18.08.2020 Rechtsprechung

Verbindliche Regelung der Triage: Eilantrag abgewiesen

Mit am 14. August 2020 veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die „Untätigkeit des Gesetzgebers“ abgelehnt (Az. 1 BvR 1541/20). Dieser zielte konkret auf die Einsetzung eines Gremiums zur verbindlichen Regelung von Behandlungsentscheidungen bei knappen Ressourcen im Rahmen der Covid-19-Pandemie.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG habe keinen Erfolg, erklärte das BVerfG in einer Pressemitteilung. Zwar sei die Verfassungsbeschwerde nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Sie werfe vielmehr die schwierige Frage auf, ob und wann gesetzgeberisches Handeln in Erfüllung einer Schutzpflicht des Staates gegenüber behinderten Menschen verfassungsrechtlich geboten sei und wie weit der Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei Regelungen medizinischer Priorisierungsentscheidungen reiche.

Eingehende Prüfung im Eilverfahren nicht möglich

Die Beschwerdeführenden haben verschiedene Behinderungen und Vorerkrankungen. Sie gehören daher nach der Definition des Robert Koch-Instituts zu der Risikogruppe, bei der im Fall einer Covid-19-Erkrankung mit schweren Krankheitsverläufen zu rechnen ist. Sie befürchten, aufgrund ihrer Behinderung oder Vorerkrankung medizinisch schlechter behandelt oder gar von einer lebensrettenden Behandlung ausgeschlossen zu werden, weil statistisch gesehen bei ihnen die Erfolgsaussichten einer intensivmedizinischen Behandlung schlechter seien. Diese sollen in der Situation der Triage aber nach den bisherigen Empfehlungen entscheidend sein.

Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hatte im Frühjahr Empfehlungen zur Triage veröffentlicht. Die Beschwerdeführenden wenden sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die Untätigkeit des Gesetzgebers, der bislang keine Vorgaben für die Triage gemacht habe. Sie sind der Auffassung, der Gesetzgeber müsse seiner Schutzpflicht für Gesundheit und Leben nachkommen. Vorläufig solle die Bundesregierung ein Gremium einsetzen, das die Triage verbindlich regele.

Dies bedürfe einer eingehenden Prüfung, die im Rahmen eines Eilverfahrens nicht möglich sei, so der Beschluss des BVerfG. Es könne auch offenbleiben, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber überhaupt im Eilverfahren zur Gesetzgebung verpflichtet werden kann. Vorliegend rechtfertige schon die an den bisherigen strengen Maßstäben für eine einstweilige Anordnung orientierte Folgenabwägung deren Erlass nicht. Das momentan erkennbare Infektionsgeschehen und die intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten ließen es in Deutschland derzeit nicht als wahrscheinlich erscheinen, dass die Situation der Triage eintrete.

Gesetzliche Regelung weiterhin offen

„Soweit sich der Eilantrag im Übrigen konkret darauf richtet, zunächst durch die Bundesregierung ein Gremium auch mit Interessenvertretungen der Betroffenen benennen zu lassen, das die Verteilung knapper intensivmedizinischer Ressourcen vorläufig regelt, würde dies die Situation der Beschwerdeführenden nicht wesentlich verbessern. Auch ein solches Gremium wäre nicht legitimiert, Regelungen mit der Verbindlichkeit einer gesetzgeberischen Entscheidung zu erlassen, auf die es den Beschwerdeführenden gerade ankommt“, heißt es in der Pressemitteilung des BVerfG.

Die DIVI äußerte sich in einer Pressemitteilung zu dem Beschluss. Ihre Empfehlungen zur Triage wären nicht erforderlich, wenn es eine gesetzliche Regelung zur Priorisierung gäbe, so die DIVI, die der Forderung einer gesetzlichen Grundlage zustimmt. „Aber: Das Transplantationsgesetz verdeutlicht, dass auch eine gesetzliche Regelung nicht ohne Rückgriff auf ärztliche Expertise auskommen kann.“ Die DIVI betrachtet ihre Empfehlungen daher nach wie vor als unverzichtbar.

Die Verfassungsbeschwerde selbst ist weiter anhängig. „Auch wenn mit Blick auf die sich langsam wieder zuspitzende Infektionslage eine möglichst rasche Aufforderung des Gesetzgebers zur Regelung von Triage-Situationen aus Sicht von AbilityWatch zu begrüßen wäre, freuen wir uns darüber, dass das Bundesverfassungsgericht die Relevanz und Wichtigkeit dieses Themas erkannt zu haben scheint“, schreibt AbilityWatch e. V., Unterstützer der Verfassungsbeschwerde, auf seiner Homepage.

BVferfG: Erfolgloser Eilantrag auf verbindliche Regelung der Triage im Rahmen der Covid-19-Pandemie (Pressemitteilung vom 14.08.2020)

(Quellen: AbilityWatch, Bundesverfassungsgericht, Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin)


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