24.07.2024 D: Konzepte und Politik Grupp: Beitrag D10-2024
Lotsen in der beruflichen Rehabilitation – Zusammenfassung der Online-Diskussion im moderierten Forum Fragen – Meinungen – Antworten zum Rehabilitations- und Teilhaberecht (09.–30.04.2024)
Das moderierte Forum Fragen – Meinungen – Antworten (FMA) befasste sich im April 2024 in einer Online-Diskussion mit dem Thema „Lotsen in der beruflichen Rehabilitation“ und wurde von einem Kreis aus Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis begleitet. Die Autorin Livia Grupp fasst im vorliegenden Beitrag die wesentlichen Aspekte der Diskussion zusammen.
Der Austausch befasste sich mit bestehenden Lotsenfunktionen in der Versorgungspraxis und deren gesetzliche Grundlagen und ging auch der Frage nach, unter welchen Bedingungen Lotsinnen und Lotsen für Menschen mit Behinderungen oder ihre Arbeitgeber nicht nur Orientierung, sondern auch kontinuierliche Begleitung bieten können. Insgesamt machte die Diskussion deutlich, dass von einer Lotsenfunktion eine aktive Rolle im komplexen Reha-System erwartet wird, für die entsprechende Ressourcen benötigt werden. Dabei komme es auf eine konsequente Umsetzung der bestehenden Regelungen und eine gute Vernetzung der Akteure an.
(Zitiervorschlag: Grupp: Lotsen in der beruflichen Rehabilitation – Zusammenfassung der Online-Diskussion im moderierten Forum Fragen – Meinungen – Antworten zum Rehabilitations- und Teilhaberecht (09.–30.04.2024); Beitrag D10-2024 unter www.reha-recht.de; 24.07.2024)
Die Abläufe und Verfahren der beruflichen Rehabilitation überfordern bisweilen nicht nur Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen, sondern auch ihre Arbeitgeber. Orientierung und kontinuierliche Begleitung könnten Lotsen[1] geben. Nur, welche „Navigationshelfer“ gibt es in der Versorgungspraxis und was bieten sie an? Vom 9. bis 30. April 2024 standen „Lotsen in der beruflichen Rehabilitation“ im Mittelpunkt einer öffentlichen Online-Diskussion der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation e. V. (DVfR) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg mit folgenden Expertinnen und Experten:
- Jörg Barlsen, Gemeinnützige FSP GmbH, Münster
- Clarissa von Drygalski, Universität Kassel
- Julia Hauffen, Agentur für Arbeit Meschede-Soest
- Alfred Jakoby, Sozialrechtsexperte
- Ira Kummrow, Kompetenzzentrum für Vermittlung und Integration Leipzig
- Mandy Ludwig, Integrationsfachdienst Magdeburg/Stendal
- Tatjana-Maria Schmidt, Jobcenter Märkischer Kreis
- Alexander Thomas, Deutsche Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen e. V. (DVSG)
Die Federführung hatte Prof. Dr. Katja Nebe von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. In dem Online-Forum Fragen – Meinungen – Antworten zum Rehabilitations- und Teilhaberecht[2] kam es in zehn Themensträngen mit über 100 Beiträgen zu einem regen Austausch darüber, welche Lotsenfunktionen es bei verschiedenen Akteuren bereits gibt, welche Aufgaben sie für Menschen mit Behinderungen und/ oder für Arbeitgeber wahrnehmen und inwieweit ggf. eine neue Lotsenfunktion sinnvoll wäre. Wichtig war den Expertinnen und Experten ein Blick auf die strukturelle Einordnung der Lotsenfunktion im Rahmen des Rehabilitationsrechts sowie auf personelle und finanzielle Ressourcen für eine solche Leistung. Zunächst ging es um die Frage, warum es Lotsinnen und Lotsen für Menschen mit Behinderungen oder für Arbeitgebende braucht und von welchen Stellen eine Lotsenfunktion zu erwarten wäre. Dazu wurde in der Diskussion mehrmals die Komplexität des deutschen Rehabilitationssystems mit unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen der verschiedenen Akteure angesprochen. Der Überblick über Leistungen, Ansprüche und Zuständigkeiten sei auch für Fachpersonen herausfordernd. Besonders für Menschen mit Behinderungen sei eine Unterstützung durch eine niedrigschwellige Beratung und Hilfe nötig, damit sie sich über mögliche Teilhabeleistungen und Träger orientieren sowie ihre Ansprüche einfordern können.
„Die Unterstützung durch Lotsen ist als Antwort auf die Komplexität des sozialen Sicherungssystems seit vielen Jahren in der Diskussion. Neben der Lotsenfunktion mit diesem spezifischen ‚Systembezug‘ kann eine Lotsenfunktion auch in der Begleitung und Unterstützung in einem eher psycho-sozialen Sinn bestehen. In einer Vielzahl der Situationen wird es sich um eine Mischung beider Aspekte handeln.“ (Alfred Jakoby, Sozialrechtsexperte)
„Die Annahme ist also, dass betroffene Menschen mit Behinderungen dort eine Lotsen-funktion von Peers oder Fachpersonen erwarten, wo sie mit ihren Herausforderungen, Problemen und Bedürfnissen in ein System eingemündet sind – sich dort jedoch nicht zielführend orientieren können und damit eine dauerhafte Teilhabeeinschränkung entsteht. Zwingend zu betrachten wäre, dass auch durch ein zugehendes Angebot zudem jene erreicht werden, die vorhandene Zugangswege nicht bestreiten können.“ (Julia Simke, Deutsche Rentenversicherung Bund)
Der Lotsenfunktion wurde eine vermittelnde und organisierende Tätigkeit zugeschrieben sowie auch die aktive Rolle, Menschen mit Behinderungen und Arbeitgebern schnelle Unterstützung zu geben und Barrieren abzubauen. Eine der ersten Aufgaben der Lotsen sei es, die Bedarfe zu erkennen bzw. die Befunde hinsichtlich Beeinträchtigungen richtig zu interpretieren. Ergänzt wurde hierzu, dass gerade auch Leistungsberechtigte in der Eingliederungshilfe (EGH) mit den Regelungen im Verfahren der Antragstellung und anschließenden Bedarfsermittlung überfordert seien. Die Unterstützung durch Lotsen könne die Arbeit der Leistungsträger unterstützen. Lotsinnen und Lotsen verstehen sich diesbezüglich als „Türöffner“.
„Um Mut zu machen, die passenden Worte zu finden, den Sinn der Aufwendungen in pragmatischen Kontext zu bringen, die richtige Reihenfolge der Netzwerkpartner zu planen, Bürokratie zu übersetzen, zu motivieren, die Zukunft handhabbar zu machen, und, und, und [...]“ (Tatjana-Maria Schmidt, Jobcenter Märkischer Kreis)
„In meiner Abteilung […] ‚lotsen‘ wir bspw. durch die Ausbildung, unterstützen bei der beruflichen Orientierung und begleiten in Form vom JobcoachingAP. So gibt es doch Leistungserbringer*innen, die neben dem IFD, Wegweiser für Menschen mit Behinderungen sind. Dabei zeichnet sich unsere Arbeit dadurch aus, auch die Arbeitgeber*innen ‚mitzunehmen‘.“ (Ira Kummrow, Kompetenzzentrum für Vermittlung und Integration Leipzig)[3]
Auf der anderen Seite bräuchte es ähnlich wie beim Jobcoaching auch einen Coach für Arbeitgebende, schrieb ein Diskussionsteilnehmer. Die Lotsenfunktion sei erforderlich für die Beratung zu Lohnkostenzuschüssen sowie Fördermöglichkeiten etwa für die behindertengerechte Ausstattung eines Arbeitsplatzes und bei technischen und/oder Verfahrensfragen in Produktionsabläufen. Lotsen fungieren zudem als Ansprechpersonen bei Unsicherheiten im Umgang mit Beschäftigten mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen, etwa bei herausfordernden Situationen mit Arbeitnehmenden in psychischen Krisen sowie des Weiteren zu Fragen der Prävention von Krankheitsausfällen und für den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit. Mit Einführung der Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA) in § 185a SGB IX wurde der Bedarf der Arbeitgeber adressiert und die trägerunabhängige Lotsenfunktion bei Fragen zur Ausbildung, Einstellung, Berufsbegleitung und Beschäftigungssicherung von schwerbehinderten Menschen „erstmals in ein Gesetz aufgenommen“ (Drygalski). Neben den EAA wurde auch der Firmenservice[4] der Rentenversicherung als Ansprechstelle für Arbeitgeber genannt mit den Schwerpunkten Prävention, medizinische und berufliche Rehabilitation, Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) und Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM). Angeregt wurde eine weitere arbeitgebernahe Lotsenfunktion bspw. bei den Industrie- und Handelskammern, insbesondere für eine Erstinformation und Beratung.
Lotsenfunktionen, auch wenn sie anders bezeichnet werden, verorteten die Diskutierenden insbesondere bei Leistungsträgern und Leistungserbringern, bei der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB), dem Integrationsfachdienst (IFD), der Schwerbehindertenvertretung (SBV) in Betrieben und Dienststellen sowie bei Dienstleistern für Betriebliche Sozialberatung. Bei dieser Vielfalt an Beratungsangeboten unterstrich ein Diskutant, dass Lotsen sinn- und wirkungsvoll in vorhandene Ressourcen integriert werden müssten. Überlegt wurde, ob zudem eine neue Lotsenfunktion notwendig sei oder ob dies die Komplexität des Systems noch erhöhen würde. Eine Diskutantin votiert dafür, dass sich jeder Reha-Träger und die Akteure im Reha-System als Lotsen für Menschen mit Behinderungen verstehen sollten. Dem wurde mit Blick auf die Rechtslage zugestimmt, es komme auf eine konsequente Umsetzung der bestehenden Regelungen und eine gute Vernetzung der Akteure an: Eine umfangreiche gesetzliche Grundlage bieten die rehabilitationsrechtlichen Vorschriften im SGB IX, die Beratungspflichten der Reha-Träger (vgl. §§ 12, 106 SGB IX), der EUTB (§ 32 SGB IX) oder der EAA (§ 185a SGB IX) sowie die Aufgabenzuweisungen an das Integrationsamt und den IFD (vgl. §§ 185, 192 SGB IX). Es wurde ausgeführt, dass die Reha-Träger ihrem umfassenden Beratungsauftrag nach § 12 SGB IX und ihrem Teilhabeplanungsauftrag nach § 19 SGB IX durch die Einführung von Care- und Case Management, Fallmanagement und Lotsenkonzepten nachgekommen seien. Doch während es für das Case Management fachlich definierte Leitlinien[5] gebe, seien die anderen Begriffe nicht eindeutig definiert (Barlsen). Auch die Online-Diskussion konnte keine abschließenden Definitionen liefern, dennoch wurden die verschiedenen Rahmenbedingungen für Lotsen unterschiedlicher Träger oder Erbringer teilweise deutlich. So können entsprechend dem jeweiligen Beratungsauftrag einer Stelle auch Grenzen auftreten: Eine EUTB könne im Sinne einer Lotsenfunktion vor allem vor der Beantragung konkreter Leistungen Orientierungs-, Planungs- und Entscheidungshilfe anbieten (vgl. § 32 SGB IX, § 2 EUTBV), eine Rechtsberatung dürfe sie jedoch nicht leisten. Ein Teilnehmer folgerte, dass die Lotsenfunktion an einem bestimmten Punkt im Verfahren zu anderen Akteuren wechseln müsse. Bei Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) wurde der Informations- und Beratungsauftrag zur Förderung des Übergangs von Beschäftigten in den allgemeinen Arbeitsmarkt mit der Frage nach den Ressourcen für ihre Bemühungen verknüpft. Die WfbM zeichne aus, dass sie die unterschiedlichen Fähigkeiten der Beschäftigten am besten kenne, oft bestünde ein Vertrauensverhältnis zu den Werkstattmitarbeitenden:
„Es wäre daher ein erfolgsversprechender Faktor, wenn ein professionelles Übergangsmanagement flächendeckend in den WfbM eingeführt würde. Dieses müsste entsprechend finanziert werden. Bislang beklagen die WfbM, dass ihre individuellen Bemühungen für das ‚Beschaffen‘ ausgelagerter Arbeitsplätze und die Übergangsvorbereitung nicht gegenfinanziert werden.“ (Clarissa von Drygalski)
Im Ansatz wurde diskutiert, ob eine eigene juristische Beratung für Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen bspw. in Form eines „Beratungsbudgets“ oder einer individuellen Lotsenfunktion als Regelleistung nötig ist. Als wünschenswert wurde die Vereinfachung, Transparenz und Abstimmung von Verfahren angeregt, so dass eine Notwendigkeit für einen Rechtsbeistand nicht entstehen muss.
Als „der Lotse schlechthin“ wurde der IFD bezeichnet. Dieser stehe in seiner Beratung bspw. bei Übergängen von der Schule in den Beruf, von der WfbM in den Arbeitsmarkt sowie bei der Vermittlung in Arbeit und der betrieblichen Wiedereingliederung im engen Austausch mit vielen Akteuren.
„Wir haben die fachliche Expertise, die natürlich stets zu erweitern ist. Innerhalb des Netzwerkes initiieren wir Prozesse und begleiten sie. Wir zeigen dann auch Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern die erforderlichen Wege auf. Denn die vielen kleinen Unternehmen ohne Personalabteilung, Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung, die vielen Menschen mit Behinderung einen Arbeitsplatz bieten, verfügen kaum über diese Kenntnisse.“ (Mandy Ludwig, IFD Magdeburg/Stendal)
Besondere Stärken des IFD sah ein Diskussionsteilnehmer in Fällen, bei denen es um den Erhalt des Arbeitsplatzes und den Übergang aus einer medizinischen Reha in die betriebliche Beschäftigung gehe. Eine Einschränkung bestehe jedoch darin, dass der IFD je nach Region grundsätzlich Arbeitnehmende mit anerkannter Schwerbehinderung oder Gleichstellung unterstützt.[6] Das zeigt, dass die Öffnung, die durch § 192 Abs. 4 SGB IX möglich ist, stärker genutzt werden könnte.[7] Zudem wurde die Frage aufgeworfen, inwieweit der IFD auch für Menschen mit psychischen Erkrankungen in Erscheinung trete. Und es wurde darauf hingewiesen, dass für den IFD in den Bundesländern uneinheitliche Rahmenbedingungen, Arbeitsfelder und Zuständigkeiten gelten.[8] Die Lotsenfunktion des IFD wurde in der Diskussion von einem Diskutanten als ‚begleitendes Case Management‘[9] bezeichnet:
„Bei komplexen Bedarfslagen ist es notwendig, diese verschiedenen Angebote ‚aus einer Hand‘ zu koordinieren, wozu es eine gute Abstimmung untereinander braucht. Was ist, wenn mehrere Leistungserbringer die ‚Lotsenfunktion‘ übernehmen? Wer übernimmt das koordinierende generelle Case Management? Bei komplexen Bedarfslagen braucht es eine regionale Einbindung und Vernetzung der unterschiedlichen Angebote.“ (Alexander Thomas, DVSG)
Als Fallmanagement bezeichnet die Deutsche Rentenversicherung (DRV) ihre Lotsenleistungen. Es wurde hierzu ausgeführt, dass Versicherte – vornehmlich Erwachsene zur (Wieder-)Eingliederung in das Berufsleben – bei einem Begleitungsbedarf zeitlich befristete Lotsenleistungen durch DRV-eigene oder extern beauftragte Fallmanagerinnen und Fallmanager erhalten können. Fallbezogen würde versucht, hierfür ein Netzwerk für die aktuellen Fälle aufzubauen, aber auch fallunabhängig feste Kooperationen mit relevanten Akteuren zu installieren. Perspektivisch solle das Fallmanagement-Angebot der DRV bundesweit umgesetzt werden und jeder anspruchsberechtigten Person zur Verfügung stehen (Simke). Die Wichtigkeit der Vernetzung und guten Zusammenarbeit der verschiedenen Beteiligten in der beruflichen Rehabilitation wurde in der Diskussion mehrmals erwähnt. Gut vernetzte Lotsen könnten die konkreten Angebote der regionalen Leistungsträger und -erbringer passgenau in die Unternehmen tragen. Es brauche aber Ressourcen, in diesem Fall Zeit, für regelmäßige Gespräche mit den regionalen Ansprechpersonen und zur Festigung einer verlässlichen Kooperation. Als neue Informationswege wird auf die zunehmende Bedeutung der Kommunikation in sozialen Medien hingewiesen.
In der Frage zu den Herausforderungen und Grenzen für Lotsinnen und Lotsen wurde zunächst die Schwierigkeit benannt, das große Angebot an Förderleistungen und -programmen und die verschiedenen Träger im Blick zu behalten. Es wurde auch von Schwierigkeiten berichtet, die in der Kommunikation mit anderen Stellen auftreten können, die sich ebenfalls als Lotse verstehen und unterschiedliche Sachkenntnis haben (z. B. Eltern, gesetzliche Betreuerinnen und Betreuer, Familienhelfer, Rechtsanwälte, Ärztinnen, Sozialarbeiter aus Einrichtungen, Vertreter von Sozialverbänden). Vor allem wurden jedoch Wartezeiten moniert:
„Wenn man in diesem System ganzheitlich beraten und unterstützen will, ist man auch als Leistungsträger von anderen und den vorgegebenen Strukturen abhängig. So zum Beispiel von Fachärzten, die durch unseren Fachdienst mit entsprechender Schweigepflichtentbindung aufgefordert werden, relevante fachärztliche Unterlagen einzureichen, damit individuelle Bedarfe ermittelt werden können und sozialmedizinische Gutachten erstellt werden können. Manchmal dauert das sehr lange und manchmal kommen hier auch nach mehrmaligen Nachfragen keine Rückmeldungen.“ (Julia Hauffen, Agentur für Arbeit Meschede-Soest)
Ein Diskussionspunkt war, ob Lotsen niedrigschwellig alle Personen mit Unterstützungsbedarf begleiten sollen oder nur als Spezialisten für komplexe Hilfebedarfssituationen beauftragt werden und inwieweit sie ein Verfahren steuern sollen. Hierzu wurde ausgeführt, dass die Lotsenfunktion als überwiegend vermittelnde Stelle zwischen den verschiedenen Akteuren keine Entscheidungskompetenzen berühre, anders sei die Lage bei komplexen Fallkonstellationen:
„Sobald aber komplexere Probleme vorliegen, die mehrere Rechtskreise berühren, bedarf es einer verlässlichen Steuerung. Die setzt neben hohen zeitlichen Ressourcen sehr fundierte Fachkenntnisse und eine Einigung der beteiligten Instanzen (Nutzer, Leistungsträger und -erbringer) auf die Arbeitsweise voraus. Diese Aufgabe könnte Lotsen als Case Manager zukommen. Da das ‚teuer‘ ist, sollte definiert werden, wann sie eingesetzt werden.“ (Jörg Barlsen, Gemeinnützige FSP GmbH, Münster)
Zum Ende der Online-Diskussion wurde eine Evaluation der vorhandenen Lotsenangebote hinsichtlich ihrer Umsetzungsprinzipien, ihrer Handlungsspielräume und ihrer Vernetzung angeregt. Darüber hinaus wurde vorgeschlagen, die im SGB IX verankerten unabhängigen Beratungsangebote personell besser auszustatten und zu schulen bzw. insbesondere den Auftrag der EUTB im Sinne einer Lotsenfunktion zu erweitern. Zudem könne ein Case Management[10] ggf. als länderübergreifend einheitliches Angebot zu einem „intersektoralen“ Fallmanagement im SGB IX entwickelt werden.
Beitrag von Livia Grupp, M. A., Deutsche Vereinigung für Rehabilitation
Fußnoten
[1] Vgl. in diesem Sinne auch die theoretischen „Lotsen“ Rehabilitation und Teilhabe, ein Wegweiser der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, 2022 und die inzwischen 6 Hefte „Weg-Weiser Rehabilitation und Teil-Habe in Leichter Sprache“, jeweils als Download abrufbar unter https://www.bar-frankfurt.de/service/publikationen/reha-grundlagen.html.
[2] Die Diskussion ist nachzulesen unter https://fma.reha-recht.de/index.php?board/211-lotsen.
[3] Das Kompetenzzentrum Vermittlung und Integration Leipzig wurde durch das Integrationsamt beauftragt, die Einheitliche Ansprechstelle für Arbeitgeber (EAA) umzusetzen.
[4] Näheres zum Firmenservice der Deutschen Rentenversicherung siehe unter https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Experten/Traeger/Bund/
firmenservice/firmenservice_bd.html.
[5] Deutsche Gesellschaft für Care und Case Management – DGCC (Hrsg.): Leitlinie Case-Management. Heidelberg, 2. Auflage 2020.
[6] Vgl. REHADAT Lexikoneintrag „Integrationsfachdienst“: „Überwiegend werden IFD für schwerbehinderte und gleichgestellte behinderte Menschen und insbesondere besonders betroffene schwerbehinderte Menschen aktiv – je nach Region werden aber auch Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohte Menschen ohne anerkannte Schwerbehinderung betreut“, siehe https://www.rehadat.de/lexikon/Lex-Integrationsfachdienst-IFD.
[7] Hintergrund ist § 192 SGB IX. Gemäß dessen Abs. 1 bis 3 sind die Integrationsfachdienste zur Unterstützung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben zu beteiligen. Allerdings sieht § 192 Abs. 4 SGB IX ausdrücklich vor: „Der Integrationsfachdienst kann im Rahmen der Aufgabenstellung nach Absatz 1 auch zur beruflichen Eingliederung von behinderten Menschen, die nicht schwerbehindert sind, tätig werden. Hierbei wird den besonderen Bedürfnissen seelisch behinderter oder von einer seelischen Behinderung bedrohter Menschen Rechnung getragen.“
[8] Vgl. REHADAT Lexikoneintrag zum Integrationsfachdienst.
[9] Vgl. die DGCC-Definition unter https://www.dgcc.de/case-management.
[10] Siehe die Stellungnahme der Deutschen Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen (DVSG) zu Patienten- bzw. Patientinnenlotsen https://dvsg.org/fileadmin/user_upload/DVSG/Veroeffentlichungen/Stellungnahmen/
DVSG_Stellungnahme_PatientInnenlotsInnen_fin.pdf; vgl. auch das Positionspapier der DGCC zum Qualifikationsrahmen für Patientenlotsen https://www.dgcc.de/wp-content/uploads/2023/06/DGCC-Patientenlotsinnen_-Bestimmung-und-Qualifikation_Dez-2022.pdf
Stichwörter:
Koordination zwischen Leistungsträgern, Kooperation der Rehabilitationsträger, Koordinierung der Rehaleistungen, Berufliche Rehabilitation, Beratung, Beratungspflicht
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