Die Autorin Lea Mattern setzt sich in diesem dreiteiligen Beitrag mit dem aktuellen Forschungs- und Diskussionsstand zum Budget für Arbeit (§ 61 SGB IX) auseinander. In Teil I wird ein Überblick über den bisherigen Umsetzungsstand gegeben und es werden die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Budgets für Arbeit thematisiert. Alle Teile nehmen Bezug auf einschlägige rechtswissenschaftliche Fachartikel, Studien zur Umsetzung des Budgets für Arbeit im Rahmen der Modellprojekte, Stellungnahmen verschiedener Akteure sowie Fachartikel der Behindertenhilfe.
(Zitiervorschlag: Mattern: Das Budget für Arbeit – Diskussionsstand und offene Fragen – Teil I: Eckpunkte, Umsetzungsstand und leistungsberechtigter Personenkreis; Beitrag D5-2020 unter www.reha-recht.de; 23.01.2020)
An der Humboldt-Universität zu Berlin wird derzeit eine explorative Studie zur Umsetzung des Budgets für Arbeit in ausgewählten Regionen durchgeführt.[1] Im Vorfeld wurde systematisch der aktuelle Forschungs- und Diskussionsstand erfasst, der im Folgenden zusammenfassend zur Verfügung gestellt werden soll. Neben einer kurzen Beschreibung der rechtlichen Grundlagen und des Umsetzungsstandes werden zentrale Themenstränge der öffentlichen und fachlichen Auseinandersetzungen zum Budget für Arbeit dargestellt, die vielfältige Hinweise auf förderliche und hinderliche Faktoren der Umsetzung liefern.
Bei den gesichteten Dokumenten handelt es sich um
- einschlägige rechtswissenschaftliche Fachartikel und Forschungsberichte,
- Studien zur Umsetzung des Budgets für Arbeit im Rahmen der Modellprojekte,
- Ergebnisse von Fachtagungen der Behindertenhilfe,
- Stellungnahmen der Behindertenhilfe, Behindertenverbände, Rehabilitationsträger und PolitikerInnen,
- Orientierungshilfen des Berliner Senats und der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (BAGüS),
- „Graue Literatur“ (Pressemitteilungen, Abschlussarbeiten),
- Fachartikel der Behindertenhilfe und
- Gesetzesentwürfe.
Insgesamt zeigt die Analyse, dass bisher wenig einschlägige wissenschaftliche Quellen, vor allem empirischer Natur, existieren. Gerade der Blickwinkel der Leistungsberechtigten findet sich nur in wenigen Quellen wieder.
Der folgende Beitrag soll einen Überblick über den aktuellen Diskussionsstand geben.
I. Das Budget für Arbeit – Eckpunkte und Umsetzungsstand
Ziel des Budgets für Arbeit ist es, Menschen mit Behinderungen einen Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen, für die es bislang wenig Alternativen zur Beschäftigung in der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) gab. Der Gesetzgeber sieht die bisherige Konzentration auf das Beschäftigungsangebot anerkannter WfbM kritisch, da so der Heterogenität des leistungsberechtigten Personenkreises nicht in ausreichendem Maße Rechnung getragen werde.[2] Hier stellt der Gesetzgeber auch auf Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen ab, die sich in WfbM oft fehlplatziert fühlten. Das Budget für Arbeit ist jedoch auch für weitere Personenkreise gedacht (siehe Abschnitt 2. „Leistungsberechtigter Personenkreis“).
Seit dem 01.01.2018 ist das Budget für Arbeit gem. § 61 SGB IX eine bundesweite Regelleistung. Sie sieht nach § 61 Abs. 2 S. 2 SGB IX einen Lohnkostenzuschuss vor, der bis zu 75 Prozent des vom Arbeitgeber oder der Arbeitgeberin regelmäßig gezahlten Arbeitsentgelts beträgt, höchstens jedoch 40 Prozent der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV. Neben dem Lohnkostenzuschuss umfasst das Budget für Arbeit nach § 61 Abs. 2 S. 1 auch die Aufwendungen für die wegen der Behinderung erforderlichen Anleitung und Begleitung am Arbeitsplatz. Das Budget für Arbeit wurde in den vergangenen Jahren in verschiedenen Modellprojekten erprobt (wobei sich diese zum Teil auf den Übergangsbereich Schule-Ausbildung erstreckten) und hierbei aufgrund fehlender bundesrechtlich einheitlicher Bestimmungen unterschiedlich ausgestaltet[3]. Beispielhaft sollen hier nur einige aufgeführt werden, in denen sich die Unterschiede zum jetzigen Budget für Arbeit zeigen. In Hamburg[4] und Rheinland-Pfalz[5] betrug der Lohnkostenzuschuss z.B. 70% des Arbeitgeberbruttoentgeltes und in Nordrhein-Westfalen[6] 80%, wobei in Hamburg zusätzlich noch eine Beschäftigungsprämie an ArbeitgeberInnen gezahlt wurde und eine Verpflichtung zur rentenrechtlichen Beratung bestand.[7] Begrenzte sich die Anleitung und Begleitung in Rheinland-Pfalz auf ein Jahr, so war diese in Hamburg an keine zeitlichen Befristungen gebunden und wurde sowohl von der WfbM als auch vom Integrationsfachdienst (IFD) durchgeführt (ebd.). Des Weiteren gab es in keinem der genannten Bundesländer eine Begrenzung der Höhe des Lohnkostenzuschusses auf einen bestimmten Prozentanteil der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV[8]. In Nordrhein-Westfalen wurde ein Bonus an die WfbM in Höhe von 15.000 € bei erfolgreicher Vermittlung gezahlt.[9]
Das Budget für Arbeit ist in der Regel eine Leistung der Eingliederungshilfe. Gem. § 63 Abs. 3 SGB IX können aber auch die Träger der Unfallversicherung, der Kriegsopferfürsorge sowie der öffentlichen Jugendhilfe zuständig sein. Das Budget für Arbeit kann für anerkannt schwerbehinderte Menschen oder gleichgestellte behinderte Menschen mit Mitteln aus der Ausgleichsabgabe nach § 185 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX ergänzt werden. Die Möglichkeit dieser ergänzenden Mittel aus der Ausgleichsabgabe besteht im Rahmen der Zuständigkeit der Integrationsämter. Dabei bleibt die grundsätzliche Zuständigkeit des Trägers unberührt.[10] Eine Kombination mit weiteren sozialrechtlichen Leistungen ist möglich. Dauer und Umfang des Budgets für Arbeit sind einzelfallabhängig und Bestandteil der individuellen Bedarfsermittlung und Leistungsplanung im Rahmen des Gesamt- und Teilhabeplanverfahrens.[11]
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) erwartete beim Gesetzentwurf, dass im Jahr 2018 ca. 1% (etwa 3 000) der Beschäftigten in WfbM Budgetnehmerinnen und Budgetnehmer sind, im Jahr 2019 ca. 2% (etwa 6 000) und im Jahr 2020 ca. 3% (etwa 9 000).[12] Bisher gibt es noch keinen systematischen Gesamtüberblick über die Anzahl der bewilligten Budgets für Arbeit. Dies wird seitens der Bundesregierung mit dem erst kurzen Zeitraum seit dem Inkrafttreten der Neuregelung begründet.[13] Nur vereinzelt gibt es Hinweise auf Fallzahlen, die jedoch aufgrund der Modellprojekte in einzelnen Regionen nicht immer klar dem seit Anfang 2018 in Kraft getretenen Budget für Arbeit zuzuordnen sind. In der folgenden Tabelle ist die Anzahl der bisherigen bundesweit bewilligten Budgets für Arbeit aufgelistet. Es handelt sich dabei um Annäherungswerte auf der Basis verfügbarer Daten, die überwiegend nicht wissenschaftlich (meist sog. graue Literatur) fundiert sind. Insofern besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit bzw. Richtigkeit.
Bundesland
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Anzahl
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Quelle
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Bemerkung
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Stand
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Baden-Württemberg
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9
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Strecker, 2019, S. 7f.
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Modellprojekt seit 2005 (Arbeit inklusiv)
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April 2019
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Bayern
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19
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Lill, 2019b
|
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Juli 2019
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Berlin
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4
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Strecker, 2019, S. 8f.
Lill, 2019b
Plenarprotokoll, 2019, S. 5721
|
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April 2019
Oktober 2019
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Brandenburg
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8
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Lill, 2019b
|
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Juli 2019
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Bremen
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12
16
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Miles-Paul, 2019
Lill, 2019b
|
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Juli 2019
August 2019
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Hamburg
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260
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Strecker, 2019, S. 6f.
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Budget für Arbeit seit 2012 (Modellprojekt)
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Ende 2018
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Hessen
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28
27
|
Strecker, 2019, S. 9f
Lill, 2019b
|
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April 2019
August 2019
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Mecklenburg-Vorpommern
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14
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Lill, 2019b
|
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August 2019
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Niedersachsen
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164
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Welp, 2018, S. 130
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Budget für Arbeit seit 2008 (Modellprojekt)
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Juni 2018
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Nordrhein-Westfalen
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60
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Strecker, 2019, S. 7
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(Modellprojekt)
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April 2019
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Rheinland-Pfalz
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400
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Strecker, 2019, S. 10
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Budget für Arbeit seit 2006 (Modellprojekt)
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April 2019
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Saarland
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6
|
Lill, 2019b
|
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Juli 2019
|
Sachsen
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1
|
Lill, 2019b
|
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Juni 2019
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Sachsen-Anhalt
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31
|
dpa, 2019
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?
|
Juli 2019
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Schleswig-Holstein
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?
|
|
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Thüringen
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17
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Lill, 2019b
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Anfang Juni 2019
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Übersicht über die bundesweite Anzahl der Budgets für Arbeit. Eigene Darstellung auf Basis von dpa (2019), Lill (2019b), Miles-Paul (2019), Plenarprotokoll (2019, S. 5721´f.), Strecker (2019), S. 6–11 und Welp (2018).
Zählt man die bisher bewilligten Budgets für Arbeit (inklusive der Budgets für Arbeit der Modellregionen) zusammen, kommt man auf etwas über 1 000 (1037). Damit liegen die Zahlen deutlich unter den Erwartungen des BMAS. Die Berliner Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, Elke Breitenbach, fordert vor diesem Hintergrund, auf Bundesebene Verbesserungspotenziale zu identifizieren.[14]
II. Leistungsberechtigter Personenkreis
Leistungsberechtigt sind nach § 61 Abs. 1 SGB IX Menschen, die einen Anspruch auf Leistungen im Arbeitsbereich einer anerkannten WfbM nach § 58 Abs. 1 S. 1 SGB IX haben. Dies umfasst Menschen mit Behinderungen,
„bei denen wegen Art oder Schwere der Behinderung
- eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einschließlich einer Beschäftigung in einem Inklusionsbetrieb (§ 215 SGB IX) oder
- eine Berufsvorbereitung, eine individuelle betriebliche Qualifizierung im Rahmen Unterstützter Beschäftigung, eine berufliche Anpassung und Weiterbildung oder eine berufliche Ausbildung (§ 49 Absatz 3 Nummer 2 bis 6 SGB IX)
nicht, noch nicht oder noch nicht wieder in Betracht kommt und die in der Lage sind, wenigstens ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen“.[15]
Voraussetzung für den Anspruch auf ein Budget für Arbeit ist es demnach nicht, dass der Arbeitsbereich einer WfbM vor Inanspruchnahme eines Budgets für Arbeit tatsächlich durchlaufen werden muss. Auch das Durchlaufen des Eingangsverfahrens/Berufsbildungsbereichs einer WfbM ist keine Voraussetzung für ein Budget für Arbeit, da diese Leistungen auch anderweitig erbracht werden können.[16] Verfügt die leistungsberechtigte Person bereits „über eine auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erworbene und für die in Aussicht genommene Beschäftigung erforderliche berufliche Leistungsfähigkeit“,[17] kann von der Notwendigkeit der beruflichen Bildung abgesehen werden. Dies ist im Einzelfall vom Eingliederungshilfeträger anhand von Bescheinigung oder Zertifikaten zu prüfen.
In den Diskursen zum Anspruch auf Leistungen der WfbM wird überwiegend von der Notwendigkeit einer vollen Erwerbsminderung als Voraussetzung ausgegangen. So formuliert zum Beispiel die BAG WfbM: „Das Budget für Arbeit soll dauerhaft voll erwerbsgeminderten Menschen die Möglichkeit einräumen, langfristig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt […] tätig zu sein.“[18] (In ähnlicher Weise argumentieren Der Paritätische,[19] und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände[20]). Auch im Rundschreiben der Berliner Senatsverwaltung heißt es:
„Anspruchsberechtigt sind Menschen mit Behinderung, die Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 53 SGB XII (bzw. ab 1.1.2020 § 99 SGB IX) und auf Leistungen nach § 58 SGB IX (Leistungen im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen – WfbM -) haben, dauerhaft voll erwerbsgemindert sind […]“.[21]
Jedoch macht die einschlägige rechtwissenschaftliche Literatur deutlich, dass das Gesetz keine bestehende volle Erwerbsminderung verlangt, um ein Budget für Arbeit zu beanspruchen.[22] Dies sei konsequent, da auch die Aufnahme in den Arbeitsbereich der WfbM lediglich die Feststellung der Werkstattfähigkeit voraussetzt, nicht jedoch die Feststellung einer vollen Erwerbsminderung.[23] Voraussetzung ist nach § 219 Abs. 2 S. 1 SGB IX die Erwartung eines Mindestmaßes wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung, wobei dies Menschen mit besonders hohem Unterstützungsbedarf ausschließt.[24]
Hintergrund der Annahmen im Hinblick auf die Voraussetzung der vollen Erwerbsminderung ist möglicherweise die Formulierung in der Gesetzesbegründung, dass das Budget für Arbeit „einen Personenkreis umfasst, der dem Grunde nach dem allgemeinen Arbeitsmarkt wegen voller Erwerbsminderung nicht zur Verfügung steht“ und mit dem „trotz dessen voller Erwerbsminderung“ ein regulärer Arbeitsvertrag geschlossen wird.[25] Dabei muss allerdings differenziert werden: Beschäftigte in der WfbM gelten rentenrechtlich gem. § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB VI zwar als voll erwerbsgemindert, diese rentenrechtliche Folge kann jedoch nicht zur Aufnahmevoraussetzung für die WfbM oder für das Budget für Arbeit umgekehrt werden.[26] Schaumberg[27] betont in diesem Zusammenhang den Grundgedanken des § 56 SGB IX, wonach Leistungen in WfbM erbracht werden, um die Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit der Betroffenen zu erhalten. Die Erwerbsfähigkeit könne jedoch nur dann aufrechterhalten werden, „wenn sie – in welchem Umfang auch immer – noch vorhanden“ sei.[28] Die Deutsche Rentenversicherung[29] stellt jedoch in Frage, ob weiterhin die Erwerbsminderung anzunehmen ist, wenn ein Budget für Arbeit in Anspruch genommen wird (mehr dazu in Abschnitt 4 zu den Auswirkungen des BfA auf die Rente).
Eine weitere Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Budgets für Arbeit ist nach § 61 Abs. 1 SGB IX das Angebot eines sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses mit einer tarifvertraglichen oder ortsüblichen Entlohnung durch einen privaten oder öffentlichen Arbeitgeber. Dies schließt geringfügige Beschäftigungen i.S. § 8 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB IV aus.[30]
Beitrag von Lea Mattern, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität zu Berlin
Fußnoten
Budget für Arbeit, Anerkannte Werkstatt für behinderte Menschen, Eingliederungshilfe, Integrationsamt, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, Integrationsfachdienst, Erwerbsminderung
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