05.04.2018 E: Recht der Dienste und Einrichtungen Liebsch: Beitrag E3-2018

Bericht vom 11. Deutschen REHA-Rechtstag am 27.09.2017 in Berlin – Teil III: Leistungserbringung in der Krankenversicherung – Wunsch- und Wahlrecht, Schiedsstellen gemäß § 111b SGB V

Am 27.09.2017 haben die Deutsche Gesellschaft für Medizinische Rehabilitation (DEGEMED), die Deutsche Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) sowie die Deutsche Anwaltakademie in Berlin den 11. Deutschen REHA-Rechtstag in Berlin veranstaltet. Thematisch standen Rechtsfragen der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) im Vordergrund.

Einen umfassenden Überblick boten verschiedene Vorträge zu den Rechtsfragen der Teilhabeplanung, den Zuständigkeiten, Klärungsfristen und der Genehmigungsfiktion in der Praxis der Rehabilitationsträger, zum neuen Vertragsrecht der Eingliederungshilfe, zur praktischen Durchsetzung des Wunsch- und Wahlrechts und abschließend über die Beratungspflichten und Beratungsmöglichkeiten nach dem Ende der Servicestellen. Zwei Arbeitsgruppen ergänzten die Vorträge um einen fachlichen sowie praktischen Austausch. Hierbei hat sich eine Arbeitsgruppe der aktuellen Schiedsstellenpraxis nach § 111b SGB V und eine Zweite dem Vertragsrecht der Eingliederungshilfe gewidmet.

Der Autor Matthias Liebsch berichtet über den von Ingo Dörr (Rechtsanwalt, Geschäftsführer Arbeitskreis Gesundheit e. V., Leipzig) gehaltenen Vortrag zur praktischen Durchsetzung des Wunsch- und Wahlrechts sowie über die Arbeitsgruppe zur aktuellen Schiedsstellenpraxis gemäß § 111b SGB V.

(Zitiervorschlag: Liebsch: Bericht vom 11. Deutschen REHA-Rechtstag am 27.09.2017 in Ber-lin – Teil III: Leistungserbringung in der Krankenversicherung – Wunsch- und Wahlrecht, Schiedsstellen gemäß § 111b SGB V; Beitrag E3-2018 unter www.reha-recht.de; 05.04.2018.)


Nachfolgend wird über den Vortrag von Ingo Dörr (Rechtsanwalt, Geschäftsführer
Arbeitskreis Gesundheit e. V., Leipzig) zur praktischen Durchsetzung des Wunsch- und Wahlrechts sowie über die Arbeitsgruppe zur aktuellen Schiedsstellenpraxis gemäß § 111b SGB V berichtet.[1]

I. Praktische Durchsetzung des Wunsch- und Wahlrechts

Dörr fokussierte seinen Vortrag auf die praktische Durchsetzung des Wunsch- und Wahlrechts der Leistungsberechtigten gemäß § 9 SGB IX (seit 01.01.2018: § 8 SGB IX) gegen die Krankenkassen aus Sicht von Reha-Einrichtungen.

Ein guter Antrag sei der erste Schritt auf dem Weg zur Wunscheinrichtung. Zudem sei er zugleich die spätere Entscheidungsgrundlage für den Leistungsträger und müsse demnach bereits von vornherein Argumente gegen mögliche Ablehnungsgründe enthalten. Medizinische Argumente zur Begründung einer stationären Anschlussheilbehandlung könnten beispielsweise eine nicht ausreichende oder nicht mögliche ambulante Heilbehandlung sein. Ebenfalls könne die fehlende Erreichbarkeit geeigneter ambulanter Therapien vorgetragen werden, wobei die beabsichtigten Therapieziele kurz formuliert werden sollten.

In einem zweiten Schritt müsse durch die gesetzliche Krankenkasse gemäß § 40 Abs. 2 SGB V abgewogen werden, ob die Gewährung der Wunscheinrichtung mit einer wirtschaftlichen Betrachtung in Ausgleich zu bringen sei.[2] Hierbei sei zunächst die beste medizinische Eignung der Einrichtung, danach seien die berechtigten Wünsche des Leistungsberechtigten in Bezug auf die persönliche Lebenssituation, das Alter, das Geschlecht, die Familie sowie religiöse und weltanschauliche Bedürfnisse zu berücksichtigen. Diese getrennte Stufenprüfung sei nicht unproblematisch, da sie das Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsberechtigten nicht gleichrangig berücksichtige.

Insgesamt müsse die Antragsbegründung präzise und verständlich formuliert werden, um durch eine hohe Aussagekraft zur Bewilligung der Anschlussrehabilitation in der Wunscheinrichtung zu gelangen.

Werde der Antrag abgelehnt, sei innerhalb eines Monats ab Zugang des Bescheides ein vom Versicherten bzw. von dessen Betreuer unterschriebener Widerspruch einzulegen. Der Widerspruch müsse sich inhaltlich mit dem Ablehnungsgrund auseinandersetzen und die Argumente des Leistungsträgers durch eine anderslautende medizinische Einschätzung und unter Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts entkräften. Werde ein Bescheid verweigert und die Ablehnung beispielsweise nur telefonisch mitgeteilt, führe dies zu einer unzulässigen Rechtsschutzerschwerung. In diesem Fällen müsse der Rehabilitationsträger unter Fristsetzung aufgefordert werden, den mündlichen Ablehnungsbescheid schriftlich zu bestätigen und zu begründen (§§ 33 Abs. 2 Satz 2,
35 Abs. 2 Satz 2 SGB X), damit einfacher Widerspruch eingelegt werden kann.

Schließlich könne die gesetzliche Krankenkasse gemäß § 40 Abs. 2 SGB V auch die Wunscheinrichtung gegen ein Zuzahlungsverlangen in Höhe der Differenzkosten zur zugewiesenen Klinik in Anspruch nehmen.[3] Hierauf habe der Leistungsberechtigte im Einzelfall sogar einen einklagbaren Anspruch. Auch das Zuzahlungsverlangen ebenso wie die Zuweisung der Vertragsklinik müsse zudem mittels Bescheid erfolgen, um gegebenenfalls mit einem Widerspruch hiergegen vorgehen zu können. Darüber hinaus gelte das Sachleistungsprinzip, so dass Leistungsberechtigte zunächst ein Recht auf Kostenübernahme durch ihre Krankenkasse haben. Eine vertraglich vereinbarte Vorleistung des Leistungsberechtigten sei deshalb nicht rechtmäßig. Auch dürfen die gesetzlichen Krankenkassen die Vergütung gegenüber den Leistungserbringern in Höhe der von den Leistungsberechtigten verlangten Mehrkosten mangels Rechtsgrundlage nicht kürzen.

Abschließend meinte Dörr, dass Forderungen der gesetzlichen Krankenkassen oft überhöht seien. Kosten (Höhe von Tagessätzen, Fallpauschalen, Fahrtkosten, etc.) würden oftmals schlicht behauptet, aber nicht hinreichend dargelegt. Dies reiche für einen inhaltlich bestimmten Bescheid nicht aus, wodurch dieser formell rechtswidrig sei.

II. Arbeitsgruppe: Aktuelle Schiedsstellenpraxis gemäß § 111b SGB V

Unter Leitung von Christof Lawall (DEGEMED) beschäftigte sich die Arbeitsgruppe 1 mit der aktuellen Schiedsstellenpraxis gemäß § 111b SGB V.

In einem Impulsvortrag empfahl Lawall in Vertretung von Bastian Liebsch (Dipl.-Kaufmann, Geschäftsleitung Kundenmanagement, Dr. Becker Klinikgesellschaft, Köln) die Landesschiedsstelle für Vergütungsvereinbarungen mit den Krankenkassen aus Klinik-sicht aktiv zu nutzen. Hierzu sollten bestehende Pflegesatzvereinbarungen mit den Krankenkassen regelmäßig aufgekündigt werden, um einen Verhandlungsprozess in Gang zu setzen. Ein „Nicht-Verhandeln“ müsse sich eine Rehabilitationseinrichtung demgegenüber entgegenhalten lassen, da Verträge sodann einzuhalten seien. Komme eine Vergütungsvereinbarung innerhalb von zwei Monaten, nachdem entweder die Krankenkasse oder die Rehabilitationseinrichtung schriftlich zur Aufnahme von Verhandlungen aufgefordert hat, nicht oder teilweise nicht zustande, werde ihr Inhalt auf Antrag einer Vertragspartei durch die Landesschiedsstelle festgesetzt, § 111 Abs. 5 SGB V.

Die Entgeltbemessung habe sich hierbei, so Lawall, maßgeblich an der neuen Rechtsprechung des sechsten Senats des Bundessozialgerichts zu orientieren.[4] Werde diese auf Rehabilitationseinrichtungen übertragen, bestimme sich die Festsetzung der Vergütung von Reha-Leistungen vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität nach einer gemessen am Leistungsspektrum wirtschaftlichen Betriebsführung, die einem Vergleich mit anderen Einrichtungen standhält.

Auf einer ersten Stufe seien die Istkosten, also der tatsächliche Aufwand (Personal- und Sachkosten, örtliches Kostenniveau, Leistungsspektrum) ausreichend detailliert und nachvollziehbar zu kalkulieren, so dass sich die Schiedsstelle von der Wirtschaftlichkeit der Betriebsführung überzeugen könne. Sodann sei auf einer zweiten Stufe ein externer Vergleich mit sonstigen Rehabilitationseinrichtungen vorzunehmen und drittens der Grundsatz der Beitragssatzstabilität mit den Vergütungsforderungen in Ausgleich zu bringen.

Während des Verfahrens habe die Schiedsstelle stets auf eine gütliche Einigung der Vertragsparteien hinzuwirken und den Sachverhalt gemäß § 20 SGB X von Amts wegen zu ermitteln. Gegebenenfalls habe die Schiedsstelle den Vertragsparteien hierzu mittels Beschluss Auflagen zum Sachvortrag zu machen. Zum Beleg der Kostenkalkulation sei die Überprüfung durch einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer ein tauglicher Ansatzpunkt für eine zutreffende, leistungsgerechte und wirtschaftliche Entgeltbemessung. Letztlich stehe mit dem Schiedsstellenverfahren nach § 111b SGB V ein rechtlich wirksames Verhandlungsinstrument zur Verfügung, welches aktiv genutzt werden sollte, um kontinuierliche Pflegesatzsteigerungen zu erreichen.

In der anschließenden Diskussion wurde angemerkt, dass die gemäß § 71 Abs. 3 SGB V jährlich zum 15. September vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) herausgegebene Veränderungsrate der Grundlohnsumme ein geeigneter Orientierungspunkt für die Verhandlungen sei. Sie sei das zentrale Bemessungselement für die Lohnentwicklung im Gesundheitsbereich.[5]

Ferner wurde darauf hingewiesen, dass Entscheidungen von Schiedsstellenverfahren gemäß § 111b SGB V derzeit nicht bzw. kaum veröffentlicht sind. Daher bedürfe es für dieses Instrument zukünftig einer erhöhten Bewusstseinsbildung.[6]

Lawall untermauerte in einem weiteren Impulsvortrag die Notwendigkeit einer praktischen Orientierung an der vorgestellten Mehrstufentheorie des Bundessozialgerichts.[7] Eine Vergütungssteigerung müsse sich grundsätzlich am Anstieg der Grundlohnsumme orientieren. Gleichwohl seien höhere Kosten bei einem spezifischen Leistungsspektrum und/oder einer besonderen Kostenstruktur der Rehabilitationseinrichtung im Einzelfall möglich.

Schließlich werde durch das Bundesteilhabegesetz mit Wirkung zum 01.01.2018 gemäß § 38 Abs. 2 SGB IX klargestellt, dass die Gewährung tariflicher Entgelte nicht als unwirtschaftlich angesehen werden dürfe.

Beitrag von Ass. iur. Matthias Liebsch, Zentrum für Sozialforschung Halle e.V. (ZSH)

Fußnoten

[1] Weitere Berichtsteile zum REHA-Rechtstag behandeln in Teil I: Teilhabeplanung, Zuständigkeitsklärung (A6-2018), in Teil II Das neue Vertragsrecht in der Eingliederungshilfe (E2-2018), in Teil IV Beratung im SGB IX nach den Änderungen durch das Bundesteilhabegesetz (voraussichtlich als Fachbeitrag A7-2018) unter www.reha-recht.de.

[2] Zur Bedeutung der Wirtschaftlichkeitsprüfung Ramm, Bendig, Welti: Das Wunsch- und Wahlrecht (§ 9 SGB IX) in der medizinischen Rehabilitation – Ergebnisse von Experteninterviews; Forum A, Beitrag A7-2011 unter www.reha-recht.de; 05.05.2011.

[3] Hierzu vertiefend Heidt: Praktische und rechtliche Fragen des Wunsch- und Wahlrechts,
Zusammenfassung der Online-Diskussion im moderierten Forum „Fragen – Meinungen – Antworten zum Rehabilitations- und Teilhaberecht“ (18. September bis 8. Oktober 2014);
Kategorie D, Beitrag D28-2014 unter www.reha-recht.de; 16.12.2014.

[4] BSG, Urteil vom 13. Mai 2015 – B 6 KA 20/14 R –, BSGE 119, 43-57, SozR 4-2500 § 120  Nr. 4 zur Vergütung eines sozialpädiatrischen Zentrums.

[5] Einen Überblick über die Veränderungsraten gemäß § 71 Abs. 3 SGB V bietet der Internetauftritt des GKV-Spitzenverbandes. Abrufbar unter: https://www.gkv-spitzenverband.de/krankenversicherung/krankenhaeuser/budgetverhandlungen/gl_veraenderungsrate/gl_veraenderungsrate.jsp.

[6] Vertiefend Timm: Vergütungsverhandlungen in der medizinischen Rehabilitation;
Kategorie E, Beitrag E3-2016 unter www.reha-recht.de; 19.05.2016.

[7] Siehe hierzu Fn. 1.

 


Stichwörter:

Wunsch- und Wahlrecht, Schiedsstellen, REHA-Rechtstag


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