03.12.2015 D: Konzepte und Politik Schimank/Giese/Goldbach/Ramm: Beitrag D40-2015

Tagungsbericht „9. Deutscher REHA-Rechtstag“ am 02.10.2015 in Berlin

Die Autorinnen Maren Giese, Christiane Goldbach, Diana Ramm und Cindy Schimank berichten vom 9. Deutschen REHA-Rechtstag. Dieser wurde am 2. Oktober 2015 von der DeutscheAnwaltAkademie gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Rehabilitation (DEGEMED) und der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) veranstaltet. Im Fokus der Tagung standen das Reformvorhaben des Bundesteilhabegesetzes und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Leistungserbringer in der Rehabilitation.

Weitere Themen waren die Übernahme von Fahrtkosten durch Rehakliniken sowie die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Recht der Rehabilitation und der Verbraucherschutz. Im Anschluss daran fanden zwei Arbeitsgruppen statt, aus denen die Autorinnen berichten. Die erste Arbeitsgruppe befasste sich mit dem Thema „Neue EU-Richtlinien zum Vergaberecht – Auswirkungen auf die Sozialversicherung und die Beschaffung von Leistungen zur Rehabilitation“, die zweite Arbeitsgruppe mit der „Heilmittelerbringung – Probleme der Einordnung in das Leistungsrecht“.

(Zitiervorschlag: Schimank/Giese/Goldbach/Ramm: Tagungsbericht „9. Deutscher REHA-Rechtstag“ am 02.10.2015 in Berlin; Forum D, Beitrag D40-2015 unter www.reha-recht.de; 03.12.2015)


Am 2. Oktober veranstaltete die Deutsche­AnwaltAkademie gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Rehabilitation (DEGEMED) und der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) den 9. Deutschen REHA-Rechtstag in Berlin.

I. Das neue Bundesteilhabegesetz

Der erste Themenkomplex beschäftigte sich mit dem Reformvorhaben des neuen Bundesteilhabegesetzes.

Dazu kommentierte Janina Bessenich (Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e. V., Freiburg) mit einem Vortrag zum Thema „Auswirkungen auf die Leistungserbringer in der Rehabilitation“ den aktuellen Stand der Entwicklungen aus Leistungs­erbringersicht und gab einen Überblick zu den wesentlichen Ergebnissen der beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) eingerichteten Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz. Hinsichtlich der Auswirkungen für die Leistungserbringer akzentuierte die Referentin u. a., dass die Regelungen zur Eingliederungshilfe zukünftig in einem zweiten Teil des Sozialgesetzbuch (SGB) IX[1] geregelt werden sollen. Zudem ist eine Trennung von existenzsichernden Leistungen im SGB XII und sog. Fachleistungen im SGB IX vorgesehen. Nach Bessenich hängt der Erfolg des Bundesteilhabegesetzes besonders von der Entwicklung eines bedarfsgerechten und insofern weit zu verstehenden Fachleistungsbegriffes ab, damit die Ablösung pauschaler Komplexleistungen im SGB XII nicht zu Lücken im Leistungsrecht der Eingliederungshilfe führt. Dies müsse auch durch verbindliche Mindestinhalte für Verträge über die Erbringung der sogenannten Fachleistungen sichergestellt werden. Zudem erläuterte sie, dass die Leistungserbringer künftig einen unmittelbaren öffentlich-rechtlichen Zahlungsanspruch gegenüber den Leistungsträgern erhalten sollen, damit als Anspruchsgrundlage nicht länger der Schuldbeitritt des Sozialhilfeträgers zum zivilrechtlichen Anspruch gegen den Leistungsberechtigten maßgeblich ist. Schließlich kommentierte Bessenich verschiedene Maßnahmen, die von der Arbeitsgruppe zur Stärkung des Leistungsträgers vorgesehen sind: Die geplante jährliche Berichtspflicht für Leistungserbringer müsse zugleich für Leistungsträger bestehen und setze einheitliche Kriterien für die Bewertung und die Zuständigkeit voraus. Ebenso erfordere das für die Leistungsträger vorgesehene Recht zur Prüfung der Leistungserbringer, dass die Grundsätze und Maßstäbe hierzu in den Rahmenverträgen gemeinsam – und nicht einseitig durch die Leistungsträger – festgelegt werden und es sei fraglich, wie die Wirksamkeit sachgerecht beurteilt werden kann. Überdies sprach Bessenich verschiedene Reformvorschläge für eine weitere Öffnung der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Entwicklung eines bundeseinheitlichen Bedarfsermittlungsverfahrens an und zeigte verschiedene Handlungsoptionen auf, die zum verbesserten Umgang mit Schnittstellen diskutiert werden. Dabei verwies sie auch auf die jeweiligen finanziellen Auswirkungen, die insbesondere im Zusammenhang mit der viel diskutierten „Großen Lösung“ (Verlagerung von Zuständigkeiten zur Jugendhilfe) enorm seien.

Martin Theben (Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin) referierte im Anschluss zum Thema „Das neue Bundesteilhabegesetz – Neue Ansprüche für Leistungsberechtigte“. Er stellte dabei anhand verschiedener Aspekte heraus, was seiner Meinung nach ein echtes Bundesteilhabegesetz leisten müsse. Demnach müsse erstens der Begriff der Persönlichen Assistenz im sozialen Leistungsrecht ins Zentrum gestellt werden, da dieser Leistungsberechtigten verschiedene Kompetenzen, wie z. B. im Bereich der Finanzen zuschreibt. Zweitens müsse die Beteiligung von Menschen mit Behinderung verbindlich etabliert werden. Theben führte hierzu das Konzept des Peer-Counseling an und thematisierte als dritten Punkt die Bedarfsermittlung. In diesem Sinne bedürfe es eines personenzentrierten Bedarfsermittlungssystems und Schiedsstellen (Clearing-Stellen), die im Streitfall zügig entscheiden. Theben sprach sich dafür aus, die Diskussion um ein neues Bundesteilhabegesetz an erster Stelle inhaltlich zu führen und erst im Schritt danach finanzielle Aspekte einzubeziehen. Zentral sei schließlich die Frage: „Was sind Menschen mit Behinderung wert?“[2]

II. Diskussion

In der anschließenden Diskussion wurden verschiedene Aspekte aufgegriffen. Hinsichtlich der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben müssten klare Kriterien für eine Zulassung alternativer Einrichtungen als Leistungserbringer entwickelt werden. Zudem sei der Begriff der „wirtschaftlichen Verwertbarkeit“ als Zugangsvoraussetzung für den Arbeitsbereich zu überdenken, da dieser zum Teil unsachgemäß über Einzelschicksale entscheide. Eine weitere Debatte betraf die Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes auf die leistungsrechtlichen Kategorien ambulant und stationär im Bereich der Eingliederungshilfe, wobei einerseits für eine vollständige Auflösung dieser Trennung plädiert wurde, während andererseits der Hinweis erfolgte, dass übergeordnete Leistungen, z. B. beim gemeinschaftlichen Wohnen, nicht unproblematisch zugeordnet werden könnten. Dazu verwies Bessenich nochmals auf die Bedeutung einer bedarfsgerechten Definition des Fachleistungsbegriffes. Ebenso wurde über die praktische Wirksamkeit der Zuständigkeitsklärung nach § 14 SGB IX diskutiert, wobei das Verfahren zwar alle Anwesenden positiv bewerteten, zugleich jedoch das Problem der Nichtanwendung durch die Rehabilitationsträger gesehen wurde. Verbindliche Bearbeitungsfristen sowie Sanktionierungsmechanismen, z. B. in Form einer vorläufigen Bewilligung bei Unterlaufen des Verfahrens, wurden in diesem Zusammenhang angesprochen.

III. Übernahme von Fahrtkosten durch Reha-Kliniken

Über die Zulässigkeit und Grenzen der „Übernahme von Fahrtkosten durch Rehakliniken“ referierte Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf (Universität Hannover). In der Vergangenheit hätten Reha-Einrichtungen in Vergütungsvereinbarungen (§ 111 Abs. 5 SGB V) überwiegend akzeptiert, Kosten für die Transporte (Sitzend- und Liegendtransporte sowie die Eigenanreise) der versicherten Rehabilitanden zu übernehmen, sodass diese für die Versicherten und die Krankenkassen kostenfrei waren. Die Referentin ging daher den Fragen nach, ob die Organisation und Durchführung solcher Fahrten überhaupt Gegenstand von Vergütungsvereinbarungen sein dürfen, ob dieser Bereich außerhalb von Vergütungsvereinbarungen geregelt werden dürfte und falls dies zulässig wäre, welche Anforderungen gälten. In den meisten Fällen sei der Transport (§ 60 SGB V) nicht etwa Bestandteil der zu erbringenden Leistung, sondern vielmehr eine ergänzende Leistung (§ 27 Abs. 1 Nr. 6 SGB V). Daraus ergebe sich, dass Vereinbarungen zum Transport von Versicherten in Vergütungsvereinbarungen (§ 111 Abs. 5 SGB V), welche sich auf stationäre Vorsorge und Rehabilitationsleistung beschränkten, unzulässig seien. Als rechtliche Konsequenz bestehe daher ein verbindlicher Anspruch gegen die zuständige Krankenkasse bei Leistungen der medizinischen Rehabilitation (§ 60 Abs. 5 SGB V, § 53 SGB IX). Die Krankenkassen hätten dagegen einen Anspruch, den Transport als eigene Sachleistung zu erfüllen (§ 133 SGB V). Verträge nach § 133 SGB V über die Organisation durch beauftragte Dritte (z. B. die Reha-Einrichtung) seien demnach unzulässig. Ebenso rechtswidrig sei eine Verpflichtung der Reha-Einrichtungen zur Kostenerstattung bei der Eigenanreise der Versicherten. Verträge nach § 133 SGB V über die Vergütung der Inanspruchnahme eigener Transportleistungen der Reha-Einrichtungen seien dagegen zulässig, sofern eine angemessene Vergütung durch die Krankenkasse erfolge und die Kostenübernahme für die Einrichtungen freiwillig sei (§ 60 Abs. 5 SGB V, § 53 SGB IX). Die angemessene Vergütung sei von den Vertragspartnern frei zu verhandeln. Mangels eines funktionsfähigen Wettbewerbs in diesem Sektor sei jedoch die Ermittlung einer wettbewerbsanalogen Vergütung nach § 19 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) zu ermitteln (Vergleichsmarktanalyse). Die Referentin begründete dies mit den Schutzpflichten des Staates zur Wahrung der Grundrechte der Reha-Einrichtungen und damit, dass die Anwendung des GWB nach § 69 Abs. 2 S. 1 SGB V geboten sei. Die anschließende Diskussion beschäftigte sich unter anderem mit möglichen Unterlassungserklärungen der Reha-Einrichtungen untereinander und mit der Handhabung von Transporten, die während des Reha-Aufenthaltes entstehen.

IV. Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Recht der Rehabilitation

Wolfgang Eicher (Vorsitzender Richter am BSG, 8. Senat, Kassel) beschäftigte sich mit der „Rechtsprechung des BSG zum Recht der Rehabilitation“. Zu Beginn machte er deutlich, dass er daran zweifele, ob das aktuelle Vorhaben – die Reform der Eingliederungshilfe – in der avisierten Zeit seriös abgeschlossen werden kann.

Sodann nahm der Referent eine normative Bestandsaufnahme vor und ordnete die Eingliederungshilfe unter verschiedenen Aspekten (z. B. das Verhältnis des SGB XII zum SGB IX oder die UN-Behindertenrechts­konvention (UN-BRK) als Auslegungsmaßstab) in das Rehabilitationsrecht ein. Das SGB IX bezeichnete Eicher als Reservegesetz für Regelungen, die es in den anderen Leistungsgesetzen nicht gebe. Das SGB XII beinhalte dagegen Einzelregelungen, sodass man hier nicht auf das SGB IX zurückgreifen brauche. In einem zweiten Schritt legte er anhand verschiedener Entscheidungen des BSG die Grundlinien der Rechtsprechung z. B. zum Behinderungsbegriff, dem Aspekt der Nachrangigkeit oder des Persönlichen Budgets dar. Hinsichtlich des Behinderungsbegriffes[3] mache das BSG deutlich, dass für die Wesentlichkeit einer geistigen Behinderung das Ausmaß der Beeinträchtigung auf die Teilhabemöglichkeit und nicht das Ausmaß der Regelwidrigkeit bzw. des Funktionsdefizits maßgeblich ist. Ergänzend führte er eine weitere Entscheidung des BSG an.[4] Hier hatte der Kläger keinen Anspruch auf Übernahme des Schulgelds für eine Privatschule als Eingliederungshilfe aufgrund seiner Behinderung. Zum Nachrangigkeitsgrundsatz machte er deutlich, dass dieser immer in Verbindung mit einer Anrechnung von Einkommen und Vermögen stehe. Zum Persönlichen Budget führte er verschiedene Entscheidungen des BSG an.[5] Aus diesen ergebe sich z. B., dass eine Ausnahme vom Verbot, die Obergrenze aller bisher individuell festgestellten Leistungen zu überschreiten, nach § 17 Abs. 3 S. 4 SGB IX nur zulässig sei, wenn eine für die Lebensqualität des Versicherten wesentliche und vorübergehende Änderung im Hilfebedarf vorliegt oder wenn vorübergehende Zusatzaufwendungen für die Beratung und Unterstützung bei der Verwaltung des Persönlichen Budgets nötig sind. Zudem stellte das BSG bei Leistungen der beruflichen Bildung nach § 40 SGB IX außerhalb von anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen fest, dass eine Förderung nach § 102 Abs. 1 SGB III a. F. (§ 117 Abs. 1 SGB III n. F.) nur beansprucht werden kann, wenn eine Teilhabe am allgemeinen Arbeitsmarkt erreicht werden soll und eine Förderung nach § 102 Abs. 2 SGB III a. F. (§ 117 Abs. 2 SGB III n. F.) schon dann möglich ist, wenn der behinderte Mensch nach Beendigung der Maßnahme wenigstens in der Lage ist, ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen. Schließlich hielt Eicher fest, dass die Regelungen der Eingliederungshilfe bei richtiger Auslegung eine Umsetzung der UN-BRK gewährleisten würden.

V. Arbeitsgruppen

Am Nachmittag boten zwei parallel stattfindende Arbeitsgruppen die Gelegenheit zu vertiefenden Diskussionen.

Arbeitsgruppe 1: Neue EU-Richtlinien zum Vergaberecht – Auswirkungen auf die Sozialversicherung und die Beschaffung von Leistungen zur Rehabilitation

Die Teilnehmenden befassten sich damit, ob Leistungen zur Teilhabe nach den neuen Richtlinien (RL) der Europäischen Union[6] und dem Vergabemodernisierungsgesetz (VergModG) auszuschreiben sind und wenn ja, was dies für die Rehabilitation bedeutet.[7]

Den ersten Vortrag hielt Dr. Bettina Meyer-Hofmann (Rechtsanwältin, Düsseldorf). Sie stellte dar, unter welchen Voraussetzungen eine europaweite Ausschreibung notwendig ist. Dazu müsse 1.) ein öffentlicher Auftraggeber (§ 98 GWB) und 2.) ein öffentlicher Auftrag (§ 99 GWB) vorliegen. 3.) müsste der Auftrag oberhalb der Schwellenwerte (§ 100 Abs. 1 GWB) liegen und 4.) dürfe kein Ausnahmetatbestand (§ 100 Abs. 2 GWB) vorliegen. Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) sowie die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) wurden durch die Rechtsprechung als Auftraggeber angesehen.[8] Maßgeblich sei die (staatliche) Einflussnahme. So sei die GKV durch die Ermächtigung Beiträge zu erheben staatlich beherrscht und die DRV agiere ebenfalls wie eine staatliche Institution. Aktuell werde das Kriterium des „öffentlichen Auftrags“ diskutiert. Grundsätzlich liege ein solcher bei entgeltlichen Verträgen, die von öffentlichen Auftraggebern mit Unternehmen zur Beschaffung von Lieferleistungen (§ 99 Abs. 2 GWB), Bauleistungen (§ 99 Abs. 3 GWB) oder Dienstleistungen (§ 99 Abs. 4 GWB) geschlossen werden, vor. In der sozialrechtlichen Literatur gehe man davon aus, dass ein öffentlicher Auftrag bei Leistungen medizinischer Rehabilitation nicht vorliege, da das Sozialrecht bereits ein transparentes Auswahlverfahren ermögliche.[9] Für das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags spreche aber z. B., dass der Leistungsberechtigte durch das Wunsch- und Wahlrecht (§ 9 SGB IX) nicht zum Nachfrager werde und, dass „Teilhaberechte“ der Leistungserbringer kein Recht auf eine ausschreibungsfreie Auftragserteilung bewirkten.[10] Anknüpfend daran wurden die Auswirkungen der neuen Unionsrichtlinien diskutiert. Insgesamt gebe es einen größeren Spielraum bei Zuschlagskriterien; der Schwellenwert bei sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen erhöhe sich und die Anforderungen der Art. 74–77 RL 2014/24/EU seien weniger formal. Problematisch sei jedoch, dass der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der RL strengere Regelungen treffe als diese es erfordern. Abschließend stellte die Referentin die Rechtsschutzmöglichkeiten nach § 102 GWB sowie deren Ablauf dar.

Im Anschluss erläuterte Philipp Köster (DRV Braunschweig-Hannover) anhand von § 17 SGB IX (Ausführung von Leistungen), § 19 SGB IX (Rehabilitationsdienste und -einrichtungen) sowie § 21 SGB IX (Verträge mit Leistungserbringern) grundlegende Prämissen der Leistungserbringung. Diesen Vorschriften liege der Gedanke eines kooperativen Verhältnisses zugrunde, der allerdings in der Vergangenheit nicht genügend umgesetzt wurde und zu mangelnder Transparenz für die Leistungserbringer führte. Seit 2009, mit der Etablierung eines einheitlichen Basisvertrags der DRV, habe sich dies verändert und die nötige Transparenz wurde geschaffen. Da für die DRV-Träger weiterhin oftmals unklar sei, ob ein öffentlicher Auftrag vorliege, unterliegen diese, so Köster, regelmäßig nicht dem Vergaberecht. Der Zweck des Vergaberechts, Transparenz, Gleichbehandlung und einen offenen Systemzugang zu schaffen, werde bereits durch das Sozialrecht gewährleistet. So sei es das eigentliche Ziel des Teilhaberechts, Kooperation, Koordination und Konvergenz zu schaffen und nicht etwa Aufgabe des Vergaberechts. Im Zweifel lasse sich die Anwendung des Vergaberechts z. B. durch Eigengeschäfte, Dienstleistungskonzessionen, nicht-wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und Open-House-Verträge umgehen.[11]

In der anschließenden Diskussion wurden u. a. das Wunsch- und Wahlrecht als Argument gegen die Anwendung des Vergaberechts, Probleme mit denen sich kleine Einrichtungen bei der Anwendung des Vergaberechts konfrontiert sehen sowie die Refinanzierung von Personalkosten thematisiert.

Arbeitsgruppe 2: Heilmittelerbringung – Probleme der Einordnung in das Leistungsrecht

Die zweite Arbeitsgruppe mit Impulsreferaten von Matthias Schmidt-Ohlemann (Rehabilitationszentrum Bethesda Kreuznacher Diakonie), Claudia Breuer (Deutscher Berufsverband Logopädie e. V., Frechen) und Peter Trenk-Hinterberger (Marburg) befasste sich intensiv mit dem Thema „Heilmittelerbringung – Probleme der Einordnung in das Leistungsrecht“. Einleitend wurde darauf verwiesen, dass Heilmittel vor allem als Bestandteil der Krankenbehandlung mit kurativer Zielausrichtung von der GKV erbracht würden, während ihre Bedeutung für die Teilhabefähigkeit häufig noch unerkannt bleibe. Um die teilhabefördernde Wirkung von Heilmitteln nachhaltig zu nutzen, müssten sie in allen medizinischen (z. B. Krankenhaus), integrativen (z. B. Förderschule) und isolierten (z. B. Arbeitsplatz) Settings angeboten werden und möglichst von einem interdisziplinären Team erbracht werden. Aktuell sei fraglich, wie die Heilmittelversorgung in den verschiedenen Settings leistungsrechtlich zugeordnet und somit sachgerecht finanziert und umgesetzt werden kann. Dazu stellten die Referenten vorläufige Ergebnisse eines bei der DVfR bestehenden ad-hoc-Ausschusses zu aktuellen Problemen der teilhabeorientierten Heilmittelversorgung vor und verwiesen auf ein in Kürze erscheinendes Positionspapier. Bereits aus dem geltenden Recht sei abzuleiten, dass Heilmittel (auch) teilhabeorientiert zu erbringen sind und somit für jede Phase der Krankenbehandlung eine teilhabeorientierte Leistungserbringung zu prüfen ist. Zur rechtlichen Begründung wurde unter anderem auf § 27 SGB IX i. V. m. § 26 Abs. 1 und 3 SGB IX, §§ 27 ff. SGB V und Art. 26 Abs. 1 UN-BRK verwiesen. Das Fehlen von Teilhabezielen im Heilmittelkatalog der aktuellen Heilmittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses hingegen verfehle § 27 SGB IX und widerspreche der Systematik der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF). In der weiteren Diskussion wurde zudem auf die Begrenzung des Leistungsortes bei der Heilmittelversorgung zu Lasten der GKV sowie auf Schwierigkeiten und Folgen von Zuständigkeitsabgrenzungen hingewiesen. Als noch zu diskutierende Lösungsoptionen wurden unter anderem die Einführung von Vergütungspositionen für multidisziplinäre Leistungen, die Zulassung der in isolierten Settings primär verantwortlichen Leistungsträger (z. B. Berufsbildungswerke) als Heilmittelerbringer nach § 124 SGB V sowie die Bündelung von Leistungen verschiedener Leistungsträger innerhalb eines Settings in der Person des Therapeuten genannt. Übereinstimmung bestand dahingehend, dass Therapeuten und Pflegekräfte häufig näher am Patienten sind als der Arzt und somit eine wichtige Rolle für eine teilhabeorientierte Heilmittelversorgung einnehmen müssen.

VI. Verbraucherschutz in der Rehabilitation

Abschließend widmete sich Prof. Dr. Katja Nebe mit dem Vortrag „Verbraucherschutz in der Rehabilitation – Gilt in der medizinischen Rehabilitation der Behandlungsvertrag nach BGB (Bürgerliches Gesetzbuch)?“ der Frage, ob das Leistungsausführungsverhältnis nach § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB IX privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur ist. Einleitend präsentierte sie die umfassende Diskussion in der Literatur. Dort werde neben der Primärverantwortung der Rehabilitations-Träger auch ein kooperatives Gleichordnungsverhältnis zwischen Träger und Erbringer vertreten. Ferner werde mit einer Gewährleistungsverantwortung der Träger argumentiert, wonach zwischen Leistungserbringern und -trägern ein öffentlich-rechtliches Vertragsverhältnis im Sinne eines Leistungssicherstellungsverhältnisses bestehe und zwischen Leistungserbringern und -empfängern ein privatrechtliches. Diese Ansicht wurde von der Referentin geteilt. Zur Begründung präsentierte sie verschiedene Beispiele aus dem Sozialrecht. So folgten etwa § 36 SGB IX und § 120 SGB XI privatrechtlichen Normen. Ebenso seien §§ 9 und 15 SGB IX Ausdruck von Privatautonomie. Aufgegriffen wurden zudem das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG), das zivilrechtlicher Natur sei sowie verschiedene Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu Leistungen der medizinischen Rehabilitation.[12] Anschließend ging die Referentin, unter Hinzuziehung der Gesetzesbegründung[13] zu § 630a BGB, der Frage nach, ob der Behandlungsvertrag in der Rehabilitation gilt und ob dadurch die Anwendung des Privatrechts bestätigt wird. Im Ergebnis bejahte sie die Geltung für die medizinische und die medizinisch-berufliche Rehabilitation. Auf die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben finde der Behandlungsvertrag jedoch grundsätzlich keine Anwendung, Ausnahmekonstellationen seien aber denkbar. Abschließend beleuchtete die Vortragende die Konsequenzen der Anwendung des § 630a BGB in der medizinischen Rehabilitation, die durch die Geltung des Behandlungsvertrags insgesamt gestärkt werde. In der anschließenden Diskussion wurde u. a. die Frage aufgegriffen, ob die dargestellten Überlegungen auf den Bereich der Hilfsmittelerbringung übertragbar seien.

Beitrag von Cindy Schimank, LL.M. (Universität Halle-Wittenberg), Dipl. jur. Maren Giese, Christiane Goldbach LL.M., Diana Ramm, M.A. (jeweils Universität Kassel)

Fußnoten:

[1] Anmerkung der Autorinnen: Der aktuelle zweite Teil (Schwerbehindertenrecht) soll dann Teil 3 des SGB IX werden.

[2] Ausführlicher dazu Theben, Das neue Bundesteilhabegesetz – neue Ansprüche für Leistungsberechtigte, Forum D, Beitrag D38-2015 unter www.reha-recht.de.

[3] Zum Behinderungsbegriff BSG, Urt. v. 22.03.2012, Az: B 8 SO 30/10 R; dazu auch Giese, Montessori-Therapie als Eingliederungshilfe, Anmerkung zu BSG vom 22.03.2012, Forum A, Beitrag A22-2014 unter www.reha-recht.de.

[4] BSG, Urt. v. 15.12.2012, Az: B 8 SO 10/11 R, zum Kriterium der Wesentlichkeit, unter Verweis auf BSGE 110, 301 ff. = B 8 SO 30/10 R, siehe Rn. 14, www.bsg-bund.de; vgl. hierzu auch Hechler/Plischke, Keine Eingliederungshilfe für schulische Maßnahmen der Inklusion, die den Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule berühren, Forum A, Beitrag A15-2014; Welti, Verantwortlichkeit von Schule und Sozialleistungsträgern für angemessene Vorkehrungen und für Zugänglichkeit für behinderte Schülerinnen und Schüler, Forum D, Beitrag D20-2014; Giese, Montessori-Therapie als Eingliederungshilfe, Anmerkung zu BSG vom 22.03.2012, Forum A, Beitrag A22-2014, jeweils unter www.reha-recht.de.

[5] BSG, Urt. v. 31.01.2012, Az: B 2 U 1/11R; ausführlicher dazu Karstens, Zur Höhe des Persönlichen Budgets, Forum A, Beitrag A25-2012 unter www.reha-recht.de; BSG, Urt. 30.11.2011, Az: B 11 AL 7/10 R; vgl. dazu Wendt, Inanspruchnahme eines Persönlichen Budgets für Leistungen der beruflichen Bildung nach § 40 SGB IX auch außerhalb von anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM), Forum A, Beitrag A11-2012 unter www.reha-recht.de.

[6] RL 2014/24/EU (Allg. Vergaberichtlinie) ersetzt RL 2004/18/EG; RL 2014/25/EU (Sektorenrichtlinie) ersetzt RL 2004/17/EG und die neue RL 2014/23/EU (Konzessionsrichtlinie).

[7] Siehe hierzu: DEGEMED, Stellungnahme v. 26.06.2015 zum VergModG, abrufbar unter: www.degemed.de/images/phocadownloads/Politik_und_Positionen/Stellungnahmen/15-06-26%20degemed%20stellungnahme%20vergmodg.pdf; Stellungnahme der Fachverbände für Menschen mit Behinderung v. 28.09.2015 zum VergModG, abrufbar unter: www.diefachverbaende.de/files/stellungnahmen/2015-09-28-Stellungnahme-Fachverbaende-zu-Vergaberecht.pdf.

[8] Für die GKV: EuGH, Urt. v. 11.06.2009 – C 300/07 (Hans & Christophorus Oymanns); für die DRV: Bayrisches Oberlandesgericht (OLG), Beschl. v. 21.10.2004 – Verg 17/04.

[9] Zur Frage, ob das „Open-House-Modell“ ein öffentlicher Auftrag ist siehe: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.01.2012, VII-Verg 57/11, aktuelle Vorlage beim EuGH.

[10] Vgl. für Fälle, in denen die Rechtsprechung das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags bejahte auch hier EuGH, Urt. v. 11.06.2009 – C 300/07 sowie OLG Hamburg, Beschl. v. 07.12.2007, 1 Verg 4/07.

[11] Siehe Fn. 9.

[12] BGH, Urt. v. 09.05.2000 – VI ZR 173/99; BGH, Urt. v. 28.04.2005, III ZR 351/04. [13] BT-Drs. 312/12, u. a. S. 1, 12, 23.


Stichwörter:

Bundesteilhabegesetz (BTHG), Hilfsmittel, Hilfsmittelversorgung, Leistungserbringungsrecht, Reform der Eingliederungshilfe, Rehabilitation, Rehabilitationseinrichtung, REHA-Rechtstag, Verbraucherschutz, Vergaberecht, Vergütung in der Rehabilitation


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