12.12.2014 D: Konzepte und Politik Nebe/Waldenburger: Diskussionsbeitrag D26-2014

Überlegungen zu einem Budget für Arbeit (BfA)

Der Beitrag thematisiert das Forschungsprojekt zum "Budget für Arbeit", das vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) in Auftrag gegeben wurde. Das "Budget für Arbeit" ist ein Konzept, das berufliche Teilhabechancen behinderter Menschen verbessern will.

Zu Beginn des Beitrags werden grundlegende Prämissen dargestellt und betont, dass sich die Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM) verändern müssen, um die Ansprüche eines inklusiven Arbeitsmarkts zu erfüllen. Anschließend wird das Forschungsprojekt, u. a. hinsichtlich der inhaltlichen Zielstellung vorgestellt.

Im Hinblick auf ausgesuchte Projektergebnisse werden zwei zentrale Schnittstellen, der Übergang Schule-Beruf und der Übergang WfbM-allgemeiner Arbeitsmarkt beleuchtet. Hierfür werden zunächst die jeweiligen Problemlagen dargestellt und daran anschließend Vorschläge zur Verbesserung beschrieben.

Abschließend wird ein Blick auf die gesetzliche Umsetzung geworfen. Die Notwendigkeit zur Kooperation aller beteiligten Akteure wird hierbei hervorgehoben und eine Rolle der Integrationsämter als Prozessverantwortliche vorgeschlagen.

Link zum ausführlichen Forschungsbericht:

Zitiervorschlag: Nebe/Waldenburger: Überlegungen zu einem Budget für Arbeit (BfA); Forum D, Beitrag D26-2014 unter www.reha-recht.de; 12.12.2014

 


I. Grundlegende Prämissen

  1. Die Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) wird auch in einem inklusiven Arbeitsmarkt eine wichtige Rolle spielen. Auch in der Zukunft kann die WfbM mit ihrem Potenzial beeinträchtigte Menschen auf eine Erwerbstätigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereiten und hierfür qualifizieren. Außerdem kann sie diejenigen, die nach Qualifikation und trotz bereitstehender Unterstützungsleistungen am allgemeinen Arbeitsmarkt behinderungsbedingt keine Erwerbsaussichten haben, beruflich beschäftigen.

  2. Allerdings sind alle Akteure des Arbeitslebens und damit auch die Werkstätten vor beachtliche Herausforderungen gestellt, ihren Beitrag für einen inklusiven Arbeitsmarkt zu leisten. Inklusion bedeutet gleichberechtigte Teilhabe, Zugänglichkeit und Durchlässigkeit. Für die WfbM heißt dies, sich zu verändern – von der bisher klassischen „Sonderarbeitswelt“ hin zu einem proaktiven Partner, der Menschen aufnimmt und auch wieder vermittelt, je nach individueller Situation.

  3. Exkludierende Pfadabhängigkeiten und Fehlanreize durch gegliederte Leistungszuständigkeiten müssen abgebaut werden. Die Aufnahme in die Werkstatt darf sich nicht länger als faktische Sackgasse erweisen. Das in den Bundesländern modellhaft erprobte „Budget für Arbeit“ zielt trotz unterschiedlicher Ausgestaltungen im Kern darauf, Kompetenzen und Leistungen verschiedener Akteure rund um die WfbM zu koordinieren und zu bündeln, um die beruflichen Teilhabechancen behinderter Menschen, insbesondere deren Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt, zu verbessern.

II. Forschungsauftrag des Landschafts­verbandes Rheinland (LVR)

Das Integrationsamt des Landschaftsverbandes Rheinland hat zunächst die Universität Bremen, nach dem Wechsel von Professor Dr. Katja Nebe nach Halle die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg mit der Erforschung der Bedingungen eines Budgets für Arbeit beauftragt. Unter Mitarbeit von Diplom-Juristin Natalie Waldenburger wurden die rechtlichen Grundlagen für die Vermittlung von Werkstattbeschäftigten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt sowie für den Übergang von Schülerinnen und Schülern mit besonderen beruflichen Teilhaberisiken in den betrieblichen Ausbildungsmarkt untersucht.      

Dabei wurden die praktizierten Modellvorhaben der Bundesländer soweit als möglich einbezogen. Die Forschungen standen sowohl vor dem Hintergrund der aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen (UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), Sozialgesetzbuch IX (SGB IX), Art. 3 Abs. 3 S. 2 Grundgesetz (GG)) als auch vor dem fiskalischen Sparinteresse, die Werkstattkosten dort zu senken, wo durch aktivierende Leistungen echte Arbeitsverhältnisse geschaffen und damit die Kommunen und Länder finanziell entlastet werden können.           

Lücken und Inkonsistenten im geltenden Recht sollten, auch mit Blick auf tatsächlich vorzufindendes Verhalten von Trägern und Verantwortlichen, eruiert und Lösungsvorschläge für eine Optimierung der Leistungen im Sinne eines Budgets für Arbeit unterbreitet werden.       

Entstanden ist ein Überblick über die gegenwärtige Empirie, die rechtlichen Rahmenbedingungen rund um die Zuständigkeiten und Leistungen beim Zugang zur, beim Verweilen in und beim Übergang aus der WfbM. In diesem Papier werden die wichtigsten Vorschläge für eine Optimierung des Rechtsrahmens herausgegriffen (vergleiche (vgl.) unten III.). Für alle weiteren Informationen und Vorschläge verweisen die Verfasserinnen auf den ausführlichen Forschungsbericht, der vom LVR derzeit veröffentlicht wird.[1]        

Diese komprimierte Darstellung erhöht die Chance, wesentliche Aspekte in den aktuellen Diskussionsprozess um die Reformen zum SGB IX und XII einzubringen.   

Die Verfasserinnen danken dem LVR-Integrationsamt für die Beauftragung und den ertragreichen Gedanken- und Materialaustausch während des gesamten Projektverlaufs. Sie erhoffen sich, Gesetzgeber und verantwortliche Akteure greifen die Impulse auf. Möge der Wissenstransfer in Praxis und Politik dazu beitragen, die Arbeitswelt inklusiv zu gestalten.

III. Überlegungen für Verbesserungen

Schon heute formuliert das Gesetz als eine der Aufgaben der WfbM, den Übergang von Menschen mit Behinderung, die sich für den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt eignen, zu fördern. Tatsächlich aber steigen die jährlichen Zugänge in die WfbM, besonders von Schülerinnen und Schülern nach ihrem Schulabschluss, aber auch von Personen, die aus dem allgemeinen Arbeitsmarkt „herausfallen“. Gleichzeitig finden Vermittlungen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt aus der WfbM bundesweit (fast) nicht statt (0,16 % jährlich).

Der Fokus richtet sich daher auf zwei zentrale Schnittstellen, den Übergang Schule-Beruf (dazu unter 1.) und den Übergang WfbM-allgemeiner Arbeitsmarkt (dazu unter 2.). Teilweise betreffen die Empfehlungen beide Schnittstellen.

1. Übergang Schule – Beruf

a) Leitprinzip

Risiken für inklusive Lebensverläufe finden sich an Anschlussstellen. Nach dem Schulabschluss muss Schülerinnen und Schülern der Anschluss in inklusiv gestaltete Lebenswelten und damit in eine berufliche Bildung gleichberechtigt mit nicht behinderten Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen ermöglicht werden. Zwei Risikolagen zeichnen sich hier ab:

  • mit dem voreiligen Eintritt in die WfbM sinkt die Chance auf eine betriebliche Ausbildung und damit die Chance, Erfahrungen am allgemeinen Arbeitsmarkt zu sammeln.

  • werden nach Eintritt in die WfbM von dort Vermittlungsbemühungen nicht aktiv ergriffen, durchlaufen die Betroffenen meist alle Bereiche der WfbM und bleiben langfristig im Arbeitsbereich der WfbM, was hohe Exklusionsrisiken für die Betroffenen und langfristige finanzielle Folgekosten für die Sozialhilfeträger bedeutet.

b) Vorschläge zur Verbesserung

(1) Gesetzlich zu normieren ist ein Gesamtkonzept für die Berufsorientierung mit den Inhalten Potentialanalyse, Berufsfelderkundung, Langzeitpraktikum, Übergangsbegleitung.

(2) Unter Verantwortung der Integrationsämter werden regionale Berufswegekonferenzen durchgeführt. Zu beteiligen sind die am Übergang von der Schule in die Berufsbildung beteiligten regionalen Akteure, d. h. insbesondere Schulen, Berufsschulen, Hoch- und Fachschulen, Ausbildungsbetriebe, Eltern, Innungs- und Handwerkskammern, die Bundesagentur für Arbeit (BA), der Sozialhilfeträger und die Kommune. 

Die Berufswegekonferenzen tragen zur Verbesserung der regionalen Netzwerkstrukturen bei. Sie befassen sich zugleich mit den Einzelfällen, in denen behinderten Menschen nach Schulabschluss Barrieren beim Zugang zum allgemeinen Ausbildungsmarkt drohen.

Jedes Halbjahr findet eine Berufswegekonferenz statt. Um die Termine einfacher koordinieren zu können, sind an der Konferenz im laufenden Schuljahr nur die Schülerinnen und Schüler, Lehrer, Eltern, Agentur für Arbeit, Integrationsfachdienst (IFD) und Integrationsamt zu beteiligen. Die Konferenz am Schuljahresende findet unter Beteiligung aller oben genannten Akteure statt.

Mit den Berufswegekonferenzen sollte möglichst frühzeitig (ein bis zwei Jahre vor Beginn der Abschlussklasse) begonnen werden.

(3) Die Integrationsämter unterstützen insbesondere,

  • die Schulen, frühzeitig den Übergang behinderter Schülerinnen und Schüler auf den allgemeinen Ausbildungsmarkt vorzubereiten und betriebliche Praktika schon während der Schulausbildung zu ermöglichen.
  • die Eltern durch Beratung, um sie als Unterstützer ihrer Kinder beim Übergang in die betriebliche Ausbildung zu stärken.
  • die Berufsschulen, um ihre Bildungsangebote inklusiv zu gestalten.
  • die Industrie- und Handwerkskammern sowie alle staatlichen Prüfungsämter, um ihre Ausbildungs- und Prüfungsordnungen behinderungsgerecht zu gestalten.

(4) Den Integrationsämtern ist insgesamt für das Überleitungsmanagement aus der Schule in die Berufsbildung die Prozessverantwortung zu übertragen. Dies wird durch eine Erweiterung des § 102 SGB IX zum Ausdruck gebracht. Zur Unterstützung können die Integrationsämter die Leistungen der IFD, zu denen die Vermittlungstätigkeit gehört, in Anspruch nehmen.

(5) Zur Verbesserung der Teilhabemöglichkeit von behinderten Jugendlichen, die (noch) nicht anerkannt schwerbehindert oder gleichgestellt sind, soll § 68 IV SGB IX dahingehend geändert werden, dass Leistungen der begleitenden Hilfe auch dann erbracht werden können, wenn eine Gleichstellung mit großer Wahrscheinlichkeit erreicht werden kann.

(6) Bislang werden die im Berufsbildungsgesetz sowie in der Handwerksordnung normierten Grundsätze zur behinderungsgerechten Ausbildungsgestaltung nur unzureichend beachtet. Die Regelungen in §§ 64 ff. Berufsbildungsgesetz (BBiG) und §§ 42k-n Handwerksordnung (HWO) werden kaum angewandt. Die noch völlig unzureichende Anpassung der Ausbildungsverträge und Ausbildungsordnungen stellen ein erhebliches Inklusionshemmnis dar.

§§ 64 ff. BBiG, §§ 42k ff. HWO sind daher so zu konkretisieren, dass Industrie- und Handelskammern, Handwerks- sowie Landwirtschaftskammern die Verantwortung dafür tragen, dass behinderte Jugendliche auf ein breites Angebot an behinderungsgerechten Ausbildungsberufen zurückgreifen können. Dies umfasst die Verpflichtung der Kammern, behinderungsgerechte Ausbildungsmöglichkeiten (Fachpraktiker bzw. Werker­ausbildungen) in weiteren Tätigkeitsbereichen zu entwickeln. Um sicherzustellen, dass die behinderungsgerechten Ausbildungen in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes durchgeführt werden können, haben die Kammern ihre Mitglieder im Umgang mit behinderten Jugendlichen zu sensibilisieren und sie über die Möglichkeiten der behinderungsgerechten Ausbildungsgestaltung aufzuklären.

Darüber hinaus ist in den §§ 64 ff. BBiG, §§ 42k ff. HWO die Möglichkeit der modularen Ausbildung (Teilqualifikation) aufzunehmen, sodass behinderte Jugendliche nicht mehr gezwungen sind, die Ausbildung (sowohl in anerkannten als auch in behinderungsgerechten Ausbildungsberufen) zeitlich zusammenhängend absolvieren zu müssen. Unter Berücksichtigung ihrer Leistungsfähigkeit und der Umweltfaktoren sollen behinderte Jugendliche künftig den Verlauf der Ausbildung flexibel gestalten und den Abschluss in mehreren Etappen erreichen können.

Um mehr schwerbehinderten Menschen eine betriebliche Ausbildung zu ermöglichen, wäre die Verstärkung der „weichen Beratungspflicht“ in § 72 II SGB IX empfehlenswert. Dies könnte durch eine der Beschäftigungsquote gem. § 71 SGB IX vergleichbare Ausgestaltung für den Ausbildungsbereich realisiert werden. In jedem Fall sollte die Norm dahin konkretisiert werden, dass eine Kooperationspflicht der Arbeitgeber zur Realisierung betrieblicher Ausbildungsabschnitte besteht.

(7) Der Einfluss der Eingliederungshilfeträger als künftiger Kostenträger muss bei den Fragen, wer in die WfbM aufgenommen wird und wer für einen Übergang in Betracht kommt, ausgeweitet werden, sodass sie künftig die Funktion eines „Türöffners“ in beide Richtungen einnehmen.

2. Übergang WfbM – allgemeiner Arbeitsmarkt

a) Leitprinzip

Um dem Wunsch- und Wahlrecht behinderter Menschen gerecht zu werden, müssen verschiedene berufliche Teilhabemöglichkeiten zur Verfügung stehen. Erforderlich ist daher ein fließender Übergang von der WfbM in eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und bei Bedarf wieder zurück in die WfbM. Voraussetzung dafür ist, dass sich sowohl die Werkstätten als auch die Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes für die Bedürfnisse der behinderten Menschen öffnen. Darüber hinaus müssen die Schnittstellen zwischen den einzelnen Leistungsgesetzen vereinfacht werden, Fehlanreize vermieden bzw. in positive Anreize umgewandelt werden.

b) Vorschläge zur Verbesserung

(1) Rentenversicherungsrechtliche Aspekte

Behinderte Menschen, die in einer WfbM beschäftigt sind, erzielen in aller Regel höhere rentenversicherungsrechtliche Beiträge und in Folge dessen auch eine höhere Altersrente, als wenn sie (mit Hilfe des Budgets für Arbeit) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt wären. Um einen Fehlanreiz für eine nicht erforderliche WfbM-Beschäftigung zu vermeiden, empfiehlt es sich, die Beitragsbemessungsgrundlage in Anlehnung an das durchschnittliche Entgelt eines Budgetnehmers zu modifizieren. Hierdurch wäre eine Besserstellung der WfbM-Beschäftigung ausgeschlossen und die angemessene Alterssicherung für einen WfbM-Beschäftigten bliebe, unter Einschluss der Absicherung gem. §§ 41 ff. SGB XII, gewährleistet.

Beschäftigte in einer WfbM haben häufig die Befürchtung, im Falle eines gescheiterten Beschäftigungsversuches ihren Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente nach 20 Jahren zu verlieren. Da das SGB VI bei einem gescheiterten Eingliederungsversuch weiterhin vom Bestehen der ununterbrochenen vollen Erwerbsminderung ausgeht, ist die Befürchtung in den allermeisten Fällen unbegründet. Auch die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) vertritt die Ansicht, dass bei einer Rückkehr in die WfbM in der Regel keine Unterbrechung vorliegt. Maßgeblich ist allein, ob unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes gearbeitet wurde.

Dabei sind folgende Aspekte ausschlaggebend:

  • Besteht eine eingeschränkte Wettbewerbsfähigkeit?
  • Erfolgte die Beschäftigung unter betriebsüblichen Bedingungen? Zu verneinen ist dies bei einem besonders ausgestalteten Arbeitsplatz, bei unüblichen Pausen oder bei einer Beaufsichtigung/Hilfestellung durch Dritte.
  • Ist die Arbeitsleistung/Entlohnung mit der eines nicht behinderten Kollegen vergleichbar?

Zusätzlich sollte zur Klarstellung in § 43 Abs. 2 S. 3 SGB VI eine Nr. 3 eingefügt werden, wonach der im Rahmen eines Budget für Arbeit Beschäftigte, der sogenannte Budgetbeschäftigte, als voll erwerbsgemindert gilt. Sinnvoll scheint zudem eine klarstellende gesetzliche Regelung, wonach ein Budgetbeschäftigter neben § 43 Abs. 6 SGB VI auch die Erwerbsminderungsrente nach allgemeiner Wartezeit (im Sinne der 3:5 Regelung) gem. § 43 Abs. 1 bzw. 2 SGB VI erreichen kann. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BVerfG, wonach das Erfordernis der langen Wartezeiterfüllung nicht gegen das Benachteiligungsverbot verstößt, ist ein Nebeneinander der Rentenansprüche im Falle einer tatsächlich ausgeübten Beschäftigung zu diskutieren.

Zur Abklärung der rentenrechtlichen Auswirkungen empfiehlt es sich, eine rentenrechtliche Beratungspflicht einzuführen. Dies ist vor allem für potentielle Budgetnehmer von Bedeutung, die bereits eine Erwerbsminderungsrente beziehen und für die in Folge dessen z. B. die Hinzuverdienstgrenze gilt und über deren Auswirkung keine pauschale Aussage möglich ist.

(2) Einbeziehung in die Arbeitslosenversicherung sicherstellen.

In einigen Bundesländern wird vertreten, dass Budgetnehmer in der Arbeitslosenversicherung nach § 28 I Nr. 2 SGB III versicherungsfrei seien. Dies wird damit begründet, dass Budgetnehmer im Beschäftigungsverhältnis weiterhin als voll erwerbsgemindert anzusehen seien. Diese Ansicht führt zu Inkohärenz und sollte überdacht werden.

Zum einen werden mit dem Budget für Arbeit reguläre Beschäftigungsverhältnisse angestrebt, was eine Einbeziehung in die Arbeitslosenversicherung und die Abführung der Beiträge umfasst. Zum anderen ist es nicht nachvollziehbar, dass dem Budgetnehmer insbesondere im Falle eines betriebsbedingten bzw. rein arbeitsmarktbedingten Wegfalls des Arbeitsplatzes kein Anspruch auf Arbeitslosengeld zustehen soll. Auch Ansprüche auf Kurzarbeiter- oder Insolvenzgeld bestünden bei fehlender Versicherungspflicht im SGB III nicht. Die fehlende Einbeziehung in die Arbeitslosenversicherung verstärkt darüber hinaus den negativen Effekt, dass die Bundesagentur für Arbeit (BA) mangels Kostendruck oder Auswirkung auf die Arbeitslosenstatistik keine Veranlassung sieht, behinderte Menschen bei einem Übergang von der WfbM auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu fördern.

An dieser Stelle zeigt sich, welche Probleme mit der starren Einteilung zwischen „erwerbsfähig“ und „voll erwerbsgemindert“ verbunden sind. Sie schottet den Arbeitsmarkt von unten ab. Bei der Einteilung in die eine oder andere Kategorie ist zu berücksichtigen, dass der Budgetnehmer üblicherweise nur durch die Gewährleistung angemessener Vorkehrungen seine Erwerbsminderung überwindet. Entfallen die Leistungen, ist der behinderte Mensch häufig nicht mehr in der Lage, die Anforderungen aus dem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen. Der Budgetnehmer lässt sich daher nicht zweifelsfrei der einen oder anderen Kategorie zuordnen. Der im Recht der GRV geltende abstrakte Begriff der Erwerbsminderung führt bei gleichem Verständnis im Bereich der Arbeitsförderung zu diskriminierenden Barrieren.

Fließende Übergänge aus der WfbM auf den allgemeinen Arbeitsmarkt sind nur dann möglich, wenn auch die Schnittstellen zwischen den einzelnen Leistungsgesetzen flexibler gestaltet werden. Dabei muss der eben beschriebenen Konstellation Rechnung getragen werden. Der „Budgetnehmer“ stellt in seiner Zwischenrolle eine Übergangs- und damit neue Kategorie in der Sozialversicherung dar. Auf ihn passen bisher weder die Leistungsvoraussetzungen der GRV (volle Erwerbsminderung) noch der BA (Erwerbsfähigkeit).

(3) Anspruchsgrundlage für dauerhaften Eingliederungszuschuss und dauerhaften Minderleistungsausgleich schaffen.

Das derzeitige Sozialrecht sieht keine Rechtsgrundlage für einen dauerhaften und verlässlichen Minderleistungsausgleich vor. Der Minderleistungsausgleich dient dem Ausgleich der behinderungsbedingten Leistungseinschränkung und kommt sowohl dem behinderten Menschen als auch dem Arbeitgeber zu gute. Eine ausdrückliche Anspruchsgrundlage ist unerlässlich.

(4) Leistungszuständigkeit beim jeweils zuständigen Leistungsträger; Leistung nahtlos durch Integrationsamt, Kompensation wie bei Arbeitsassistenz.

Basierend auf dem gegliederten Sozialrechtssystem sind verschiedene Leistungsträger für unterschiedliche Unterstützungsleistungen zuständig. Für die Betroffenen ist es äußerst schwierig, die Schnittstellen der Leistungsgesetze mit den jeweils geltenden Zugangsvoraussetzungen zu durchschauen. Zudem wirken sich wechselnde Ansprechpartner und der mit einem Zuständigkeitswechsel verbundene bürokratische Aufwand negativ auf die Einstellungsbereitschaft potentieller Arbeitgeber aus. Zur Vermeidung dieser Schwierigkeiten sollte den Integrationsämtern die Gesamtprozessverantwortung übertragen werden, sodass die Unterstützungsleistungen nahtlos von diesen ausgeführt werden können. Ähnlich wie bei der Arbeitsassistenz (§ 33 Abs. 8 SGB IX) stünde dem Integrationsamt gegen den jeweils zuständigen Leistungsträger ein Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen zu.

(5) Sofern Dienstleistungen im Wege des Vergaberechts beauftragt werden, ist das Vergabeverfahren „sensibel“ auszugestalten. Insbesondere ist den Qualitätskriterien bei den Ausschreibungsbedingungen eine herausgehobene Rolle einzuräumen.

IV. Gesetzliche Umsetzung

Schon heute finden sich in den verschiedenen Sozialgesetzbüchern einzelne Leistungen, die sich zu einem Leistungsbündel im Sinne eines Budgets für Arbeit zusammensetzen lassen (z. B. berufsvorbereitende Leistungen, Berufsausbildungsförderung, betriebliche Praktika, Vermittlungsleistungen, Beratung, berufliche Teilhabeleistungen gem. §§ 33, 34 SGB IX, begleitende Hilfen im Arbeitsleben, Leistungen in allen Bereichen der Werkstatt, Minderleistungsausgleich, befristeter Eingliederungszuschuss, Berufsbegleitung, sozialversicherungsrechtliche Vergünstigungen usw.). Typischerweise sind mindestens drei bzw. vier Sozialleistungsträger (BA, Eingliederungshilfe, Integrationsamt, GRV), zwei Bildungsträger (Schule und Berufsschule), ein Einrichtungsträger (WfbM) und ein privater Ausbilder oder Arbeitgeber sowie der behinderte Mensch und seine Angehörigen involviert.

Die frühzeitige Koordination von deren Verantwortungen und Aktivitäten ist entscheidend für die gelingende personenzentrierte Leistungsgewährung. Die Integrationsämter haben sich in den bisherigen Prozessen als besonders sachkundige Akteure und Koordinatoren erwiesen. Ihnen ist gesetzlich die Prozessverantwortung aufzuerlegen.

Zugleich ist das Budget für Arbeit als Komplexleistung zu normieren, das sich im Einzelfall aus den personenzentriert notwendigen Teilen zusammensetzt. Ein passender Regelungsort hierfür ist § 102 SGB IX.

Beitrag von Prof. Dr. Katja Nebe und Dipl. jur. Natalie Waldenburger, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Fußnoten:

[1] www.lvr.de/de/nav_main/soziales_1/men-schenmitbehinderung/arbeitundausbildung/bud-get_fuer_arbeit/forschungsvorhaben_zum_budget_fuer_arbeit_/forschungsvorhaben_zum_budget_fuer_arbeit.jsp.


Stichwörter:

Berufliche Teilhabe, Budget für Arbeit, Eingliederungshilfe, Inklusion, Reform, Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), Bundesagentur für Arbeit (BA)


Kommentare (4)

  1. Cindy Schimank
    Cindy Schimank 16.11.2015
    Der Beitrag zum Thema "Anspruch auf Insolvenzgeld für Beschäftigte im Rahmen eines Integrationsprojektes" ist als Beitrag A10-2015 unter folgendem Link abrufbar: http://www.reha-recht.de/fachbeitraege/beitrag/artikel/beitrag-a10-2015/
  2. Cindy Schimank 08.09.2015
    Sehr geehrter Herr Kranz,

    vielen Dank für Ihre Anfrage. Aufgrund der Länge der vorbereiteten Antwort, wurde von den Autorinnen kurzfristig beschlossen einen eigenen Beitrag zum Thema "Insolvenzgeld bei Beschäftigung im Integrationsprojekt" zu verfassen. Wir bemühen uns diesen zeitnah im Diskussionsforum zur Verfügung zu stellen.

    Mit freundlichen Grüßen
  3. Olav Kranz
    Olav Kranz 08.09.2015
    Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Nebe, sehr geehrte Frau Waldenburger.
    Als Mitarbeiter im IFD im Bereich Übergang Werkstatt in Westfalen-Lippe beschäftige ich mich (als Nichtjurist) seit einiger Zeit mit den sozialversicherungsrechtlichen Aspekten beim Wechsel in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Daher habe ich Ihren Forschungsbericht mit großem Interesse gelesen (die Grafik auf S. 156 ist an die mit dem Kollegen Mettenborg anlässlich der LWL-Messe der Integrationsprojekte erstellte Präsentation angelehnt). Insbesondere die Versicherungsfreiheit nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 SGB III ist hier häufig Thema.
    Nun meine Frage: Sie führen in Ihrem Forschungsbericht, der entsprechenden Präsentation sowie im Diskussionsbeitrag auf Reha-Recht aus, dass bei fehlender Versicherungspflicht kein Anspruch auf Insolvenzgeld bestehe. Auf Seite 11 des Merkblattes der BA zum Insolvenzgeld finde ich jedoch die Aussage, dass die Gewährung von Insolvenzgeld nicht abhängig davon sei, dass die Beschäftigung der Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung unterlegen hat. Gilt das nur für GfB, Studenten oder Rentner?
    Ich frage dies auch vor dem Hintergrund eines aktuellen Falles: Mein Klient wechselte aus dem Arbeitsbereich der WfbM in ein Integrationsprojekt, die dauerhafte Nichtverfügbarkeit wurde vom RV-Träger bestätigt. Er hätte also mit RV-Beiträgen nach § 168 Abs. 1 Nr. 2a SGB VI und ohne AV-Beiträge angemeldet werden müssen (der AG hat aber fälschlich AV-Beiträge und den "normalen" RV-Beitrag gemeldet). Nun wurde zum 01.08. das anspruchsbegründende Insolvenzverfahren eröffnet, die Meldung zur Sozialversicherung wird vom Arbeitgeber noch rückwirkend korrigiert.

    Über eine kurze Rückmeldung freue ich mich sehr,
    mit herzlichen Grüßen

    Olav Kranz
  4. Joachim Herder
    Joachim Herder 19.12.2014
    Ich arbeite seit mehr als vierzehn Jahren in verschiedenen Zusammenhängen sowohl in einer Werkstatt für Menschen mit psychischer Behinderung als auch in einer klassischen WfbM im Integrationsmanagement und war sowohl bei der (Weiter-)Entwicklung als auch bei der Umsetzung des BfA in Rheinland-Pfalz beteiligt. Leider kann auch der o.z. Forschungsbericht die entscheidende Frage nicht beantworten, warum es trotz der guten Rahmenbedingungen in den Regionen, in denen ein BfA möglich ist, nur geringfügig mehr Vermittlungen gibt als in den anderen. Die im Fazit des Berichtes geforderten gesetzlichen Änderungen werden nur marginal dazu beitragen, dass aus 0,16% Vermittlung 0,20% werden. Die realen Vermittlungsprobleme liegen ganz woanders, primär in einem Arbeitsmarkt, der mehr Menschen aussortiert als integriert, geschweige denn auch nur ansatzweise inclusiv ist.

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