24.04.2020 Verwaltung, Verbände, Organisationen

Intensiv- und Notfallmediziner aktualisieren Entscheidungsempfehlungen

Sollten während der COVID-19-Pandemie Intensivbetten und Ressourcen knapp werden, müssen Medizinerinnen und Mediziner entscheiden, welche Patientinnen und Patienten intensivmedizinisch behandelt und welche palliativmedizinisch versorgt werden. Damit diese sogenannte „medizinische Triage“ auf einer fundierten Grundlage geschieht, haben Expertinnen und Experten aus acht Fachgesellschaften klinisch-ethische Empfehlungen erarbeitet, die jetzt in einer aktualisierten Fassung erschienen sind.

„Wir haben unter anderem deutlicher klargestellt, dass Grunderkrankungen und Behinderungen kein legitimes Kriterium für Triage-Entscheidungen sind. Zudem wurde die Prüfung des Patientenwillens vor der Aufnahme auf die Intensivstation stärker hervorgehoben“, sagt Professor Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler. „Wir Ärzte brauchen eine fachliche wie rechtliche Sicherheit bei der Patientenbehandlung in Extremsituationen. Dabei helfen die aktualisierten Empfehlungen.“ Grundsätzlich gilt: Die Entscheidung bei der medizinischen Triage sollte in einem Team aus mindestens drei Expertinnen bzw. Experten mit unterschiedlichen Blickwinkeln gefällt werden.

Zu den Kriterien für Priorisierungsentscheidungen gehören:

  1. Informationen zum aktuellen klinischen Zustand des Patienten
  2. Informationen zum Patientenwillen (aktuell/vorausverfügt/zuvor mündlich geäußert/mutmaßlich)
  3. Anamnestische/klinische Erfassung von Komorbiditäten
  4. Anamnestische und klinische Erfassung des Allgemeinzustands (einschl. Gebrechlichkeit, z. B. mit der Clinical Frailty Scale)
  5. Laborparameter zu 1. und 3., soweit verfügbar
  6. Prognostisch relevante Scores (z. B. der SOFA-Score – Sepsis-related organ failure assessment score, ein medizinisches Instrument zur Beurteilung des Grads der Organdysfunktion und des Mortalitätsrisikos)

„Gebrechlichkeitsskala“ bleibt weiterhin relevant

Ende März hatten die Autoren des Papiers „Entscheidungen über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall- und der Intensivmedizin im Kontext der COVID-19-Pandemie“ dazu aufgerufen, sich mit fachlichen Kommentaren und Gedanken zur Ergänzung einzubringen. Behindertenorganisationen, aber auch das Deutsche Institut für Menschenrechte und andere hatten in ihren Stellungnahmen u. a. die fehlende menschenrechtliche Fundierung und den Bezug auf das Klassifizierungssystem Clinical Frailty Scale (CFS) kritisiert. Die Skala skizziert neun Einstufungen von „Gebrechlichkeit“ und illustriert diese mit Symbolen wie Rollatoren oder Rollstühlen.

Dass dieses Instrument für eine Einschätzung von Personen unter  65 Jahren nicht gilt und nicht isoliert zur Entscheidungsfindung verwendet werden soll, wird im Rahmen der überarbeiteten 2. Fassung der Handlungsempfehlung hervorgehoben. Der enge Bezug auf die CFS bleibt jedoch bestehen. Zur CFS hat die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie mittlerweile eine deutsche Übersetzung vorgelegt. Darin heißt es einleitend:

„Bedenken Sie, dass die Klinische Frailty Skala nur bei älteren Personen (≥65 Jahren) umfangreich validiert ist. Die Skala ist nicht bei Personen mit stabilen dauerhaften Behinderungen, wie z.B. frühkindlichen Hirnschädigungen, validiert, da deren Prognose stark von derer älterer Menschen mit progredienten Behinderungen differieren könnte.“

Die Skala werde mit der deutschen Übersetzung und einer Empfehlung zum großformatigen Aushang noch aufgewertet, kritisiert Dr. Sigrid Arnade, Sprecherin der LIGA Selbstvertretung: „Wenn zudem die DIVI etwa zeitgleich empfiehlt, die menschenrechtlich mehr als fragwürdige Gebrechlichkeitsskala in ihrer deutschen Übersetzung auf jeder Intensivstation und Notaufnahme als DIN-A-2-Plakat auszuhängen, so konterkariert das jede wohlklingende Prosa in den Empfehlungen“, so Sigrid Arnade.

Zur Pressemitteilung der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin vom 23.04.2020

Deutsche Gesellschaft für Geriatrie: COVID-19: Poster zur Klinischen Frailty Skala (CFS) zum Download

Liga Selbstvertretung: Überarbeitete DIVI-Empfehlungen: Im Kern nichts Neues

(Quellen: Deutsche Gesellschaft für Geriatrie; Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin; Liga Selbstvertretung)


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