06.02.2018 E: Recht der Dienste und Einrichtungen Falk: Beitrag E1-2018

Die Behandlungsaufklärung fremdsprachiger PatientInnen und der sozialrechtliche Anspruch auf Übernahme von Dolmetscherkosten

Die Autorin Angelice Falk widmet sich in ihrem Beitrag den Anforderungen an die medizinische Selbstbestimmungsaufklärung von PatientInnen. Damit verbunden ist die Frage, wie Übersetzungsleistungen finanziert werden können, die bei einer verständlichen Behandlungsaufklärung fremdsprachiger PatientInnen entstehen. Seit Inkrafttreten der §§ 630a BGB im Jahr 2013 ist zwar geregelt, dass Behandelnde für eine aus Patientensicht verständliche Aufklärung Sorge zu tragen haben und ggf. auf Patientenkosten eine/n Dolmetscher/in hinzuziehen müssen. An einer entsprechenden sozialrechtlichen Norm, die einen Anspruch auf Übernahme dieser Kosten regelt, fehlt es hingegen bisher. Die Autorin untersucht, inwieweit sich ein solcher Anspruch fremdsprachiger PatientInnen aus dem bestehen Sozialversicherungs- und Sozialleistungsrecht ableiten lässt und die PatientInnen selbstbestimmt Zugang zu medizinischer Versorgung erhalten.

(Zitiervorschlag: Falk: Die Behandlungsaufklärung gegenüber fremdsprachigen PatientInnen und der sozialrechtliche Anspruch auf Übernahme von Dolmetscherkosten; Beitrag E1-2018 unter www.reha-recht.de; 06.02.1018.)

I. Zusammenfassende Thesen

  1. Die verständliche Selbstbestimmungsaufklärung nach § 630e BGB ist eine
    wesentliche Voraussetzung für den Zugang zu medizinischer Behandlung und daher untrennbar mit medizinischen Versorgungsleistungen (§§ 27, 28 SGB V, § 48 SGB XII und § 4 AsylbLG) verbunden.
  2. Die Nichtübernahme von Übersetzungskosten durch das Sozialleistungssystem bzw. die nach dem AsylbLG zuständige Versorgungsbehörde verhindert den Zugang zu medizinscher Versorgung und ist daher unionsrechts- und verfassungswidrig.
  3. Es ist dringend erforderlich, die Übersetzungskosten als Leistung im SGB V (und AsylbLG) zu regeln und verbindlich in das Sozialleistungssystem aufzunehmen.

II. Rechtlicher Hintergrund

Jede medizinische Behandlung erfordert die informierte Einwilligung des/der PatientIn. Voraussetzung dafür, dass PatientInnen wirksam in eine Behandlungsmaßnahme einwilligen können, ist daher, dass sie zuvor umfassend aufgeklärt worden sind.[1] Seit Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes am 26.2.2013[2] sind die Anforderungen an die sog. Selbstbestimmungsaufklärung in § 630e BGB gesetzlich normiert. Nach § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB muss die Aufklärung für den/die PatientIn verständlich sein. Die Verständlichkeit ist dabei aus Patientensicht im konkreten Einzelfall zu beurteilen[3] und verlangt grundlegend, dass er bzw. sie die Aufklärung sprachlich versteht.[4] Besonders wichtig ist dies bei der Behandlung fremdsprachiger PatientInnen[5] wie z. B. MigrantInnen und Geflüchteten, die in Deutschland medizinisch versorgt werden.[6]

III. Erforderlichkeit der Übersetzung

Die Verantwortung dafür, dass PatientInnen die Behandlungsaufklärung verstehen, tragen nach § 630h Abs. 2 BGB grundsätzlich die Behandelnden.[7] Ein Anspruch auf muttersprachliche Behandlung besteht allgemein nicht. Sofern sich nicht gerade PatientIn und BehandlerIn in derselben Sprache verständigen können, ist bei einer medizinischen Behandlung in Deutschland grundsätzlich davon auszugehen, dass die Behandlung samt dem Aufklärungsgespräch auf Deutsch erfolgt.[8] Beherrschen PatientInnen nach eigenen Angaben oder nach der Überzeugung der BehandlerInnen nicht hinreichend gut Deutsch, um die Behandlungsinformationen zu verstehen und sind keine Angehörigen zugegen, die geeignet sind, das Aufklärungsgespräch zu übersetzen, so haben die BehandlerInnen eine fachkundige Person oder eine/einen DolmetscherIn auf Kosten des/der jeweiligen PatientIn hinzuzuziehen.[9] Dabei muss es sich nicht zwingend um eine/n professionelle/n SprachmittlerIn handeln. Es soll genügen, wenn eine Person, die sowohl eine für den/die PatientIn, als auch für den/die BehandlerIn verständliche Sprache spricht, übersetzt (z. B. andere ÄrztInnen, PflegerInnen oder ggf. auch das Reinigungspersonal[10]). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn dem/der PatientIn ausschließlich ein Aufklärungsbogen in einer für sie/ihn verständlichen Sprache vorgelegt wird[11]. Dies würde dem Gebot der mündlichen Aufklärung (§ 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB) entgegenstehen und keine persönliche Interaktion und Rückfragen der/des PatientIn ermöglichen.[12]

IV. Problem der Kostentragung

Damit stellt sich die Frage, ob und wie die Kosten für die Übersetzung ggf. als Sozial(versicherungs)leistung erstattungsfähig sind.

1. Zugänglichkeit von Gesundheitsleistungen für fremdsprachige PatientInnen

Da der Zugang zu Gesundheitsleistungen für MigrantInnen in Deutschland in Abhängigkeit von ihrem Aufenthaltsstatus geregelt ist, muss im Einzelnen differenziert werden.[13]

(a) Anerkannt Asylberechtigte sind Deutschen sozialrechtlich weitgehend gleichgestellt und somit grundsätzlich vom gesamten Sozialleistungssystem erfasst. Für sie können Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) V, SGB VIII, SGB II und SGB XII erbracht werden sowie, bei Erfüllung der Vorversicherungszeiten (§ 33 Abs. 2 SGB XI), auch Leistungen der sozialen Pflegeversicherung (SGB XI).[14]

(b) Ebenfalls weitgehend voll sozialleistungsberechtigt (mit Ausnahme der Freizügigkeit) sind MigrantInnen mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht in Deutschland. Auch sie erhalten Gesundheitsleistungen z. B. nach dem SGB V, SGB II oder SGB XII, sofern die entsprechenden Voraussetzungen bei ihnen vorliegen.[15]

(c) MigrantInnen mit vorübergehendem oder unbestimmt dauerndem Aufenthalt in Deutschland sind hingegen grundsätzlich nicht vom Sozialleistungssystem erfasst. Sie können nur in Ausnahmefällen Leistungen nach dem SGB erhalten (etwa nach dem SGB V, sofern sie einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehen oder Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht). Im Übrigen gelten für sie Sonderregelungen wie das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), dessen Anwendungsbereich Leistungen nach dem SGB II und XII grundsätzlich ausschließt.[16]

(d) Für Geduldete und AsylbewerberInnen während der Dauer des Asylverfahrens ist kein rechtmäßiger Aufenthaltsstatus anerkannt. Sie erhalten folglich auch keinen Zugang zu Leistungen des SGB, sondern werden einem Sondersystem außerhalb des Sozialrechts zugewiesen. Sie können Gesundheitsleistungen nach dem AsylbLG und den Vorgaben der Aufnahmerichtlinie (RL 2003/9/EG) erhalten, welche Mindestnormen der Gesundheitsversorgung festlegt.[17]

2. Dolmetscherkosten als Leistung nach dem SGB V/SGB I

Für gesetzlich krankenversicherte PatientInnen[18] und MigrantInnen mit anerkanntem Asylberechtigungsstatus (s. oben (a)) oder dauerhaftem Aufenthalt in Deutschland (siehe oben (b)) wäre eine Übernahme der Dolmetscherkosten im Zusammenhang mit der medizinischen Behandlung als Leistung ihrer gesetzlichen Krankenkasse (GKV) nach dem SGB V naheliegend. Eine mögliche Anspruchsgrundlage könnten die §§ 27 ff. SGB V (Leistungen bei Krankheit) bieten. Das Bundessozialgericht (BSG) lehnt jedoch bereits die Kostenerstattung für GebärdensprachdolmetscherInnen auf Grundlage der §§ 27, 28 SGB V ab, da diese nicht von den Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 27, 28 SGB V erfasst werden, insbesondere nicht der ärztlichen Behandlung nach § 28 Abs. 1 SGB V zuzuordnen seien.[19] Gemäß § 28 Abs. 1 S. 2 SGB V zählt auch die Hilfeleistung anderer Personen zur ärztlichen Behandlung, sofern sie von dem/der ÄrztIn angeordnet und zu verantworten ist.[20] Nach Auffassung des BSG soll es sich bei dem/der (Gebärdensprach-)DolmetscherIn aber gerade nicht um eine solche Hilfsperson handeln, da der/die Behandelnde die Dolmetschertätigkeit aufgrund fehlender eigener Sprachkenntnisse weder selbst leisten noch überprüfen könne und somit nicht zu verantworten habe.[21] Dieser Ansicht folgen Rechtsprechung und Literatur unter Verweis auf die BSG-Entscheidung von 1995 bisher einhellig[22] und auch die gesetzlichen Krankenkassen weisen den Anspruch mit dieser Begründung zurück. Spätestens seit dem Inkrafttreten von § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB und § 630h Abs. 2 BGB, wonach BehandlerInnen verpflichtet sind, bei Verständigungsbarrieren zwischen ihnen und dem/der PatientIn eine/n ÜbersetzerIn hinzuzuziehen[23], ist davon auszugehen, dass BehandlerInnen die Übersetzungsleistung i.S.v. § 28 Abs. 1 S. 2 SGB V jedenfalls anzuordnen haben. Ihnen auch die Verantwortung i.S.v. § 28 Abs. 1 S. 2 SGB V für die Dolmetscherleistung aufzuerlegen, würde im Hinblick auf die haftungsrechtlichen Folgen allerdings zu weit gehen, sodass der Argumentation des BSG insoweit zuzustimmen ist.[24] Möglich erscheint hingegen eine Übernahme der Dolmetscherkosten durch die zuständigen Leistungsträger bei analoger Anwendung des § 17 Abs. 2 SGB I. Danach sind die Sozialleistungsträger inzwischen verpflichtet, die Kosten für Gebärdensprachdolmetschung, insbesondere bei der medizinischen Behandlung, zu übernehmen. Eine entsprechende Regelung für die Kosten einer fremdsprachigen Übersetzung existiert hingegen (noch) nicht. Die Rechtsprechung lehnt eine analoge Anwendung des § 17 Abs. 2 SGB I für fremdsprachige PatientInnen ab, da sich der Wortlaut ausschließlich auf gehörlose Menschen beziehe.[25] Mit dieser Argumentation ist eine direkte Anwendbarkeit des § 17 Abs. 2 SGB I für fremdsprachige PatientInnen ausgeschlossen, die analoge Anwendung aber gerade nicht. Hierfür kommt es maßgeblich darauf an, dass bei ähnlichen Sachverhalten mit vergleichbarer Interessenlage eine Wertungslücke entsteht, die nicht anderweitig geschlossen werden kann. Zudem muss ermittelt werden, ob die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Norm (§ 17 Abs. 2 SGB I) der gesetzgeberischen Intention nicht entgegensteht. Sinn und Zweck der Einführung des § 17 Abs. 2 SGB I[26] war es, Menschen mit Hör- und Sprachbeeinträchtigungen Sozialleistungen (im Besonderen medizinische Behandlungsmaßnahmen) barrierefrei zugänglich zu machen und ausgehend von Art. 25 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) die Diskriminierung von Menschen mit Hörbehinderungen bei der Gesundheitsversorgung zu vermeiden.[27] § 17 Abs. 2 SGB I knüpft damit an Kommunikationsbarrieren hör- und sprachbeeinträchtigter Menschen bei der medizinischen Versorgung an (vgl. auch § 2 Abs. 1 Nr. 5 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz [AGG]). Ebenso wie ihnen bliebe auch fremdsprachigen PatientInnen, die die deutsche Sprache nicht ausreichend sprechen und verstehen, aufgrund von Verständigungsbarrieren der Zugang zu Gesundheits- und Sozialleistungen verwehrt. Hierin könnte bereits ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot aus § 33c SGB I liegen. Jedenfalls werden beide Personengruppen ohne sachlichen Rechtfertigungsgrund in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG sowie dem Gleichheitssatz Art. 3 Abs. 3 GG und § 2 Abs. 1 Nr. 5 AGG verletzt, solange nicht die erforderliche Übersetzungsleistung bei der medizinischen Versorgung sichergestellt ist. Dies könnte entweder durch eine entsprechende Regelung (wie sie § 17 Abs. 2 SGB I bereits für Gebärdensprachübersetzung vorsieht) erfolgen, nach der die Dolmetscherkosten für fremdsprachige Behandlungsaufklärung durch das Sozialversicherungssystem getragen werden, oder durch andere geeignete Maßnahmen (z.B. alternative Modelle der Sprachmittlung[28]), durch die fremdsprachige PatientInnen ohne finanziellen Aufwand bundesweit und einheitlich selbstbestimmt Zugang zu Gesundheitsleistungen erhalten. Derzeit sind jedoch weder solche Maßnahmen etabliert, noch ergibt sich für fremdsprachige PatientInnen ein Anspruch auf Übernahme der Dolmetscherkosten aus dem Sozialversicherungssystem. Die analoge Anwendung von § 17 Abs. 2 SGB I erscheint somit entgegen der Auffassung der Rechtsprechung[29] sachgerecht und notwendig.

3. Dolmetscherkosten als Leistung nach dem SGB II oder XII

Für MigrantInnen, die nicht unter den Geltungsbereich des AsylbLG nach § 1 AsylbLG fallen, weil sie z. B. als Asylberechtigte anerkannt worden sind oder sich dauerhaft in Deutschland aufhalten (siehe oben (a) und (b)), wäre auch ein Anspruch auf Übernahme von Dolmetscherleistungen aus dem SGB II oder SGB XII möglich. Allerdings dürften die Dolmetscherkosten weder vom Regelbedarf nach § 20 SGB II erfasst sein, noch als Mehrbedarf i.S.d. § 21 Abs. 6 SGB II anerkannt werden, da sie i.d.R. wohl jedenfalls nicht „laufend“ im Sinne des Gesetzes anfallen. Eine Finanzierung der Dolmetscherkosten über § 24 Abs. 1 SGB II dürfte wegen der Rückzahlungsverpflichtung ebenfalls ungeeignet sein. Die darlehensweise Finanzierung von Dolmetscherkosten im Zusammenhang mit notwendiger medizinischer Behandlung erscheint jedenfalls bedenklich, da sie Betroffene in dieser sensiblen Situation unverhältnismäßig benachteiligt.[30] Eine Übernahme von Dolmetscherkosten nach dem SGB II ist somit kaum praktikabel.

Denkbar wäre schließlich noch die Übersetzung als Leistung der Sozialhilfe nach § 48 SGB XII („Hilfe bei Krankheit“) anzusehen. Jedenfalls hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Dolmetscherkosten als Teil der Krankenhilfe (nach dem früher geltenden Bundessozialhilfegesetz [BSHG]) anerkannt.[31] Literatur und Rechtsprechung lehnen die Kostenübernahme aus § 48 SGB XII derzeit aber ab, da dort auf Leistungen des SGB V Bezug genommen wird, nach dem SGB V jedoch gerade keine Dolmetscherleistungen erbracht werden (vgl. oben).[32] Bei der Übersetzung handele es sich lediglich um eine Leistung, die denen des § 48 SGB XII nahe steht, nicht aber direkt der Krankenbehandlung diene.[33] Letztlich muss eine Finanzierung der Dolmetscherleistung aber wenigstens über die sog. „Öffnungsklausel“ des § 73 SGB XII ermöglicht werden[34], der insofern eine Auffangfunktion zukommt.[35] Wie zuvor gezeigt ist ein Anspruch aus dem übrigen Sozialleistungssystem zwar möglich, aktuell aber nicht anerkannt und daher schwer durchsetzbar. Für die Praxis bedeutet das, dass fremdsprachige PatientInnen, für die nach Maßgabe des § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB ein/e DolmetscherIn bei der Behandlungsaufklärung hinzuzuziehen ist und die diese Leistung aber nicht aus eigenen Mitteln finanzieren können, gezwungen sind, entweder auf die Aufklärung zu verzichten (wobei in Frage gestellt werden muss, inwiefern dann eine informierte und wirksame Einwilligung in die Behandlung möglich ist) oder auf die medizinische Behandlung selbst. Beides lässt sich mit den Grundrechten (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und den unionsrechtlichen Vorgaben (z.B. Art. 13 Abs. 2 RL 2003/9/EG[36]) nicht vereinbaren und stellt nicht zuletzt eine unzulässige Ungleichbehandlung nach Art. 18 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), Art. 3 Abs. 3 GG sowie §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 5 des AGG dar. Daher ist es dringend geboten, die Übernahme von Dolmetscherkosten verbindlich im Sozialleistungssystem zu regeln und somit eine medizinische Versorgung fremdsprachiger PatientInnen sicherzustellen. Bis dahin muss jedoch wenigstens auf § 73 SGB XII verwiesen werden.[37] Zu beachten ist dabei, dass Leistungen der Sozialhilfe gem. § 2 Abs. 1 SGB XII grundsätzlich nachrangig sind, also zunächst alle sonstigen Möglichkeiten, insbesondere die kostenlose Übersetzung und die Unterstützung durch Unterhaltsverpflichtete (§§ 1360, 1601 BGB)[38], ausgeschöpft werden müssen.[39] Darüber hinaus stehen aber weder der Bezug von SGB II-Leistungen[40] noch der Hinweis in der Gesetzesbegründung zu § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB, der/die PatientIn habe die Kosten der Übersetzung zu tragen[41], entgegen. Die Aussage, dass der/die PatientIn die Kosten der Dolmetscherleistung tragen muss, ist vielmehr so zu verstehen, dass er/sie selbst oder Dritte im Sinne seiner/ihrer Krankenversicherung für die Kosten einstehen sollen.[42] Da die Kosten durch die GKV unter Verweis auf die BSG-Rechtsprechung aber gerade nicht erbracht werden (s.o.), muss hier erst recht die Sozialhilfe einspringen. Im Übrigen zeigt sich auch daran nur der dringende Handlungsbedarf, die Dolmetscherkosten als Leistung in das SGB V aufzunehmen.[43]

4. AsylbLG

Für MigrantInnen mit vorübergehendem oder unbestimmt dauerndem Aufenthalt in Deutschland (siehe oben (c)), Geduldete und AsylbewerberInnen (siehe oben (d)) könnte die Übersetzung als Leistung nach dem AsylbLG erbracht werden.[44] § 4 AsylbLG regelt Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt. Ausdrücklich genannt werden die Kosten für erforderliche Übersetzung aber auch hier weder im Normtext noch in der Gesetzesbegründung. Diese verweist hinsichtlich des Umfangs der Leistungen bei Krankheit (bei Einführung im Jahr 1993 noch in § 3 AsylbLG geregelt) lediglich auf § 37 Abs.1 BSHG[45] (heute § 48 SGB XII) und begrenzt die Leistungen ausdrücklich auf akut behandlungsbedürftige und schmerzhafte Erkrankungen.[46] Die Dolmetscherkosten dürften daher, unter Bezugnahme auf die obigen Ausführungen zu § 48 SGB XII, derzeit nicht verbindlich nach § 4 AsylbLG übernahmefähig sein.[47] Dennoch können sie (und werden in der Praxis teilweise bereits) als „sonstige zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderliche Leistung“ nach § 4 Abs. 1 S. 1 AsylbLG erbracht werden.[48] Davon abgesehen verbleibt ein Anspruch auf Übernahme von Dolmetscherkosten als „sonstige Leistung“ gemäß § 6 AsylbLG, dem eine Auffangfunktion zukommt, wenn die Gesundheitsversorgung nicht auf andere Weise gewährleistet werden kann, grundrechtlich und unionsrechtlich (Artikel 13 Abs. 2 RL 2003/9/EG) aber unbedingt geboten ist.[49] In diesem Zusammenhang sei auch auf § 17 AsylG hingewiesen. Demnach ist bei der Anhörung im Asylverfahren von Amts wegen ein/e SprachmittlerIn hinzuzuziehen, wenn der/die Betroffene der deutschen Sprache nicht hinreichend kundig ist. Nach § 17 Abs. 2 AsylG ist „der Ausländer berechtigt, auf seine Kosten auch einen geeigneten Sprachmittler seiner Wahl hinzuzuziehen“, was im Umkehrschluss darauf hindeutet, dass ihm/ihr grundsätzlich ein/e DolmetscherIn auf Staatskosten zur Verfügung gestellt wird. Sinn und Zweck der Vorschrift ist der Grundrechtsschutz von MigrantInnen, wobei im Asylverfahren (insoweit vergleichbar mit dem Zugang zu notwendiger medizinischer Versorgung) vor allem die Menschenwürde und das Selbstbestimmungsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) besonders schützenswert sind. Daher ist es geboten, eine entsprechende Sprachmittlung auch für die medizinische Versorgung von MigrantInnen, die nicht vom Sozialleistungssystem erfasst sind, zu gewährleisten und die Kostenübernahme auch für sie verbindlich zu regeln.

Beitrag von Dipl. Jur. Angelice Falk, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Fußnoten

[1] Ausführlich zum rechtlichen Hintergrund siehe Falk in: RP Reha 3/2017, S. 30 f.

[2] Bundesgesetzblatt (BGBl.) 2013 I Nr. 9 v. 25.2.2013, S. 277 f.

[3] Spickhoff, in: Medizinrecht, 2. Auflage, 2014, § 630e, Rn. 6.

[4] Bundestags-Drucksache (BT-Drs.) 17/10488, S. 25; Weidenkaff, in: Palandt, BGB Kommentar, 75. Auflage, 2016, § 630e, Rn. 11.

[5] Vgl. u.a. OLG München, Urt. v. 26.11.1992 – 1 U 6976/91, VersR 1993, 1488; OLG Karlsruhe, Urt. v. 17.12.1986, VersR 1988, 93.

[6] Vgl. Spickhoff: „Spezielle Patientenrechte für Migranten? Juristische und rechtsethische Überlegungen“, in: Migration und Gesundheit – Kulturelle Vielfalt als Herausforderung für die medizinische Versorgung, Dokumentation der Jahrestagung des Deutschen Ethikrates 2010, S. 61 f. (online abrufbar unter: http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/tagungsdokumentation-migration-und-gesundheit.pdf, letzter Abruf am 01.11.2017).

[7] Seit Februar 2013 ergibt sich die Beweispflicht dafür ausdrücklich aus § 630h Abs. 2 BGB; vgl. BT-Drs. 17/10488, S. 28 f., war aber auch zuvor bereits anerkannt: vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 07.1.1993 – 14 U 49/92, AHRS 1050/100, KG Berlin, Urt. v. 8.5.2008 – 20 U 202/06, VersR 2008, 1649; Spickhoff, a.a.O., S. 59, 66 ff.

[8] Vgl. Spickhoff, a.a.O., S. 63, 65.

[9] So BT-Drs. 17/10488, S. 25. Gemeint ist damit, dass die Kostentragung der Patientenseite obliegt, ob ggf. eine Kostenübernahme Dritter z.B. durch die Krankenkasse möglich ist, wird im Folgenden näher erläutert.

[10] OLG Karlsruhe, Urt. v. 2.8.1995 – 13 U 44/94, zitiert nach juris.

[11] So etwa OLG Nürnberg, Urt. v.  28.6.1995 – 4 U 3943/94, zitiert nach juris; AG Leipzig, Urt. v. 30.5.2003 – 17 C 344/03, MedR 2003, 583 mit Anmerkung Mangelsdorf.

[12] Vgl. hierzu auch KG Berlin, Urt. v. 8.5.2008 – 20 U 202/06, VersR 2008, 1649.

[13] Vgl. Frings: „Wer zahlt was? – Gesetzliche Grundlagen zur Versorgung psychisch kranker Flüchtlinge“, in: Tagungsdokumentation Hilfen für psychisch kranke Flüchtlinge, Kooperationsveranstaltung des Landschaftsverbandes Rheinland, der UNO-Flüchtlingshilfe e.V. und der Sozialpsychiatrischen Kompetenzzentren Migration (SPKoM), 2009, S. 53 f.; Schülle: Zugang zu Gesundheits- und Teilhabeleistungen für asylsuchende Menschen mit Behinderungen – Teil I: Rechtliche Barrieren; Beitrag D17-2017 unter www.reha-recht.de; 18.5.2017. Siehe auch Richter/Schülle: Tagungsbericht über die Fachtagung des Sozialverbundes Norddeutschland e.V. (SVN) „Die Integration Geflüchteter als Herausforderung für das Sozialrecht“, Teil I: Grundleistungen und berufliche Integration; Beitrag D40-2017 unter www.reha-recht.de; 21.9.2017.

[14] Hierzu vertiefend Frings, a.a.O., S. 53 f.

[15] Zu den einzelnen Besonderheiten Frings, a.a.O., S. 55 f.

[16] Im Einzelnen dazu Frings, a.a.O., S. 57 f.

[17] Vertiefend Frings, a.a.O., S. 60 f.

[18] Für Patienten, die privat krankenversichert sind, kommt es auf die jeweilige Vertragsgestaltung und die vereinbarten Leistungen im Einzelfall an. In der Regel besteht aber auch hier kein Versicherungsschutz (Vgl. LG Köln, Urt. v. 28.2.2007 – 23 O 28/06, VersR 2008, 525.

[19] So auch Lang, in: Becker/Kingreen, SGB V Kommentar, 4. Aufl., 2014, § 28, Rn. 23.

[20] Zu den Voraussetzungen des „Anordnens“ und „Verantwortens“ näher Lang, in:
Becker/Kingreen, SGB V Kommentar, 4. Aufl., 2014, § 28, Rn. 21 ff.

[21] BSG Urt. v. 10.5.1995 – 1 RK 20/94, NJW 1996, 806.

[22] Vgl. BSG, Urt. v. 6.2.2008 – B 6 KA 40/06 R, SozR 4-5520 § 31 Nr. 3; Fahlbusch, in:
jurisPK-SGB V, 3. Aufl., 2016, § 28, Rn. 31; auch Lang, in: Becker/Kingreen, SGB V Kommentar, 4. Aufl., 2014, § 28, Rn. 22 ff.

[23] So BT-Drs. 17/10488, S. 25.

[24] Dazu näher Falk in: RP Reha 3/2017, S. 32 f.

[25] LSG NRW, Urt. v. 31.8.2016 – Az. L 7 VG 9/05, Rn. 27, zitiert nach juris.

[26] BGBl I, Nr. 27 v. 22.6.2001, S. 1046.

[27] Vgl. BT-Drs. 14/5074, S. 115 f.

[28] Z.B. durch hinreichend gesicherte Versorgung mittels sprachlich bilingual geschulten Klinikpersonals, Spezialeinrichtungen oder geregelte fremdsprachige Aufklärung per Telefon-/Videoübertragung etc. Siehe dazu im Einzelnen die verschiedenen Modelle der Sprachmittlung in „Sprachmittlung im Gesundheitswesen Erhebung und einheitliche Beschreibung von Modellen der Sprachmittlung im Gesundheitswesen“, Broschüre der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (Stand: September 2015), als PDF online abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/Content/Infomaterial/BPA/IB/Sprachmittlung%20im%20Gesundheitswesen.pdf (Stand 18.12.2017).

[29] LSG NRW, Urt. v. 31.8.2016 – Az. L 7 VG 9/05, Rn. 27, zitiert nach juris.

[30] Vgl. auch Frings, a.a.O., S. 54.

[31] BVerwG, Urt. v. 25.1.1996 – 5 C 20/95, BVerwGE 100, 257-262; OVG Lüneburg Nds. Rpfl. 2002, 246.

[32] So das SG Hildesheim, Urt. v. 1.12.2011 – S 34 SO 217/10, zitiert nach juris; Schellhorn, in: Schellhorn/Hohm/Schneider, SGB XII, Sozialgesetzbuch XII, Sozialhilfe, Kommentar, 19. Aufl. 2015, § 48 SGB XII, Rn. 1, 11 f.; Bieritz-Harder in LPK-SGB XII, 10. Aufl., 2015, § 48, Rn. 11.

[33] Vgl. z.B. SG Hildesheim, Urt. v. 1.12.2011 – S 34 SO 217/10, Rn. 20 f. zitiert nach juris.

[34] So auch SG Hildesheim, Urt. v. 1.12.2011 – S 34 SO 217/10, Rn. 18 ff., zitiert nach juris; vgl. auch Bieritz-Harder in LPK-SGB XII, 10. Aufl., 2015, § 48, Rn. 11.

[35] Vgl. Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl., 2010, § 73 SGB XII, Rn. 4.

[36] In Deutschland bisher nicht umgesetzt.

[37] Ein Ausschluss der Kostenübernahme nach § 73 SGB XII ergibt sich nicht.

[38] Dies kann sich in der Praxis äußerst problematisch darstellen. Zum einen muss hinsichtlich der kostenlosen/ehrenamtlichen Übersetzung die Frage nach der Qualitätssicherung gestellt werden sowie hinsichtlich der vorrangigen Inanspruchnahme von Unterhaltsleistungen mögliche persönliche Barrieren des/der Betroffenen Berücksichtigung finden. Insofern ist bei restriktiver Anwendung des § 2 Abs. 1 SGB XII zu befürchten, dass fremdsprachige Patienten/innen jedenfalls mittelbar an ihrer Rechtsausübung gehindert werden.

[39] Vgl. Spickhoff, a.a.O., S. 71.

[40] So SG Hildesheim, Urt. v. 1.12.2011 – S 34 SO 217/10, Rn. 18, zitiert nach juris.

[41] BT-Drs. 17/10488, S. 25. So jedenfalls Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. 2014, Rn. 472.

[42] Vgl. BT-Drs. 17/10488, S. 18.

[43] Franzki, in: Der Behandlungsvertag, Ein neuer Vertragstypus im Bürgerlichen Gesetzbuch, 2014, S. 134 f.; Spickhoff: „Verständigungsprobleme zwischen nicht deutschsprechenden Patienten und Ärzten“, in: ZMGR 1/2016, S. 31.

[44] Leistungen nach dem SGB XII können daneben bedingt erbracht werden, Leistungen der Sozialversicherung kommen grundsätzlich nicht in Betracht; dazu näher Falk in: RP Reha 3/2017, S. 34 f.

[45] Außer Kraft seit 01.01.2005 nach Maßgabe des Artikels 68 Absatz 2 durch Artikel 68 Absatz 1 Nummer 1 des Gesetzes vom 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022).

[46] BT-Drs. 12/4451, S. 9.

[47] Vgl. auch Frings, a.a.O., S. 58.

[48] So Hohm, in: Schellhorn/Hohm/Schneider, SGB XII, Kommentar, § 4 AsylbLG, Rn. 14, 15 und VG Saarland, Urt. v. 29.12.2000 – 4 K 66/99.

[49] Eine Verwehrung von Übersetzungsleistungen stellte einen unzulässigen Eingriff in die Grundrechte dar (Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG). Vgl. hierzu auch Richter/Schülle: Tagungsbericht über die Fachtagung des Sozialverbundes Norddeutschland e.V. (SVN) „Die Integration Geflüchteter als Herausforderung für das Sozialrecht“, Teil II: Gesundheitsversorgung, Auswirkungen für die Sozialversicherungen und Reformbedarfe; abrufbar als Fachbeitrag D42-2017 unter www.reha-recht.de. Zur Übernahme von Dolmetscherkosten bei der medizinischen Behandlung nach § 6 AsylbLG vgl. auch BVerwG, Urt. v. 25.1.1996 – 5 C 20/95 , BVerwGE 100, 257-262; VG Saarland, Urt. v. 29.12.2000 – 4 K 66/99, GK AsylbLG § 4 Abs. 1 VG Nr. 6; Frings, a.a.O., S. 59.


Stichwörter:

(medizinische) Behandlung, Aufklärungspflicht, Selbstbestimmung, Patientenautonomie, Dolmetscher, Migranten, Asylbewerberleistungsgesetz, SGB V, SGB XII


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