15.06.2016 Verwaltung, Verbände, Organisationen

DGSMP kritisiert willkürliche Definitionen für Teilhabeeinschränkungen und Leistungszugang im Referentenentwurf für ein Bundesteilhabegesetz

Die in § 99 des Referentenentwurfs für ein Bundesteilhabegesetz vorgesehene Anwendung der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) sei nicht geeignet, um die Schwere von Behinderung von Betroffenen angemessenen festzustellen. Das schreibt die Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP) in einer Stellungnahme vom Juni 2016.

§ 99 des Referentenentwurfs für ein Bundesteilhabegesetz legt den für die Eingliederungshilfe leistungsberechtigten Personenkreis fest. Demnach liegt eine eingeschränkte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nur vor, wenn die Betroffenen in mindestens 5 von 9 Lebensbereichen nicht ohne personelle oder technische Unterstützung auskommen, oder wenn in mindestens drei Lebensbereichen auch mit personeller oder technischer Unterstützung keine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben möglich ist (erhebliche Teilhabeeinschränkung).

Diese Forderung widerspreche fundamental dem Verständnis von Behinderung, das der ICF und dem bio-psycho-sozialen Modell der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zugrunde liege, kritisiert die DGSMP. Behinderung sei stets individuell und umfassend zu betrachten, sie könne nicht schematisch durch die Anzahl von Lebensbereichen mit Beeinträchtigung bewertet werden. Es gebe zudem keine Gleichwertigkeit aller Lebensbereiche – nicht zuletzt deshalb, weil sie miteinander in Wechselwirkung stehen und durch den individuellen Lebenshintergrund beeinflusst werden.

Die im Referentenentwurf geforderte Anzahl von Lebensbereichen mit Einschränkungen ist nach Auffassung der DGSMP zudem nicht wissenschaftlich begründet, sondern willkürlich festgelegt, sodass eine solche Definition des leistungsberechtigten Personenkreises weder praktikabel noch allgemein akzeptiert sein werde. Es bestehe die Gefahr, dass in der Praxis Checklisten „abgehakt“ werden, anstelle der erforderlichen individuell umfassenden Sachverhaltsklärung.

Die Schwere einer (drohenden) Behinderung könne nur durch eine individuelle und umfassende Begutachtung/Bedarfserhebung auf der Grundlage des bio-psycho-sozialen Modells der WHO sachgerecht festgestellt werden. Daher sei die Nutzung der ICF durchgängig im Bedarfsfeststellungsverfahren, bei der Teilhabeplanung und bei Teilhabekonferenzen zu fordern.

Beeinträchtigte Teilhabebereiche können nach Angaben der DGSMP mit Hilfe der ICF nur beschrieben/klassifiziert werden, für eine Quantifizierung der jeweiligen Beeinträchtigungen bedürfe es jedoch eines entsprechend geeigneten Instrumentariums. Hierzu würden in der ICF ansatzweise Beurteilungsmerkmale vorgeschlagen, die aber weiter ausdifferenziert werden müssten.

Stellungnahme des Fachbereichs „Praktische Sozialmedizin und Rehabilitation“ sowie der Arbeitsgruppe „ICF“ der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention zu § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB IX im Referentenentwurf eines Bundesteilhabegesetzes

Zur Stellungnahme (PDF/186 KB)

(Quelle: Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention - DGSMP)


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