blick zurück und zwei nach vorn – Behindertenpolitik in Deutschland zwischen Fürsorge und Menschenrechten“ anlässlich des Welttags der Menschen mit Behinderungen in Berlin aus. Dort wurde die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) aus Sicht der Exekutive, der Judikative sowie der Legislative thematisiert.

II.      Vorträge

1.      Politisches Impulsreferat: „Ein Blick zurück – Erfolge, Defizite und Handlungserfordernisse bei der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention in Deutschland“

Adolf Bauer (Vorsitzender des Sprecherrates des DBR und Präsident des Sozialverbands Deutschland [SoVD]) attestierte, dass sich die Politik in Sachen UN-BRK bewege und das Bewusstsein dafür geschärft worden sei. Gleichwohl gebe es noch viele Themen die weiter bearbeitet werden müssen. Hier will der DBR als anerkannter Gesprächspartner der Politik weitere Impulse geben. Dessen Wirken sei, während des Vorsitzes des SoVD, im Schwerpunkt durch das geplante Bundesteilhabegesetz bestimmt gewesen.

Des Weiteren sieht Bauer großen Handlungsbedarf bei der beruflichen Teilhabe behinderter Menschen. Bisher sei kein Aufschwung wahrnehmbar und politische Appelle blieben bislang wirkungslos. Laut Bauer kommen 37.000 Unternehmen ihrer Beschäftigungspflicht für behinderte Menschen nicht nach. Hier bedarf es gezielter politischer Instrumente – er schlug eine Erhöhung der Ausgleichsabgabe vor. Er machte zudem darauf aufmerksam, dass im ersten Schritt die inklusive Schulbildung und inklusive berufliche Ausbildung in Betrieben ausgebaut werden müsse. Die Voraussetzungen hierfür seien noch immer nicht gegeben. Im Weiteren regte er an, in Rehabilitationsfragen den Schub aus der UN-BRK zu nutzen und einen klaren politischen Rahmen mit ausreichender finanzieller Unterstützung zu schaffen.

2.      Die Umsetzung der UN-Behinderten­rechtskonvention

2.1 Die Sicht der Exekutive: „Die Umsetzung der UN-Behindertenrechts­konvention in Deutschland – Handlungserfordernisse, Fortschritte und politische Planungen aus Sicht des Bundesministeriums für Soziales“

Den zweiten Vortrag hielt Andrea Nahles (Ministerin für Arbeit und Soziales). Sie hofft, im Jahr 2015 die Umsetzung der UN-BRK vorantreiben zu können. Sie hob die äußerst gute Kooperation mit dem DBR hervor, die für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) große Bedeutung habe. Nach Ansicht von Nahles ist es unerlässlich, an der Akzeptanz des Inklusionsbegriffes zu arbeiten, dieser müsse nun endgültig den Integrationsbegriff ablösen.  

Der Nationale Aktionsplan der Bundesregierung (NAP) sei ein wichtiges Signal, insbesondere seien dort alle Lebensfelder abgebildet – Kommunen und Unternehmen sollten sich daran orientieren. Der NAP sei als Prozess zu verstehen, der durch Evaluationen stetig weiterzuentwickeln sei.   Nahles erhofft sich zudem aus der anstehenden Staatenprüfung, welche in der 13. Sitzung des UN-Fachausschusses in Genf vom 25. März bis 17. April 2015 stattfinden wird, neue und anregende Impulse für die Behindertenpolitik der Bundesrepublik.        

Mit dem Teilhabebericht, der seit Juli 2013 vorliegt, sei schon ein richtiger Weg eingeschlagen. Aus dem Bericht gehe hervor, dass das Konzept der Teilhabe bislang weder rechtlich noch wissenschaftlich hinreichend geklärt sei. Auch in der Teilhabeforschung solle vermehrt Rücksicht auf einen interdisziplinären Ansatz genommen werden. Der nächste Teilhabebericht sei im Jahr 2016 geplant. Nahles berichtete weiterhin, dass die Eingliederungshilfe „modernisiert“ werden solle, hierzu sei bereits eine Arbeitsgruppe auf den Weg gebracht worden. Im Jahr 2016 soll ein neues Teilhabegesetz verabschiedet werden.   

Nahles berichtete zudem über die Ergebnisse der Evaluation des Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes (BGG), die durch die Universität Kassel unter Federführung von Prof. Dr. Felix Welti durchgeführt wurde.[1] Demnach sei vom Gesetzgeber ein gutes Gesetz erlassen worden, welches jedoch in der Praxis noch nicht ausreichend wahrgenommen werde. Dieses Ergebnis sei für das BMAS nicht überraschend. Eine Novellierung des BGG sei zum 1. Januar 2016 geplant.         

Weiterhin sei das Thema „Teilhabe am Arbeitsleben“ in der täglichen Arbeit des BMAS herausragend. Es müsse endlich geschafft werden, gerade unter Berücksichtigung des Fachkräftemangels, Menschen mit Behinderung stärker in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Erfreulich sei, dass Präsidenten der Handwerkskammern berichten, sich in Betrieben für Menschen mit Behinderung einsetzen zu wollen.[2] Die Zahlen sprächen für sich: 59 % der Menschen mit Behinderung haben eine sehr gute Qualifikation, jedoch keinen Arbeitsplatz. Nahles möchte diesbezüglich endlich die „Hebel in den Köpfen der Menschen“ umlegen, dazu sollen künftig auch Ansprechpartner in Betrieben gestärkt und geschult werden.   

Letztlich müsse das Dauerthema Barrierefreiheit verstärkt diskutiert werden, insbesondere werden künftig mehr alternsgerechte und behinderungsgerechte Wohnungen benötigt. Ein Bewusstseinswandel müsse hier bei allen vollzogen werden; so müsse die Ausbildung von Architekten das Thema Barrierefreiheit beinhalten. Nahles konstatierte, dass die Bundesrepublik an sehr vielen Stellen von Barrierefreiheit noch weit entfernt sei. Für ihre weitere Arbeit hoffe sie auf kritische und konstruktive Zusammenarbeit.

2.2   Die Sicht der Judikative: „Die UN-Behindertenrechtskonvention und ihre Wirkungen im deutschen Recht“

Monika Paulat (Präsidentin des LSG Berlin-Brandenburg a. D. und Präsidentin des Deutschen Sozialgerichtstages) arbeitete die UN-BRK aus Sicht der Rechtsprechung auf. Sie ordnete sie ins deutsche Recht ein, thematisierte die Entstehung, das Inkrafttreten und die Wirksamkeit der UN-BRK. Paulat meint, dass die UN-BRK bei den deutschen Gerichten angekommen sei und erörterte hierzu zahlreiche Beispiele aus der Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit, der Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie des Bundesarbeitsgerichts.[3] Sie wies aber auch darauf hin, dass es noch Unsicherheiten bei der Anwendung der UN-BRK gebe. Gerichte und Richter müssten daher weiter für das Thema sensibilisiert und es müssten verstärkt Fortbildungen zu dem Thema angeboten werden.

2.3   Die Sicht der Legislative: „Diskussion zu aktuellen Handlungserfordernissen und Planungen“

In der abschließenden Diskussionsrunde, die sich aus Vertretern der Bundestagsfraktionen, der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, Verena Bentele, sowie Dr. Martin Danner (Bundesgeschäftsführer der BAG Selbsthilfe) zusammensetzte, ging es um aktuelle Handlungserfordernisse und Planungen.    

Zentrales Thema war das geplante Bundesteilhabegesetz. Insbesondere die Anrechnung von Einkommen und Vermögen wurde diskutiert. Des Weiteren solle ein bundeseinheitliches Bedarfsfeststellungsverfahren entwickelt werden. Die Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmer waren sich einig, dass eine Sensibilisierung aller notwendig ist, um ein modernes Gesetz zu schaffen.        

Im Zuge der Diskussion um Art. 27 UN-BRK (Arbeit und Beschäftigung), wurde konstatiert, dass auch hier ein Bewusstseinswandel bei den Arbeitgebern als zu erreichendes Ziel anzustreben sei. Einigkeit bestand darüber, dass die Rechte der Schwerbehindertenvertreter gestärkt werden sollen. Es gab des Weiteren die Meinung die Arbeitgeberabgaben seien zu erhöhen. Hier zeige sich insbesondere in den kleineren und mittleren Unternehmen noch Handlungsbedarf.

III.    Abschluss

Zum Ende der Veranstaltung übergab Adolf Bauer den Vorsitz des DBR an den Allgemeinen Behindertenverband in Deutschland (ABiD), den Dr. Ilja Seifert stellvertretend entgegennahm. Seifert sprach davon, die bisher gesetzten Akzente kontinuierlich weiterzuentwickeln, jedoch den Menschenrechtsaspekt stärker hervorzuheben. Die Entwicklung müsse auf eine „Vielfalts­gesellschaft“ zielen.

Beitrag von Diana Ramm, M.A. und Aimée Schäfer LL.M., beide Universität Kassel

Fußnoten:

[1]Abrufbar ist der Forschungsbericht „Evaluation des Behindertengleichstellungsgesetzes“ unter www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/Forschungsberichte/Forschungsberichte-Teilhabe/fb-445.html;jsessionid=369429A5F0FB590C0D9462841C024EE1 .

[2]Bspw. der Präsident der Handwerkskammer Konstanz: www.hwk-konstanz.de/artikel/handwerk-inklusiv-teilhabe-von-menschen-mit-behinderungen-am-arbeitsleben-64,369,306.html.

[3]Z. B. LSG Berlin-Brandenburg Urteil v. 03.12.2009 L 13 SB 235/07; OVG Lüneburg Beschluss v. 15.10.2013 4 ME 238/13; BAG Urteil v. 19.12.2013 6 AZR 190/12.


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