21.09.2017 D: Konzepte und Politik Richter/Schülle: Beitrag D40-2017

Tagungsbericht über die Fachtagung des Sozialrechtsverbundes Norddeutschland e.V. "Die Integration Geflüchteter als Herausforderung für das Sozialrecht" Teil I: Grundleistungen und berufliche Integration

Die Autorinnen Alexandra Richter und Mirjam Schülle berichten in ihrem zweiteiligen Beitrag ausführlich von der Fachtagung des Sozialrechtsverbundes Norddeutschland e.V., die vom 16. und 17. Februar 2017 in Schwerin veranstaltet wurde. Titel der Veranstaltung war die "Die Integration Geflüchteter als Herausforderung für das Sozialrecht".

Im ersten Beitragsteil wird über die berufliche Integration von Geflüchteten und dem Ausländerrechtlichen Status im Zusammenhang mit dem Zugang zum Sozialsystem berichtet.

Im zweiten Beitragsteil werden intensiv der Zugang zu Gesundheitsleistungen und die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Flüchtlingsentwicklung für die Sozialversicherungssysteme erörtert, abschließend werden die Reformbedarfe für die Integration Geflüchteter aufgezeigt.

(Zitiervorschlag: Richter/Schülle: Tagungsbericht Fachtagung des Sozialrechtsverbundes Norddeutschland e.V. "Die Integration Geflüchteter als Herausforderung für das Sozialrecht" Teil I: Grundleistungen und berufliche Integration, Beitrag D40-2017 unter www.reha-recht.de; 21.09.2017)


Am 16. und 17. Februar 2017 fand in der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (HdBA, Schwerin) die vom Sozialrechtsverbund Norddeutschland e. V. (SVN) organisierte Fachtagung zum Thema "Die Integration Geflüchteter als Herausforderung für das Sozialrecht" statt.

I.       Einführung

Der Rektor der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (HdBA, Schwerin) Prof. Dr. Andreas Frey sowie Prof. Dr. Holger Brecht-Heitzmann (HdBA und Sprecher des SVN) eröffneten die Veranstaltung. Brecht-Heitzmann begründete im Hinblick auf den Titel der Fachtagung den Sprachgebrauch „Geflüchtete“ anstelle „Flüchtlingen“. So sei zwar Flüchtling der völkerrechtliche Terminus und nicht automatisch negativ konnotiert, dennoch weise er auf Personen, die noch aktiv auf der Flucht seien. Die Menschen, die in Deutschland Asyl suchen, seien jedoch bereits am Ende ihrer Flucht, weshalb die korrekte Bezeichnung Geflüchtete bzw. Geflüchteter sei.

II.      Die Integration Geflüchteter als gesellschaftliche Herausforderung

a)     Herausforderungen und Chancen der beruflichen Integration von Geflüchteten

Prof. Heinrich Alt (ehemaliges Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit) berichtete über die berufliche Integration geflüchteter Menschen als eine der größten Herausforderungen für Deutschland und die Bundesagentur für Arbeit, für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, insbesondere in den vergangenen zwei Jahren. Der deutsche Arbeitsmarkt ist nach seiner Wahrnehmung aufnahmefähig. In der Zuwanderung liege zudem die große Chance, die demografischen Lücken zu schließen und den Fachkräftebedarf zu decken.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat ihre Integrationsaufgabe in sechs Handlungsfelder definiert: 1). Dienstleistungsangebote in den Ankunftszentren. 2). Verbindliche Integrations- und Sprachförderkurse. 3). Verstärkte Berufsberatung für jüngere Geflüchtete. 4). Kompetenz- und Profilerfassung. 5). Teilqualifizierung und Weiterbildung sowie 6). intensive Zusammenarbeit mit Arbeitgebern, sodass vermehrte Arbeitgeberinitiativen entstehen. In der Praxis sei diese Umsetzung teilweise herausfordernd, da bspw. das duale Ausbildungsmodell in vielen Herkunftsländern nicht bekannt und daher die Akzeptanz bei den Menschen nicht immer gegeben sei. Es gebe aber auch Best-Practice-Beispiele wie bspw. in Nordrhein-Westfalen die Integrationspoints, in denen die Arbeitgeber mit den Behörden und den Geflüchteten gemeinsam den Weg in die Arbeitsintegration gestalten. In Rheinland-Pfalz gibt es sog. Lotsenhäuser und in anderen Ländern Clearingstellen. Neben den Praxisinitiativen habe das neue Integrationsgesetz[1] die Handlungsmöglichkeiten verbessert. Die Erwartungen der BA seien daher ehrgeizig und realistisch: So sollten bei einem aufnahmefähigen Arbeitsmarkt nach einem Jahr 10 %, nach 5 Jahren 50 % und nach 10 bis 15 Jahren bis zu 70 % der erwerbsfähigen anerkannten Geflüchteten in den Arbeitsmarkt integriert sein. Bisher hätten sich allerdings große Unternehmen und der öffentliche Sektor bei der Einstellung Geflüchteter sehr zurückgehalten, hier bestehe erheblicher Handlungsbedarf, so Alt. Es fehle bisher an einem konsentierten Integrationsplan mit klar definierten und quantifizierten Zielen und Verantwortlichkeiten. Die Mittel und Instrumente eines solchen Planes sollten im Rahmen einer solidarischen Gesellschaft für alle Menschen in Deutschland gelten, die ihre (prekäre) Lebenssituation verbessern möchten – d. h. nicht nur für Geflüchtete. Abschließend betonte Alt, dass Menschen einer sinnstiftenden Aufgabe bedürfen. Nichtstun und Perspektivlosigkeit seien lähmend und entwürdigend. Daher seien für Geflüchtete und Langzeitarbeitslose Aktivitäten zu organisieren, die ihnen das Gefühl vermitteln, in der Gesellschaft gebraucht zu werden. Dies gelte insbesondere für diejenigen, die langfristig keine Integrationschancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben.

b)     Ausländerrechtlicher Status und Sozialrecht

Prof. Dr. Constanze Janda (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften, Speyer) führte in die im Zusammenhang mit dem Sozialrecht einschlägigen ausländerrechtlichen Grundlagen ein. Grundsätzlich stelle sich die bedeutende Frage, wer zur (bundesdeutschen) Solidargemeinschaft gehöre und wer nicht. So ist das Ausländerrecht seit dem Asylkompromiss 1993 klar als polizeirechtliches Gefahrenabwehrrecht formuliert. Dies spiegelt sich in vielen ausländerrechtlichen Regelungen, auch im Sozialrecht, wider. Zunächst sei § 30 SGB I zu beachten, wonach der Zugang zu den Leistungen des Sozialgesetzbuches für all diejenigen Personen eröffnet ist, die ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Wer sich nur vorübergehend oder aber gewöhnlich in Deutschland aufhält, sei im Einzelfall schwierig zu beurteilen und werde durch zahlreiche Sonderregelungen für fast alle Sozialleistungen konkretisiert. Hiervon noch nicht umfasst seien diejenigen Personen, die sich in einem laufenden Asylverfahren (maßgeblich im Asylgesetz [AsylG] geregelt) befinden oder den Status der Duldung (§ 60a Aufenthaltsgesetz [AufenthG]) haben. Erlangt die Person einen Aufenthaltstitel (nach § 4 AufenthG), so gelten in einzelnen Bereichen des Sozialrechts besondere Anknüpfungsregeln. Die Sozialversicherungen knüpfen an das Prinzip lex loci laboris (Gesetz des Arbeitsortes) an, wonach das Recht des jeweiligen Arbeitsortes gilt (§ 3 SGB IV). Bei den sozialen Hilfen wird zwischen gewöhnlichem und tatsächlichem Aufenthalt unterschieden, während die soziale Förderung an den gewöhnlichen Aufenthalt mit Arbeitsmarktzugang anschließt.

Im Ergebnis konstatierte Janda einen abgestuften Zugang zum Sozialrecht und den entsprechenden Sozialleistungen für Ausländerinnen und Ausländern je nach Status. Dies komme einem Ranking gleich und zeige insofern verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich des Gleichbehandlungsgrundsatzes gemäß Art. 3 Abs. 1 GG und der menschenwürdigen Existenz nach Art. 1 Abs. 2 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG. In dieser Stratifizierung zuvörderst stehe der asylberechtigte, anerkannte Geflüchtete (politisch verfolgt nach Art. 16a GG, nach Genfer Flüchtlingskonvention § 3 AsylG) oder subsidiär Schutzberechtigte (nach § 4 AsylG) mit einer Arbeitserlaubnis. Diese Personen seien mit Inländern und „wirtschaftlich aktiven“ Unionsbürgern gleichgestellt. Es folgen die Personen im laufenden Asylverfahren (§ 55 Abs. 1 AsylG), Inhaber einer Duldung (§ 60a AufenthG) und Ausreisepflichtige (§§ 34–43 AsylG). Auf der nächstniedrigeren Stufe stehen Asylsuchende, also Personen, die noch keinen Asylantrag gestellt haben sowie Geduldete aus sicheren Herkunftsstaaten (nach §§ 26, 29a AsylG, derzeit: Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie Albanien, Bosnien-Herzegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien). Den Schluss bilden ausreisepflichtige Personen mit Ausreisetermin, sie erhalten nur sehr eingeschränkte – verfassungsrechtlich äußerst bedenkliche – Sozialleistungen (nach §§ 1, 1a Asylbewerberleistungsgesetz [AsylbLG]).

c)     Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum für Geflüchtete

Dr. Dagmar Oppermann (Richterin am Bundessozialgericht, Kassel) stellte das verfassungsrechtlich garantierte Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum dar, welches auch Geflüchteten zusteht. Europarechtlich gelten gemeinsame Mindeststandards für die menschenwürdige Unterbringung, Versorgung und den Gesundheitsschutz von geflüchteten Menschen (u. a. in der Richtlinie 2013/33/EU geregelt). Diese erlauben Absenkungen für Asylsuchende gegenüber dem Lebensstandard der eigenen Staatsangehörigen (nach dem Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip). Da die materielle Existenzsicherung für Geflüchtete originäre Aufgabe des jeweiligen Mitgliedstaates ist, steht diesen ein weitreichender Spielraum im Bereich der Sozialhilfe zu. Dies hat in der Bundesrepublik allerdings dazu geführt, dass das in § 3 AsylbLG a. F. geregelte und allgemein abgesenkte Leistungsniveau für Asylbewerberinnen und Asylbewerber, Flüchtlinge und Geduldete evident unzureichend war, um ein menschenwürdiges Existenzminimum sicherzustellen (BVerfGE[2]). In der Folge der Erfahrungen aus den Jahren 2015 und 2016 seien in den Asylpaketen[3] und dem Integrationsgesetz[4] die sanktionierbaren Tatbestände so scharf wie nie formuliert worden, um „sozialmotivierte“ Fehlanreize zu verhindern. Nun gilt, dass bei sanktioniertem Verhalten über einen Zeitraum von sechs Monaten die Leistung auf das Minimum reduziert werden kann, welches das physische Überleben sichert (vgl. § 1a AsylbLG). Es schließt folglich jegliche Leistungen zum soziokulturellen Existenzminimum aus. Dies widerspreche allerdings immer noch der Rechtsprechung des BVerfG, welches in seiner Rechtsprechung von einem gesamten Existenzminimum durch eine einheitliche Garantie spricht. Dieses Existenzminimum umfasse neben der physischen Existenz des Menschen gerade auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben (BVerfGE 132, 134, Rn. 64).

Im Ergebnis zeige sich, dass das menschenwürdige Existenzminimum für Geflüchtete aus migrationspolitischen Erwägungen bewusst sehr niedrig (wesentlich niedriger als für hier lebende Inländerinnen und Inländer) gehalten wird, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden. Dies stehe zwar im Widerspruch zu den sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen und der Rechtsprechung des BVerfG, im Zuge der Reform des Europäischen Asylsystems[5] zeichneten sich allerdings diese restriktive Vorgehensweise und weitere leistungsrechtliche Einschnitte für Geflüchtete ab. Ein einheitlicher europarechtlicher Sozialleistungsstandard berge für Asylsuchende die Gefahr, das verfassungsrechtlich gebotene Existenzminimum weiterhin zu verfehlen.

Die anschließenden Statements aus der Praxis setzten sich aus der jeweiligen Perspektive kurz und kritisch mit den vorgehenden Vorträgen auseinander. Dr. Reza F. Shafaei (Rechtsanwalt, Hamburg, Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung Schleswig-Holstein) bestätigte die evidente Verfassungswidrigkeit des Existenzminimums für Geflüchtete. Allerdings stellte er fest, dass die jüngsten Gesetzesnovellen im Ausländerrecht (Asylpaket I, II, Integrationsgesetz) unter Umständen auch begünstigend für die betroffenen Personen genutzt werden könnten, nämlich dann, wenn begriffliche und systematische „Unklarheiten“ des Gesetzes im Einzelfall für eine verfassungskonforme Auslegung „genutzt“ werden können. Dies sei insbesondere im Bereich der Sanktionstatbestände möglich, setze in der Regel allerdings eine anwaltliche Vertretung und den Weg ins Widerspruchs- bzw. Klageverfahren voraus. Er plädierte abschließend für eine verfassungsfreundliche Rechtsauslegung und Rechtsanwendung.

Als Vertreterin des Flüchtlingsrats Mecklenburg-Vorpommern e. V. stellte Ulrike Seemann-Katz (Schwerin) die Sicht der Geflüchteten vor. Das Existenzminimum für Geflüchtete orientiere sich an dem Warenkorb-Modell.[6] Aus praktischer Sicht kämen zu diesen Kosten für die bloße Existenz noch weitere Kosten hinzu, die allerdings in keiner Weise Berücksichtigung in den Regelbedarfen finden. Asylsuchende bedürften vielfacher Kosten für die Beschaffung notwendiger Dokumente, für Dolmetscher- oder Übersetzungstätigkeiten, Mobilitätskosten zur Wahrnehmung von Terminen bei der Ausländerbehörde oder anderen Ämtern, Kosten für die Familienzusammenführung etc. Die Wahrnehmung dahingehend zu schärfen und auf die spezifisch bei Geflüchteten auflaufenden Kosten zu sensibilisieren, sei notwendig.

In der folgenden Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, ob Sanktionen als Mittel im Ausländerrecht überhaupt angebracht seien und ob deren Nutzung nicht einen systematischen Fehler impliziere. Sie folge der Logik des Gefahrenabwehrrechts, während das Asylrecht als solches den völkerrechtlichen Schutz vor Verfolgung im Heimatland sicherstellen müsse. Die offenkundige Fehleranfälligkeit der jüngsten Gesetzesanpassungen im Rahmen der Asylpakete und des Integrationsgesetzes würden deshalb geradezu dazu einladen, Schlupflöcher einer Sanktionsaufhebung zu identifizieren, die bereits unterhalb der Schwelle der Prüfung der Verfassungswidrigkeit liegen.

III.    Die Integration in den Arbeitsmarkt: Arbeitsmarktzugang und Qualifizierungsmaßnahmen für Geflüchtete

Dr. Bettina Weinreich (HdBA, Schwerin) referierte über den Arbeitsmarktzugang und die Teilnahmefähigkeit am Arbeitsmarkt als wesentliche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration. Für den deutschen Arbeitsmarkt seien die Zuwanderungsbewegungen durchaus erfreulich, da in Zeiten des demografischen Wandels und des zunehmenden Fachkräftemangels ein langfristiges Ungleichgewicht entstünde. Ziel der Arbeitsmarktpolitik müsse deshalb die Erhöhung des Erwerbspersonenpotenzials sein. Dies gelinge zum Beispiel durch die Erhöhung des Renteneintrittsalters oder der Frauenerwerbsquote. Zusätzlich könne und müsse man allerdings das Potenzial der Zugewanderten stärker nutzen. So liege eine große Chance darin, dass etwa zwei Drittel der Zugewanderten jüngere Personen zwischen 18 und 33 Jahren sind. Diese Altersgruppe ist aus arbeitsmarktpolitischer Sicht besonders gefragt, da ihnen der Spracherwerb, als wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt, noch relativ leichtfällt und die Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten besonders auf diese Zielgruppe ausgerichtet sind. Dennoch gilt es zu bedenken, dass das Bildungsniveau unter den Zugewanderten sehr unterschiedlich ist, etwa ein Viertel besitzt keine oder nur geringe Bildung. Zudem hänge die Integration in den Arbeitsmarkt wesentlich von aufenthaltsrechtlichen Vorschriften ab. Lediglich anerkannte Asylsuchende mit einer Aufenthaltserlaubnis haben einen uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt (§ 25, Abs. 1, S. 2 AufenthG). Für Menschen aus sog. sicheren Herkunftsstaaten (nach § 29a AsylG) gilt seit Oktober 2015 ein Arbeitsverbot, wenn sie ihren Asylantrag nach dem 31.08.2015 gestellt haben. Geflüchtete mit einer Aufenthaltsgenehmigung und Geduldete haben jeweils nur einen sehr eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt (vgl. § 61 Abs. 2 AsylG i. V. m. § 32 Beschäftigungsverordnung [BeschV]), der auf die Dauer der Aufenthaltsgestattung (nach § 55 Asylverfahrensgesetz [AsylVfG]), bzw. Duldung beschränkt ist. Diese Einschränkung wird wiederum durch weitere Hürden erschwert: In den ersten drei Monaten des Aufenthalts darf gar keine Beschäftigung aufgenommen werden (§ 61 Abs. 2, S. 1 AsylG) oder wenn sie noch in einer Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht sind (nach § 61 Abs. 1 AsylG). Von vier bis fünfzehn Monaten gilt die sog. Vorrangprüfung (nach §§ 39 ff. AufenthG) der Bundes­agentur für Arbeit, wonach für die zu besetzende Stelle kein bevorrechtigter Bewerber aus dem Inland oder der EU zur Verfügung stehen darf. Zudem bedarf es der Zustimmung der Ausländerbehörde. Seit dem Integrationsgesetz 2016 entfällt die Vorrangprüfung für diejenigen Städte und Kommunen, in denen die Arbeitslosenquote unterdurchschnittlich ist) ebenso für Hochqualifizierte oder Fachkräfte in Engpassberufen (§ 32 BeschV. Nach 15 Monaten des Aufenthalts entfällt die Vorrangprüfung grundsätzlich (nach § 2 AsylbLG Überführung in das SGB XII) und nach vier Jahren ist eine uneingeschränkte Erwerbstätigkeit möglich. Qualifizierungsmaßnahmen werden zunächst im Rahmen der aktiven Arbeitsförderung nach dem SGB II erbracht. Diese haben sich für Personen mit eingeschränktem Zugang zum Arbeitsmarkt durch die im Integrationsgesetz aufgenommene Residenzpflicht (vgl. § 12a AufenthG) deutlich verschlechtert. Insgesamt zeigt sich, dass für viele der Zugewanderten die Selbstständigkeit ein attraktiver Einstieg in den Arbeitsmarkt wäre, diese jedoch aufgrund des deutschen „Behördendschungels“ hohe Hürden aufweist. Das Augenmerk müsse deshalb insbesondere auf der Qualifizierung durch Aus- und Weiterbildung liegen. Abschließend konstatierte Weinreich, dass erfolgreiche Integration auf vier Bausteinen beruhe: Sprachförderung, Arbeit, Wohnung und Kontakt zu den bereits in Deutschland lebenden Menschen.

Christine Ramsauer (Verwaltungs-Berufsgenossenschaft) stellte in ihrem Statement die Sicht der gesetzlichen Unfallversicherung dar. Der gesetzliche Unfallversicherungsschutz ist nicht vom aufenthaltsrechtlichen Status einer Person abhängig. Vielmehr knüpft er an die in § 2 SGB VII geregelten Versicherungstatbestände an, die unter den Versicherungsschutz fallen. Sobald eine geflüchtete Person ein Beschäftigungsverhältnis hat, besteht – unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsstatus – ein Versicherungsschutz (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). Da allerdings viele der aufgeführten Tatbestände in § 2 SGB VII vom Aufenthaltsstatus abhängen, kann sich dies mittelbar wiederum doch auf den Versicherungsschutz Geflüchteter auswirken. Maßgebend für das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses sind im jeweiligen Einzelfall die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation (§ 7 Abs. 1 SGB V) und Weisungsgebundenheit, insbesondere in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Tätigkeit. Kein Versicherungsschutz besteht bei Teilnehmenden an Integrationskursen des BAMF, bei Hospitation[7] sowie in Krankenhäusern, Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen.[8]

Die gesetzliche Unfallversicherung übe also auch beim Personenkreis der Geflüchteten ihre originäre Aufgabe aus, nämlich die Prävention und Rehabilitation[9] von Arbeitsunfällen sowie die Ablösung der privatrechtlichen Haftung des Unternehmens bei Personenschäden.

Gernot Gurkasch (Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Nord) zeigte anhand aktueller Statistiken die strukturellen Bewegungen im Arbeitsmarkt in den norddeutschen Bundesländern im Zusammenhang mit Geflüchteten. Dabei wird deutlich, dass der überwiegende Teil dieser Personen jung (bis 45 Jahre) ist und sehr unterschiedliche Bildungs-, und Ausbildungshintergründe mitbringt. Zur raschen Integration in den Arbeitsmarkt werde zunehmend die zeitlich parallele Durchführung eines Integrationskurses und einer Aktivierungsmaßnahme angestrebt. Diese neu entwickelte Maßnahme
(KompAS – Kompetenzfeststellung, frühzeitige Aktivierung und Spracherwerb) kombiniert den Besuch eines Integrationskurses mit einer Aktivierungsmaßnahme nach § 45 SGB III. Ferner wurden die arbeitsmarktpolitischen Instrumente der BA auf die speziellen Bedürfnisse der Zielgruppe hin überprüft und weiterentwickelt. Beispielweise werden Aktivierungsmaßnamen sowie Maßnahmen der Ausbildungsvorbereitung/-förderung eng mit der Sprachförderung des BAMF verzahnt. Damit können der Spracherwerb und die Heranführung an den Arbeits- oder Ausbildungsmarkt[10] parallel erfolgen.

Damit können auch Wartezeiten zwischen den Maßnahmen vermieden und Integrationsprozesse beschleunigt werden, ebenso kann somit das Erlernen der Sprache im konkreten sozialen und beruflichen Kontext stattfinden. Beispiele für Kooperationsmodelle seien Kommit[11] und Step by Step[12].

Ulrike Seemann-Katz (Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern e. V., Schwerin) ergänzte die unterschiedlichen Blickwinkel um die Perspektive der Flüchtlingsräte. Sie machte deutlich, dass Zugang zur Arbeit eines der Hauptthemen der Personen darstelle, allerdings seien zuvor die Fragen nach dem Verbleib der Familie und der Sorge um den Aufenthaltsstatus für die Betroffenen dringlich. Grundsätzlich seien die Strukturen und Zuständigkeiten für die Asylsuchenden nicht bekannt, schwer nachvollziehbar und zugänglich.

Bezüglich der Integration in den Arbeitsmarkt sei die Zahl der so genannten DaZ[13] -Klassen an den beruflichen Schulen deutlich zu erhöhen, derzeit bestünden sehr lange Wartelisten, insbesondere für unbegleitete Minderjährige. Zudem sei es sinnvoll, dass das berufsvorbereitende Jahr über die Schulpflicht hinaus besucht werden kann. Teilweise sei eine Alphabetisierung notwendig. Diejenigen, die das Jahr „gut schaffen“, hätten sehr gute Bildungshintergründe und könnten direkt auf das Gymnasium. In den Gymnasien seien allerdings ebenfalls mehr DaZ-Klassen erforderlich, um mehr Geflüchteten die Gelegenheit zu geben, das Abitur zu machen. Landesweit (in Mecklenburg-Vorpommern) fehle es an Prüferinnen und Prüfern für die Muttersprache, die als Fremdsprache in der gymnasialen Bildung anerkannt werden könnte. Allerdings müssten dann auch die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) für Menschen mit Aufenthaltsgestattung gezahlt werden – bisher haben diese jungen Menschen keinen Zugang zur Ausbildungsförderung beim Studium (§ 8 Abs. 1, 2 BAföG) und erhalten in der Zeit des Studiums auch keine anderen Sozialleistungen mehr. Lediglich ab dem 16. Aufenthaltsmonat ist der Anspruch auf BAföG gegeben (§ 8 Abs. 2a BAföG). Die Zugangsbarriere zu einem Studium ist demnach extrem hoch. Auch bedarf es weiterer Anstrengungen in der Anerkennung im Ausland erworbener Abschlüsse. Dies werde zwar besser, allerdings fehle es oftmals noch an entscheidenden Details, beispielsweise werden für die qualifizierte Übersetzung von Zeugnissen und Arbeitsnachweisen bislang keine Mittel zur Verfügung gestellt.

Beitrag von Alexandra Richter, LL. M. und Mirjam Schülle, M. Sc. (Public Health), beide Universität Kassel


Fußnoten:

[1] Integrationsgesetz v. 31.07.2016, BGBl. 2016 I, Nr. 39, ausgegeben am 05.08.2016, S. 1939.

[2] BVerfG, Urteil vom 18.7.2012 – 1BvL 10/10, 1 BvL 2/11, NVwZ 2012, 1024, 1029

[3] Als Asylpaket I wird das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz v. 20.10.2015, BGBl. 2015 I, S. 1722 bezeichnet. Unter dem Asylpaket II ist das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren, v. 11.03.2016, BGBl. 2016 I, S. 390, zu verstehen.

[4] Siehe Fußnote 1.

[5] Vertiefend siehe z.B. http://www.consilium.europa.eu/de/policies/migratory-pressures/reforming-ceas/ceas-reform-timeline.

[6] Für andere Sozialleistungen bspw. im SGB II und XII wird hingegen das Statistik-Modell herangezogen.

[7] Es handelt dabei um keine Beschäftigung im Sinne des § 7 SGB IV. Dies gilt nicht nur für geflüchtete Personen, sondern für alle Hospitantinnen und Hospitanten.

[8] Voraussetzung für den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz von Patientinnen und Patienten ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 15a SGB VII unter anderem, dass die Personen dort Maßnahmen aus Kosten einer Krankenkasse oder eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten. Asylsuchende werden erhalten hingegen laut § 4 AsylbLG Leistungen auf Kosten der Sozialhilfeträger.

[9] Siehe zur Verknüpfung von Migration und Rehabilitation auch die folgenden Beiträge: Köhler: Vulnerable Zielgruppen in der Rehabilitation am Beispiel Migration: Herausforderungen und Lösungsansätze; Beitrag C4-2016 unter www.reha-recht.de; 22.09.2016; Marchi/Viehmeier: Bericht vom Sozialmedizinischen Symposium "Reha für Migranten. Eine Herausforderung für die medizinische Rehabilitation" am 3. Juni 2014 in Berlin; Forum C, Beitrag C16-2014 unter www.reha-recht.de; 14.08.2014.

[10] Im Bereich der Ausbildung ergibt sich sichtbar eine Schnittstelle zur inklusiven Ausbildung. Vertiefend siehe dazu Hirschberg: Schritte und Hindernisse auf dem Weg zu einem inklusiven Ausbildungssystem – Teil 1; Forum D, Beitrag D21-2015 unter www.reha-recht.de; 24.06.2015.

[11] Zur "Kommit"-Broschüre siehe https://www3.arbeitsagentur.de/web/wcm/idc/groups/public/documents/webdatei/mdaw/mtg3/~edisp/egov-content469599.pdf

[12] Zur Broschüre „Step by Step in die betriebliche Ausbildung“ der Bundesagentur für Arbeit siehe https://www3.arbeitsagentur.de/web/wcm/idc/groups/public/documents/webdatei/mdaw/mtg3/~edisp/egov-content469649.pdf 

[13] DaZ steht für Deutsch als Zweitsprache.

 


Stichwörter:

Geflüchtete, Ausländerinnen und Ausländer, Berufliche Teilhabe, Gesundheitsversorgung, Zugangsbarrieren, Auslegung sozialrechtlicher Vorschriften, Integration


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