07.05.2020 D: Konzepte und Politik Hansen: Beitrag D10-2020

Paradigmenwechsel: Das neue Soziale Entschädigungsrecht des SGB XIV

Der Autor befasst sich mit den Neuerungen des Sozialen Entschädigungsrechts. Ansprüche von Kriegsopfern, Opfern einer Gewalttat, einer Schädigung durch eine Impfung oder im Zivildienst werden ab dem 01.01.2024 durch das SGB XIV erfasst. Bislang sind diese Ansprüche im Bundesversorgungsgesetz, Opferentschädigungsgesetz (OEG) Zivildienstgesetz (ZDG) und Infektionsschutzgesetz (IfSG) geregelt. Der Beitrag beinhaltet eine Darstellung des Aufbaus des SGB XIV sowie dessen Neuregelungen sowohl hinsichtlich des Leistungsrechts als auch bezogen auf das Verwaltungsverfahren und die prozessuale Zuständigkeit. Teil der Darstellung sind auch die Änderungen, die bereits rückwirkend in Kraft getreten sind. 

(Zitiervorschlag: Hansen: Paradigmenwechsel: Das neue Soziale Entschädigungsrecht des SGB XIV; Beitrag D10-2020 unter www.reha-recht.de; 07.05.2020)

I. Thesen des Autors

  1. Mit dem Inkrafttreten des SGB XIV werden zahlreiche bislang durch die Rechtsprechung herausgearbeitete Ansprüche und Grundsätze im Gesetz normiert.
  2. Die ab dem 01.01.2024 eingeführten Zuständigkeitsregelungen führen zu einer Zersplitterung der Bearbeitung von Anträgen.
  3. Mit dem SGB XIV kommt es zu einer deutlichen Anhebung der Entschädigungszahlungen.
  4. Durch das SGB XIV wird der Begriff der „psychischen Gewalt“ im Opferentschädigungsrecht eingeführt, der durch Regelbeispiele erläutert wird, die aber ihrerseits zu Auslegungsproblemen führen.

II. Ausgangssituation – Ablösung des Bundesversorgungsgesetzes

Mit Inkrafttreten des ersten Teils des Sozialgesetzbuchs (SGB) XIV am 20.12.2019[1] kommt es zu dem von der Politik seit Jahren angekündigten Paradigmenwechsel im Sozialen Entschädigungsrecht (SER), insbesondere der Ablösung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) als „Leitgesetz“, auf das die weiteren Gesetze im sozialen Entschädigungsrecht verwiesen haben. Mit einer langen Übergangsregelung werden Ansprüche von Kriegsopfern, Opfern einer Gewalttat, einer Schädigung durch eine Impfung oder im Zivildienst ab dem 01.01.2024 durch das SGB XIV erfasst. Bislang waren diese Ansprüche im Bundesversorgungsgesetz, Opferentschädigungsgesetz (OEG) Zivildienstgesetz (ZDG) und Infektionsschutzgesetz (IfSG) geregelt. Für die bisher im SVG geregelten Fälle des Soldatenversorgungsrechts bleiben bis zum Inkrafttreten einer neuen gesetzlichen Regelung die untergesetzlichen Normen des BVG anwendbar.[2]

Rückwirkend in Kraft getreten ist schon zum 01.07.2018 eine Änderung des § 1 Abs. 3 ff. OEG: Danach wird die bisher eingeschränkte Anwendung des OEG auf Ausländer, die nicht zugleich EU-Bürger oder Bürgerinnen sind, aufgehoben. Anspruch auf Versorgung nach dem OEG haben nach § 1 Abs. 4 Nr. 3 OEG nunmehr seit dem 01.07.2018 alle Ausländer und Ausländerinnen, die sich rechtmäßig im Geltungsbereich des OEG aufhalten. Mit dem Wegfall des bisherigen Gegenseitigkeitserfordernisses (§ 1 Abs. 4 Nr. 3 OEG i. d. F. vom 20.6.2011) kommt der Gesetzgeber einer Anregung des Opferbeauftragten der Bundesregierung nach.

III. Aufbau des SGB XIV und Neuregelungen

1. Leistungszugang

Im allgemeinen Teil des SGB XIV finden sich die Bestimmungen, die bisher im BVG für alle Teile des SER geregelt waren, angefangen bei den Bestimmungen zur Kausalität. Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge genügt nach § 4 Abs. 4 SGB XIV die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs, die gegeben ist, wenn nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht.

Neu aufgenommen hat der Gesetzgeber eine Regelung zum ursächlichen Zusammenhang von Schädigung und psychischen Leiden, wo bislang auf die seit 2009 an sich nicht mehr anwendbaren Anhaltspunkte 2008 (AHP) zurückgegriffen wurde, die eine sog. bestärkte Wahrscheinlichkeit als ausreichend ansahen.[3] Nun gilt, wenn auch erst ab 01.01.2024, nach § 4 Abs. 5 SGB XIV, dass bei psychischen Gesundheitsstörungen die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs im Einzelfall vermutet wird, wenn diejenigen medizinischen Tatsachen vorliegen, die nach den Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft geeignet sind, einen Ursachenzusammenhang zwischen einem nach Art und Schwere geeigneten schädigenden Ereignis und der gesundheitlichen Schädigung und der Schädigungsfolge zu begründen und diese Vermutung nicht durch einen anderen Kausalverlauf widerlegt wird. Damit wird der von der Rechtsprechung genutzte Verweis auf die Anhaltspunkte[4] als antizipierte Sachverständigengutachten gesetzlich normiert.

2. Änderungen im Leistungsrecht

Das bisherige detaillierte Leistungsrecht des BVG wird durch das SGB XIV vereinfacht, indem es in Zukunft als Leistungen nur noch die Entschädigungszahlungen entsprechend dem Grad der Schädigungsfolgen (GdS), Berufsschadensausgleich und Leistungen der Krankenbehandlung geben wird. Neu wird es zudem die sog. „Schnellen Hilfen“ (§ 29 SGB XIV) geben, die Leistungen der Traumaambulanz und des Fallmanagements umfassen. Sie dienen der schnellen Hilfe insbesondere nach einer Gewalttat und ermöglichen auch schon vor der Entscheidung über einen Versorgungsantrag nach summarischer Prüfung Sitzungen in einer Traumaambulanz.

Bei den Bestimmungen zum GdS, nach dem sich die Höhe von Entschädigungszahlungen bemisst, bleibt es im Wesentlichen bei den bisherigen Grundsätzen des § 30 Abs. 1 BVG. Deutlich erhöht werden durch das SGB XIV die entsprechend der GdS-Anerkennung zu leistenden Zahlbeträge, z. B. bei einem GdS von 30 statt 151 € nach dem BVG auf 400 € nach dem SGB XIV bis von 784 € auf 2.000 € bei einem GdS von 100. Die Steigerung erfolgt nicht mehr wie nach § 30 Abs. 1 BVG in 10er-Graden, sondern in fünf verschiedenen Stufen, in 20er-Schritten, d. h. 30 und 40, 50 und 60, 70 und 80 sowie dann einzeln 90 und 100, vgl. § 83 SGB XIV. Entschädigungszahlungen sind nicht pfändbar und werden nicht auf andere Sozialleistungen angerechnet (§§ 9; 28 Abs. 2 f SGB XIV). Diese deutliche Anhebung der Entschädigungszahlungen wird möglich, weil nach den Berechnungen der Bundesregierung aufgrund des natürlichen Wegfalls der Weltkriegsgenerationen und der damit anspruchsberechtigten Kriegsopfer die gesamten nach dem SER zu zahlenden Beträge trotz einer deutlichen Erhöhung massiv zurückgehen werden.[5]

Eine Änderung ergibt sich für den GdS bei Kindern: Nach § 5 Abs. 1 S. 5 SGB XIV ist bei geschädigten Kindern und Jugendlichen der GdS nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, während bislang nach den versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil A 2 c) der Grad der Behinderung (GdB) und GdS eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraussetzt.

Wesentliche Änderungen ergeben sich bei der Hinterbliebenenversorgung: Bisher erhalten Witwen, Witwer oder hinterbliebene Lebenspartner eine Grundrente von 472 Euro monatlich, wenn die Partnerin oder der Partner an den Schädigungsfolgen verstorben war, zuzüglich ggf. Schadensausgleich oder Ausgleichsrente (§§ 40, 40 a BVG). Dieser Betrag wird auf 1.055 € angehoben, allerdings nur für Hinterbliebene einer/eines schädigungsbedingt verstorbenen Geschädigten (§ 85 Abs. 1 SGB XIV). Eine Leistung, wie die bisher mögliche Hinterbliebenenbeihilfe (§ 48 BVG) für Hinterbliebene, deren Partnerin oder Partner nicht schädigungsbedingt verstorben sind, sieht § 148 SGB XIV als Übergangsregelung nur für Ausnahmefälle vor, wenn u. a. die Schädigung vor Inkrafttreten des SGB XIV erfolgt und die Ehe vor diesem Zeitpunkt geschlossen war.

Nach § 152 SGB XIV können bisherige Leistungsbezieher innerhalb eines Jahres wählen, ob sie nach dem neuen Recht entschädigt werden wollen. Entscheiden sie sich für die Beibehaltung der bisherigen Versorgung, erhalten sie weiter die ihnen im Dezember 2023 zustehenden Beträge, zuzüglich 25 % (§ 144 Abs. 1 SGB XIV).

Den Ausschluss von Leistungen regeln die §§ 16 und 17 SGB XIV. Danach sind Ansprüche ausgeschlossen oder Anträge können abgelehnt werden, wenn der Geschädigte das schädigende Ereignis in vorwerfbarer Weise verursacht hat, wenn es aus in dem eigenen Verhalten der Antragstellerin oder des Antragstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Leistungen der Sozialen Entschädigung zu erbringen, oder wenn Geschädigte es unterlassen haben, das ihnen Mögliche und Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Verfolgung der Täterin oder des Täters beizutragen.

Nicht ganz unproblematisch ist die Regelung des § 16 Abs. 2 SGB XIV, wonach Leistungen so zu erbringen sind, dass sie nicht der Person wirtschaftlich zugutekommen, die das schädigende Ereignis verursacht hat. Gedacht ist vor allem auch an Opfer aus Partnerschaftsbeziehungen. Von der Leistungserbringung ausgeschlossen sein können damit Opfer von häuslicher Gewalt oder Partnerschaftsgewalt, die sich entscheiden, in ihr häusliches Umfeld und damit zum Täter oder zur Täterin zurückkehren,[6] vor allem, wenn nach § 17 Abs. 2 SGB XIV die fehlende Mithilfe bei der Strafverfolgung des Täters zugleich ein Versagungsgrund ist. Dies widerspricht aber Art. 18 Abs. 4 des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) vom 11.05.2011 (BGBl. 2017 II S. 1027). Danach darf die Bereitstellung von Diensten (Art. 20 Abs. 1 der Konvention), zu denen Geldleistungen und Unterstützung nach einer Gewalttat gehören, nicht von der Bereitschaft des Opfers abhängen, Anzeige zu erstatten oder gegen den Täter beziehungsweise die Täterin auszusagen, was mit § 17 Abs. 2 SGB XIV kollidiert.

Im Bereich des Opferentschädigungsrechts regelt das SGB XIV nun auch Ansprüche, die durch die Rechtsprechung[7] herausgearbeitet wurden. So erfasst § 14 Abs. 2 SGB XIV auch die Fälle der sog. Sekundärschäden, also diejenigen Fälle, in denen ein i. d. R. psychischer Schaden bei einer anderen Person als dem unmittelbar angegriffenen Opfer eintritt. Solche Schädigungen hatten Rechtsprechung und Verwaltung bislang schon als entschädigungsberechtigt anerkannt, wenn eine besondere „Nähe“ zwischen Opfer und Drittem bestand.[8] Eine solche Nähe liegt nach § 14 Abs. 2 S. 3 SGB XIV zusätzlich zu Eltern, Kindern, Geschwistern und Ehepartnern vor, wenn zwischen diesen Personen und dem Opfer eine enge emotionale Beziehung besteht. „Eine solche Beziehung besteht in der Regel mit Angehörigen und Nahestehenden“, wobei der Begriff der „Nahestehenden“ in § 2 Abs. 5 SGB XIV als Geschwister oder Personen definiert wird, die mit dem Opfer in einer eheähnlichen Beziehung leben.

Auch die lange angekündigte Versorgung wegen psychischer Schäden ist nun durch § 13 Abs. 1 SGB XIV aufgenommen. Danach wird Entschädigung Opfern eines sonstigen vorsätzlichen, rechtswidrigen, unmittelbar gegen die freie Willensentscheidung einer Person gerichteten schwerwiegenden Verhaltens (psychische Gewalttat) gewährt, freilich auch erst ab 01.01.2024. Um erwarteten Auslegungsschwierigkeiten zu begegnen, wann ein solches Verhalten „schwerwiegend“ oder von „vergleichbarer Schwere“ ist, finden sich in § 13 Abs. 2 SGB XIV Regelbeispiele aus dem Strafgesetzbuch (StGB). Diese leiden allerdings daran, dass Straftatbestände aufgeführt sind, die unterschiedliche Strafrahmen aufweisen, von drei Monaten bis fünf Jahre (§ 238 Abs. 2 StGB) bis nicht unter fünf Jahren bei der Geiselnahme nach § 255 StGB. Was dann von „mindestens vergleichbarer Schwere“ ist, dürfte in der Praxis zahlreiche Fragen aufwerfen und damit wenig hilfreich zur Auslegung der Generalklausel „oder von mindestens vergleichbarer Schwere“ sein.

Indem § 13 Abs. 2 SGB XIV als Regelbeispiel einer psychischen Gewalttat nur die in § 238 Abs. 2 und 3 StGB strafbewehrten Tatbestände des Nachstellens festlegt, also ein Nachstellen, bei dem der Täter das Opfer, einen Angehörigen des Opfers oder eine andere dem Opfer nahestehende Person durch die Tat mindestens in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt, scheiden die Fälle des einfachen Stalkings (§ 238 Abs. 1 StGB) weiter aus der Versorgung als Gewalttat aus.

Bislang scheiterte ein Anspruch von Kindern aufgrund von Schädigungen durch Vernachlässigung oder missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge oft am eng auszulegenden Begriff des „tätlichen Angriffs“ in § 1 Abs.1 OEG.[9] Nun wird eine „erhebliche Vernachlässigung von Kindern“ nach § 14 Abs. 1 SGB XIV einer Gewalttat gleichstehen. Was eine „erhebliche Vernachlässigung“ ist, wird im Einzelfall nicht ganz einfach zu beurteilen sein. Erfasst werden sollen körperliche Vernachlässigungen wie unzureichende Ernährung und Verhinderung medizinisch notwendiger Hilfe, aber auch eine psychische Vernachlässigung durch Sorgeberechtigte, die erheblich und als eindeutig falsches Erziehungsverhalten zu werten sein muss. So genügt nach der Gesetzesbegründung[10] etwa nicht das Alleinlassen des Kindes für kurze Zeit, um eine erhebliche Vernachlässigung zu begründen.

Unmittelbare Folge des Anschlags am Berliner Breitscheidplatz vom 19.12.2016 ist, dass nunmehr ab 01.01.2024 nach § 18 SGB XIV auch Anschlagsopfer von Taten mit einem Kraftfahrzeug Entschädigung erhalten können. Der bislang geltende Ausschluss der Opfer von Gewalttaten, die mit einem Kfz begangen werden (§ 1 Abs. 11 OEG), hatte nur durch Anwendung der Härtefallklausel (§§ 1 Abs. 12 OEG; 89 BVG) aufgefangen werden können. Diese und die Entschädigung über die Verkehrsopferhilfe führten allerdings wegen der damit verbundenen Pauschalierung zu Kritik.[11]

Während das BVG für die Kriegsopferversorgung noch eine Vielzahl von Bestimmungen enthält, welche Tatbestände entschädigt werden können, findet sich in § 21 SGB XIV nur noch eine Generalklausel. Danach erhält Entschädigung, wer im Inland durch Auswirkungen kriegerischer Vorgänge im Zusammenhang mit einem der beiden Weltkriege, die einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich hinterlassen haben, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Hintergrund ist, dass nach nunmehr 75 Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg nur noch mit Anträgen wegen Schädigungen durch Kriegshinterlassenschaften wie z. B. Bomben oder Munitionsfunden zu rechnen ist.

Recht kompliziert sind im neuen Recht die Regelungen zur Heilbehandlung und zur Versorgung mit Hilfsmitteln, Pflegeleistungen, Pflegehilfsmitteln und Teilhabeleistungen, die unterschiedliche Zuständigkeiten und Maßstäbe vorsehen.[12]

Träger der Sozialen Entschädigung sind die Länder. Für die Leistung und Lieferung von Hilfsmitteln gelten dabei die Leistungserbringungsgrundsätze der gesetzlichen Unfallversicherung (§§ 46 Abs. 2 S. 2 SGB XIV; 1 SGB VII), wonach es Aufgabe ist, die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit der Versicherten mit allen geeigneten Mitteln wiederherzustellen. Für die Heilbehandlung gelten hingegen die Grundsätze der gesetzlichen Krankenversicherung (§§ 42 Abs. 1 S. 2 SGB XIV; 2; 12 Abs. 1 S. 1 SGB V), also u. a. die Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots, so dass die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten sollen.

Dabei erbringen für die zuständige Behörde der Länder die Leistungen der Krankenbehandlung die gesetzlichen Krankenkassen, Leistungen der Hilfsmittelversorgung die Unfallkassen der Länder, Pflegeleistungen die Pflegekassen und die übrigen Leistungen die zuständige Behörde der Länder selbst. Über Widersprüche gegen Bescheide dieser Behörden entscheidet dann wiederum die für die Versorgungsverwaltung nach dem Landesrecht zuständige Behörde. Insbesondere wegen der damit befürchteten „Zersplitterung der Zuständigkeiten“ hatte der Bundesrat starke Kritik geübt und bis zum Inkrafttreten am 01.01.2024 eine Änderung gefordert.[13]

3. Änderungen im Verwaltungsverfahren und prozessuale Zuständigkeit

Für das Antragsverfahren zu den Schnellen Hilfen gibt es den neuen Beweismaßstab der summarischen Prüfung: Im erleichterten Verfahren wird danach weder eine Feststellung über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit des von der antragstellenden Person vorgetragenen Sachverhaltes noch über das Bestehen oder Nichtbestehen weiterer über die Schnellen Hilfen hinausgehender Ansprüche getroffen. Beschränkt sich der Antrag ausdrücklich nur auf die Schnellen Hilfen, so können bis zu fünf Sitzungen in einer Traumaambulanz, insbesondere zur Abklärung der psychotherapeutischen Behandlungsbedürftigkeit, der Durchführung der Diagnostik und der erforderlichen Akutmaßnahmen erbracht werden (§§ 115 Abs. 2 f; 34 Abs. 2 SGB XIV). Lediglich wenn weitergehende Leistungen beantragt werden, der Antrag also nicht auf die Schnellen Hilfen beschränkt wurde, ist nach den Schnellen Hilfen die weitere Prüfung anzustellen, ob Leistungsansprüche der Sozialen Entschädigung bestehen. Ist dies nicht der Fall, wird der Verwaltungsakt, der zuvor im erleichterten Verfahren ergangen ist, mit Wirkung für die Zukunft widerrufen.

Für das übrige Verwaltungsverfahren wurde die bisher anzuwendende Beweislastregelung des § 15 Abs. 2 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG) in § 117 Abs. 1 und 2 SGB XIV übernommen. Danach sind die Angaben der antragstellenden Person, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zu Grunde zu legen, wenn Beweismittel nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden der antragstellenden Person oder ihrer Hinterbliebenen verloren gegangen sind, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Eine Tatsache erscheint glaubhaft, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht.

Eine Neuregelung zur prozessualen Zuständigkeit findet sich etwas versteckt in Art. 16 Nr. 11 des Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts vom 12.12.2019.[14] danach wird durch eine Änderung des § 51 Abs. 1 Nr. 6 SGG zum 01.01.2024 die Sozialgerichtsbarkeit für alle Angelegenheiten des Sozialen Entschädigungsrechts zuständig, da dann die bisherige Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit für die jetzige Kriegsopferfürsorge wegfällt.

Beitrag von Dr. Hans-Georg Hansen 

Fußnoten

[1] Gem. Art. 60 Abs. 3 des Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts vom 12.12.2019, BGBl. I S. 2652, 2724.

[2] Art. 6 des Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts vom 12.12.2019 (Fn. 2).

[3]  „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2008“, Nr. 71, download unter https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Rundschreiben-SE/Anhaltspunkte-aerztliche-Gutachtertaetigkeit.pdf?__blob=publicationFile&v=2; zuletzt abgerufen am 06.05.2020, BSG, Urteil vom 12.06.2003 – B 9 VG 1/02 R –, SozR 4-3800 § 1 Nr. 3; Knickrehm, MedSach 2012, 101, 104.

[4]    BSG, Urteil vom 12.06.2003 – B 9 VG 1/02 R –, SozR 4-3800 § 1 Nr. 3; BSG, Urteil vom 07.04.2011 – B 9 VJ 1/10 R –, SozR 4-3851 § 60 Nr 4, Rn. 41; BSG, Urteil vom 16.12.2014 – B 9 V 6/13 R –, SozR 4-7945 § 3 Nr. 1.

[5] Bundestags-Drucksache 19/13824, S. 3 f.

[6] Bundestags-Drucksache 19/13824, S. 206 f.

[7] BSG, Urteil vom 08.08.2001 – B 9 VG 1/00 R –, SozR 3-3800 § 1 Nr. 20.

[8] BSG, Urteil vom 10.12.2002 – B 9 VG 7/01 R –, SozR 3-3800 § 1 Nr. 23; BSG, Beschluss vom 25.09.2017 – B 9 V 30/17 B –; Hansen, ZfS 2006, 68.

[9] Vgl. BSG, Beschluss vom 23. März 2015 – B 9 V 48/14 B –; LSG Stuttgart, Urteil vom 06.12.2018 – L 6 VG 2096/17 –, Rn. 75, juris; Rademacher in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 1 OEG Rn. 51.

[10] Bundestags-Drucksache 19/13824, S. 205; vgl. auch Feldhoff, RP Reha 3/2019, S. 34.

[11] Vgl. Abschlussbericht des Bundesbeauftragten für die Opfer und Hinterbliebenen des Terroranschlags auf dem Breitscheidplatz, S. 21 ff, https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/121317_Abschlussbericht_Opferbeauftragter.pdf?__blob=publicationFile&v=1, zuletzt abgerufen am 21.01.2020.

[12] Vgl. Kranig, RP Reha 3/2019, S. 15 ff.

[13] Bundesrats-Drucksache 549/1/19.

[14] BGBl. 2019, Teil 1, S. 2698.


Stichwörter:

SGB XIV, Soziales Entschädigungsrecht, Bundesversorgungsgesetz, Leistungsrecht, Leistungsrechtliche Zuständigkeit, Entschädigung, Entschädigungsansprüche, Grad der Schädigungsfolgen, psychische Belastung, Beweislast, Kriegsopferversorgung, Schnelle Hilfen (§§ 29 SGB XIV), Anschlagsopfer von Taten mit einem Kraftfahrzeug (§ 18 SGB XIV)


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