02.02.2016 D: Konzepte und Politik Ramm/Hlava: Beitrag D4-2016

Der Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts – Gesetzentwurf der Bundesregierung –

Diana Ramm und Daniel Hlava stellen in ihrem Beitrag den aktuellen „Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts“ der Bundesregierung vor, der am 13. Januar 2016 im Kabinett beschlossen wurde. Im Rahmen des Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) wurde 2013/2014 von der Universität Kassel eine Evaluation des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) durchgeführt. Diese diente als Grundlage für den durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) zuvor ausgearbeiteten Referentenentwurf.  

Die Autoren gehen auf die wichtigsten Änderungsvorschläge des Gesetzentwurfs im Einzelnen ein, darunter eine Anpassung des Behinderungsbegriffes, die Verbesserung der Barrierefreiheit und des Verbandsklageverfahrens sowie die Förderung der Partizipation. Daran anschließend vergleichen sie die geplanten Änderungen mit den zuvor in der BGG-Evaluation vorgeschlagenen Reformen. Die Autoren werten den Gesetzentwurf insgesamt als positiv, laden jedoch dazu ein, im weiteren Gesetzgebungsverfahren Verbesserungsvorschläge zu artikulieren.

(Zitiervorschlag: Ramm/Hlava: Der Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts – Gesetzentwurf der Bundesregierung; Beitrag D4-2016 unter www.reha-recht.de; 02.02.2016)


 

I. Hintergrund

Das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (Behindertengleichstellungsgesetz [BGG]) ist am 1. Mai 2002 in Kraft getreten. Im Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der seit 2009 für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) war die Evaluation des BGG als eine eigene Maßnahme vorgesehen. Die Evaluation wurde 2013/2014 von der Universität Kassel[1] im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) durchgeführt.[2]

Unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus der Evaluation entwickelte das BMAS einen Referentenentwurf zur Weiterentwicklung des BGG. Die Anhörung von Vertreterinnen und Vertretern der Verbände von Menschen mit Behinderungen zu diesem Gesetzentwurf fand am 9. Dezember 2015 statt. Am 13. Januar 2016 hat die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts[3] beschlossen. Ziel der Novellierung ist es, unter Berücksichtigung der UN-BRK Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu schaffen. Im Weiteren sollen ein Schlichtungsverfahren (neu in § 16 BGG), das Verbandsklagen (zukünftig: § 15 BGG) vorgeschaltet ist, sowie eine Bundesfachstelle (neu in § 13 BGG) für Barrierefreiheit eingeführt werden.[4]

II. Gesetzentwurf der Bundesregierung – die wichtigsten Änderungen des BGG

Auf Grundlage des Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungrechts sind für das BGG die folgenden Änderungen geplant.

Das BGG ist bisher in vier Abschnitte gegliedert:

  1. Allgemeine Bestimmungen
  2. Verpflichtung zur Gleichstellung und Barrierefreiheit
  3. Rechtsbehelfe
  4. Beauftragte oder Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen

Mit dem Entwurf zur Weiterentwicklung soll das BGG nunmehr in sechs Abschnitte gegliedert werden. In Abschnitt drei sollen zukünftig Einrichtung und Aufgaben einer Bundesfachstelle für Barrierefreiheit und unter Abschnitt sechs die Förderung der Partizipation geregelt werden.

Die wichtigsten Vorschläge im Einzelnen:

a) Abschnitt 1

In § 1 BGG „Gesetzesziel“ soll der Geltungsbereich in den neuen Absätzen zwei bis vier konkretisiert werden. Nach Absatz (Abs.) 3 sollen Träger öffentlicher Gewalt demnach darauf hinwirken, dass Einrichtungen, Vereinigungen und juristische Personen des Privatrechts, an denen Träger der öffentlichen Gewalt unmittelbar oder mittelbar, ganz oder überwiegend beteiligt sind, die Ziele des BGG in angemessener Weise berücksichtigen.

§ 2 BGG soll zukünftig stärker auf mögliche Mehrfachdiskriminierungen von Frauen mit Behinderungen sowie in einem Abs. 2 allgemein auf Benachteiligungen wegen mehreren Gründen (z. B. Herkunft und Behinderung) eingehen. Die Vorschrift soll insbesondere eine Sensibilisierung hinsichtlich der Benachteiligung von Frauen aufgrund von Geschlecht und Behinderung bewirken.

Der Behinderungsbegriff (§ 3 BGG), der dem Gesetz bislang zugrunde liegt und wortgleich mit § 2 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch IX ist, soll durch folgende neue Definition ersetzt werden:

„Menschen mit Behinderungen im Sinne dieses Gesetzes sind Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Als langfristig gilt ein Zeitraum, der mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauert.“

Ziel ist die Anpassung des Behinderungsbegriffs an den Wortlaut der UN-BRK.[5] Es bleibt jedoch bei dem bisherigen Prognose-Zeitraum von sechs Monaten, für den eine Beeinträchtigung voraussichtlich vorliegen muss, um das Merkmal der Langfristigkeit zu erfüllen. Der Wortlaut der UN-BRK ist hier offener (vgl. Art. 1 UN-BRK).

Die Definition von Barrierefreiheit in § 4 BGG soll um den Gesichtspunkt der Auffindbarkeit ergänzt werden, wie es bereits vereinzelt in den Gesetzen der Länder der Fall ist (siehe z. B. § 4 Behindertengleichstellungsgesetz Nordrhein-Westfalen). Dies ist eine insbesondere für sinnesbehinderte Menschen relevante Klarstellung.

b) Abschnitt 2

Das Benachteiligungsverbot für Träger öffentlicher Gewalt (§ 7 BGG) soll zukünftig ausdrücklich das Gebot angemessener Vorkehrungen enthalten, das in Art. 5 Abs. 3 UN-BRK gefordert wird. Angemessene Vorkehrungen sind demnach Maßnahmen, die im Einzelfall geeignet und erforderlich sind, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt Rechte genießen und ausüben können. Es handelt sich hierbei um eine Klarstellung des Benachteiligungsverbots für Träger der öffentlichen Gewalt. Eine Versagung angemessener Vorkehrungen stellt demzufolge eine Form der Benachteiligung dar (siehe auch Art. 2 UN-BRK).[6]

Grundlegend soll mit der Novellierung des BGG eine Verbesserung der Barrierefreiheit erreicht werden.

Die Herstellung von Barrierefreiheit (§ 8 BGG) soll sich zukünftig auf zivile Neu-, Um- und Erweiterungsbauten im Eigentum des Bundes und nicht mehr nur auf große Um- und Erweiterungsbauten beziehen. Die obersten Bundesbehörden und Verfassungsorgane sollen über die von ihnen genutzten Gebäude im Eigentum des Bundes einschließlich der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts bis zum 30. Juni 2021 Berichte über den Stand der Barrierefreiheit verfassen. Dies ist neu, da bisher Bestandsbauten nur von der Verpflichtung zur Barrierefreiheit für Sozialleistungsträger in § 17 Abs. 1 Nr. 4 SGB I erfasst waren, deren Umsetzung nicht konkret geregelt ist.

Im Weiteren soll zukünftig auch bei der Anmietung von Gebäuden durch Träger der öffentlichen Gewalt die Barrierefreiheit berücksichtigt werden, soweit dies nicht eine unangemessene wirtschaftliche Belastung zur Folge hätte.

Zur stärkeren Berücksichtigung der Belange von Menschen mit geistigen Behinderungen (bzw. mit Lernschwierigkeiten) sollen in einem neuen § 11 BGG die Träger öffentlicher Gewalt verpflichtet werden, Informationen vermehrt in Leichter Sprache bereitzustellen und ab 2018 soll die Kommunikation mit Menschen mit geistiger Behinderung in einfacher und verständlicher Sprache erfolgen; dies schließt auf Verlangen Bescheide, Allgemeinverfügungen, Verträge und Vordrucke in Leichter Sprache ein.

Im Sinne einer barrierefreien Informationstechnik (zukünftig in: § 12 BGG, konkretisiert derzeit durch die BITV 2.0.) sollen in Zukunft auch die für Beschäftigte bestimmten Informationsangebote im Intranet der an das Gesetz gebundenen Träger öffentlicher Gewalt sowie Verwaltungsabläufe schrittweise barrierefrei gestaltet werden.

c) Abschnitt 3

Bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See soll eine Bundesfachstelle für Barrierefreiheit eingerichtet werden, die als zentrale Anlaufstelle zu Fragen der Barrierefreiheit für die Träger öffentlicher Gewalt zuständig ist und darüber hinaus auf Anfrage Wirtschaft, Verbände und Zivilgesellschaft berät (§ 13 BGG).

d) Abschnitt 4

Im Rahmen des schon bisher vorgesehenen aber wenig genutzten Verbandsklagerechts hat ein anerkannter Verband vor Erhebung einer Klage ein Schlichtungsverfahren durchzuführen.[7] Eine Klage ist nur noch dann zulässig, wenn keine gütliche Einigung im Schlichtungsverfahren erreicht werden konnte (§ 15 Abs. 2 BGG). Eine Schlichtungsstelle ist bei der beauftragten Person für die Belange behinderter Menschen einzurichten (§ 16 BGG). Das Verfahren zielt auf eine rasche Einigung ab und soll für die Beteiligten kostenfrei sein. Das Schlichtungsverfahren soll auch für Einzelpersonen offen stehen. Letztere haben nach dem neuen § 16 Abs. 2 BGG die Möglichkeit, bei Rechtsverletzungen durch einen Träger öffentlicher Gewalt ein Schlichtungsverfahren zu beantragen. Hängt die Rechtsverletzung mit einem Verwaltungsakt zusammen, so beginnt die Frist zur Einlegung eines Widerspruchs erst, wenn die Schlichtung beendet wurde.

e) Abschnitt 6

Im Sinne der Förderung der Partizipation fördert der Bund Maßnahmen von Organisationen zur Stärkung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an der Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten (§ 19 BGG).

Innerhalb von sechs Jahren sollen die Wirkungen der (neuen) §§ 1, 2, 3, 7, 8, 11–13, 15, 16, 19 des BGG evaluiert werden.

III. Gesetzentwurf und Evaluation des BGG

Die Regelungen des BGG richten sich primär an öffentliche Träger der Bundesverwaltung, wie Rehabilitationsträger. An dieser Ausrichtung ändert auch der vorliegende Gesetzentwurf nichts. Die öffentlichen Träger der Landesverwaltung werden durch die Behindertengleichstellungsgesetze der Länder gebunden. Für das Zivilrecht gilt seit 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das auch Benachteiligungen wegen einer Behinderung im Zivilrechtsverkehr verbietet.

Es wäre sinnvoll, ebenfalls notwendige zivilrechtliche Änderungen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) – insbesondere was die Abstimmung der beiden Benachteiligungsverbote in § 7 BGG und § 19 AGG anbelangt – mit anzugehen. Die mangelnde Verknüpfung zwischen BGG und AGG war auch ein wesentlicher Kritikpunkt bei der Anhörung der Verbände zum Gesetzentwurf im Januar 2016.[8] Eine Verbindung zwischen BGG und Zivilrecht besteht jedoch insbesondere in Bezug auf die Zielvereinbarungen zwischen Behindertenverbänden und Unternehmen und Unternehmensvereinigungen in § 5 BGG. Zielvereinbarungen könnten so verstanden werden, dass sie den Inhalt des Benachteiligungsverbots in § 19 AGG konkretisieren und der Nicht-Abschluss einer Zielvereinbarung oder deren Missachtung ein Indiz für eine Benachteiligung i. S. v. § 22 AGG darstellen können.[9] Die Evaluation des BGG kam zu dem Ergebnis, dass Zielvereinbarungen weiter gestärkt werden müssten, um ihnen zur Wirksamkeit zu verhelfen.[10] Um auch im privaten Bereich die Herstellung von Barrierefreiheit und den Abschluss von Zielvereinbarungen zu fördern, sollte ausdrücklich gesetzlich geregelt werden, dass diese eine widerlegbare Vermutung begründen, dass das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot in § 19 AGG eingehalten wird. Ferner wäre auch eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Zielvereinbarungen denkbar.[11]

Insgesamt greift der Gesetzentwurf verschiedene Handlungsempfehlungen der Evaluation des BGG auf.[12] So wurde dort u. a. die Bereitstellung von Fachkompetenz in Fragen der Barrierefreiheit durch eine Agentur empfohlen[13], wie sie nun nach § 13 BGG durch eine Bundesfachstelle erfolgen soll. Diese neu einzurichtende Stelle kann und sollte an die Erfahrungen des Bundeskompetenzzentrums für Barrierefreiheit[14] anknüpfen. Dass bei Förderprogrammen des Bundes die Ziele des BGG berücksichtigt werden sollen, findet sich ebenso bereits im Abschlussbericht der Evaluation wieder.[15]

Auch der bisher geltende Behinderungsbegriff lässt sich nach den Evaluationsergebnissen im Einklang mit der UN-BRK auslegen. Da er aufgrund seiner Formulierung häufig noch defizitorientiert wahrgenommen wird, sollte er jedoch an das teilhabeorientiertere Verständnis der UN-BRK angepasst werden.[16] Um das Gebot angemessener Vorkehrungen als Teil des Diskriminierungsverbots stärker hervorzuheben, sollte auch dieses nach den Evaluationsergebnissen ausdrücklich im Wortlaut von § 7 BGG verankert werden. Ebenso nennt der Bericht Gründe für die Berücksichtigung von Mehrfachdiskriminierungen.[17]

Weiter wird die Herstellung von Barrierefreiheit u. a. dadurch gestärkt, dass auf die in der Praxis wenig greifbare Anforderung, wonach nur bei „großen“ Baumaßnahmen öffentlicher Träger Barrierefreiheit hergestellt werden muss, verzichtet wird. Zudem sollen jedenfalls für öffentlich zugängliche Gebäudeteile Barrieren festgestellt und beseitigt werden – beides notwendige Änderungen, wie die Evaluation ergeben hat.[18] Der Abbau von Barrieren in Bestandsgebäuden soll jedoch davon abhängig gemacht werden, dass dies nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist. Hier stellt sich die Frage, wann dies der Fall ist – die UN-BRK kennt in ihrem Art. 9, der die Zugänglichkeit regelt, eine solche Einschränkung nicht.

Hervorzuheben ist ferner das angedachte Schlichtungsverfahren, welches die Durchsetzung von Barrierefreiheit erleichtern kann.[19] In Österreich kommt ein Schlichtungsverfahren bereits erfolgreich zum Einsatz.[20] Es ist auch sinnvoll, dass dieses das bislang mit ungeklärten Rechtsfragen behaftete, aber notwendige Vorverfahren für Verbandsklagen ersetzen soll. Nicht nachvollziehbar ist jedoch die umständliche Formulierung im neuen § 15 Abs. 2 BGG, wonach zunächst die komplizierten Anforderungen an ein Vorverfahren weitgehend erhalten bleiben, um anschließend zu regeln, dass dieses durch das Schlichtungsverfahren ersetzt wird.

Nicht zuletzt sind die anvisierten Verbesserungen für Menschen mit geistiger Behinderung (Lernschwierigkeiten) hervorzuheben, die durch eine eigene Norm (§ 11 BGG) erreicht werden sollen. Die Evaluation hatte ergeben, dass es gerade bei der Nutzung Leichter Sprache noch verschiedenen Verbesserungsbedarf gibt.[21]

Der Referentenentwurf greift jedoch nicht alle im Evaluationsbericht vorgeschlagenen Reformen auf. So wäre es sinnvoll, insbesondere die Durchsetzbarkeit der Vorschriften zur Barrierefreiheit und dem Benachteiligungsverbot noch weiter zu verbessern. Im neuen § 15 BGG (bisher § 13 BGG) kann durch Verbandsklagen weiterhin nur die Feststellung eines Gesetzesverstoßes erreicht werden und u. a. nicht die konkrete Verurteilung zur Beseitigung von Barrieren.[22] Es darf dabei jedoch nicht übersehen werden, dass sich die Verbandsklage gegen Träger öffentlicher Gewalt richtet, die eine besondere Verpflichtung haben, sich rechtstreu zu verhalten. Ein Feststellungsurteil entfaltet daher für öffentliche Träger gleichwohl eine Bindungswirkung.[23] In NRW wird derzeit eine Präzisierung der zulässigen Klagearten für Verbände diskutiert. Der Entwurf für ein Inklusionsstärkungsgesetz sieht vor, dass die Verbandsklage in § 6 BGG NRW nicht mehr auf eine Feststellungsklage beschränkt wird.[24] Nicht zuletzt sollte es Verbänden behinderter Menschen ausdrücklich ermöglicht werden, ebenfalls im Zivilrecht Verbandsklagen zu führen.[25]

Wie die Evaluation gezeigt hat, setzen sich die Schwerbehindertenvertretungen (§ 95 SGB IX) über ihren eigentlichen Auftrag für die behinderten Beschäftigten hinaus auch allgemein für die Barrierefreiheit in ihren Dienststellen und Unternehmen zugunsten der Nutzerinnen und Nutzer, Kundinnen und Kunden ein und sind hier häufig auch Ansprechpartner der Behördenleitung und der Verantwortlichen. Entsprechende gesetzliche Anpassungen wären hier sinnvoll, um die Arbeit der Schwerbehindertenvertretungen zu unterstützen.

Neben den gesetzlichen Änderungen im BGG sollte auch die Implementation des Rechts in den Behörden und der Gesellschaft verbessert werden. Die BGG-Evaluation nennt hier verschiedene Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung, der Behördenorganisation, der Wahrnehmung der Rechts- und Fachaufsicht, der stärkeren Beteiligung von Verbänden behinderter Menschen sowie der Berücksichtigung von Aspekten des Benachteiligungsschutzes in Studien- und Ausbildungsinhalten.

Insgesamt beinhaltet der Gesetzentwurf durchaus Potential, die Teilhabe behinderter Menschen in verschiedenen Bereichen des Lebens weiter zu verbessern. Das weitere Gesetzgebungsverfahren bleibt abzuwarten und bietet Gelegenheit, weitere Vorschläge zu artikulieren.

Beitrag von Diana Ramm, M. A., Universität Kassel, und Daniel Hlava, LL. M., Hugo Sinzheimer Institut Frankfurt am Main

Fußnoten:

[1] Unter der Leitung von Prof. Dr. iur. Felix Welti.

[2] Der Forschungsbericht von Welti/Groskreutz/Hlava/Rambausek/Ramm/Wenckebach ist abrufbar unter www.bmas.de/DE/Service/Medien/Publikationen/Forschungsberichte/Forschungsberichte-Teilhabe/fb-445.html bzw. in der Infothek. Als Beiträge hierzu sind des Weiteren bisher erschienen: Wenckebach/Welti, Barrierefreier Zugang zu Waren und Dienstleistungen, Verbraucher und Recht, 2015, S. 209 ff.; Hlava/Welti, Reform des Behindertengleichstellungsrechts, Nachrichtendienst des Deutschen Vereins 2015, S. 387 ff.; Welti, Barrierefreiheit und angemessene Vorkehrungen, Sozialer Fortschritt 64/2015, S. 267 ff.; Welti, Reformbedarf zur Gleichstellung und Barrierefreiheit, Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 2015, S. 184 ff.

[3] Abrufbar unter www.bmas.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2016/gesetzesentwurf-weiterentwicklung-behindertengleichstellungsrecht.html.

[4] Vgl. Gesetzentwurf, S. 2.

[5] Ausf. hierzu Frehe, Überlegungen zur Reform des Behinderungsbegriffs, Beitrag D32-2015 unter www.reha-recht.de; sowie Welti, Behinderung als Rechtsbegriff, Beitrag D22-2014 unter www.reha-recht.de; s. ferner Harm, Terminologische Klarheit als Wegbereiter für die praktische Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen ihrer funktionellen Gesundheit, Beitrag D37-2015 unter www.reha-recht.de.

[6] Näher Welti, Das Diskriminierungsverbot und die „angemessenen Vorkehrungen“ in der BRK – Stellenwert für die staatliche Verpflichtung zur Umsetzung der in der BRK geregelten Rechte, Beitrag D9-2012 unter www.reha-recht.de.

[7] Die Einrichtung eines Schlichtungsverfahrens hat sich in Österreich bereits erfolgreich bewährt, siehe hierzu Buchinger, Rechtliche Instrumente zur Durchsetzung von Barrierefreiheit – Erfahrungen aus Österreich, Beitrag D19-2013, S. 4 unter www.reha-recht.de.

[8] Siehe beispielhaft die Stellungnahme des DBSV vom 02.12.2015 – diese und weitere Stellungnahmen der Verbände können in der Infothek eingesehen werden.

[9] Vgl. Forschungsbericht BGG, S. 481.

[10] Vgl. Forschungsbericht BGG, S. 510.

[11] Zu den Reformvorschlägen vgl. Forschungsbericht BGG, S. 510.

[12] Vgl. Forschungsbericht BGG, S. 502 ff.

[13] Vgl. Forschungsbericht BGG, S. 505.

[14] www.barrierefreiheit.de.

[15] Vgl. Forschungsbericht BGG, S. 506.

[16] Vgl. Forschungsbericht BGG, S. 506.

[17] Vgl. Forschungsbericht BGG, S. 506 f.

[18] Vgl. Forschungsbericht BGG, S. 508.

[19] Vgl. Forschungsbericht BGG, S. 509.

[20] § 14 Bundesgesetz über die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz – BGStG).

[21] Vgl. Forschungsbericht BGG, S. 508.

[22] Hierfür wäre eine Leistungs- bzw. Unterlassungsklage notwendig. Vgl. Forschungsbericht BGG, S. 510.

[23] Vgl. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S. 144; Forschungsbericht BGG, S. 488.

[24] NRW LT-Drs. 16/9761, S. 76 f.

[25] Vgl. Forschungsbericht BGG, S. 510; zur Verbandsklagemöglichkeit bei Verstößen gegen das AGG im Rahmen des Unterlassungsklagengesetzes näher Wenckebach/Welti, VuR 2015, S. 209, 215.


Stichwörter:

Behindertengleichstellungsgesetz (BGG), Evaluation, Behinderungsbegriff, Barrierefreiheit, Verbandsklage, Nationaler Aktionsplan (NAP), Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), Partizipation


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