13.10.2016 D: Konzepte und Politik Ramm: Beitrag D40-2016

Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Sprach- und Hörbehinderte

Der vorliegende Beitrag befasst sich mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Sprach- und Hörbehinderte (EMöGG). Wesentliches Ziel des Gesetzes sei das Schließen bestehender Regelungslücken bei der Inanspruchnahme von Gebärdensprachdolmetschern in Gerichtsverfahren und damit ein Abbau der Barrieren für Menschen mit Hör- und Sprachbehinderung.

Die Autorin geht zunächst auf die bisherige Rechtslage ein, wonach ein Anspruch auf Sprach- oder Übersetzungshilfen für die gesamte Prozessdauer nur bei Strafverfahren bestehe und in allen übrigen Verfahren auf die Hauptverhandlung beschränkt bleibe. Die geplante Neuregelung sehe nun vor, den Anspruch für alle Gerichtswege auf das gesamte Verfahren auszuweiten.

Abschließend thematisiert die Autorin die Motivation des Gesetzgebers, mit der Gesetzesnovellierung den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) nachzukommen sowie Umfang und Grenzen bestehender Verordnungen zur barrierefreien Zugänglichmachung von gerichtlichen Dokumenten.

(Zitiervorschlag: Ramm: Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Sprach- und Hörbehinderte; Beitrag D40-2016 unter www.reha-recht.de; 13.10.2016.)

I. Hintergrund

Eine von der 84. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister im November 2013 eingerichtete Arbeitsgruppe ist zu dem Ergebnis gekommen, dass im Rahmen einer gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an gerichtlichen Verfahren Regelungslücken bestehen könnten.

Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Sprach- und Hörbehinderte[1] (EMöGG) möchte der Gesetzgeber bisher bestehende Regelungslücken bei der Inanspruchnahme von Gebärdensprachdolmetschern in gerichtlichen Verfahren schließen sowie die Möglichkeit zu deren Inanspruchnahme verbessern. Intention des Gesetzgebers ist es auch zu klären, wer die Kosten für die Inanspruchnahme von Sprach- oder Übersetzungshilfen außerhalb der mündlichen Verhandlung trägt. Hierzu liegt nun der Gesetzentwurf der Bundesregierung vor.

II. Bisherige Regelungen

Die Beiordnung einer Sprach- oder Übersetzungshilfe für hör- und sprachbehinderte Personen für das gesamte gerichtliche Verfahren ist laut § 187 Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) bislang nur für Strafverfahren vorgesehen.

(1) Das Gericht zieht für den Beschuldigten oder Verurteilten, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist oder der hör- oder sprachbehindert ist, einen Dolmetscher oder Übersetzer heran, soweit dies zur Ausübung seiner strafprozessualen Rechte erforderlich ist. (…)

Bei allen anderen Verfahren bezieht sich eine solche Beiordnung bisher nur auf die Hauptverhandlung (§ 186 GVG).

(1) Die Verständigung mit einer hör- oder sprachbehinderten Person in der Verhandlung erfolgt nach ihrer Wahl mündlich, schriftlich oder mit Hilfe einer die Verständigung ermöglichenden Person, die vom Gericht hinzuzuziehen ist. Für die mündliche und schriftliche Verständigung hat das Gericht die geeigneten technischen Hilfsmittel bereitzustellen. Die hör- oder sprachbehinderte Person ist auf ihr Wahlrecht hinzuweisen.

III. Geplante Neuregelungen

Der Gesetzentwurf sieht vor § 186 GVG sowohl neu zu fassen als auch den bisherigen Anwendungsbereich zu erweitern. Die Beschränkung auf „in der Verhandlung“ soll demnach entfallen und sich zukünftig auf das gesamte gerichtliche Verfahren erstrecken. Dieser Neuregelung folgt, dass sich die Kostenerstattung für Übersetzungsleistungen zukünftig auf das gesamte gerichtliche Verfahren bezieht.

Dem bisherigen § 186 GVG soll ein Absatz 3 angefügt werden. Der neue Absatz 3 beinhaltet:

(3) Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz bestimmt durch Rechtsverordnung, die der Zustimmung des Bundesrates bedarf,

1. Umfang des Anspruchs auf Bereitstellung von geeigneten Kommunikationshilfen gemäß den Absätzen 1 und 2,

2. die Grundsätze einer angemessenen Vergütung für den Einsatz von Kommunikationshilfen gemäß den Absätzen 1 und 2,

3. die geeigneten Kommunikationshilfen, mit Hilfe derer die in den Absätzen 1 und 2 genannte Verständigung zu gewährleisten ist, und

4. ob und wie die Person mit Hör- oder Sprachbehinderung mitzuwirken hat.

Es sollen hierbei die Organisationen von hör- und sprachbehinderten Menschen beteiligt werden.

In § 187 Abs. 1 GVG wird der Bezug auf hör- und sprachbehinderte Menschen gestrichen.

Durch die geplanten Neuregelungen werden die Gerichte ermächtigt, Übersetzungshilfen für das gesamte Gerichtsverfahren anzuordnen und somit haben künftig die Gerichte die Gesamtkosten für behinderungsbedingte Übersetzungsleistungen in gerichtlichen Verfahren zu tragen. Im Gesetzentwurf wird von einem Mehraufwand in Höhe von 72.500 € für ordentliche Gerichte und in Höhe von 25.000 € für Verwaltungs-, Arbeits- und Finanzgerichte ausgegangen. Die betroffenen hör- und sprachebehinderten Menschen werden finanziell entlastet.

IV. Abschließendes

Im Entwurf des EMöGG wird in der Begründung[2] neben dem Verweis auf verfassungsrechtliche Prinzipien (insbesondere Sozialstaats- und Rechtsstaatsprinzip), dem verfassungsrechtlichen Benachteiligungsverbot aufgrund von Behinderung und Sprache (Art. 3 Abs. 3 Satz 1, 2 Grundgesetz [GG]) sowie dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) auch ausdrücklich Bezug auf Art. 13 Abs. 1 UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) genommen. Laut Art. 13 Abs. 1 UN-BRK besteht ein Recht von Menschen mit Behinderungen auf einen gleichberechtigten und wirksamen Zugang zur Justiz[3]. Es sind die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um Menschen mit Behinderung ihre wirksame mittelbare und unmittelbare Teilnahme an allen Gerichtsverfahren zu erleichtern. Im Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-BRK[4] (NAP) hatte sich die Bundesregierung 2011 dazu bekannt, den barrierefreien Zugang zur Justiz für Menschen mit Behinderung weiter zu verbessern.[5] Zudem möchte der Gesetzgeber mit dem Entwurf zum EMöGG auf die abschließenden Bemerkungen des UN-Fachausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen[6] eingehen. Der Fachausschuss führte zum Zugang zur Justiz folgendes aus:

27. Der Ausschuss ist besorgt über a) das Fehlen von Strukturen und verfahrenstechnischen Vorkehrungen im Justizbereich, die spezifisch dazu vorgesehen sind, Menschen mit Behinderungen Assistenz zu gewähren, insbesondere Mädchen, die Opfer von Gewalt und Missbrauch geworden sind; b) die Unzugänglichkeit gerichtlicher Einrichtungen und das mangelnde Verständnis bei Angehörigen von Rechtsberufen, was den Zugang zur Justiz angeht; c) die mangelnde Durchführung und -setzung der Normen des Übereinkommens durch die innerstaatlichen Gerichte im Rahmen von Gerichtsentscheidungen. 

28. Der Ausschuss empfiehlt dem Vertragsstaat, (a) gezielte Maßnahmen zur Steigerung der physischen und kommunikativen Zugänglichkeit von Gerichten, Justizbehörden und anderen Einrichtungen der Rechtspflege zu ergreifen;

Die Änderungen im GVG sollen dem Abbau von Barrieren für Menschen mit Hör- und Sprachbehinderung dienen. Eine Anpassung im Kosten- und Kostenerstattungsrecht und in der Prozesskosten- und Beratungshilfe wird nicht vorgenommen.

Blinde oder sehbehinderte Personen können nach § 191a Abs. 1 GVG verlangen, dass ihnen Schriftsätze und andere Dokumente eines gerichtlichen Verfahrens barrierefrei zugänglich gemacht werden. Die „Verordnung zur barrierefreien Zugänglichmachung von Dokumenten für blinde und sehbehinderte Personen im gerichtlichen Verfahren“ (Zugänglichmachungsverordnung - ZMV) regelt die Anforderungen und das Verfahren für die Zugänglichmachung von Dokumenten im gerichtlichen Verfahren an eine blinde oder sehbehinderte Person in einer für sie wahrnehmbaren Form (§ 1 Abs. 1 ZMV). Eine analoge Verordnung zum barrierefreien Zugang Hör- und Sprachbehinderter im gerichtlichen Verfahren ist nach Inkrafttreten des Gesetzes zu erwarten.

Verordnungen zur barrierefreien Zugänglichmachung haben ihre Grenzen und garantieren nicht in jedem Fall einen vollumfassenden eigenen Anspruch berechtigter Personen.

In einer Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht[7] (BVerfG) wendete sich der sehbehinderte Beschwerdeführer gegen die Zurückweisung eines Antrags auf Zugänglichmachung von Prozessunterlagen. Der Beschwerdeführer beantragte, die Prozessunterlagen auch in Blindenschrift zu erhalten (in einem zivilgerichtlichen Berufungsverfahren). Sowohl sein vorheriger Antrag vor dem Landgericht als auch die Rechtsbeschwerde vor dem Bundesgerichtshof blieben ohne Erfolg. Das BverfG hat die Beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Eine sehbehinderte Partei kann für den Zugang zu den Prozessunterlagen auf eine Vermittlung durch ihren Rechtsanwalt verwiesen werden, wenn der Streitstoff übersichtlich ist und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass seine Vermittlung durch den Rechtsanwalt nicht in einer Art und Weise erfolgt, die der unmittelbaren Zugänglichmachung gleichwertig ist. Es war im vorliegenden Fall verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass dem Beschwerdeführer wegen seiner anwaltlichen Vertretung die Prozessunterlagen nicht in Blindenschrift übermittelt wurde. Das Bundessozialgericht[8] (BSG) hat entschieden, dass einer blinden oder sehbehinderten Person die beantragte barrierefreie Zugänglichmachung der gerichtlichen Dokumente nicht deshalb verwehrt werden kann, weil im Verfahren offensichtlich die Hilfe eines Dritten zuteil wurde, aber etwas anderes im Einzelfall gelten kann, wenn der Kläger anwaltlich vertreten ist. Das BSG teilt insofern die vorgenannte gerichtliche Auffassung.

Bei der neuen Rechtsverordnung für Hör- und Sprachbehinderte sollten diese Entscheidungen entsprechend berücksichtigt werden.

Beitrag von Diana Ramm, M. A., Universität Kassel


Fußnoten

[1] Abrufbar unter

www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_Erweiterung_Medienoeffentlichkeit_Gerichtsverfahren.html;jsessionid=D65CEC6F388CFB9964ECFD5B3751B466.1_cid334.

[2] Entwurf – EmöGG, S. 13.

[3] Vgl. Wenckebach: Gleichberechtigter Zugang zur Justiz – Zu den Verbesserungsmöglichkeiten des Nationalen Aktionsplans im Hinblick auf Art. 13 Abs. 1 UN-Behindertenrechtskonvention; Forum D, Beitrag D1-2015 unter www.reha-recht.de vom 29.01.2015.

[4] Abrufbar unter

www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/a740-nationaler-aktionsplan-barrierefrei.pdf.

[5] NAP, S. 92.

[6] CRPD/C/DEU/CO/1. Abrufbar unter

www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/UN-Dokumente/CRPD_Abschliessende_Bemerkungen_ueber_den_ersten_Staatenbericht_Deutschlands_ENTWURF.pdf.

[7] 10. Oktober 2014; Az. 1 BvR 856/13.

[8] 18. Juni 2014, Az. B 3 P 2/14 B.


Stichwörter:

Barrierefreiheit, Gebärdensprachdolmetscher, Zugänglichkeit, Zugang zur Justiz, UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Hörbehinderte, Sprachbehinderte, Kommunikationshilfen


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