14.04.2016 A: Sozialrecht Rosenow: Beitrag A1-2016

Das Verfahren, in dem nicht entschieden wurde, ob der Anspruch auf ein persönliches Budget entfällt, wenn eine Zielvereinbarung nicht zustande kommt – Anmerkung zu BSG, Vergleich vom 16. Juni 2015, Az. B 13 R 34/13 R

Roland Rosenow beschäftigt sich mit dem Rechtsanspruch auf ein persönliches Budget. Die Frage, ob der Anspruch auf ein persönliches Budget an den Abschluss einer Zielvereinbarung  zwischen Budgetnehmerin bzw. Budgetnehmer und Rehabilitationsträger geknüpft ist, wird anhand eines Sachverhalts bis hin zum Revisionsverfahren vor dem Bundessozialgericht nachgezeichnet.

Der Beitrag ist darauf gerichtet aufzuzeigen, warum viele Rechtsfragen, die sich im Zusammenhang mit dem Anspruch auf ein persönliches Budget stellen, bis heute ungeklärt sind.

(Zitiervorschlag: Rosenow: Das Verfahren, in dem nicht entschieden wurde, ob der Anspruch auf ein persönliches Budget entfällt, wenn eine Zielvereinbarung nicht zustande kommt – Anmerkung zu BSG, Vergleich vom 16. Juni 2015, Az. B 13 R 34/13 R; Forum A, Beitrag A1-2016 unter www.reha-recht.de; 14.04.2016)

 


I. Einleitung

Seit dem 1. Januar 2008 besteht der Rechtsanspruch auf ein persönliches Budget. Neben vielen anderen Fragen ist umstritten, ob der Anspruch auf ein persönliches Budget der Bedingung unterliegt, dass die Budgetnehmerin bzw. der Budgetnehmer und der Rehabilitationsträger eine Zielvereinbarung abschließen.

Diese Frage war Gegenstand eines Revisionsverfahrens, das unter dem Aktenzeichen B 13 R 34/13 R beim Bundessozialgericht (BSG) anhängig war. Das Verfahren endete durch einen Vergleich, der in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2015 unter erheblichem Druck des 13. Senates des BSG zustande kam. Zuvor war die Revision im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren B 13 R 125/13 B auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hin durch Beschluss vom 24. Oktober 2013 durch das BSG zugelassen worden.

Das Verfahren ist zum einen deshalb von besonderem Interesse, weil die Frage, ob der Rechtsanspruch auf ein persönliches Budget unter der Bedingung der Verständigung über einem Zielverfahren steht, von zentraler Bedeutung für das persönliche Budget ist. Zum anderen macht das Verfahren exemplarisch deutlich, welchen Schwierigkeiten die gerichtliche Durchsetzung von Ansprüchen auf Teilhabeleistungen begegnet. Dieser Beitrag zeichnet daher den Sachverhalt, der dem Verfahren zugrunde lag, und den Gang durch die Instanzen nach.[1]

Dieser Bericht kann möglicherweise dazu beitragen, zu erklären, warum viele Rechtsfragen, die sich im Zusammenhang mit dem Anspruch auf ein persönliches Budget stellen, bis heute ungeklärt sind.

II. Verfahrensgang

Der im Jahr 1981 geborene spätere Kläger erkrankte im Alter von 20 Jahren an einem Hirntumor. Nach der operativen Therapie verblieb eine durch Schädelhirntrauma bedingte Behinderung. Im Verlauf der Rehabilitationsmaßnahmen musste das Ziel der Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt aufgegeben werden. Seit dem 1. März 2006 bezieht er eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Rehabilitationsantrag und Verwaltungsverfahren

Im Mai 2007 beantragte der Betroffene bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Baden-Württemberg Leistungen der Rehabilitation. Die DRV leitete den Antrag nicht weiter und wurde damit zuständig (§ 14 Absatz [Abs.] 1 Sozialgesetzbuch [SGB IX]). Der Betroffene nahm zu diesem Zeitpunkt bereits an einer tagesstrukturierenden Maßnahme teil, die auf Betroffene von Schädelhirntraumata zugeschnitten war.

Am 10. August 2007 erließ die DRV Baden-Württemberg dann zwei Bescheide, mit denen sie „Leistungen zu Teilhabe am Arbeitsleben in einer Werkstatt für Behinderte Menschen dem Grunde nach“ und den Antrag auf Bewilligung der Maßnahme, an der der Betroffene bereits teilnahm, ablehnte.

Gegen den letztgenannten Bescheid legte der spätere Kläger Widerspruch ein. Die DRV Baden-Württemberg entschied über diesen Widerspruch nicht und erließ jedoch am 15. Januar 2008 einen weiteren Bescheid, mit dem sie den Bescheid vom 10. August 2007 gemäß § 47 SGB X widerrief. Auch gegen diesen Bescheid legte er Widerspruch ein. Über beide Widersprüche wurde nie entschieden. Untätigkeitsklagen blieben erfolglos.[2]

Vom 1. April 2008 bis 30. Juni 2008 absolvierte der spätere Kläger das Eingangsverfahren in einer anerkannten Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM). Der Mensch mit Behinderung hielt diese Maßnahme zwar nicht für geeignet, fand sich mangels Alternativen aber bereit, das Eingangsverfahren zu durchlaufen. Die einzige Einrichtung, in der die DRV Baden-Württemberg die Maßnahme anbieten konnte, ist nicht auf Betroffene von Schädelhirntraumata ausgerichtet. Im Abschlussbericht teilt die WfbM mit: „Die WfbM ist nicht die geeignete Einrichtung.“

Zum 1. August 2008 wurde er in eine Förder- und Betreuungsgruppe aufgenommen, die spezifisch auf die Bedarfe von Menschen mit Schädelhirnverletzungen ausgerichtet ist. Die spezifische Ausrichtung dieser Einrichtung findet sich in der Leistungsvereinbarung nach § 76 Abs. 1 SGB XII nicht wieder. Die Übernahme der Kosten hatte der Betroffene am 15. Juli 2008 bei der Stadt Heidelberg beantragt.

Die Stadt Heidelberg beschied den Antrag mit Bescheid vom 15. Januar 2009 (vgl. § 14 Abs. 2 SGB IX) abschlägig. Der spätere Kläger könne aufgrund seiner Fähigkeiten eine WfbM besuchen. Zur Frage ihrer Zuständigkeit verhielt sich die Stadt Heidelberg in diesem Verfahren nicht ausdrücklich. Der nicht anwaltlich beratene Betroffene beantragte am 20. Januar 2009 erneut bei der DRV Baden-Württemberg Leistungen zur Rehabilitation, dieses Mal jedoch „in Form des persönlichen Budgets“. Die DRV Baden-Württemberg lud dann zu einem Gespräch ein, das sie „Runder Tisch“ nannte, und an dem der spätere Kläger selbst, seine Betreuerinnen, eine Mitarbeiterin der DRV Baden-Württemberg, die zugleich die Servicestelle nach § 22 SGB IX repräsentierte, zwei Vertreterinnen der NeuroKom gGmbH (aktueller Leistungserbringer), zwei Vertreterinnen der Stadt Heidelberg sowie eine Vertreterin der Heidelberger Werkstätten (WfbM) sowie der Autor teilnahmen. In diesem Gespräch wurde deutlich, dass das persönliche Budget bei der DRV Baden-Württemberg erheblichen Vorbehalten begegnete. Die zuständige Mitarbeiterin formulierte unmissverständlich: „Es gibt dieses Anrecht auf das persönliches Budget. Wer das unbedingt will, der kriegt das.“

In der Runde bestand Konsens darüber, dass der Betroffene Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form der Kostenübernahme für eine WfbM habe und dass die Maßnahme, die er in der Vergangenheit absolvierte, geeignet sei, seinen tatsächlichen Bedarf zu decken. Gerade die Mitarbeiterin der DRV Baden-Württemberg und zugleich der Servicestelle stellte klar, dass sie keine Zweifel an der fachlichen Qualität der Maßnahme hege. Die Einrichtung sei jedoch aus formalen Gründen nicht geeignet, da die DRV Baden-Württemberg mit dieser Einrichtung keinen Vertrag geschlossen habe. Der spätere Kläger hielt an seinem Anspruch auf ein persönliches Budget fest. Die DRV Baden-Württemberg stellte in Aussicht, sich um eine Kompromisslösung zu bemühen. Die Kosten für die WfbM (Heidelberger Werkstätten) lagen bei rund 1.100 Euro monatlich. Die Kosten für die Förder- und Betreuungsgruppe, die der Betroffene besuchte, lagen bei rund 1.600 Euro im Monat. Der Leistungserbringer war jedoch bereit, den Betroffenen im Rahmen einer Einzelvereinbarung für einen Betrag von rund 1.100 Euro monatlich zu betreuen.

Im April 2009 bot die DRV Baden-Württemberg dem Menschen mit Behinderung an, Leistungen zur Teilhabe in Form des Kostenanerkenntnisses für den Besuch des Berufsbildungsbereiches der Heidelberger Werkstätten zu bewilligen, dabei jedoch zu akzeptieren, dass der Kläger die bisher von ihm in Anspruch genommene Maßnahme als Außenarbeitsplatz der Werkstätten weiterhin besuche. Die Stadt Heidelberg bewilligte mit Bescheid vom 12. Mai 2009 darüber hinaus einen Zuschuss in Höhe von 150 Euro monatlich. Die Heidelberger Werkstätten boten dem Leistungserbringer der Maßnahme, die der Kläger seit dem 1. August 2008 besuchte, an, von dem Entgelt, das sie von der DRV Baden-Württemberg und der Stadt Heidelberg erhielten, einen Anteil in Höhe von 550 Euro an den Leistungserbringer (NeuroKom gGmbH) zu entrichten. Der Betroffene lehnte dies ab und bestand darauf, Leistungen zur Teilhabe als persönliches Budget zu erhalten. Auch die NeuroKom gGmbH war mit diesem Vorschlag nicht einverstanden.

Daraufhin bot die DRV Baden-Württemberg eine Zielvereinbarung an, die zum einen das Budget auf 1.121,40 Euro bezifferte und zum zweiten eine Klausel enthielt, durch die der Betroffene sich verpflichtete, eine Maßnahme in einer anerkannten WfbM in Anspruch zu nehmen.

Der Mensch mit Behinderung, nun anwaltlich vertreten, bat, einige Punkte der Zielvereinbarung zu ändern, nämlich:

  1. Die Höhe des Budgets sei nicht in der Zielvereinbarung festzulegen, da darüber Streit bestehen könne.
  2. Die Beschränkung auf „zugelassene Bildungsträger“ sei zu streichen; stattdessen sei eine Formulierung aufzunehmen, die ihn verpflichte, eine fachlich geeignete Einrichtung mit der Durchführung der Maßnahme zu beauftragen.
  3. Die Verpflichtung des Budgetnehmers, Krankheitszeiten dem Budgetgeber mitzuteilen, erscheine befremdlich. Der Kläger bestand jedoch nicht darauf, diese Klausel zu streichen, sondern bat lediglich um Erläuterung.
  4. Schließlich monierte der Kläger, dass die Zielvereinbarung eine Regelung enthielt, nach der die Teilhabeleistung dann erfolgreich verlaufen sei, wenn „der für das unter Ziffer 1.1 beschriebene Ausbildungsziel erforderte Abschluss erreicht“ worden sei.

Die DRV Baden-Württemberg hielt lediglich den letztgenannten Einwand für berechtigt. Damit kam eine Zielvereinbarung nicht zustande. Die DRV Baden-Württemberg beschied den Antrag auf ein persönliches Budget vom 20. Januar 2009 mit Bescheid vom 11. August 2009 abschlägig (vgl. § 14 Abs. 2 SGB IX) und begründete dies folgend:

„Für eine Zielvereinbarung konnte kein Konsens erzielt werden, da ein anerkannter Leistungserbringer nicht gefunden wurde und darüber hinaus auch die Höhe der monatlichen Leistung nicht im Einvernehmen definiert werden konnte.“

Die DRV Baden-Württemberg erklärte sich in diesem Verwaltungsakt erneut bereit, Leistungen in Form der Kostenübernahme für eine WfbM zu bewilligen. Sie konnte jedoch weiterhin keine WfbM anbieten, die geeignet war. Die Tatsache, dass die einzige WfbM, die sie angeboten hatte, zum Ergebnis gelangt war, dass sie nicht die geeignete Einrichtung sei, thematisierte die DRV Baden-Württemberg nicht.

Der Betroffene legte gegen den Bescheid vom 10. August 2009 Widerspruch ein, der von der DRV Baden-Württemberg mit Widerspruchsbescheid vom 24. März 2010 zurückgewiesen wurde, nachdem er Untätigkeitsklage beim Sozialgericht (SG) Mannheim erhoben hatte (§ 88 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).[3]

Im September 2009 beantragte der Kläger darüber hinaus den Erlass einer einstweiligen Anordnung beim SG Mannheim. Dieser Antrag blieb in zwei Instanzen erfolglos.[4] Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nahm in der ersten Instanz etwa einen Monat in Anspruch. Das zweitinstanzliche Verfahren dauerte 7,5 Monate.

Im April 2010 erhob der Kläger Klage gegen den abschlägigen Bescheid (SG Mannheim, S 6 R 1512/10). Das SG bewilligte Prozesskostenhilfe gegen monatliche Raten in Höhe von 60 Euro. Mit Urteil vom 27. Juli 2011 wies das erstinstanzliche Gericht die Klage ab. Ein Anspruch auf Rehabilitationsleistungen gegen den beklagten Rentenversicherungsträger bestehe nicht, weil der Kläger die persönlichen Voraussetzungen nach § 10 Abs. 1 SGB VI nicht erfülle. Es bestehe auch kein Anspruch nach §§ 53 ff. SGB XII (Eingliederungshilfe), denn nach dem Vortrag des Beigeladenen sei der Kläger in der Lage, eine WfbM zu besuchen. Außerdem sei der Bescheid vom 15. Januar 2009 in Bestandskraft erwachsen. Er stehe einem Anspruch gegen den beigeladenen Sozialhilfeträger (Stadt Heidelberg) entgegen. Schließlich stehe dem Anspruch entgegen, dass eine Zielvereinbarung nicht zustande gekommen sei. Die Regelung des § 159 Abs. 5 SGB IX könne „nicht zum Abschluss einer Zielvereinbarung mit einem bestimmten Inhalt zwingen“. Wegen des „prognostischen Charakters der Zielvereinbarung“ seien „deren Inhalte eingeschränkt gerichtlich überprüfbar“. Es sei „jedenfalls kein Fehler der Beklagten, wenn sie wegen nicht möglicher Einigung über die Qualitätskriterien keine Zielvereinbarung mit dem Kläger geschlossen“ habe. Denn durch die seitens des Klägers vorgeschlagenen Formulierungen werde deutlich, dass der ablehnende Bescheid der Stadt Heidelberg hinsichtlich der Sachleistung (Förder- und Betreuungsgruppe der NeuroKom gGmbH) durch das persönliche Budget umgangen werden solle. Es bestehe aber „kein Anspruch auf den Abschluss einer Zielvereinbarung, die letztendlich dazu führt, dass ein persönliches Budget zu einem Zweck eingesetzt wird, der nicht mit geltendem Recht vereinbar ist.“

Die erstinstanzliche Entscheidung lässt unerwähnt, dass die Heidelberger Werkstätten nach Abschluss des Eingangsverfahrens zu dem Ergebnis gekommen waren, dass eine WfbM nicht die geeignete Maßnahme sei.

Mit Schriftsatz vom 12. August 2011 legte der Kläger Berufung ein, die er wegen des damals beim BSG unter dem Aktenzeichen B 11 AL 7/10 R anhängigen Verfahrens erst am 5. März 2012 begründete, nachdem das in jenem Verfahren ergangene Urteil vom 30. November 2011 mit seiner Begründung vorlag (Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, L 5 R 3442/11). Mit Beschluss vom 28. Januar 2013 lehnte das Berufungsgericht den Prozesskostenhilfeantrag ab, weil es an den erforderlichen Erfolgsaussichten fehle. Kurz darauf, mit Verfügung vom 7. Februar 2013, lud es den Leistungserbringer, die Neurokom gGmbH, bei. Mit Verfügung vom selben Datum teilte es dem Beigeladenen zu 2) mit, „soweit hier ersichtlich“ betreue diese den Kläger unentgeltlich, und fragte nach, ob der Rechtsstreit von Seiten der Neurokom gGmbH durch Vergleich erledigt werden könne. Am 20. Februar 2013 fand die mündliche Verhandlung vor dem LSG statt. Der Leistungserbringer nahm als Beigeladener an der Verhandlung teil. Nach der Verhandlung wies das LSG die Berufung zurück. Im Urteil stellte es fest: „Der Kläger nimmt bei der Beigeladenen zu 2) bislang unentgeltlich (Kosten ca. 1.600 Euro monatlich) an tagesstrukturierenden Maßnahmen teil und ist in einer Förder- und Betreuungsgruppe der Beigeladenen zu 2) tätig.“

Das Berufungsgericht stützt seine Entscheidung ausschließlich und abschließend auf zwei Gründe: Zum einen bestehe ein Anspruch auf ein persönliches Budget nicht, weil eine Zielvereinbarung nicht zustande gekommen sei. Zum zweiten bestehe der Anspruch auch deshalb nicht, weil der bestandskräftig gewordene Verwaltungsakt der Stadt Heidelberg – Beigeladene zu 1) – dem Anspruch entgegenstehe. Die Stadt Heidelberg sei nämlich materiell zuständiger Träger[5]. Die beklagte Rentenversicherung Baden-Württemberg sei – lediglich – entscheidungszuständiger Träger. Wenn der materiell zuständige Träger mit bestandskräftigem Verwaltungsakt über den Anspruch entschieden habe, könne das nicht durch ein Verfahren bei einem entscheidungszuständig gewordenen Träger umgangen werden.

Nachdem das Berufungsverfahren zu Ungunsten des Klägers ausgegangen war, beantragte er bei der Stadt Heidelberg als zuständigem Sozialhilfeträger „Leistungen zur Teilhabe nach §§ 53, 54 SGB XII i. V. m § 55 SGB IX ab 1. April 2013 in Form eines Kostenanerkenntnisses für den Besuch der Förder- und Betreuungsgruppe der Neurokom gGmbH in Heidelberg“. Über diesen Antrag wurde bis heute nicht entschieden. Ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b SGG blieb durch zwei Instanzen durch erfolglos.[6] Prozesskostenhilfe wurde in beiden Instanzen wegen mangelnder Erfolgsaussichten versagt. Die erstinstanzliche Entscheidung wird mit der Bestandskraft des Bescheides vom 15. Januar 2009 begründet. Aus diesem Bescheid ergebe sich, dass auch im Jahr 2013 kein Anspruch bestehe. Die zweite Instanz greift dieses Argument im Beschluss vom 26. November 2013 nicht auf, sondern begründet die Zurückweisung mit der Überlegung, es sei nicht glaubhaft gemacht, „ob und in welchem Umfang der Antragsteller Leistungen im Förder- und Betreuungsbereich für behinderte Menschen – Leistungstyp I.4.5a seitens des Beigeladenen“ erhalte. Das lange „Stillhalten des Beigeladenen“, das für diesen mit einem erheblichen finanziellen Nachteil verbunden sein solle, sei für den Senat nicht nachvollziehbar.

Während des auf eine Sachleistung ab 1. April 2013 gerichteten Eilverfahrens stellte der Leistungserbringer seine Leistungen dem Kläger für den Zeitraum Juli 2008 bis September 2013 in Rechnung. Der Kläger hatte auf die Verjährungseinrede verzichtet.

III. Das Verfahren in dritter Instanz

Mit Schriftsatz vom 23. März 2013 legte der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde beim BSG ein (B 13 R 125/13 B). Die Begründung wurde darauf gestützt, dass hier zwei Rechtsfragen mit grundsätzlicher Bedeutung klärungsbedürftig und klärungsfähig seien:

  1. Setzt der Anspruch auf ein persönliches Budget nach § 17 Abs. 2 SGB IX in Verbindung mit den Anspruchsnormen der einzelnen Leistungsgesetze voraus, dass der Rehabilitationsträger und der Anspruchsberechtigte Einvernehmen über eine abzuschließende Zielvereinbarung herstellen, mit der Folge, dass der Anspruch auf ein persönliches Budget untergeht, wenn einen Zielvereinbarung nicht zustande kommt?
  2. Schließt die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes, durch den ein Antrag durch eine Teilhabeleistung in Form einer Sachleistung abschlägig verbeschieden worden ist, den Anspruch auf ein persönliches Budget aus, das nach Erlass des Sachleistungsverwaltungsaktes beantragt worden ist und dazu dienen soll, den Teilhabebedarf zu decken, der Gegenstand der abschlägigen Entscheidung im Sachleistungsverfahren war?

Mit Beschluss vom 24. Oktober 2013 ließ das BSG die Revision zu und bewilligte dem Kläger Prozesskostenhilfe gegen Ratenzahlung.

Die Revision wurde am 15. November 2013 eingelegt. Mit Beschluss vom 16. April 2014 bewilligte das BSG Prozesskostenhilfe (gegen Raten).

Am 16. Juni 2015 fand die mündliche Verhandlung statt. Unmittelbar vor dem Termin teilte der 13. Senat des BSG mit, dass nach Vorberatung des Revisionsverfahrens mit den Berufsrichtern ein beigefügter Vergleichsvorschlag unterbreitet werde.

Der Vergleichsvorschlag des Senates lautete:

„1. Die Beklagte als erstangegangener Rehabilitationsträger verpflichtet sich, dem Kläger vorläufig für sechs Monate ein persönliches Budget für Leistungen zur Teilhabe in Höhe von monatlich 1.300 € zu bewilligen.

2. Innerhalb dieser sechs Monate werden die Beklagte und die Beigeladene zu 1) gemeinsam den individuellen Hilfebedarf des Klägers an Teilhabeleistungen unter Berücksichtigung seiner berechtigten Wünsche prüfen und feststellen. Sie werden prüfen, ob die Teilnahme in der Förder- und Beschäftigungsgruppe der Beigeladenen zu 2) die für den Kläger geeignete Maßnahme ist, die den festgestellten Bedarf deckt, bejahendenfalls werden sie die Qualitätsanforderungen, die an eine Förderung dieser Maßnahme zu stellen sind, prüfen und festlegen. Andernfalls wird dem Kläger eine geeignete Maßnahme zur Teilhabe vorgeschlagen. Hierüber wird die Beklagte als erstangegangener Rehabilitationsträger dem Kläger einen Bescheid erteilen.

3. Die Beigeladene zu 1) verpflichtet sich, den Ablehnungsbescheid vom 15. Januar 2009 als sachlich unzuständige Behörde aufzuheben.

4. Die Beklagte erstattet dem Kläger die Hälfte seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten aller drei Instanzen. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

5. Die Beteiligten erklären den Rechtsstreit in vollem Umfang übereinstimmend für erledigt.“

Der Vorschlag wurde vorab telefonisch erläutert. Die Sache könne nicht abschließend entscheiden werden, weil das LSG die dafür erforderlichen Feststellungen nicht getroffen habe. Eine Entscheidung könne daher nur zur Zurückverweisung an das LSG führen. Damit sei dem Kläger nicht geholfen, denn die Sache verzögere sich so weiter.

Zur Erläuterung: Das BSG ist Revisionsgericht und klärt daher den Sachverhalt nicht selbst auf. Da das LSG die Berufung ausschließlich aufgrund der oben genannten rechtlichen Gründe zurückgewiesen hatte, war es aus seiner Sicht folgerichtig, den Sachverhalt nicht weiter aufzuklären, denn ein Sachverhalt, der nicht entscheidungsrelevant ist, bedarf weder der Aufklärung, noch der Feststellung im Urteil. Deshalb stand ohnehin von vorneherein fest, dass das BSG im Fall des Obsiegens des Klägers nicht entscheiden, sondern das Berufungsurteil aufheben und die Sache zur abschließenden Entscheidung zurückverweisen würde.

Die DRV Baden-Württemberg als Beklagte und die Stadt Heidelberg als Beigeladene zu 1) nahmen den Vergleich an. Der Kläger nahm den Vergleich nicht an und unterbreitete stattdessen folgendes Vergleichsangebot:

„1. Zwischen den Beteiligten besteht Einigkeit darüber, dass die Tatsache, dass eine Zielvereinbarung nicht geschlossen wurde, dem Anspruch auf Rehabilitationsleistungen als persönliches Budget nicht entgegensteht.

2. Der Beigeladene bewilligt dem Kläger Leistungen zur Rehabilitation in Form eines persönlichen Budgets ab 1. Februar 2009, zunächst befristet bis 31. Oktober 2015 in Höhe von 1.221,40 € monatlich.

3. Die Beklagte und die Beigeladene zu 1) klären die Frage, wer für diese Kosten aufzukommen hat, untereinander und ohne Beteiligung des Klägers.

4. Die Beigeladene zu 2) verzichtet gegenüber dem Kläger auf Entgeltforderungen, die über das bewilligte Budget hinausgehen.

5. Die Beklagte erstattet dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten aller drei Instanzen.

6. Die Beteiligten erklären das Verfahren für erledigt.“

Dieses Angebot wurde von der Beklagten und der Beigeladenen zu 1) nicht angenommen.

In der mündlichen Verhandlung schlug das BSG mit großem Nachdruck einen modifizierten Vergleich vor, der schließlich zustande kam und lautet:

„1. Der Beklagte als erstangegangener Rehabilitationsträger verpflichtet sich, dem Kläger ein persönliches Budget für Leistungen zur Teilhabe in Höhe von monatlich 1.300 € ab 1. Juli 2015 zu bewilligen, zunächst für die Zeit von 6 Monaten.

2. Beginnend ab 1. Juli 2015 werden die Beklagte und die Beigeladene zu 1) innerhalb von sechs Monaten gemeinsam den individuellen Hilfebedarf des Klägers an Teilhabeleistungen unter Berücksichtigung seiner berechtigten Wünsche prüfen und feststellen. Sie werden prüfen, ob die Teilnahme in der Förder- und Beschäftigungsgruppe der Beigeladenen zu 2) die für den Kläger geeignete Maßnahme ist, die den festgestellten Bedarf deckt. Bejahendenfalls werden sie die Qualitätsanforderungen, die an die Förderung dieser Maßnahme zu stellen sind, prüfen und festlegen. Andernfalls wird dem Kläger eine geeignete Maßnahme zur Teilhabe vorgeschlagen. Hierüber wird die Beklagte als erstangegangener Rehabilitationsträger dem Kläger einen Bescheid erteilen.

3. Die Beigeladene zu 1) verpflichtet sich, den Ablehnungsbescheid vom 15. Januar 2009 als sachlich unzuständige Behörde aufzuheben.

4. Die Beklagte erstattet dem Kläger in diesem Verfahren (B 13 R 34/13 R) die Hälfte seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten aller drei Instanzen.

5. Die Beteiligten stimmen darin überein, dass mit dem heutigen Vergleich alle übrigen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, die sich auf den Reha-Antrag vom 15. Mai 2007 beziehen, ebenfalls erledigt sind. Die Beklagte und die Beigeladene zu 1) tragen die Kosten dieses Verfahrens zu je ein Viertel ausgehend jeweils von einer Mittelgebühr.

6. Die Beteiligten erklären den Rechtsstreit in vollem Umfang übereinstimmend für erledigt.“

Damit ist in der Sache keine Entscheidung ergangen. Die Urteile der Instanzgerichte sind allerdings nicht in Rechtskraft erwachsen. Das Engagement des BSG in der Sache lässt vermuten, dass der Senat die Auffassung des LSG, das Nichtzustandekommen der Zielvereinbarung führe zum Untergang des Rechtsanspruchs auf ein persönliches Budget, nicht teilt, denn andernfalls hätte der Senat die Revision wohl zurückweisen müssen.

Die DRV Baden-Württemberg hat seither das vereinbarte Budget gezahlt, aber ansonsten keine weiteren Ermittlungen angestellt und auch keine alternativen Leistungen angeboten. Die Neurokom gGmbH bemüht sich um die Anerkennung als WfbM. Die Forderungen aus dem Zeitraum von Juli 2008 bis Juni 2015 macht sie gegen den mittellosen Kläger nicht mehr geltend. Die beteiligten Rehabilitationsträger warten zurzeit dem Anschein nach ab, ob es zu der Anerkennung als WfbM kommt. Wie es nach dem 31. Dezember 2015 weitergeht, ist weiterhin ungeklärt.

Beitrag von Roland Rosenow, Freiburg

Fußnoten:

[1] Der Kläger hat der Veröffentlichung zugestimmt.

[2] Widerspruch gegen den Bescheid vom 10.08.2007: SG Mannheim, 24.04.2012, S 10 R 3339/10, LSG Stuttgart, 20.02.2013, L 5 R 2373/12; Bescheid vom 15.01.2008: SG Mannheim, 27.04.2012, S 10 R 3375/10, LSG Stuttgart, 20.02.2013, L 5 R 2374/12.

[3] SG Mannheim, F 5R 364/10, Erledigung durch angenommenes Anerkenntnis nach § 101 Abs. 2 SGG.

[4] SG Mannheim, 23.10.2009, S 6R 3354/09 ER; LSG Baden-Württemberg, 22.06.2010, L 2R 5727/09 ER-B.

[5] Vgl. BSG, 11.05.2005 B 5 KR 54/10 R.

[6] SG Mannheim, Beschluss vom 02.08.2013, S 9 SO 2356/13 ER; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.11.2013, L 2 SO 3160/13 ER-B.


Stichwörter:

Persönliches Budget, Zielvereinbarung, Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), Kostenübernahme (Kostenträger)


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