21.05.2015 E: Recht der Dienste und Einrichtungen Schimank: Beitrag E3-2015

Tagungsbericht „Update: MBOR in der Psychosomatik“ Fachtagung am 12. Februar 2015 in Berlin

Die Autorin berichtet im vorliegenden Beitrag von der Fachtagung „Update: Medizinisch beruflich orientierte Rehabilitation (MBOR) in der Psychosomatik“, die am 12. Februar 2015 in Berlin stattfand. Die Themen der Veranstaltung beschäftigten sich mit der Bedeutung des Zusammenspiels aus medizinischer und beruflicher Rehabilitation, um die Teilhabe wirksam zu gestalten.

Im Speziellen setzten sich die verschiedenen Vorträge mit dem Einfluss von MBOR bei psychischen Erkrankungen auseinander. In diesem Bereich sei eine MBOR besonders wichtig, da diese Erkrankungen nicht selten zu starken Beeinträchtigungen in der beruflichen und gesellschaftlichen Teilhabe führen und durch MBOR die arbeitsplatzbezogenen Ressourcen gestärkt und nachhaltige Teilhabe erreicht werden könne. Verschiedene Beispiele aus der Praxis zeigten mögliche Abläufe einer MBOR auf.

Insgesamt bewerteten die Veranstaltungsteilnehmerinnen und -teilnehmer einen medizinisch und beruflich orientierten Ansatz der Rehabilitation als überaus sinnvoll und im Hinblick auf den demografischen Wandel und die Gestaltung der Arbeitswelt als notwendig.

(Zitiervorschlag: Schimank: Tagungsbericht „Update: MBOR in der Psychosomatik“ Fachtagung am 12. Februar 2015 in Berlin; Forum E, Beitrag E3-2015 unter www.reha-recht.de; 21.05.2015)


Am 12. Februar 2015 fand in Berlin die Fachveranstaltung „Update: Medizinisch beruflich orientierte Rehabilitation (MBOR) in der Psychosomatik“ der Deutschen Gesellschaft für medizinische Rehabilitation (DEGEMED) statt.

I. Einführung: MBOR in der Psychosomatik

1. MBOR in der Psychosomatik

In einem ersten Vortrag referierte Prof. Dr. Michael Linden (Reha-Zentrum Seehof der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund, Teltow) unter dem Titel "MBOR in der Psychosomatik". Er verwies auf die verschiedenen Arten der Rehabilitation und das hierfür einschlägige Sozialgesetzbuch (SGB) IX [1]. Die medizinische und die berufliche Rehabilitation hätten auf den ersten Blick nur bedingt miteinander zu tun. Beide seien jedoch wichtig, um Teilhabe wirksam zu gestalten. Insgesamt ginge es darum, was medizinisch getan werden kann, um die Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen. Eine besondere Rolle spiele die MBOR bei psychischen Erkrankungen, da diese die Teilhabe besonders stark beeinträchtigten, sowohl in der Gesellschaft als auch im Beruf. Der Referent ging dann auf die Zugangssteuerung ein, bei der insbesondere die Fallmanager der Krankenkassen sowie die Rehabilitationsanträge ausschlaggebend seien. Anschließend stellte er dar, welche Leistungen und Therapien im Rahmen der MBOR erbracht werden. Zu diesen zählten z. B. Psychotherapie, Ergotherapie, Soziotherapie und Bewegungstherapie. Ergänzt werden diese Therapieformen durch spezielle therapeutische Interventionen bei Arbeitsplatzproblemen, wie behinderungsorientierte und arbeitsplatzorientierte Maßnahmen. Die Perspektive richte sich darauf, wo weiterhin berufliche Kompetenzen liegen (können) – sogenannte fähigkeitsorientierte statt defizitorientierte Leistungsperspektive. Zudem würden u. a. externe Arbeitsplatzerprobungen durchgeführt, um Kontaktängste abzubauen.[2] Wichtig sei, Leistungen, wie die Stufenweise Wiedereingliederung (StW) nach § 28 SGB IX in Verbindung mit § 74 SGB V, und Verfahren, wie das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) nach § 84 SGB IX, im Anschluss an die Rehabilitation sicherzustellen. Abschließend betonte Linden, dass im Ergebnis nicht ausschließlich die Herstellung von Arbeitsfähigkeit fokussiert werden könne, sondern, dass am Ende eines guten Suchprozesses auch die Feststellung stehen könne, dass jemand nicht mehr arbeitsfähig sei.

In der anschließenden Diskussion wurden verschiedene Probleme thematisiert, die im Rahmen der MBOR auftreten können. Benannt wurden etwa die subjektive Darstellung von Problemlagen sowie die nur unzureichend zur Verfügung stehenden Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen[3]. Ebenso wurde die Frage aufgegriffen, ob Arbeit Erkrankungen hervorrufe und es deshalb mehr Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen gebe oder ob es real nicht mehr beeinträchtigte Menschen gibt, sondern die Arbeitswelt lediglich so gestaltet sei, dass beeinträchtigte Menschen nicht mehr mitkommen.

2. Konzeptionelle Anforderungen

Im Anschluss referierte Dr. Bodo Liese (DRV Bund, Berlin) zu den konzeptionellen Anforderungen an MBOR. Er stellte die Inhalte einer Auswertung von Visitationen aus dem Jahr 2013 vor. Durchgeführt wurden insgesamt 29 Visitationen in psychosomatischen Abteilungen. Der Fokus lag auf dem Angebot und der Durchführung arbeitsbezogener Orientierungen. Die Auswertung der Stichprobe habe ergeben, dass 43,5 % der Einrichtungen im Hinblick auf MBOR-Leistungen ausbaufähig seien. Mit über 50 % sei die Treffsicherheit bei der Zuweisung von Rehabilitanden und Rehabilitandinnen mit besonderen beruflichen Problemlagen (BBPL) höher als im orthopädischen Bereich. Der SIMBO-C[4] habe sich dabei als wesentliches Instrument der Zugangsteuerung gezeigt. Insgesamt habe die Rückkehr in die Arbeitswelt eine hohe Bedeutung bei psychischen Erkrankungen. Abschließend ging der Referent auf den aktuellen Stand zur MBOR ein. Im Oktober 2014 wurden in einem Rundschreiben der DRV Bund psychosomatische Einrichtungen aufgefordert, MBOR-Konzepte der Stufe B[5] einzureichen. Diese werden laut Liese in strukturierter Form geprüft, um zu entscheiden, ob dies künftig In Anspruch genommen werden. Eine entsprechende Erhöhung der Vergütungssätze, die den Mehraufwand abbildet, sei geplant. In der Diskussion wurden Aspekte der Treffsicherheit in der Zuweisung sowie die Qualifikation der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aufgegriffen.

II.  MBOR-Psychosomatik Praxis

1.  Integrierter MBOR-Ansatz in stationärer Reha – ein Praxisbeispiel

Den zweiten Themenblock eröffnete Dr. Marion Traub (Wicker-Klinik, Bad Wildungen). Vorgestellt wurde die Wicker-Klinik als eine Einrichtung, die bereits mit dem MBOR-Ansatz arbeite. Die Referentin stellte das Vorgehen der Klinik hinsichtlich Zuweisung, Aufnahme und Therapie dar. Nach einer ersten Sichtung der Unterlagen erfolge bei möglichen MBOR-Patienten und Patientinnen eine Kennzeichnung mit „M+“, woraufhin diese Anamneseunterlagen mit beruflichem Schwerpunkt erhalten. Zugleich erhielten die Patienten und Patientinnen frühzeitig Informationen über die Inhalte der Reha-Maßnahme. Ziel sei, möglichst früh zu klären, ob eine BBPL vorliegt. Nach der Entscheidung, ob eine BBPL vorliegt, erfolge die Zuordnung zu einem Therapiepfad. Angeboten werden drei Pfade:

  1. Konflikte am Arbeitsplatz
  2. Kognitive defizit-reduzierte mentale Belastbarkeit und
  3. Reduzierte körperliche Belastbarkeit.

Zu den sich an den Pfaden orientierenden Therapien treten übergreifende Therapien, die zum Standardangebot zählten. Die Therapieangebote enthalten z. B. ein vierstündiges Arbeitsplatztraining, bei dem ein Büroarbeitsplatztraining mit steigenden Aufgaben angeboten werde. Insgesamt beschreibt die Referentin MBOR als ein multiprofessionales Konzept, in dem eine Verschiebung der Ressourcen weg vom therapeutischen Ansatz stattfinde.

In der darauffolgenden Diskussion wurde thematisiert, inwieweit eine Abweichung vom MBOR-Ansatz umsetzbar ist, wenn sich während der Rehabilitation zeigt, dass die psychischen Störungen so stark sind, dass MBOR (noch) nicht funktioniert. Hier sei eine Einzelfallbetrachtung erforderlich, wobei ein Verzicht auf MBOR durchaus denkbar sei.

2.  MBOR-Psychosomatik in der ambulanten Reha

Es folgte ein Beitrag von Dr. Thomas Lang (Zentrum für ambulante Rehabilitation (ZAR), Berlin) zum MBOR-Ansatz in der ambulanten orthopädischen Rehabilitation. Der Referent ging zunächst auf das Verhältnis zwischen orthopädischen und psychosomatischen Beschwerden sowie auf den MBOR-Ansatz ein. MBOR sei notwendig aufgrund des Wandels in der Arbeitswelt. Eine allein medizinische Orientierung reiche nicht mehr aus, da neben körperliche Beschwerden berufsbezogene Problemlagen treten. Für die Rehabilitation bedeute dies, dass nicht mehr nur ergonomische Aspekte, sondern auch psychosoziale Belastungen und die erwerbsbezogene Einstellung in den Fokus rücken. Ziel sei es, die arbeitsplatzbezogenen Ressourcen zu stärken sowie die nachhaltige Integration. Daran anschließend stellte der Referent das ZAR sowie dessen Arbeitsweise vor. Er ging auf den Ablauf hinsichtlich Zuweisung, Patientenaufnahme und Therapieverlauf ein. Die MBOR-Zuweisung erfolge zunächst durch die DRV. Dem folgten das Screening- und Anamneseverfahren der Klinik sowie die Ermittlung der funktionalen und berufsbezogenen Beeinträchtigungen. Kann danach eine BBPL ausgeschlossen werden, erhalte der Patient das normale Rehabilitationsverfahren. Bei Vorliegen einer BBPL werde geprüft, ob die Anwendung des MBOR-Konzepts infrage kommt. Zu den klinikspezifischen Angeboten zählten Vorträge, Seminare, Sozialberatung und MBOR-Therapien. Am Ende der Therapie stünden z. B. eine Stufenweise Wiedereingliederung, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, eine externe Belastungserprobung oder die Einleitung von Nachsorgeleistungen, wie die Intensivierte Rehabilitationsnachsorge (IRENA). Insgesamt bewertete der Referent MBOR als gut und notwendig, wobei die Identifikation der BBPL zu schärfen sei. In diesem Zusammenhang stellte er die Frage, welches Screening-Instrument das richtige sei. Zudem sei eine engere Kooperation zwischen DRV und Jobcentern/Agenturen für Arbeit nötig.

Anschließend wurde von den Diskussionsteilnehmenden geäußert, dass es genauer Kriterien hinsichtlich der Zuweisung zur MBOR bedarf. Die Rehabilitation selbst müsse jedoch individuell erfolgen und nicht nach einem starren Konzept.

III.  MBOR-Dokumentation

1.  Dokumentation von MBOR in der neuen KTL 2015

Sodann stellte Lucia Schmid (Institut für rehabilitationsmedizinische Forschung, Universität Ulm) die neu überarbeitete Klassifikation therapeutischer Leistungen (KTL) vor. Diese ist ein Instrument zur Dokumentation der im direkten Kontakt erbrachten Leistungen in der medizinischen Rehabilitation. Die KTL stelle ein wesentliches Element für die rehabilitative Qualitätssicherung der DRV dar, sei jedoch keine Grundlage für die Kostenabrechnung oder Personalbemessung. In einem Projekt, in dem die Referentin mitwirkte, wurde die zuletzt vor sieben Jahren geänderte KTL überarbeitet. Einbezogen wurden Änderungen in der medizinischen Rehabilitation, wie der Einfluss der beruflichen Orientierung. In ihrem Vortrag beschrieb die Referentin das Vorgehen der Forschergruppe. Zunächst habe man eine Anwenderbefragung durchgeführt. Nach deren Auswertung sowie dem weiteren Dialog mit Experten und Expertinnen wurden die einzelnen Kapitel der KTL überarbeitet. So wurden Anpassungen in der Dokumentation berufsbezogener Leistungen vorgenommen. Hier habe man z. B. neue berufsbezogene Leistungen aufgenommen. Zudem wurde die Struktur verändert. So sei mit der neuen KTL z. B. eine bessere Abgrenzbarkeit von Arbeitstherapie und Arbeitsplatztraining möglich. Im Ergebnis habe man vielfältige Veränderungen vorgenommen, so dass MBOR-Leistungen besser abgebildet werden könnten.

Im Anschluss wurde der praktische Nutzen der KTL diskutiert und hinterfragt sowie auf weiterhin bestehende Anwendungsprobleme verwiesen.

2. Sozialmedizinische Beurteilung von MBOR im Entlassungsbericht

Christiane Ihlow (Dr. Becker Klinik, Möhnesee) referierte zur sozialmedizinischen Beurteilung von MBOR im Entlassungsbericht. Die Referentin beschrieb, dass im Rahmen der MBOR ein Profilabgleich zwischen den Anforderungen, die der Arbeitsplatz stelle, und den Fähigkeiten der Patienten und Patientinnen stattfinden müsse. Daraus wiederum müsse der Handlungsbedarf abgeleitet werden. Die Referentin stellte das Zeitmanagement der Dr. Becker Klinik sowie die verwendeten Diagnostikverfahren vor. Vor der Anreise in die Klinik bekämen die Patienten und Patientinnen einen Fragebogen, wonach der Klinikaufenthalt bereits vorab geplant werden könne. In der Klinik käme es bei Vorliegen einer BBPL zu einer erweiterten Diagnostik. Die Referentin ging dann auf den neuen Reha-Entlassungsbericht ein sowie auf dessen Bestandteile und Änderungen im Vergleich zum bisherigen. Zum Teil wurden Bestandteile gestrichen, andere seien neu hinzugekommen. Neu sei z. B. die Abfrage einer bestehenden Beschäftigung. Daran anschließend stellte die Referentin Programme zur sozialmedizinischen Begutachtung vor. Besonders wichtig sei, die Krankengeschichte im Längs- und Querschnitt darzustellen. Anhand der Anamnese sei abzugleichen, welche genauen Fähigkeitseinschränkungen vorliegen und wie diese mit dem Anforderungsprofil des letzten Arbeitsplatzes zusammenpassen. Wichtig sei zudem eine möglichst differenzierte Beschreibung der Arbeitsplatzeinschränkungen.

IV. MBOR und externe Dienstleistungen – MBOR in Kooperation

In einem abschließenden Vortrag sprach Andrea Nordmann (Zentrum Beruf + Gesundheit, Medizinisch-Berufliche Rehabilitation & Prävention in Betrieben, Bad Krozingen) über „MBOR in Kooperation“. Sie stellte das Fachzentrum und dessen Arbeitsweise vor. Das Zentrum kooperiere mit MBOR-Dienstleistern, denen das Know-How des Zentrums zur Verfügung gestellt werde. Dabei seien auch Berufsbildungswerke beteiligt. Die Referentin stellte dann die Angebote des Zentrums vor, zu denen u. a. folgende zählten: Berufscoachings mit dem Ziel, bestehende Arbeitsplätze zu erhalten bzw. dem Finden von Alternativen; Berufliche Erstorientierung sowie Kurz-Belastungs­erprobung. Insgesamt setze das Zentrum in der Reha während des Klinikaufenthalts erste Impulse, indem bereits während des Aufenthalts erste Kontakte stattfinden. Im Anschluss werde eine Nachbegleitung angeboten mit dem Ziel, den beruflichen Fokus aufrecht zu erhalten. Insgesamt stehe dabei nicht die Erkrankung im Fokus, sondern das Potential.

In der abschließenden Diskussion wurde der Aspekt der Finanzierung besprochen. Zudem wurde kritisiert, dass Angebote oftmals nicht bekannt seien.

Beitrag von Cindy Schimank (Sozialjuristin, LL.M.), Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Fußnoten:

[1] Eine Benennung der Leistungsgruppen findet sich in § 5 SGB IX.

[2] Literaturhinweis des Referenten: Muschalla/Linden, Arbeitsplatzbezogene Ängste und Arbeitsplatzphobie: Phänomenologie, Diagnostik, Behandlung, Sozialmedizin, 2013.

[3] Nach Angaben eines Teilnehmers kommen hier 25 bis 30 Patienten und Patientinnen auf einen/eine Sozialarbeiter/in.

[4] Bei dem SIMBO handelt es sich um ein Screening-Instrument zur Feststellung des Bedarfs an Medizinisch Beruflich Orientierten Maßnahmen in der medizinischen Rehabilitation.

[5] Stufe B der MBOR sieht MBOR-Kernmaßnahmen für Rehabilitanden mit besonderen beruflichen Problemlagen in Schwerpunktkliniken vor.


Stichwörter:

Arbeitsmedizin, Berufliche Teilhabe, Gesellschaftliche Teilhabe, Medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation (MBOR), Sozialmedizin, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, Teilhabebeeinträchtigung, Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, Berufliche Rehabilitation


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