10.02.2022 D: Konzepte und Politik Heimer, Maetzel, Schütz: Beitrag D2-2022

Befunde aus der wissenschaftlichen Begleitung der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) – Teil II: Prozess- und Ergebnisqualität

Nachdem im Jahr 2018 die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) im Zuge des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) zunächst modellhaft eingeführt wurde, wird diese ab diesem Jahr zu einem festen Bestandteil in der Beratungslandschaft. Im vorliegenden zweiten Teil des Beitrags präsentieren Andreas Heimer, Jakob Maetzel (beide Prognos AG) und Dr. Holger Schütz (infas) erste Ergebnisse zur Prozess- und Ergebnisqualität der EUTB-Beratung. Im Vordergrund stehen hier Beratungsprozesse und -ergebnisse. Es kann u.a. gezeigt werden, welche Beratungsformen eine wichtige Rolle spielen und wie sich die Pandemie auf das Beratungsangebot ausgewirkt hat. Weiterhin wird über das Themenspektrum in den Beratungen sowie Einflussfaktoren auf die Beratungsqualität informiert. Ein kritischer Faktor für die Beratungsqualität sind bspw. die (knappen) personellen Ressourcen. Die Inanspruchnahme der Beratungen in den EUTB haben seit Einführung der Modellversuche deutlich zugenommen. Ob ein Beratungsanliegen abschließend geklärt werden kann, ist nicht zuletzt auch vom Ausmaß der Beeinträchtigung abhängig. Die EUTB erfreuen sich einer hohen Akzeptanz durch flexible und vielfältige Angebote.

(Zitiervorschlag: Heimer, Maetzel, Schütz: Befunde Befunde aus der wissenschaftlichen Begleitung der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) – Teil II: Prozess- und Ergebnisqualität; Beitrag D2-2022 unter www.reha-recht.de; 10.02.2022)

I. Einleitung

Im Jahr 2018 begann die modellhafte Einführung der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB), die zum Jahr 2022 in den Regelbetrieb übergegangen ist. Die EUTB ist ein wichtiger Baustein der im Bundesteilhabegesetz (BTHG) angelegten Neuordnung des Leistungsrechts für Menschen mit Behinderungen in Übereinstimmung mit der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK).

Die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gem. § 32 Abs. 5 BTHG beauftragte wissenschaftliche Begleitung untersucht Ziele, Rahmenbedingungen, den Einführungs- und Umsetzungsprozess sowie Ergebnisse der EUTB. Die Begleitforschung erfolgt durch ein Konsortium aus den Forschungsinstituten Prognos und infas (Institut für angewandte Sozialwissenschaft) sowie Prof. Gudrun Wansing von der Humboldt-Universität zu Berlin. Der vorliegende Artikel stellt Zwischenergebnisse aus der Begleitforschung vor.

Nach der Vorstellung des Forschungskonzepts und der Präsentation erster Ergebnisse zur Struktur- und Konzeptqualität der Beratung sowie der Grundqualifizierung im ersten Teil,[1] geht der zweite Teil dieses Artikels auf Aspekte der Beratungsprozesse und der Beratungsergebnisse ein.

II. Prozesse: Wie wird in den EUTB-Angeboten beraten?

1. Prozessqualität als Konzept

Bei der Prozessqualität stehen Merkmale des eigentlichen Beratungsvorgangs sowie flankierende Aktivitäten im Vordergrund, die sich auf die Zielerreichung der EUTB auswirken können. Hierzu zählen Beratungsmethodik ebenso wie Beratungsinhalte, die Bedarfsorientierung und/oder eine Weitervermittlung an andere Unterstützungsangebote, sofern sinnvoll oder erforderlich. Hinzu kommen kommunikative Aspekte zwischen beratender und ratsuchender Person, mit möglicherweise spezifischen Ausprägungen im Kontext von Peer-Beratung. Angemessene sprachliche und nonverbale Verständigung sowie soziale Empathie tragen zu barrierearmer oder barrierefreier Kommunikation im Rahmen einer interaktiv angelegten Beratungssituation bei. Darüber hinaus sind auch Fragen der Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit für die Prozessqualität relevant.

2. Zentrale Befunde

Die EUTB-Angebote bieten vielfältige Beratungsformen an. Bis 2019 bildete das persönliche Gespräch im direkten Gegenüber die bei Beratungskräften und Ratsuchenden beliebteste Form der Beratung. Insbesondere in ländlichen Regionen kommt zudem der aufsuchenden Beratung eine besondere Bedeutung zu, um vor allem die Bedarfe immobiler und schwer erreichbarer Adressatengruppen in regional größeren Einzugsgebieten abzudecken. Fast alle EUTB-Angebote (95 %) bieten aufsuchende Beratung an. Seit Beginn der Corona-Pandemie hat sich das Beratungsgeschehen allerdings merklich zu kontaktvermeidenden Kommunikationswegen verlagert. Kumuliert über die ersten drei Jahre zeigt sich daher die telefonische Beratung als häufigste Beratungsform der EUTB – was ohne Pandemieeffekt wohl kaum der Fall gewesen wäre. Mit der Pandemie sind überdies Beratungen per E-Mail sowie per Social Media, Chat oder Videosoftware zusammen auf gut ein Fünftel gestiegen (Stand April 2020). Um Face-to-Face-Beratung partiell weiter zu ermöglichen, haben manche EUTB zudem den Weg beschritten, die Beratung ins Freie zu verlegen, wodurch praktisch eine besondere Form der aufsuchenden Beratung entstand.

Die EUTB deckt insgesamt ein vielfältiges und mehrdimensionales Spektrum an Beratungsanlässen und -themen ab. Mit ihrem umfassenden und thematisch breitgefächerten Ansatz zeigen sich die EUTB-Angebote den Anforderungen des Gesetzgebers (siehe Förderrichtlinie) verpflichtet, ganzheitlich und bedürfnisorientiert zu beraten. Nach den bisherigen Forschungsbefunden erfüllen sie die gesetzliche Zielstellung, orientierende Vorfeldberatung zur Leistungsbeantragung zu geben, was zu den häufigsten Beratungsthemen zählt.[2] Beratungen zum Umgang mit Beeinträchtigungen, Behinderung oder chronischer Erkrankung werden ebenfalls besonders häufig nachgefragt: Jeweils 62 % der Befragten haben diese Themen bei der Befragung der Ratsuchenden im Rahmen der EUTB-Evaluation benannt. Und aus der Perspektive der Dokumentation der EUTB-Beratungsgespräche entfallen kumuliert zwischen 2018–2020 mehr als ein Drittel aller Beratungen von Menschen mit (drohenden) Behinderungen auf die Schwerpunktthemen Gesundheit und Umgang mit der eigenen Situation.

Die EUTB-Beratungskräfte unternehmen nach ihren Angaben viel für den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zu den Ratsuchenden. Dazu gehört zum Beispiel das wertschätzende, aktive Zuhören, die Erläuterung von Datenschutzaspekten zu Beginn des Gesprächs, die Offenheit für die Themenvielfalt, die Gestaltung der Räumlichkeiten sowie die praktische Garantie, zumindest eine erste Anlaufstelle für alle Anliegen zu sein. Die Befragung von Ratsuchenden bestätigt ein hohes Maß an Vertrauen zu den EUTB-Beratungskräften. Dies dürfte auch mit der Peer-Beratung zu tun haben, die große Wertschätzung unter Ratsuchenden, Beratungskräften und kooperierenden Leistungsträgern genießt. Etwa die Hälfte der befragten Ratsuchenden gibt an, dass Peer Beratung wichtig ist. Ein Großteil dieser Gruppe nennt als Grund dafür, dass die Peer-Beratungskraft ihre Lebenssituation besser kenne und einschätzen könne, welche Art von Hilfe sie benötigen.

Zugleich ist Peer-Beratung jedoch nicht automatisch gleichbedeutend mit guter Beratung. Für gute Beratungsleistungen ist es wichtig, das beraterische Handeln an fachlichen und methodischen Standards und Ansprüchen auszurichten. Professionelle Beratungskompetenz ist nicht einfach vorhanden, sondern muss in der Regel über Qualifizierung, berufliche Praxis und Weiterbildung erworben und entwickelt werden. Nicht immer ist es aber den EUTB-Angeboten möglich, (Peer-)Beratungskräfte zu finden, die diese Anforderungen erfüllen. Wird Peer-Beratung in ehrenamtlicher Form erbracht, kommt erschwerend hinzu, dass die EUTB-Grundqualifizierung bisher nicht für ehrenamtliche Beratungskräfte vorgesehen ist und sie im Regelfall nicht daran teilnehmen können.

Um ihren Auftrag gut erfüllen zu können, Beratung für alle Themen und ratsuchenden Menschen mit Behinderungen (und deren Angehörigen) anzubieten, ist es für EUTB-Angebote auch wichtig, aktive Netzwerkarbeit zu betreiben. Diese fördert die Bekanntheit und die Einbindung des EUTB-Angebots in die regionale Beratungs- und Unterstützungslandschaft. Ersten Rückmeldungen von Leistungsträgern zufolge haben sich EUTB-Angebote teilweise schon erfolgreich als neues Beratungsangebot eingeführt; diese Leistungsträger machen nun ihrerseits – wie vom Gesetz (§ 32 Abs. 2 SGB IX) vorgesehen – auf EUTB-Angebote aufmerksam und arbeiten mit EUTB punktuell oder auch regelmäßiger zusammen. Noch kooperieren längst nicht alle Leistungsträger mit den EUTB-Angeboten. Insgesamt arbeiten die EUTB-Angebote aber mit vielen Partnern zusammen und fügen sich in die örtlichen Versorgungsstrukturen ein. Am häufigsten kooperieren sie mit Behindertenverbänden und -initiativen sowie anderen Beratungsstellen.

III. Ergebnisse: Was kommt bei der Beratung heraus?

1. Ergebnisqualität als Konzept

Bei der Dimension der Ergebnisqualität geht es darum, welche Wirkungen die EUTB hervorbringt, vor allem gemessen an ihren Zielsetzungen. So betrifft die Ergebnisqualität zunächst die unmittelbar messbaren oder manifesten Resultate der Beratung, darüber hinaus aber auch mittel- oder längerfristige Effekte, die sich aus der Beratung für die Zielpersonen, andere Gruppen und die Gesellschaft insgesamt ergeben. Auf Ebene der Ratsuchenden geht es dabei etwa um die Stärkung des individuellen Selbstvertrauens, der Partizipation und der Eigenverantwortung. Dies kann in der Folge die Stellung und den Umgang von Menschen mit Behinderungen gegenüber Rehabilitationsträgern und Leistungserbringern und vice versa verändern. Die – von der EUTB normativ angestrebte – Verbesserung der Selbstbestimmung und Teilhabe von Ratsuchenden bleibt also keineswegs auf die Ratsuchenden selbst beschränkt.

Zu solchen mittelfristigen Auswirkungen der EUTB liegen aktuell noch keine Ergebnisse vor. Dies hat vor allem damit zu tun, dass die dafür wichtige Wiederholungsbefragung von Ratsuchenden erst vor kurzem abgeschlossen wurde. Denn erst durch den Vergleich von erster und zweiter Befragung der Ratsuchenden können Änderungen von Teilhabeindikatoren festgestellt und abgebildet werden. Diese Analysen werden im Endbericht der Evaluation vorgestellt.

2. Erste, kurzfristige Befunde

Bereits zum jetzigen Zeitpunkt liegt eine Reihe von Daten zu kurzfristigen Ergebnisindikatoren vor. Dazu gehören u. a. die Inanspruchnahme und Akzeptanz der Beratung sowie die Zufriedenheit mit der Beratung. Wie bereits in Teil I[3] ausgeführt, hat sich das Beratungsaufkommen im Zeitverlauf mit zunehmender Etablierung und Bekanntheit der EUTB sukzessive gesteigert und lag 2020 bei durchschnittlich ca. 15.000 Beratungen pro Monat.

In diesem Rahmen bildet auch die Klärung von Informations- und Beratungsanliegen im oder durch das Beratungsgespräch einen einfachen Output- oder Ergebnisindikator. Bezüglich der Anzahl und Anteile von geklärten Anliegen zeigen die Befunde zusammengefasst, dass einer Hälfte der Ratsuchenden (48 Prozent) bis zum Befragungszeitpunkt abschließend geholfen werden konnte, dass aber zugleich für die andere Hälfte (48 Prozent) der Ratsuchenden eine finale Klärung der Anliegen noch ausstand. Dies bestätigt, dass Beratung häufig mehrere Termine und Zeit benötigt, um zu einem Ergebnis zu kommen. Dabei fällt gerade für EUTB-Ratsuchende, die sich durch ihre Beeinträchtigung(en) in ihrem Alltag besonders stark eingeschränkt fühlen, der Anteil der durch die Beratung geklärten Anliegen geringer aus als bei Ratsuchenden mit geringen Alltagseinschränkungen (der Unterschied beträgt 11 Prozentpunkte). Dies erscheint als ein plausibler Befund.

In der Gesamtschau wird von der EUTB ein breites Spektrum an Zielgruppen nach Art der Beeinträchtigungen und Beratungsanliegen erreicht. Inanspruchnahme und Akzeptanz des EUTB-Angebots erscheinen mithin stark ausgeprägt. Unterstrichen wird dies durch die hohe Zufriedenheit mit der EUTB: 85 % der befragten Ratsuchenden zeigen sich mit diesem Beratungsangebot sehr zufrieden. Besonders zufrieden sind dabei Ältere ab 66 Jahren (ca. 92 %) sowie Ratsuchende mit bereits fünf oder mehr Beratungsgesprächen (91 %). Das Merkmal Peer-Beratung ergibt dabei keinen Unterschied für die Zufriedenheit (bezogen nur auf die ausgewertete Erstbefragung). Das bedeutet, Ratsuchende die eine Peer-Beratung erhalten haben, zeigen sich nicht zufriedener als Ratsuchende, deren Beratung nicht das Kriterium „Beratung für Betroffene von Betroffenen“ erfüllte.

IV. Zwischenbilanz und Ausblick

Wie in diesem Beitrag ausgeführt wurde, hat Beratung und Qualität der Beratung viele Facetten. Am Beispiel der EUTB lässt sich zeigen, wie Konzept, Strukturen, Prozesse und Ergebnisse sich gegenseitig bedingen und beeinflussen. Erst in und aus der Zusammenschau dieser Aspekte kann das Leistungsniveau der EUTB angemessen bestimmt und gewürdigt werden. Einige dieser Aspekte integrieren wir nun im Schlussteil dieses Artikels. Dabei stehen Überlegungen zur Beratungsqualität (inklusive Peer-Beratung) und der „Lotsenfunktion“ der EUTB im Zentrum.

1. Zwischenbilanz

Die EUTB hat sich bisher als ein weithin responsives, anpassungsfähiges System erwiesen, das sich durch ausdifferenzierte und flexible Beratungsformen auszeichnet. Im Ergebnis trägt die Angebotsvielfalt und -flexibilität zu einer ausgeprägten Inanspruch­nahme der EUTB durch ein breites Spektrum an Ratsuchenden bei. Eine wichtige Rolle für die Angebotsstruktur spielt die personelle Ausstattung und Besetzung der Beratungsangebote (u. a. maßgeblich für Öffnungszeiten, Terminvergaben, Erreichbarkeit der EUTB). Da EUTB aufgrund der Förderkonditionen (maximal werden drei Vollzeitäquivalente gefördert) stets kleine Organisationen darstellen, ist das Risiko von Engpässen im Beratungsangebot grundsätzlich hoch. Weitere Risikofaktoren sind die Rekrutierung fachlich geeigneter Beraterinnen und Berater, Personalfluktuation sowie zeitlich begrenzte Personalausfälle.

Die personellen Ressourcen sind dabei nicht nur eine quantitative, sondern auch eine qualitative Frage. So wird die Beratungsqualität durch die Qualifikation, Berufserfahrung und Weiterbildung des Personals entscheidend mitbestimmt. Diese qualifikationsbedingte Beratungskompetenz bildet sich im Gesprächsprozess ab und trägt zur Beratungsqualität bei. Beratungsqualität zeigt sich also nicht erst am Ende als Beratungsergebnis, sondern bereits während der Beratung als Prozessqualität.

Neben fachlichen, kommunikativen und sozialen Komponenten (Empathie und Interaktion mit Ratsuchenden), umfasst gute Beratung handwerkliche Bestandteile wie die Nachhaltung bestimmter Schlüsselelemente, etwa die systematische Klärung des Beratungsbedarfs oder die Festlegung und Nachverfolgung von Beratungszielen. Diesbezüglich, wie auch hinsichtlich der kommunikativen Gestaltung der Beratungsprozesse, werden in den bisherigen Zwischenergebnissen bereits positive Ansätze festgestellt. Bei der Umsetzung von (formalen) Standards der Qualitätssicherung und des Qualitätsmanagements gab es dagegen in der Anfangsphase der EUTB kaum etablierte und einheitliche Verfahren.[4] Um Beratungsqualität herstellen und erhalten zu können, sollten Beratungskräfte dazu befähigt sein, einerseits strukturiert und Prozessstandards beachtend zu beraten, andererseits flexibel und responsiv auf Lebenssituationen und Bedarfe der Ratsuchenden eingehen zu können.

Diese Feststellung führt zurück zur Frage der zu diesen Anforderungen passenden Qualifizierung von EUTB-Beratungskräften. Die Zwischenergebnisse zeigen, dass EUTB-Angebote bislang bei der Personalrekrutierung im Vergleich zur übrigen Beratungslandschaft stärker auf soziale Kompetenzen und weniger auf formale Qualifikationen achten. Möglicherweise hat dies damit zu tun, dass ein überwiegend fachlicher Auswahlfokus – insbesondere auch bei ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern –die Rekrutierungsmöglichkeiten zu stark einschränken könnte in Anbetracht der ohnehin schwierigen Personalsituation. Daher wird die Passgenauigkeit der Personalqualifikationen, der Grundqualifizierung sowie der Qualitätssicherung und Weiterbildungsmaßnahmen im weiteren Evaluationsverlauf sicher noch vertiefend untersucht.

Der Themenaspekt betrifft auch die Peer-Beratung, die Beratung von Betroffenen für Betroffene. Peer-Beratung erfolgt von Beraterinnen und Beratern, die selbst Behinderungen erfahren oder eine Angehörige oder ein Angehöriger einer Person mit Behinderung sind. Konzeptionell ist dieser Baustein der EUTB-Angebotsstruktur besonders voraussetzungsvoll. Zum einen sollten die Grundqualifizierung und die Standards für Qualitätssicherung und Beratung im Idealfall so ausgerichtet sein, dass Peer-Beraterinnen und -Berater gemäß ihren eigenen spezifischen Bedarfen unterstützt werden können (z. B. durch eine Begleitperson). Zum anderen sollen Peer-Beratungskräfte befähigt werden, Ratsuchende gemäß deren Bedürfnissen und Wünschen zu beraten.

Auch die sogenannte Lotsenfunktion hängt von der Ausgestaltung mehrerer Qualitätsdimensionen ab. Die Lotsenfunktion besteht darin, dass Ratsuchende an kompetente oder zuständige Akteure weitergeleitet werden, die bei einem konkreten Anliegen weiter unterstützen oder um die Beratung erfolgreich abschließen zu können. Die Lotsenfunktion ist – dem Selbstverständnis der EUTB entsprechend – ein zentraler Baustein des Beratungsprozesses, denn nicht jedes Anliegen kann und soll von der EUTB bis zur Klärung begleitet werden – auch wenn die EUTB möglichweise über einen längeren Zeitraum begleitet und die Orientierung erleichtert. Sie löst zudem den Anspruch ein, dass EUTB-Angebote offen für alle Ratsuchenden sind („Eine für alle“) und die bestehende Beratungslandschaft um ein spezifisches Angebot ergänzen, ohne andere Angebote zu ersetzen. Dementsprechend werden Ratsuchenden in rund einem Drittel aller Beratungen Hinweise zu anderen Akteuren gegeben, die ihnen bei ihrem Anliegen weiterhelfen.

Die Lotsenfunktion sollte dabei allein an den Bedürfnissen der Ratsuchenden orientiert sein und unabhängig von Interessenlagen Dritter ausgeübt werden. Eine effektive Erfüllung dieser Lotsenfunktion setzt außerdem voraus, im Einzelfall die eigenen Grenzen der Fach- und Beratungskompetenzen zu erkennen und zu kommunizieren und daraufhin tatsächlich an Dritte weiterzuleiten (Verweisberatung). Das ist keineswegs selbstverständlich[5] und hängt auch mit dem Selbstverständnis und der Professionalität von Beratungskräften zusammen. Die Ausübung der Lotsenfunktion gelingt zudem nur dann bedarfsgerecht, wenn die Netzwerke im Unterstützungssystem und mit den Leistungsträgern gut entwickelt sind, sodass dortige Prozesse und idealerweise Ansprechpersonen bekannt sind. Folglich müssen entsprechende Strukturen und Ressourcen für die Vernetzung entwickelt werden oder vorhanden sein. Es wird daher eine der weiteren Untersuchungsfragen der Begleitforschung sein, unter welchen Bedingungen die Netzwerkarbeit der EUTB-Angebote bestmöglich funktioniert und welchen Einfluss dies auf die Verweistätigkeit im Beratungsprozess hat.

2. Ausblick

Im Endbericht der wissenschaftlichen Begleitung werden – neben der komplexen und vielfältigen Umsetzung – die Wirkungsbedingungen der EUTB in den Blick genommen. Zentrales Element der Untersuchung von Wirkungen ist die Längsschnittbefragung von Ratsuchenden zu zwei Zeitpunkten. Durch die wiederholte Befragung derselben Personen können Wirkungsprozesse sowie subjektive Einschätzungen, etwa zur Realisierung von Beratungszielen oder der Klärung von Beratungsanliegen, in ihrer Veränderung analysiert werden. Aber auch die noch anstehenden qualitativen Untersuchungsbausteine, zu denen weitere Einzelinterviews und/oder Fokusgruppen mit Ratsuchenden und Umsetzungsakteuren wie auch nicht-teilnehmende Beobachtungen von Beratungsgesprächen zählen, werden wichtige Antworten zu der Leitfrage beisteuern, welchen Stellenwert die EUTB im Feld der Teilhabeberatung auf längere Sicht einnehmen wird.

Beitrag von Andreas Heimer, Prognos AG; Jakob Maetzel, Prognos AG; Dr. Holger Schütz, Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH (infas)

Fußnoten

[1] Heimer, Maetzel, Schütz: Befunde aus der wissenschaftlichen Begleitung der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) – Teil I: Konzept- und Strukturqualität; Beitrag D38-2021 unter www.reha-recht.de; 13.12.2021.

[2] Vgl. ebd.

[3] Ebd.

[4] Mittlerweile gibt die Fachstelle Teilhabeberatung (FTB) hierzu insbesondere durch das Qualitätsmanagementhandbuch für EUTB-Angebote und begleitende Veranstaltungen mehr Orientierung.

[5] Vgl. Schütz, H. et al. (2011): Vermittlung und Beratung in der Praxis. Eine Analyse von Dienstleistungsprozessen am Arbeitsmarkt. IAB-Bibliothek 330. Bielefeld: Bertelsmann, Kapitel 5.


Stichwörter:

Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB), Peer Counseling, Evaluation, Bundesteilhabegesetz (BTHG), Selbstbestimmung, Qualitätskriterien, Qualitätssicherung, Qualität


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