23.07.2018 D: Konzepte und Politik Dennhöfer/Schubert: Beitrag D27-2018

Leistungsmodule – Bausteine eines neuen Leistungs- und Vergütungskonzeptes in der Eingliederungshilfe für Menschen mit einer seelischen, geistigen, körperlichen oder mehrfachen Behinderung – Teil III

Verfahren der Leistungsbewilligung, Qualitätsprüfung, Bewertung und Ausblick

Der vorliegende Beitrag von Jörg Dennhöfer, Bezirk Mittelfranken, und Michael Schubert, Caritas Nürnberger Land, stellt in drei Teilen ein Konzept zur modularisierten Leistungserbringung in der Eingliederungshilfe vor, das über mehrere Jahre im Zuständigkeitsbereich des Bezirks Mittelfranken entwickelt und erprobt wurde. Das Konzept erfüllt eine Vielzahl der ab 2020 für die Eingliederungshilfe gültigen Regelungen hinsichtlich individueller Leistungserbringung und Trennung von Fach- und existenzsichernden Leistungen.

Im dritten und letzten Teil des Beitrags beleuchten die Autoren den Verwaltungsverfahrensablauf und Fragen der Qualitätssicherung. Abschließend ziehen sie ein Fazit über das bisher Erreichte und geben einen Ausblick auf die weitere Umsetzung des Konzepts der Leistungsmodule.

(Zitiervorschlag: Dennhöfer, Schubert: Leistungsmodule – Bausteine eines neuen Leistungs- und Vergütungskonzeptes in der Eingliederungshilfe für Menschen mit einer seelischen, geistigen, körperlichen oder mehrfachen Behinderung – Teil III; Beitrag D27-2018 unter www.reha-recht.de; 23.07.2018)

I. Verfahrensablauf

1. Prüfung der Leistung, deren Umfang und erforderlicher Assistenz

Mit dem Antrag auf Eingliederungshilfe erfolgt die Prüfung wie beim bisher bekannten Verfahrensweg. Wird im weiteren Verfahren deutlich, dass eine Assistenz durch einen der beim Modellprojekt beteiligten Anbieter erfolgt, führt dieser, unabhängig von der Wohn- und/oder Beschäftigungssituation[1] zunächst eine dreimonatige Erhebung mit dem entwickelten Dokumentationsinstrument durch.

Dieser Erhebungszeitraum kann nach Absprache verkürzt werden. Die Plausibilität des erhobenen Stundenbedarfs wird anhand einer pädagogischen/fachlichen Beurteilung und unter Berücksichtigung möglicher zukünftiger Bedarfe überprüft, ggf. angepasst und prospektiv festgelegt. Für den Erhebungszeitraum wird der erhobene Leistungsumfang rückwirkend vergütet.

Die Entscheidung, in welchen Leistungsmodulen mit welchem Leistungsstundenumfang der Leistungsberechtigte Unterstützung erhält, trifft der Leistungsträger. Mit Ablauf dieser drei Monate erhält der Bezirk Mittelfranken den Entwicklungsbericht nach dem bayerischen Gesamtplanverfahren[2] zusammen mit dem Leistungserhebungsbogen. Da sich der Entwicklungsbericht aus dem entwickelten Bedarfserhebungsinstrument generieren lässt, finden sich darin auch die dort festgehaltenen Teilhabewünsche, die daraus gemeinsam abgeleiteten Ziele, die Kontextfaktoren (Förderfaktoren und Barrieren) und die Bedarfssituation. Im Leistungserhebungsbogen wiederum finden sich die vom Anbieter vorgeschlagenen Maßnahmen. Die Ziele werden so definiert, dass später beurteilt werden kann, ob und wieweit sie erreicht wurden.

Beim Sozialleistungsträger erfolgt zunächst eine inhaltliche Prüfung der Ziele und Maßnahmen.

Ist der durch den Leistungsanbieter ermittelte Leistungsumfang/-inhalt für den Leistungsträger nicht nachvollziehbar, sollen gemeinsame Personenkonferenzen, wie sie auch in § 119 SGB IX n. F. bzw. § 143 SGB XII vorgesehen sind, einberufen werden. Diese können auch aufgrund spezieller Fragestellung(en) anberaumt werden:

  • Beratungsgespräch: Hier dient die Personenkonferenz als Beratungsforum bei laufenden Hilfen, vor allem bei besonderen Lebenseinschnitten oder Problemlagen, wie z. B. Wechsel der Betreuungsform, Veränderung der Lebenssituation, biographische Weichenstellung, Abstimmungsschwierigkeiten unter den beteiligten Akteuren oder ein sonstiger nachvollziehbarer Grund/Wunsch eines der Akteure.
  • Klärungsgespräch: Hier dient die Personenkonferenz der Festlegung von Zuständigkeiten oder der inhaltlichen Nachfrage, wie z. B. bei mangelnder Schlüssigkeit der Planungsformulare (ICF-Analysebogen, Bogen zur Erhebung der Modulzeiten, Berichtsunterlagen nach dem Gesamtplanverfahren). Es soll eine Absprache zur abgestimmten Vorgehensweise der Akteure zum Wohl der leistungsberechtigten Person erfolgen, beziehungsweise eine Klärung, wenn Teilhabewünsche der leistungsberechtigten Person und angegebene Ziele voneinander abweichen.
  • Controlling-Gespräch: Hier dient die Personenkonferenz der Qualitätssicherung, wie z. B. der Überprüfung der Zielerreichung, sowie der Fortschreibung von Zielen und einer dementsprechenden Maßnahmenplanung.

Es soll eine konsens- und lösungsorientierte Gesprächssituation hergestellt werden. Sind alle Angaben nachvollziehbar, bzw. wurde bei Unstimmigkeiten eine Klärung erreicht, wird die Leistung ein bis zwei Jahre bewilligt.

Der Bewilligungszeitraum kann individuell festgelegt werden. Während dieses Zeitraumes können nur Veränderungen der Lebenssituation und/oder deutliche Veränderungen des behinderungsbedingten Bedarfs eine Reduzierung oder Ausweitung des Leistungsumfangs begründen und müssen über die Dokumentation nachgewiesen und dem Bezirk Mittelfranken rechtzeitig angezeigt werden.

Mit Anzeige einer Bedarfsänderung setzt wieder ein max. dreimonatiger Erhebungszeitraum ein. Der erhobene Leistungsumfang wird für den Erhebungszeitraum rückwirkend vergütet. Bei Unklarheiten kann auch hier eine gemeinsame Personenkonferenz einberufen werden.

Mit Ablauf des Bewilligungszeitraumes erfolgt die Prüfung der Wirksamkeit der Maßnahmen. Wurden die festgelegten Ziele erreicht? In welchem Maß wurden sie erreicht? Wie zufrieden ist die leistungsberechtigte Person mit der Leistung insgesamt, aber auch mit den Maßnahmen zur Zielerreichung und mit dem Ergebnis? Als wie wirksam ist die gesamte Leistung zu beurteilen? Die Prüfung richtet sich dabei nach dem Entwicklungsbericht und dem neuen Leistungserhebungsbogen, der zum Ende des Bewilligungszeitraumes an den Bezirk Mittelfranken geht – der Kreislauf beginnt von Neuem.

II. Ergebnisqualität

Das bei den Leistungsmodulen entwickelte Dokumentationsinstrument erfüllt weitgehend die Anforderungen an den Gesamtplan nach § 117 und § 121 SGB IX n. F. bzw. den §§ 141 ff. SGB XII. Demnach sollen Leistungen hinsichtlich ihrer Wirkung kontrolliert werden (§ 121 Abs. 2 SGB IX n.F. bzw. § 144 Abs. 2 SGB XII).

Mit den am Modellprojekt beteiligten Einrichtungen hat der Bezirk Mittelfranken vereinbart, dass die Wirksamkeit der Fachleistungen einerseits über die Zufriedenheit der leistungsberechtigten Person ermittelt werden kann, andererseits darüber, wie weit dem Teilhabewunsch der Person entsprochen wurde. Die Prüfung dient:

  • der Feststellung zur Wirksamkeit von Maßnahmen,
  • der Überprüfung der Zufriedenheit der leistungsberechtigten Person,
  • der Transparenz in der Hilfeerbringung,
  • dem Vergleich von Soll- und Ist-Stand und der Sichtbarmachung von Entwicklungen bzw. Erfolgen,
  • der Feststellung des Grades der Zielerreichung,
  • dem Aufdecken von möglichen Ursachen bei „Qualitätsabweichungen“,
  • der Überprüfung, ob die leistungsberechtigte Person auch die Unterstützung bekommt, die sie benötigt,
  • der Anpassung/Weiterentwicklung/Neudefinition von Zielen und Maßnahmen.

Ergibt sich bei dieser Prüfung im Gesamtplanverfahren eine positive Bewertung, dann wird nicht weiter geprüft, wie und in welchem Umfang vereinbartes Personal eingesetzt wurde. Gemeinsam definieren leistungsberechtigte Person und Leistungsanbieter neue Ziele, die vom Sozialleistungsträger geprüft und für den neuen Leistungszeitraum bewilligt werden.

Ergibt sich jedoch eine negative Bewertung, vor allem wenn die leistungsberechtigte Person Unzufriedenheit äußert, erfolgt eine inhaltliche Prüfung der bisherigen individuellen Leistung vor allem, wenn diese Qualitätsprobleme längerfristig oder mehrfach auftreten. Diese bezieht sich auf folgende Punkte:

  • Wurden die Maßnahmen wie vereinbart (Umfang, Häufigkeit) durchgeführt, wurden Zeiten wie vereinbart geleistet?
  • Wurde qualifiziertes Personal wie besprochen eingesetzt?
  • Ergaben sich Barrieren aufgrund von Anbieterstrukturen?

Das Ergebnis der Prüfung kann Konsequenzen bei der Vergütung haben.

III. Herausforderungen des Projektes

Das Projekt ist im Alltag mit vielen Herausforderungen verbunden:

  • Die Aufteilung von Organisationskosten bei mehr als einem Leistungsanbieter, sowie die Steuerung der Leistungen bei mehr als einem Leistungsanbieter,
  • die Vergütung von Organisations-, Verwaltungs- und Leitungsleistungen bei mehr als einem Leistungsanbieter,
  • die Vergütung der Leistungen für stellvertretende Zubereitung von Mahlzeiten, wenn dies aufgrund der Behinderung erforderlich ist.

Eine Schwierigkeit stellt die fehlende Orientierung an Platzzahlen dar:

  • Mit den Leistungsanbietern sollen weder Platzzahlen noch Leistungstypen vereinbart werden.
  • Es wird nicht zwischen ambulanter oder stationärer Leistung unterschieden.
  • Es wird nicht nach Zielgruppen (seelisch, geistig, körperlich) differenziert.
  • Die Leistungsanbieter werden über die Leistungsstunden vergütet, nicht über belegte Plätze. Dies führt entweder zu einer geringen Anzahl von Klienten mit hohem Leistungsbedarf, oder einer hohen Anzahl von Klienten mit geringem Leistungsbedarf.

Eine weitere Herausforderung ist der sozialräumliche Ansatz:

  • Wie können Übergangszeiträume bei sozialräumlich ausgelegter Dienstleistung für ein Quartier eine Region, z. B. bei der Organisation von nächtlichen Dienstleistungen über einen oder mehrere Sozialräume gestaltet werden?
  • Wie kann der Aufwand zur Aktivierung bzw. der Begleitung von Leistungen aus dem Sozialraum berücksichtigt werden?

IV. Positive Auswirkungen des Projektes

Die positiven Auswirkungen des Projektes sind:

  • Die Notwendigkeit einer Beteiligung von leistungsberechtigten Personen wurde erkannt.
  • Die am Modellprojekt Beteiligten besitzen inzwischen einen differenzierten und deutlich personenzentrierteren Blick auf geplante oder durchgeführte Leistungen.
  • Es entstand ein höheres Bewusstsein in der praktischen Arbeit bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, u. a.
    • eine differenzierte Sicht auf die Leistungszeiten,
    • ein wirtschaftlicheres Bewusstsein,
    • ein Denken in Zielsetzungen und
    • eine Veränderung der Haltung gegenüber Betroffenen.
  • Der Dialog zwischen Leistungsanbietern und Leistungsträgern wurde gefördert und Missverständnisse abgebaut.
  • Es fand eine Vernetzung der Leistungsanbieter untereinander statt.
  • Die Kooperation untereinander wurde gefördert.
  • Die Notwendigkeit sozialräumlichen Denkens und Handelns wurde erkannt.
  • Es gelang eine einheitliche Systematik zur Erhebung des Hilfebedarfs über die unterschiedlichen Behinderungsformen hinweg.
  • Die Beteiligten entwickelten eine gemeinsame Sprache bzw. ein gemeinsames Verständnis von in den Modulen verwendeten Begriffen.

V. Projektstand

Seit Beginn der Entwicklung im Jahr 2006 wurden im Zusammenhang mit den Leistungsmodulen verschiedene Verfahren entwickelt, ausprobiert und wieder verworfen. Dabei wurden zum Teil sehr detaillierte komplexe Lösungen entwickelt, die als Ergebnis zu vielen Themen optimale Ansätze lieferten, welche sich aber in der täglichen Praxis als nicht oder nur mit hohem Aufwand umsetzbar erwiesen. Diese Komplexität führte dazu, dass das System der Leistungsmodule zunächst von Außenstehenden, zunehmend aber auch von Beteiligten als wenig praxistauglich und als „Kopfgeburt“ gesehen wurde, was sich negativ auf das Image der Module ausgewirkt hat. In den letzten eineinhalb Jahren konzentrierte sich deshalb eine Arbeitsgruppe darauf, die komplette Systematik alltagsnäher und praktikabler zu gestalten, parallel dazu erfolgte wo nötig eine Anpassung an die Vorgaben des BTHG.

Das Ergebnis wurde in einem Entwurf einer Leistungsvereinbarung für die Leistungsmodule festgehalten.[3]

Eine graphische Darstellung der Leistungsmodule findet sich in der nachfolgenden Abbildung.

VI. Zusammenfassung der Ergebnisse

  • Die Darstellung und Erhebung des Hilfebedarfs eines Menschen erfolgt unabhängig von der Art der Behinderung mit einem einheitlichen Dokumentationsinstrument. Über dieses Instrument lassen sich sämtliche Berichtsbögen im Zusammenhang mit dem Gesamtplanverfahren generieren.
  • Förderfaktoren und/oder Barrieren sollen bei der Bedarfserhebung einfließen.
  • Bei der Bedarfsdeckung des Einzelnen sollen sozialräumliche Angebote und Pool-Leistungen berücksichtigt werden.
  • Eine Differenzierung der Qualifikation des Personals findet nur noch auf zwei Ebenen statt (Assistenz und qualifizierte Assistenz).
  • Der im Bescheid ausgewiesene Wert an Leistungsstunden soll dem erhobenen entsprechen, dementsprechend ist der Aufschlag für indirekte Leistungen über den Stundensatz bei der Assistenz oder qualifizierten Assistenz zu kalkulieren.
  • Die Zahl der Merkmale nach der ICF-Systematik wurde im Dokumentationsinstrument auf ein überschaubares Maß reduziert.

VII. Nächste Umsetzungsschritte

Aktuell wird eine Kalkulationsmaske entwickelt, welche die im Entwurf einer Rahmenvereinbarung festgelegten Kostenbestandteile aufgreift. In den kommenden zwei Jahren wird die Wirkungskontrolle von Maßnahmen ein zentrales Thema sein. Die am Modell beteiligten Anbieter haben die Systematik der Leistungsmodule bislang unter abgesicherten Bedingungen umgesetzt (d. h. im Hintergrund lief immer noch eine Finanzierung über die vereinbarten Entgelte mit gegenseitiger Kostenrückerstattung zum Jahresende). Ziel ist nun die Umsetzung im Realbetrieb. Die Leistungsmodule sollen auf bayerischer Ebene, d. h. bei den sieben bayerischen Bezirken als zuständigen Sozialleistungsträgern vorgestellt und etabliert werden.

Beitrag von Jörg Dennhöfer, Bezirk Mittelfranken, und Michael Schubert, Caritas Nürnberger Land

Fußnoten:

[1] Wohnen in besonderen Wohnformen, gemeinschaftliches Wohnen oder eigene Wohnung, Werkstatt, Tagesstätte, Arbeitstherapie oder Arbeitsmarkt.

[2] Hilfeplanungs-, Entwicklungs- und Abschlussberichtsbögen dokumentieren im bayerischen Gesamtplanverfahren nach § 58 SGB XII (derzeit u. a. aufgrund des Wegfalls von § 58 SGB XII in Überarbeitung) die Hilfeplanung des Leistungserbringers und die Durchführung der Maßnahmen im zeitlichen Verlauf. Sie werden vom Fachpersonal der Leistungserbringer gemeinsam mit den Leistungsberechtigten erstellt und dienen der vorläufigen und begleitenden Planung der Leistung im Sinne eines Teilhabeplans (vgl. §§ 19 SGB IX, 141 SGB XII).
Ein Leitfaden ist online abrufbar unter http://www.bay-bezirke.de/downloads/da51de6fc2d90065fb3bd348e25a68c5_Schlussversion%20Leitfaden.pdf, zuletzt abgerufen am 13.07.2018.

[3] Der Entwurf ist auf Anfrage beim Bezirk Mittelfranken zu erhalten.


Stichwörter:

Bundesteilhabegesetz (BTHG), Eingliederungshilfe, Trennung von Fachleistungen und existenzsichernden Leistungen, Leistungserbringer, UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), ICF


Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Mit * gekennzeichnete Felder müssen ausgefüllt werden.