Kein Merkzeichen Bl bei Stoffwechselstörung
Das Bundessozialgericht (BSG) hat entschieden, dass schwerst Hirngeschädigte, die zu keiner differenzierten Sinneswahrnehmung imstande sind, keinen Anspruch auf das Merkzeichen Bl (Blindheit) im Schwerbehindertenausweis haben (Urteil vom 24. Oktober 2019, Az. B 9 SB 1/18 R).
Die 2007 geborene Klägerin leidet seit ihrer Geburt an einer ausgeprägten Stoffwechselstörung. Bei ihr besteht Pflegebedürftigkeit nach der Stufe III (jetzt Pflegegrad 5). Der Grad der Behinderung (GdB) ist mit 100 festgestellt. Die Merkzeichen H (für Hilflosigkeit), B (Begleitperson), G (erheblich beeinträchtigt in der Bewegungsfähigkeit), aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) und RF (Rundfunk/Fernsehen) sind ihr zuerkannt, nicht hingegen das Merkzeichen Bl für Blindheit.
Die Vorinstanzen am Sozialgericht Aurich (27. April 2017, Az. S 4 SB 123/13) und Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (22. November 2017, Az. L 13 SB 71/17) sahen die Voraussetzungen für das Merkzeichen Bl als erfüllt und verurteilten das beklagte Land antragsgemäß dazu, die Voraussetzungen für das Merkzeichen Bl festzustellen. Die Klägerin sei blind, obwohl weder das Augenlicht vollständig fehle noch eine gleichzusetzende geringgradige Sehschärfe nachweisbar sei. Jedoch bestehe aufgrund der Stoffwechselerkrankung eine gleichzustellende Störung des Sehvermögens.
Auf die Revision des beklagten Landes hat das BSG die Sache zur erneuten Entscheidung und Verhandlung zurückverwiesen. Es fehlen Feststellungen zur Rindenblindheit als einer weiteren möglichen Störung des Sehorgans, die das Merkzeichen Bl rechtfertigen kann. Diese werden von der Vorinstanz nachzuholen sein.
Unter Verweis auf die Rechtsvorschriften in Teil A Nummer 6 Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) urteilte das BSG, dass die Unfähigkeit zur Sinneswahrnehmung, die aus einer visuellen Agnosie oder anderen gnostischen Störungen resultiert, nicht zur Annahme von Blindheit reiche. Behinderungen und ebenso die gesundheitlichen Merkmale für Merkzeichen würden im Schwerbehindertenrecht unter ausschließlich medizinischen Gesichtspunkten getrennt nach Organ- und Funktionseinheiten erfasst und anschließend insgesamt in ihren Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft bewertet. Danach sei Blindheit auf Störungen des Sehapparats beschränkt und erfasse keine gnostischen – neuropsychologischen – Störungen des visuellen Erkennens. Für diese stünden im Schwerbehindertenrecht – wie hier – die gesundheitlichen Merkmale für andere Merkzeichen passgenau zur Verfügung.
Weitere Informationen
Pressemitteilung des BSG vom 24. Oktober 2019
Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV)
(Quelle: Bundessozialgericht)
Bei dem genannten Urteil handelt es sich um eine ausgewählte Entscheidung zum Teilhaberecht.
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