01.10.2015 D: Konzepte und Politik Schimank: Beitrag D35-2015

Tagungsbericht zur Fachkonferenz „Herausforderungen an einen inklusiven Arbeitsmarkt“ vom 17. Juni 2015

Die Autorin Cindy Schimank berichtet von der Fachkonferenz „Herausforderungen an einen inklusiven Arbeitsmarkt“, die am 17. Juni 2015 von der Friedrich-Ebert-Stiftung veranstaltet wurde. Ausgangspunkt war die von Dr. Hans-Günther Ritz erstellte Expertise zur „Teilhabe von Menschen mit wesentlichen Behinderungen am Arbeitsmarkt“, die im ersten Teil der Veranstaltung vorgestellt und diskutiert wurde.

Daran anschließend fanden vier parallele Workshops statt. Die Autorin berichtet vom Workshop 1 „Von der Schule in den Beruf: Wie können wir Übergänge gestalten“. Über die Ergebnisse der weiteren Workshops wird ein kurzer Überblick gegeben.

Das Gutachten von Dr. Ritz wurde inzwischen von der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlicht.
Weitere Informationen dazu finden Sie hier.

(Zitiervorschlag: Schimank: Tagungsbericht zur Fachkonferenz „Herausforderungen an einen inklusiven Arbeitsmarkt“ vom 17. Juni 2015; Forum D, Beitrag D35-2015 unter www.reha-recht.de; 01.10.2015)


 

Am 17. Juni 2015 fand in Berlin eine Konferenz der Friedrich Ebert Stiftung (FES) zu Inklusion und Arbeitsmarkt statt. Im ersten Teil wurde die Expertise „Teilhabe von Menschen mit wesentlichen Behinderungen am Arbeitsmarkt“ vorgestellt und diskutiert. Im zweiten Teil fanden vier parallele Workshops statt.[1]

I. Teilhabe von Menschen mit wesentlichen Beeinträchtigungen am Arbeitsmarkt

1. Vorstellung der Expertise

Im ersten Vortrag stellte Dr. Hans-Günther Ritz (Hamburg) seine im Auftrag der FES erstellte Studie „Teilhabe von Menschen mit wesentlichen Behinderungen am Arbeitsmarkt“ vor.

Der Referent verwies darauf, dass es sich bei der Bezeichnung „wesentliche Behinderung“ eigentlich um eine Begrifflichkeit aus dem Sozialgesetzbuch (SGB) XII handele, diese jedoch weiter zu fassen sei. Zudem ging er auf den Begriff der „Erwerbsminderung“ ein, den Art. 27 UN-Behinderten­rechtskonvention (UN-BRK) so nicht kenne. Das enge Verhältnis von Arbeit und Menschenwürde wurde betont, wobei Arbeit Menschenwürde schaffe. Verwiesen wurde auf die Ausführungen von Peter Masuch auf dem Werkstättentag 2012. Dieser sieht einen unlösbaren Zusammenhang zwischen Menschenwürde und Selbstsorge. Ein Ausschluss von beruflicher Teilhabe hingegen sei ein Angriff auf die individuelle Würde des Menschen.[2] Der Gedanke, dass es ausreiche, eine Rente zu beziehen, wurde vom Referenten in diesem Zusammenhang infrage gestellt. So führe eine Erwerbsminderung gerade nicht zum Wegfall des Anspruchs auf Teilhabe am Arbeitsleben und auf Entgelt aus der Arbeit.

Bei der Umsetzung alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten zur Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) sei das Wettbewerbsrecht der Europäischen Union zu beachten, das sich mit einer Grenze von 75 % auf die Höhe möglicher Lohnsubventionierungen auswirke. Dies sei ein „scharfes Schwert“ gegen die UN-BRK. In den WfbM gelte diese Grenze nicht, was wiederum eine fortdauernde Notwendigkeit des arbeitnehmerähnlichen Status begründe. Zudem sei bei der Schaffung eines inklusiven Arbeitsmarktes besonders wichtig, den Integrationsämtern eine starke Position zukommen zu lassen.

Der Anteil schwerbehinderter Menschen, die in WfbM beschäftigt sind, wurde als zu hoch beschrieben. Eine kurzfristige Änderung, wie vom UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung verlangt[3], hielt der Referent jedoch nicht für zielführend. Das System Werkstatt wurde über viele Jahre aufgebaut, um es zu verändern, bedürfe es neuer Instrumente. Hierfür geeignet wären das Budget für Arbeit[4] (BfA) sowie die Unterstützte Beschäftigung nach § 38a SGB IX. Das BfA betreffend sei ein Rückkehr-Anspruch vom allgemeinen Arbeitsmarkt in die WfbM bereitzuhalten. Zudem sei bereits in der Phase der beruflichen Orientierung durch entsprechende Beratungsangebote anzusetzen.

Als größte Hemmnisse wurden der Fürsorgeansatz, die Arbeitsentgelte in den WfbM und das Arbeitsförderungsgeld nach § 43 SGB IX beschrieben. Ferner seien viele der schwerbehinderten WfbM-Beschäftigten, die im Laufe ihrer Beschäftigungszeit Ansprüche auf Rente erworben haben, auch im Alter auf aufstockende Leistungen durch den Sozialhilfeträger angewiesen. Das System der Rentenaufstockungsbeiträge sei daher als gescheitert anzusehen. Neben der Abschaffung der Beitragsaufstockung zur Rentenversicherung der WfbM-Beschäftigten enthält die Expertise weitere diskussionswürdige Vorschläge zur Schaffung eines inklusiven Arbeitsmarktes. Hierzu zählen u.a. die Erhöhung des Arbeitsförderungsgeldes, Minijobs als Weg zur niedrigschwelligen Teilhabe für bestimmte Zielgruppen sowie die Gewährung von Prämien an Arbeitgeber für pauschale Mehraufwendungen infolge einer Beschäftigung von Budget-Arbeitnehmern [Anmerk. der Autorin]. [5]

2. Statements zu der Studie

Simone Wuschech (Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH)) betonte in ihrem Statement, dass auch sie die Integrationsämter in der Position sehe, Prozessverantwortung für den Übergang Schule-Beruf und den Übergang WfbM-Allgemeiner Arbeitsmarkt zu übernehmen. Wichtig sei der gemeinsame Dialog mit den Arbeitgebern, um mögliche Vorbehalte abzubauen. Dazu gelte es, die WfbM zu öffnen und Durchlässigkeit zu ermöglichen.

Ein weiteres Statement erfolgte durch Kerstin Oster (Berliner Wasserbetriebe[6]), die einen Einblick in die Berliner Wasserbetriebe gab. Das Durchschnittsalter der Beschäftigten liegt bei 50 Jahren, es werden viele Menschen mit Beeinträchtigungen beschäftigt. Eng zusammen arbeitet man mit der Annedore-Leber-Stiftung, der Schwerbehindertenvertretung (SBV), der/dem Beauftragten für Menschen mit Behinderung der Berliner Wasserbetriebe und den Integrationsämtern. Zudem werden präventive Maßnahmen verankert, ein Betriebliches Gesundheitsmanagement sowie Beratungsangebote seien vorhanden.

Daraufhin hob Prof. Dr. Dörte Busch (Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin) den praktischen Ansatz der Expertise hervor. Insbesondere die vorgestellten Alternativen zur WfbM seien wichtig und auch von der rechtlichen Seite gut fundiert. Die aufgegriffenen Vorschläge hätten das Potential, in der Realität etwas zu verändern. Die rechtliche Lage sei jedoch sehr komplex. Die Forderung nach einer Abschaffung der Werkstätten beschrieb auch Busch als unrealistisch. So brauche es für die Umsetzung der zuvor benannten Alternativen Rückkehroptionen. Aufgegriffen wurde ebenso der Bereich der schulischen Bildung, in dem Menschen mit und ohne Behinderung frühzeitig den Umgang miteinander lernen sollten.

II. Teilhabe durch Arbeit und vier parallele Workshops – Darstellung der Ergebnisse

Im Anschluss fanden vier parallele Workshops statt, deren Ergebnisse anschließend von Themenpaten im Plenum vorgestellt wurden. Zudem folgte ein weiterer Vortrag.

1. Teilhabe durch Arbeit – Herausforderungen eines inklusiven Arbeitsmarktes

Richard Fischels (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) referierte zum Thema „Teilhabe durch Arbeit – Herausforderungen eines inklusiven Arbeitsmarkts“. Die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen sei nach wie vor höher als die nicht behinderter Menschen. Auch sei entgegen dem allgemeinen Trend die Arbeitslosigkeit dieser Personengruppe gestiegen. Aufgabe sei daher, die Beschäftigungssituation schwerbehinderter Menschen zu verbessern. Gleichzeitig gebe es eine erhöhte Nachfrage, behinderte Menschen zu beschäftigen, auch würden Diversity und Diversity Management an Bedeutung gewinnen. Die Digitalisierung der Arbeitswelt werde neben Risiken auch Möglichkeiten für behinderte Menschen bringen. Das BfA sei ein wichtiger Eckpfeiler, der im Rahmen des Prozesses zum Bundesteilhabegesetz (BTHG) diskutiert werde. Gleichzeitig hob Fischels positive Entwicklungen, wie die Initiative Inklusion und die Förderung der Inklusionskompetenz bei Kammern, hervor.

2. Vier parallele Workshops

Workshop 1 – Von der Schule in den Beruf: Wie können wir Übergänge gestalten? [7]

Der inhaltliche Einstieg in den ersten Workshop erfolgte durch Michael Schneider (Integrationsamt Westfalen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe) und Achim Ciolek (Hamburger Arbeitsassistenz gGmbH).

Zunächst stellte Schneider das arbeitsmarktpolitische Programm „STAR“[8], das Teil des Programms „Kein Abschluss ohne Anschluss – KaoA“ ist, vor. Grundidee ist, dass Schüler und Schülerinnen in ihrer schulischen Ausbildung eine berufliche Orientierung erhalten. Wichtig sei, die Eltern einzubeziehen sowie eine Unterstützung über die Schulentlassung hinaus. Eine besondere logistische Herausforderung sei, Schüler und Schülerinnen zu erreichen, die inklusiv unterrichtet werden. Die Finanzierung des Projekts erfolge aktuell über Bundesmittel im Rahmen der Initiative Inklusion[9]. Sehr problematisch sei, dass die Förderzeit bald ablaufe und die Anschlussfinanzierung nicht gesichert ist. Diese sei zwingend zu klären, da andernfalls aufgebaute Strukturen verloren gehen bzw. abbrechen. Als problematisch beschrieben wurde auch die Unterscheidung zwischen den Begriffen „Sonderpädagogischer Förderbedarf“ und „Schwerbehinderung“. Nötig sei eine Synchronisierung beider, insbesondere für die Fälle, in denen die Leistungsbewilligung an der Anerkennung einer Schwerbehinderung hängt. Letztlich verwies der Vortragende darauf, dass es einer aktiveren Haltung der Bundesagentur für Arbeit (BA) bei der Förderung von Jugendlichen mit Behinderung bedürfe sowie einer klaren Definition der Berufsorientierung als Regelaufgabe der Integrationsämter.

Im Anschluss sprach Achim Ciolek (Hamburger Arbeitsassistenz GmbH) zur Rolle der WfbM und Alternativen zu ihr. Er erklärte, dass die WfbM in bestimmten Fällen ein Schutzraum sei, zu dem es jedoch Alternativen geben müsse. Die Übergangsquoten seien derzeit gering, was auch daran liege, dass die WfbM im Vergleich zu anderen Betrieben als sicherer Beschäftigungsplatz empfunden werde. Das BfA sowie die Unterstützte Beschäftigung wurden als geeignete Alternativen zur WfbM beschrieben. Die Beschränkung der Unterstützten Beschäftigung auf den Grenzbereich Allgemeiner Arbeitsmarkt – WfbM sei jedoch problematisch, weshalb hier eine Ausweitung des Personenkreises erforderlich sei. Höchst problematisch sei auch der Begriff der Werkstattfähigkeit.

In der anschließenden Diskussion wurde die Bedeutung von Beratungsangeboten betont. Problematisch seien die formale Festlegung eines Behinderungsgrades und die daran geknüpften Leistungen, da viele Menschen, insbesondere in jungen Jahren, ihre Behinderung noch nicht akzeptiert hätten. Hingewiesen wurde darauf, dass es auch für die Altersklasse der Ende-zwanzig-Jährigen/ Anfang-dreißig-Jährigen geeignete Lösungen geben muss. Letztlich wurde auf die besondere Problemlage von Menschen mit chronischen Erkrankungen hingewiesen. Kritisiert wurde, dass die Situation von schwerstmehrfach behinderten Menschen in der Inklusionsdebatte fehle. Gefordert wurde, dass das SGB IX ein Leistungsgesetz werden solle mit einem neuen Behinderungsbegriff.

Workshop 2 bis 4

In drei weiteren Workshops diskutierten die Teilnehmenden zu folgenden Themen:

  • Workshop 2 – WfbM und Integrationsfirmen – Bedeutung für einen inklusiven Arbeitsmarkt

  • Workshop 3 – Leistungseingeschränkt und nun? Welche Möglichkeiten muss ein inklusiver Arbeitsmarkt bieten?

  • Workshop 4 – Perspektive inklusiver Arbeitsmarkt – Anforderungen aus der Sicht der Unternehmen

Die von den Themenpaten im Anschluss vorgestellten Diskussionsergebnisse verdeutlichten verschiedene aktuelle Problemlagen. Kritisiert wurde die Trennung zwischen WfbM und Integrationsfirmen einerseits und der unternehmerischen Seite andererseits. Zu hinterfragen sei die Rolle der Integrationsfirmen sowie deren Finanzierung. Die Finanzierung aus Mitteln der Ausgleichsabgabe stoße an ihre Grenzen. Die Gemeinsamen Servicestellen seien insgesamt keine große Hilfe.

Für einen inklusiven Arbeitsmarkt bedarf es der Durchlässigkeit der Systeme, einer Öffnung der WfbM sowie der Breitstellung passgenauer Hilfen. Die Rolle der Schwerbehindertenvertretung gelte es zu stärken. Wichtig seien darüber hinaus präventive Maßnahmen, ein offener Umgang mit Behinderung und ein aktives Handeln der Rehabilitationsträger. Letztere sollten auf Unternehmen zugehen und arbeitgeberorientierte Angebote bereitstellen. Verfahrensschritte müssten vereinfacht werden, z.B. durch eine Reduzierung vielfältiger und unklarer Zuständigkeiten. Für die Koordination aller erforderlichen Hilfen und als Vermittlungs- und Beratungsperson sollte ein Case- oder Disability Manager als Ansprechpartner für Beschäftigte und Arbeitgeber eingesetzt werden.

Insgesamt hat die Fachkonferenz die Debatte um einen inklusiven Arbeitsmarkt angeregt und vertieft. Insbesondere die Debatte um die Rolle von WfbM, mögliche Alternativen sowie das Verhältnis beider Seiten wird auch künftig verstärkt zu führen sein.

Beitrag von Cindy Schimank, Sozialrecht (LL.M.), Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Fußnoten:

[1] Die Präsentationen zur Tagung sind zu finden unter: www.fes.de/wiso/veras/v_arbeit_qualifiz.php.

[2] Der Vortrag ist abrufbar unter: www.lebenshilfe.de/de/ansprechpartner/masuch-peter.php.

[3] Siehe hierzu: Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Abschließende Bemerkungen über den ersten Staatenbericht Deutschlands v. 17.04.2015, in einer nicht amtlichen deutschen Fassung abrufbar unter: www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/UN-Dokumente/CRPD_Abschliessende_Bemerkungen_ueber_den_ersten_Staatenbericht_Deutschlands_ENTWURF.pdf.

[4] Ausführlich zum BfA siehe: Nebe/Waldenburger, Budget für Arbeit, abrufbar unter: www.lvr.de/media/wwwlvrde/soziales/menschenmitbehinderung/arbeitundausbildung/dokumente_229/15_0456_Forschungsbericht_barrierefrei.pdf sowie Nebe/Waldenburger: Überlegungen zu einem Budget für Arbeit (BfA); Forum D, Beitrag D26-2014 unter www.reha-recht.de; 12.12.2014.

[5] Die Veröffentlichung der Expertise wird derzeit von der FES vorbereitet, sobald sie veröffentlicht ist, wird sie in der Infothek des Diskussionsforums Rehabilitations- und Teilhaberecht bereitgestellt.

[6] Die Berliner Wasserbetriebe gewannen im Jahr 2013 den Inklusionspreis.

[7] Von der Verfasserin wurde Workshop 1 „Von der Schule in den Beruf: Wie können wir Übergänge gestalten“ besucht, weswegen die Ausführungen zu diesem umfassender ausfallen. Die Zusammenfassungen der Workshops können abgerufen werden unter: www.fes.de/wiso/veras/v_arbeit_qualifiz.php.

[8] Weiterführende Informationen sind unter folgendem Link zu finden: www.lwl.org/LWL/Soziales/integrationsamt/leistungen/star-schule-trifft-arbeitswelt.

[9] Weiterführend zu der Initiative siehe: BMAS, Initiative Inklusion. Maßnahmen zur Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, abrufbar unter:https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/a743-flyer-initiative-inklusion.pdf;jsessionid=5594A65F68BF8D38E25906B6298A85D1?__blob=publicationFile.


Stichwörter:

Berufliche Rehabilitation, Budget für Arbeit, Inklusive Beschäftigung, Unterstützte Beschäftigung, Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), Alternativen zur WfbM, Berufliche Teilhabe, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben


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