22.05.2020 E: Recht der Dienste und Einrichtungen Walling: Beitrag E2-2020

BSG klärt Vergütungsanspruch für die rehabilitative Weiterbehandlung in einem Akutkrankenhaus – Anmerkung zu BSG, Urteil vom 19.11.2019 - B 1 KR 13/19 R

Der Autor beschäftigt sich mit dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 19. November 2019, Az. B 1 KR 13/19 R, in dem dieses wegen einer Regelungslücke das ärztliche Notversorgungsrecht für entsprechend anwendbar erklärte und der Klägerin einen Vergütungsanspruch nach tagesbezogenem Entgelt für stationäre Krankenhausbehandlung zusprach. Er stimmt dem Urteil zu und stützt den Vergütungsanspruch des Krankenhausträgers ergänzend auf den Rechtsgedanken des § 1835 III BGB.

(Zitiervorschlag: Walling: BSG klärt Vergütungsanspruch für die rehabilitative Weiterbehandlung in einem Akutkrankenhaus – Anmerkung zu BSG, Urteil vom 19.11.2019 - B 1 KR 13/19 R; Beitrag E2-2020 unter www.reha-recht.de; 22.05.2020)

I. Der Ausgangsfall

Ein Versicherter der gesetzlichen Krankenversicherung war wegen einer COPD (chronische Lungenerkrankung) stationär in einem Krankenhaus behandelt worden.[1] Der Krankenhausträger beantragte für den Versicherten eine stationäre Anschlussheil-behandlung (AHB) bzw. Anschlussrehabilitation (AR). Diese wurde ihm am 7. Januar 2010 für eine Aufnahme ab 27. Januar 2010 in der Reha-Einrichtung bewilligt. Das Krankenhaus entließ den Versicherten an dem entsprechenden Tag zur nahtlosen Aufnahme in die Reha und berechnete der Krankenkasse neben der Fallpauschale (DRG) weitere Vergütungsbestandteile und tagesbezogenes Entgelt für zehn Tage vom 17.–26. Januar 2010 wegen Überschreitung der oberen Grenzverweildauer (OGVD).

Die Krankenkasse forderte daraufhin rund 10.000 Euro zurück, weil eine Krankenhausbehandlung ab dem 17. Januar 2010 nicht mehr erforderlich gewesen sei. Sie rechnete ihre Forderung mit unstreitigen Vergütungsforderungen des Krankenhauses auf. Dagegen klagte die Trägerin des Krankenhauses. Die Vorinstanzen verurteilten die Krankenkasse zur Zahlung des strittigen Betrags.[2] Darauf ging die beklagte Krankenkasse in Revision mit dem Ziel der Klageabweisung.

II. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts

Nach Ansicht des Bundessozialgerichts (BSG)[3] gelten die Rechtsgrundsätze über ärztliche Notfallversorgung entsprechend, wenn Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung zwar Anspruch auf stationäre medizinische Reha haben, diese aber nicht zeitgerecht erhalten. Diese entsprechende Anwendung schließe die Regelungslücke in SGB V und SGB IX hinsichtlich der Gewährung stationärer medizinischer Reha in Notfällen. Behandle ein nicht zur stationären medizinischen Reha zugelassenes Krankenhaus einen krankenversicherten Patienten, der nur noch stationärer medizinischer Reha-Leistungen bedarf, so lange stationär weiter, bis er einen Reha-Platz erhält, hat es gegen den Reha-Träger für die Dauer der Notfallbehandlung Anspruch auf Vergütung nach denselben Grundsätzen, wie sie für zugelassene Krankenhäuser gelten. Abweichende Leistungsstrukturen für spezifische medizinische Reha-Leistungen, die zu einer geringeren Vergütung führen würden, können nach Ansicht des BSG dem Krankenhaus nicht zugemutet werden. Das Krankenhaus habe als nicht zugelassener Reha-Leistungserbringer im Notfall gehandelt, da kein zugelassener Leistungserbringer für die unmittelbar im Anschluss an die Krankenhausbehandlung erforderliche Leistung verfügbar gewesen sei.[4]

I. Stellungnahme

1. Vergütungsanspruch wegen erforderlicher stationärer Krankenhausbehandlung?

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Vergütungsanspruch könnte § 109 Abs. 4 S. 3 SGB V in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntG) sein, wenn die Behandlung – wie hier – in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wurde und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich war.[5] Eine stationäre Krankenhausbehandlung ist notwendig, wenn die Behandlung mit den Mitteln eines Krankenhauses aus medizinischen Gründen erfolgen muss. Es handelt sich nicht um eine KH-Behandlung, wenn die ärztliche Behandlung nur noch einen die stationäre Versorgung und die sonstigen Maßnahmen (pflegerischer und pädagogischer Art) begleitenden Charakter hat.[6] Die akutstationäre Behandlung umfasst auch die im Einzelfall erforderlichen und bis zum frühestmöglichen Zeitpunkt einsetzenden Leistungen zur Frührehabilitation,[7] § 39 I 3 SGB V. Deren Ziel ist das Erlernen von Bewältigungsstrategien sowie die Wiederherstellung von Basisfähigkeiten, wie z. B. der Mobilität, weitgehende Unabhängigkeit in einfachen Aktivitäten des täglichen Lebens sowie die Kommunikation mit und die Orientierung in der Umwelt.[8] Dies wird bei einem Aufenthalt in einem Akutkrankenhaus wegen Beatmungsbedürftigkeit bis zur Aufnahme einer Rehabilitationsleistung wegen einer anderen Art der Behandlung regelmäßig nicht der Fall sein.

Entscheidend für die Ablehnung der Erforderlichkeit einer stationären Krankenhausbehandlung dürfte die Rechtsprechung sein, wonach die Erforderlichkeit nicht vorliegt, wenn das Behandlungsziel durch andere Maßnahmen erreicht werden kann, selbst wenn eine dafür geeignete Einrichtung außerhalb des Krankenhauses nicht vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2008, B 1 KN 1/07 KR R)[9].

Der Sachverhalt lässt sich angesichts der Gewährung von Unterkunft und Verpflegung auch nicht als nachstationäre Maßnahme unter § 115 a SGB V subsumieren.[10]

Damit hat das BSG im Ergebnis zu Recht das Vorliegen von Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit einschließlich Frührehabilitationsbedürftigkeit abgelehnt und keinen Vergütungsanspruch nach § 109 Abs. 4 S. 3 SGB V in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Nr. 1 KHEntG zugesprochen.

2. Vergütungsanspruch wegen Zulassung zur Rehabilitation?

In Betracht kam auch ein Vergütungsanspruch nach dem Recht der Rehabilitationseinrichtungen (§ 111 c III SGB V). Unabhängig davon, ob ein Anspruch auf Zulassung des Krankenhauses zur Rehabilitation im Einzelfall nach § 38 SGB IX n. F.[11] sowie Unaufschiebbarkeit der Leistung nach § 18 VI SGB IX n. F. bestand, erfolgte hier keine komplexe Rehabilitationsbehandlung nach dem bio-psycho-sozialen Modell mit dem Ziel der Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Bei lebensnaher Sachverhaltsauslegung wird davon auszugehen sein, dass der Krankenhausträger hier auch keine Leistung zur medizinischen Rehabilitation für den Krankenversicherungsträger erbringen wollte.

3. Vergütungsanspruch nach den Grundsätzen der Öffentlich-Rechtlichen GoA?

Im Verhältnis zwischen Unfallversicherungsträgern und nicht vertraglich gebundenen Krankenhäusern[12] wird die Vergütung nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) geregelt[13], wenn nach Unfällen oder Berufskrankheiten Behandlungen ohne Vertragsschluss durchgeführt werden.[14] Nach § 677 BGB handelt es sich um eine GoA, wenn jemand ein Geschäft für einen anderen besorgt, ohne von ihm beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt zu sein. In einem solchen Fall kann der Geschäftsführer gemäß § 683 BGB wie ein Beauftragter (§ 670 BGB ) Ersatz seiner Aufwendungen verlangen, wenn die Übernahme der Geschäftsführung dem Interesse und dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entspricht.[15] Da sich das Gericht für die Anwendung des Notfallbehandlungsrechts nach § 76 I 3 SGB V entschied, blieb für die GoA kein Raum.[16] Die Anwendung von § 76 I 3 SGB V für die ambulante Notfallbehandlung in Krankenhäusern ist gefestigte Rechtsprechung,[17] so dass die Ausweitung auf die stationäre Notfallbehandlung systemgerecht erscheint.

4. Nach welchem Maßstab sollte der Vergütungsanspruch bemessen werden?

Fraglich ist jedoch der Maßstab für die Vergütung. Eine Einbeziehung in die Vergütungsverantwortung der kassenärztlichen Vereinigung und die dort maßgebende Gesamtvergütung scheidet aus, da die Vertragsärzte weder für Rehabilitationsmaßnahmen, noch für stationäre Krankenhausbehandlung zuständig sind.

Bei Anwendung der Grundsätze der GoA wird analog § 1835 III BGB ein Anspruch auf die übliche Vergütung vertreten.[18] Dabei handelt es sich im Umkehrschluss aus § 1836 BGB begrifflich um Aufwendungsersatz für die erbrachten Dienste. § 1835 III BGB regelt unmittelbar den Aufwendungsersatz eines Vormunds, der für sein Mündel Leistungen erbringt, die zu seinem Gewerbe oder Beruf gehören. Nach dieser Vorschrift kann z. B. ein Arzt die Kosten der durch ihn erbrachten Behandlung für sein Mündel nach der üblichen Vergütung erhalten.[19] Überträgt man diesen Gedanken auf eine stationäre Notfallbehandlung zwischen Krankenhausbehandlung und Reha-Maßnahme, ist „Gewerbe oder Beruf“ des Krankenhauses die Erbringung von stationären Akutbehandlungen und nicht die Erbringung von Rehamaßnahmen. Damit spricht auch der Rechtsgedanke des § 1835 III BGB für die Vergütung nach den beim Leistungserbringer üblichen Kosten- und Vergütungsstrukturen.

Die Vergütung nach den tatsächlichen Kostenstrukturen des Krankenhauses ist daher sachgerecht.

Beitrag von Prof. Fabian Walling, Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg

Fußnoten

[1] Pressemitteilung des BSG 2019, 53, abrufbar unter https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2019/2019_53.html,  zuletzt abgerufen am 08.04.2020.

[2] LSG Bayern, Urteil vom 28.06.2018 - L 4 KR 509/17 -, BeckRS 2018, 41387.

[3] BSG, Urteil vom 19.11.2019 - B 1 KR 13/19 R -, BeckRS 2019, 34534.

[4]    Pressemitteilung des BSG 2019, 54, unter: https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2019/2019_54.html, zuletzt abgerufen am 08.04.2020.

[5] Vgl. BSG, Urteil vom 08.11.2011 - B 1 KR 8/11 R -, BeckRS 2012, 66554

[6] BSG, Urteil vom 12. November 1985 - 3 RK 33/84 -, SozR 2200 § 184 Nr. 28; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 3.8.2012 - L 4 R 272/11 -, BeckRS 2012, 74658.

[7] Krankenhauseinweisungs-Richtlinie/KE-RL, 22. Januar 2015, § 2 II 2.

[8] Becker/Kingreen/Becker, 6. Aufl. 2018, SGB V § 39 Rn. 28; KassKomm/Gamperl, 107. EL Dezember 2019, SGB V § 39 Rn. 84.

[9] Vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2008, B 1 KN 1/07 KR R -, BeckRS 2009, 55149.

[10] LPK-SGB V/Andreas Hänlein, 5. Aufl. 2016, SGB V § 115a Rn. 1.

[11] Für die Möglichkeit eines solchen Anspruchs HK-SGB IX/Welti § 21 Rn. 35 b. Dagegen die wohl h.M. Dau/Düwell/Joussen, Sozialgesetzbuch IX, 5. Auflage 2019 § 38 SGB IX Rn. 4.

[12] Vgl. Plagemann, Sekundäre Fehlbelegung im Krankenhaus – eine Kostenfalle, GuP 2019, 145.

[13] BSG, Urteil vom 27.6.2017 - B 2 U 13/15 R -, BeckRS 2017, 131204.

[14]   Vgl. BSG, Urteil vom 12.1.2010 - B 2 U 28/08 R -, BSGE 105, 210-219.

[15] BSG, a. a. O., Rz. 25.

[16] Vgl. Becker/Kingreen, SGB V, Gesetzliche Krankenversicherung, 6. Auflage 2018, § 76 Rn. 19.

[17] Vgl. etwa BSG, Urteil vom 24.9.2003 - B 6 KA 51/02 R -, NZS 2004, 497.

[18] Palandt/Sprau, 79. A. 2019, § 683 BGB, Rn. 8.

[19] Kaiser/Schnitzler/Friederici/Schilling, 3. A. 2014, § 1835 BGB Rn. 6.


Stichwörter:

Vergütung, Vergütung in der Reha, Vergütungsansprüche, Vergütungssatz, Vergütungsgrundsätze, Rehabilitationsleistungen, Krankenhaus, Krankenhausstrukturgesetz (KHSG), Bundessozialgericht (BSG)


Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Mit * gekennzeichnete Felder müssen ausgefüllt werden.