26.02.2021 D: Konzepte und Politik Schmidt: Beitrag D6-2021

Mit dem Budget für Arbeit zum inklusiven Arbeitsmarkt? – Teil III: Budget für Arbeit und das Verhältnis zu anderen Teilhabeleistungen

Die Autorin setzt sich in dem fünfteiligen Beitrag zunächst kritisch mit dem Budget für Arbeit (BfA) auseinander und untersucht im Anschluss das Verhältnis des BfA zu anderen Teilhabeleistungen. Das im Jahr 2018 in Kraft getretene BfA (§ 61 SGB IX) richtet sich an Menschen mit Behinderungen und setzt sich aus einem Lohnkostenzuschuss sowie einer Anleitung und Begleitung am Arbeitsplatz zusammen. Der Gesetzgeber verband mit der Verabschiedung des BfA die Erwartung einer Steigerung der Zahl der Übergänge aus der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Hierzu bedarf es nach der Auffassung der Autorin jedoch einer Nachjustierung durch den Gesetzgeber und einer regelmäßigen Kombination des BfA mit weiteren Teilhabeleistungen.

(Zitiervorschlag: Schmidt: Mit dem Budget für Arbeit zum inklusiven Arbeitsmarkt? – Teil III: Budget für Arbeit und das Verhältnis zu anderen Teilhabeleistungen; Beitrag D6-2021 unter www.reha-recht.de; 26.02.2021)

I. Einleitung

Das Budget für Arbeit (BfA) stellt nur eine von vielen Teilhabeleistungen dar, die nebeneinander treten und sich ergänzen können. Für das Gelingen der Übergänge und somit für den Erfolg des BfA ist es entscheidend, dass je nach Bedarf des Einzelnen weitere Teilhabeleistungen neben dem BfA erbracht werden.[1] Hierfür kommen insbesondere Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und weitere Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) in Betracht.

II. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation

Der Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, wie beispielsweise eine Krankenbehandlung oder die Versorgung mit Heilmitteln, ist von der Inanspruchnahme des BfA unabhängig und kann somit parallel nach dem jeweiligen Leistungsgesetz geltend gemacht werden.[2] Aufgrund des gegliederten Teilhaberechts und der daraus folgenden gegliederten Zuständigkeiten (§§ 5, 6 SGB IX) stellt sich die Frage, welcher Träger für die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation während der Inanspruchnahme eines BfA zuständig ist.

In der Regel muss zwischen den Zuständigkeiten der gesetzlichen Renten- und Krankenkassen (§§ 5 Nr. 1, 6 Abs. 1 Nr. 1, 4 SGB IX) abgegrenzt werden. Bei Vorliegen der besonderen Zuständigkeitsvoraussetzungen (§§ 9 ff. SGB VI) ist die gesetzliche Rentenkasse vorrangig zuständig (§ 40 Abs. 4 SGB V) und hat gemäß §§ 9 Abs. 1. S. 1, 15 SGB VI i. V. m. §§ 42 ff. SGB IX Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu erbringen. Bei Inanspruchnahme des BfA stellt sich insbesondere die Frage, inwiefern die persönlichen Voraussetzungen gemäß § 10 Abs. 1 SGB VI erfüllt sind.[3] Nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) sind bei voll erwerbsgeminderten Werkstattbeschäftigten (im Sinne des § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI) die persönlichen Voraussetzungen nicht gegeben, wenn die Leistung zur medizinischen Rehabilitation nur dazu dient, die Werkstattfähigkeit zu erhalten oder wiederherzustellen.[4] Eine wesentliche Besserung der Erwerbsminderung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2 b) SGB VI liege nämlich nur vor, wenn die Erwerbsunfähigkeit durch die Leistung zur medizinischen Rehabilitation überwunden werden könne.[5] Ist dies nicht der Fall, sei nicht die gesetzliche Rentenkasse, sondern die gesetzliche Krankenkasse zuständig (§§ 11 Abs. 2, 40 SGB V).[6]

Fraglich ist, inwiefern sich diese Entscheidung, die sich auf Werkstattbeschäftigte bezieht, auf Budgetbeschäftigte übertragen lässt. Schließlich kann unter Umständen, wie bereits gezeigt, trotz einer Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Rahmen des BfA eine volle Erwerbsminderung vorliegen, sodass in einem solchen Fall ebenfalls zu prüfen wäre, ob durch Leistung zur medizinischen Rehabilitation die Erwerbsunfähigkeit überwunden werden könne und somit eine wesentliche Besserung der Erwerbsminderung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2 b) SGB VI vorläge. Auch in einem solchen Fall, in dem gleichermaßen an eine volle Erwerbsminderung angeknüpft werden kann, darf jedoch die Überwindung der Erwerbsunfähigkeit (im Rahmen der wesentlichen Besserung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2 b) SGB VI) bei einer Beschäftigung mittels des BfA nicht vorausgesetzt werden. Das BSG leitet nämlich die Voraussetzung für das Überwinden der Erwerbsunfähigkeit von gewissen Vorannahmen ab, die sich nicht auf das BfA übertragen lassen. Das BSG stellt auf den Zweck des SGB VI ab, welcher darin liege, eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen und somit außerhalb der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) liege (vgl. § 9 Abs. 1 SGB VI).[7] Für eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mittels des BfA ergibt sich daraus, dass sie im Rahmen der Zwecksetzung des SGB VI liegt und zwar unabhängig davon, ob eine volle Erwerbsminderung vorliegt oder nicht. Ein Überwinden der vollen Erwerbsminderung ist demnach gerade nicht mehr notwendig. Die Entscheidung des BSG ist somit nicht übertragbar und kann nicht zur Ablehnung der Zuständigkeit der gesetzlichen Rentenkasse herangezogen werden.

Die Rentenversicherung hat daher unabhängig von der Entscheidung des BSG zu prüfen, ob voraussichtlich die Erwerbsfähigkeit wesentlich gebessert, wiederhergestellt oder vor Verschlechterung bewahrt werden kann (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI). Für die wesentliche Besserung ist es ausreichend, wenn auf die Erwerbsfähigkeit spürbar und nicht nur kurzfristig eingewirkt wird oder die Beschäftigung wieder aufgenommen oder aufrechterhalten werden kann.[8]

Neben den persönlichen Voraussetzungen nach § 10 Abs. 1 SGB VI müssen auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gemäß § 11 SGB VI vorliegen und es darf kein Ausschluss gemäß § 12 SGB VI greifen.

III. Weitere Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben

Die LTA, die das BfA umfassen, beschränken sich auf einen Lohnkostenzuschuss sowie eine Anleitung und Begleitung. In einer Vielzahl von Fällen werden diese einzelnen Leistungen nicht den gesamten Bedarf an LTA, der durch die Behinderungen entsteht, abdecken. Daher sind weitere, neben das BfA tretende, Leistungen wesentlich für den Erfolg des BfA. Die Rehabilitationsträger selbst haben nach § 12 Abs. 1 SGB IX darauf hinzuwirken, dass entsprechend dem Rehabilitationsbedarf Anträge gestellt und Leistungen in Anspruch genommen werden.

Für LTA, die das BfA ergänzen, ist § 49 SGB IX (in Verbindung mit den jeweiligen Leistungsgesetzen) die zentrale Vorschrift. Zielsetzung des § 49 SGB IX ist es, eine Teilhabe am Arbeitsleben auf Dauer zu sichern, indem eine Beschäftigung erhalten oder hilfsweise eine neue Beschäftigung erlangt wird. Hierzu werden in § 49 SGB IX mehrere LTA aufgeführt, wobei es sich hierbei nicht um einen abschließenden Katalog handelt.[9] Beispielhafte Leistungen nach § 49 SGB IX sind der aufgrund körperlicher Behinderungen erforderliche Umbau des Arbeitsplatzes oder ein aufgrund einer Gehörbeeinträchtigung bzw. Hörbehinderung erforderliche Gebärdensprachdolmetscher. Ist eine Leistung gemäß § 49 Abs. 1 SGB IX auf Grundlage der Leistungsfähigkeit des Menschen mit Behinderungen erforderlich, besteht ein Anspruch auf diese Leistung.[10] Dem Rehabilitationsträger steht dann nur hinsichtlich des „Wie“ der Leistung ein Ermessen zu.[11] Hierbei sind insbesondere Eignung, Neigung, bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes angemessen zu berücksichtigen (§ 49 Abs. 4 SGB IX).

Welche Rehabilitationsträger für die Leistungen aus § 49 SGB IX im Allgemeinen zuständig sind, ergibt sich aus §§ 5 Nr. 2, 6 Abs. 1 SGB IX. Die Abgrenzung der Zuständigkeiten und die Voraussetzungen der Leistungen nach §§ 49 ff. SGB IX ergeben sich nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IX aus den jeweiligen Leistungsgesetzen. In der Regel ist zwischen der Zuständigkeit der Träger der Rentenversicherung, der Bundesagentur für Arbeit und der Träger der Eingliederungshilfe abzugrenzen. Bezüglich der Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit ist zu beachten, dass eine Zuständigkeit nicht nur nach dem SGB III, sondern auch für hilfsbedürftige Erwerbsfähige nach dem SGB II in Betracht kommt (§ 6 Abs. 3 S. 1 SGB IX). Das ist dann relevant, wenn trotz eines Beschäftigungsverhältnisses Hilfebedürftigkeit i. S. d. § 9 Abs. 1 SGB II nicht vermieden werden kann, weil trotz des Budgets für Arbeit ein ausreichender Lebensunterhalt nicht erzielt werden kann. Im Rahmen des SGB III ist die Bundesagentur für Arbeit gemäß § 22 Abs. 2 S. 1 SGB III gegenüber den Trägern der Rentenversicherung nur nachrangig zuständig.[12] Die Träger der Eingliederungshilfe wiederum sind gegenüber sämtlichen Rehabilitationsträgern, somit auch gegenüber den Trägern der Rentenversicherung und der Bundesagentur für Arbeit, nachrangig zuständig (§ 91 Abs. 1 SGB IX). Zudem wurde die Zuständigkeit der Träger der Eingliederungshilfe für LTA durch das BTHG begrenzt. Schon an der Überschrift des zweiten Kapitels des Eingliederungshilferechts zeigt sich, dass entgegen der früheren Überschrift nicht sämtliche LTA, sondern lediglich Leistungen zur Beschäftigung erbracht werden und somit nur ein Teil der früheren Leistungen erbracht wird.[13] Hierzu wurde der offene Verweis auf die §§ 49 ff. SGB IX zunächst ab 2018 in einer Übergangsvorschrift (§ 140 SGB XII alte Fassung) und ab 2020 in § 111 SGB IX durch eine abschließende Aufzählung der Leistungen ersetzt.[14] Zur Begründung wurde angeführt, dass sich § 49 SGB IX vorrangig an erwerbsfähige Personen richte, für diese aber sei die Eingliederungshilfe, mit Ausnahme der in § 111 SGB IX genannten Leistungen, auch nicht ersatzweise zuständig.[15] Sei kein anderer Träger zuständig, verbleibe die Bundesagentur für Arbeit als zuständiger Träger.[16]

Welcher Rehabilitationsträger zuständig ist und ob die Voraussetzungen des jeweiligen Leistungsgesetzes sowie des § 49 SGB IX vorliegen, ist also anhand des Einzelfalls zu prüfen. Hinzu tritt, dass das Verhältnis zu anderen Anspruchsgrundlagen mit gleichem Leistungsinhalt, beispielsweise aus dem Schwerbehindertenrecht, bestimmt werden muss.

IV. Zwischenfazit

Bei Inanspruchnahme einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation neben der Inanspruchnahme eines BfA ist die Zuständigkeit der gesetzlichen Rentenkasse auch bei Vorliegen einer vollen Erwerbsminderung nicht von vornherein ausgeschlossen.

Wichtig für den Erfolg des BfA ist, dass je nach Bedarf des Einzelnen neben das BfA weitere LTA treten. Die Zuständigkeit der Träger der Eingliederungshilfe für LTA ist durch das BTHG begrenzt worden. Regelmäßig verbleibt es deswegen bei einer Zuständigkeit der Träger der Rentenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit für weitere LTA. Wie im Einzelnen zwischen den Zuständigkeiten abzugrenzen ist und welche Probleme sich hierbei ergeben, wird anhand von zwei beispielhaften Leistungen in gesonderten Fachbeiträgen dargestellt.

Beitrag von Antonia Schmidt, M. mel., Rechtsreferendarin am OLG Dresden

Fußnoten

[1] Nebe in: Feldes/Kohte/Stevens-Bartol (Hrsg.), SGB IX, 4. Aufl., Kommentierung zu § 61 SGB IX, Rn. 32.

[2] Nebe in: Feldes/Kohte/Stevens-Bartol (Hrsg.), SGB IX, 4. Aufl., Kommentierung zu § 61 SGB IX, Rn. 33.

[3] Die persönliche Voraussetzung der Versicherteneigenschaft ist unproblematisch (§ 1 Nr. 1 SGB VI).

[4] BSG, NZS 2015, S. 823 ff.

[5] BSG, NZS 2015, S. 823 (825 Rn. 16).

[6] BSG, NZS 2015, S. 823 (825 Rn. 20).

[7] Vgl. BSG, NZS 2015, S. 823 (825 Rn. 16).

[8] Luthe in: Skipka/Winkler (Hrsg.), juris PraxisKommentar SGB VI, 2. Aufl., Kommentierung zu § 10 SGB VI, Rn. 51.

[9] Luik in: Deinert/Welti, Stichwortkommentar Behindertenrecht, 2. Aufl., Stichwort 160, Rn. 75.

[10] Busch in: Feldes/Kohte/Stevens-Bartol (Hrsg.), SGB IX, 4. Aufl., Kommentierung zu § 49 SGB IX, Rn. 15.

[11] Busch in: Feldes/Kohte/Stevens-Bartol (Hrsg.), SGB IX, 4. Aufl., Kommentierung zu § 49 SGB IX, Rn. 15.

[12] Gemäß § 14 Abs. 1 S. 4 SGB IX kann die Bundesagentur für Arbeit ausnahmsweise trotz nachrangiger Zuständigkeit gegenüber dem Antragsteller zur Leistung verpflichtet sein.

[13] Bieritz-Harder in: Bieritz-Harder/Conradis/Thie (Hrsg.), Lehr- und Praxiskommentar Sozialgesetzbuch XII, 11. Aufl., Kommentierung zu § 140 SGB XII, Rn. 2.

[14] Bundestags-Drucksache 18/9522, S. 283.

[15] Bundestags-Drucksache 18/9522, S. 283.

[16] Bundestags-Drucksache 18/9522, S. 283.


Stichwörter:

Budget für Arbeit, Alternativen zur WfbM, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, Leistungsrechtliche Zuständigkeit, Bundesagentur für Arbeit (BA), Erwerbsminderung, Deutsche Rentenversicherung (DRV), Eingliederungshilfe


Kommentare (1)

  1. Manfred Becker
    Manfred Becker 27.02.2021
    Guten Tag,
    nach meiner Erfahrung hat der Autor noch einen zusätzlich wichtigen Sozialleistungsträger nicht berücksichtigt, nämlich die Krankenkasse. Im Rahmen der Tätigkeit im Integrationsfachdienst im Bereich des Landesverbands Rheinland habe ich eine Klientin betreut, deren Arbeitsplatz im Budget für Arbeit verloren ging. In diesem Zusammenhang ist die Klientin erkrankt. Da sie vor dem Budget für Arbeit eine (keineswegs ausreichende) vollständige Erwerbsminderungsrente erhalten hatte, weigerte sich die Techniker Krankenkasse nach Ablauf der Lohnfortzahlung Krankengeld zu bezahlen. Da die Klientin nicht in die Werkstatt zurückkehren wollte, war sie unmittelbar auf die Grundsicherung für Menschen im Alter und mit Erwerbsminderung angewiesen – obwohl sie ein Jahr lang den vollen Beitrag an die Krankenkasse abgeführt hatte. Der Rechtsstreit hierüber dauert seit über einem Jahr an. Dies hat die Klientin sehr getroffen und keineswegs dazu ermutigt, wieder ein ähnliches Beschäftigungsverhältnis anzustreben. Es wird sicher weitere Fälle geben, in denen dies sich ähnlich negativ auswirkt. Auch hier sehe ich eine nicht unerhebliche sozialrechtliche Lücke.
    Mit freundlichen Grüßen
    Manfred Becker

Neuen Kommentar schreiben

Mit * gekennzeichnete Felder müssen ausgefüllt werden.