25.03.2015 B: Arbeitsrecht Düwell: Beitrag B3-2015

Barrierefreie Arbeitsstätten – Änderung der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV 2015)

(Zitiervorschlag: Düwell: Barrierefreie Arbeitsstätten – Änderung der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV 2015); Forum B, Beitrag B3-2015 unter www.reha-recht.de; 25.03.2015)

Der Autor befasst sich in seinem Beitrag mit der im Oktober 2014 vom Bundeskabinett beschlossenen Verordnung zur Änderung von Arbeitsschutzverordnungen. Er geht hierbei insbesondere auf § 3a Absatz 2 Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) ein und beschreibt zunächst die wesentlichen vorgesehenen Änderungen.

Diese liegen in der Ausdehnung der Arbeitgeberpflichten. Der Verfasser erläutert in diesem Zusammenhang die Anforderungen aus der UN-Behindertenrechtskonvention und kritisiert, dass nur diejenigen Arbeitgeber staatliche Unterstützung erhalten, die schwerbehinderte Menschen beschäftigen. Dies sei problematisch, da die Vorschrift erhebliche Anforderungen an die Arbeitgeber stellt. Zudem sei problematisch, dass die Neufassung keine Sanktionen vorsieht bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Nichterfüllung der Arbeitgeberpflicht zur barrierefreien Beschäftigung.

Allerdings ist die Verordnung nicht wie geplant zustande gekommen, die notwendige zweite Beratung im Bundeskabinett wurde verschoben, nachdem Vorbehalte aus der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände im Koalitionsausschuss erfolgreichen Niederschlag gefunden haben. Diese Entscheidung erschwert die weiteren Vorhaben zur Verbesserung des Arbeitsschutzes in der laufenden Legislaturperiode. Umso wichtiger ist es, die Vorhaben inhaltlich zu diskutieren und auch die behinderungspolitische Dimension zu beachten.

Dieser Beitrag ist bereits im jurisPraxisReport Arbeitsrecht 01/2015 erschienen.



Barrierefreie Arbeitsstätten – Änderung der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV 2015)


Von Prof. Franz Josef Düwell, Vorsitzender Richter Bundesarbeitsgericht a. D.


A.     Rechtsetzung

Mit der „Verordnung zur Änderung von Arbeitsschutzverordnungen“ werden drei Arbeitsschutzverordnungen geändert. Die Verordnung enthält in Art. 1 die Änderung der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV).      

Die Bundesregierung hat am 20.10.2014 den Entwurf der Verordnung zur Änderung von Arbeitsschutzverordnungen beschlossen. Da die Verordnung im Wesentlichen von den Verwaltungen der Länder durchgeführt wird, muss der Bundesrat der Verordnung zustimmen. Deshalb ist der Entwurf nach § 64 Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) durch das Bundeskanzleramt an den Präsidenten des Bundesrats übersandt worden.[1] Der Bundesrat hat dem Entwurf am 19.12.2014 nur mit zahlreichen Maßgaben zugestimmt.[2] Das Inkrafttreten der Änderungen war zu Anfang Januar 2015 geplant. Da der Bundesrat nur nach Maßgaben zugestimmt hat, muss die Verordnung erneut vom Bundeskabinett beschlossen werden. Werden die verlangten Änderungen übernommen, so kommt die Verordnung zustande. Die so beschlossene Verordnung muss dann gemäß den §§ 66 bis 68 GGO in einer Urschrift ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet werden. Nach Art. 3 der Verordnung tritt sie dann am Tag nach der Verkündung in Kraft.


B.     Die Neuregelung in § 3a Abs. 2 ArbStättV

In B. der Fassung der ArbStättV vom 19.07.2010 ist zum Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten für Beschäftigte mit Behinderungen geregelt:

„(2) Beschäftigt der Arbeitgeber Menschen mit Behinderungen, hat er Arbeitsstätten so einzurichten und zu betreiben, dass die besonderen Belange dieser Beschäftigten im Hinblick auf Sicherheit und Gesundheitsschutz berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere für die barrierefreie Gestaltung von Arbeitsplätzen sowie von zugehörigen Türen, Verkehrswegen, Fluchtwegen, Notausgängen, Treppen, Orientierungssystemen, Waschgelegenheiten und Toilettenräumen.“

Die Verordnung zur Änderung von Arbeitsschutzverordnungen[3] fasst

§ 3a Abs. 2 ArbStättV 2015 wie folgt neu:

„Beschäftigt der Arbeitgeber Menschen mit Behinderungen, hat er die Arbeitsstätte so einzurichten und zu betreiben, dass die besonderen Belange dieser Beschäftigten im Hinblick auf die Sicherheit und den Schutz der Gesundheit berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere für die barrierefreie Gestaltung von Arbeitsplätzen, Sanitär-, Pausen- und Bereitschaftsräumen, Kantinen, Erste-Hilfe-Räumen und Unterkünften sowie den zugehörigen Türen, Verkehrswegen, Fluchtwegen, Notausgängen, Treppen und Orientierungssystemen, die von den Beschäftigten mit Behinderungen benutzt werden.“

Die Neufassung greift Probleme auf, die bei der Kontrolltätigkeit der Aufsichtsbehörden aufgefallen sind.        

Die Arbeitgeberpflichten werden auf Pausen- und Bereitschaftsräume, Kantinen, Erste-Hilfe-Räume und Unterkünfte ausgedehnt.      

Was unter Einrichten zu verstehen ist, wird in § 2 Abs. 8 ArbStättV 2015 neu als „Bereitstellen und Ausgestalten der Arbeitsstätte“ definiert. Das umfasst

„insbesondere:

  1. bauliche Maßnahmen oder Veränderungen,

  2. das Ausstatten mit Maschinen, Anlagen, anderen Arbeitsmitteln und Mobiliar sowie mit Beleuchtungs-, Lüftungs-, Heizungs-, Feuerlösch- und Versorgungseinrichtungen,

  3. das Anlegen und Kennzeichnen von Verkehrs- und Fluchtwegen sowie das Kennzeichnen von Gefahrenstellen und brandschutztechnischen Ausrüstungen und

  4. das Festlegen von Arbeitsplätzen.“


C.     Die ArbStättV als Umsetzung der BRK

Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006 (BRK) ist von der Bundesrepublik ratifiziert.[4] Nach Art. 27 BRK ist es Pflicht der Vertragsstaaten, aktiv in die unternehmerische Freiheit einzugreifen, um eine gleichberechtigte Teilhabe „in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld“ zu gewährleisten. Im Ersten Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland zum Stand der Umsetzung der BRK wird dazu ausgeführt[5]:

„die Vorschriften der Arbeitsstättenver­ordnung (geben) den Arbeitgebern das Schutzziel vor, Arbeitsstätten barrierefrei einzurichten, sofern Menschen mit Behinderungen beschäftigt werden. Konkretisiert wird diese Verordnung durch Arbeitsstätten­regeln, die den Stand der Technik festlegen. Die Arbeitsstättenregeln werden durch den Arbeitsstättenausschuss ermittelt.“

Die im Staatenbericht angekündigten „Technischen Regeln Barrierefreie Gestaltung von Arbeitsstätten, ASR V3a.2“ sind in ihrer letzten Fassung von 2014 im Gemeinsamen Ministerialblatt[6] bekannt gemacht.[7]    

Die Neufassung der ArbStättV wird auch die Ergänzung der Technischen Regeln nach sich ziehen.

Ausgeblendet ist bislang jedoch, dass die Verpflichtungen aus Art. 27 BRK noch nicht vollständig umgesetzt sind. § 3a Abs. 2 ArbStättV legt den Arbeitgebern erhebliche Pflichten zum Bereitstellen und Ausgestalten von Arbeitsstätten für Menschen mit Behinderung auf, stellt aber nur den Arbeitgebern staatliche Unterstützung in Aussicht, die Menschen mit Behinderung beschäftigen, soweit die Beschäftigten schwerbehindert im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB IX oder nach § 2 Abs. 3 SGB IX gleichgestellt sind. Im ersten Staatenbericht wird darüber hinweggetäuscht: Dort heißt es:

„Für die barrierefreie Gestaltung von Arbeitsplätzen und arbeitsbegleitenden Hilfen kann der Arbeitgeber Zuschüsse bei den Integrationsämtern der Länder beantragen (§ 102 SGB IX).“

Das ist irreführend. Nach § 102 Abs. 3 Nr. 2 lit. a SGB IX kann das Integrationsamt nämlich nur „im Rahmen seiner Zuständigkeit für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben …Geldleistungen erbringen, … an Arbeitgeber zur behinderungsgerechten Einrichtung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen für schwerbehinderte Menschen, ...“. Gemäß § 68 Abs. 3 SGB IX ist diese Bestimmung auch auf gleichgestellte behinderte Menschen, aber nicht auf die anderen Menschen mit Behinderung anzuwenden.


D.     Keine Ahndung von Pflichtverletzungen

In § 9 Abs. 1 ArbStättV 2015 ist der Katalog der als Ordnungswidrigkeiten im Sinne des § 25 Abs. 1 Nr. 1 ArbSchG zu ahndenden schuldhaften Verstöße gegen die Arbeitsschutzpflichten neu gefasst. Er umfasst neun Tatbestände. Wie schon in der Vorgängervorschrift, so bleibt auch in der Neufassung der ArbStättV jeder vorsätzliche oder fahrlässige Verstoß gegen die Pflicht zur barrierefreien Einrichtung und Gestaltung von Arbeitsplätzen von der Ahndung als Ordnungswidrigkeit verschont. Das ist schon deshalb bemerkenswert, weil nach Art. 27 Abs. 1i BRK die Bundesregierung verpflichtet ist, „sicherzustellen, dass am Arbeitsplatz angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen getroffen werden“, und nach Art. 33 Abs. 2 BRK für die Überwachung der Durchführung des Übereinkommens eine effektiv arbeitende Struktur schaffen muss. Mit diesen völkerrechtlichen Verpflichtungen ist es schwerlich vereinbar, die Nichterfüllung der Arbeitgeberpflicht zur barrierefreien Beschäftigung sanktionslos zu stellen.

 

Fußnoten:

[1] BR-Drs. 509/14 v. 29.10.2014.

[2] BR-Drs. 509/14 (Beschluss).

[3] So BR-Drs. 509/14 v. 29.10.2014; der Bundesrat hat am 19.12.2014 dieser Fassung ohne eine Maßgabe zugestimmt, BR-Drs. 509/14 (Beschluss).

[4] Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13.12.2006 (BGBl II, 1419).

[5] BT, Ausschuss für Arbeit und Soziales, Ausschuss-Drs. 17(11)602 v. 03.08.2011, S. 30 f.

[6] GMBl Nr. 13 v. 10.04.2014, S. 281.

[7] Veröffentlicht von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: www.baua.de/de/Themen-von-A-Z/Arbeitsstaetten/ASR/pdf/ASR-V3a-2-Aenderungen-2.pdf; aufgerufen am 05.01.2015.


Stichwörter:

Angemessene Vorkehrungen, Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV), Behindertengerechte Beschäftigung, Behinderungsgerechter Arbeitsplatz, Behinderungsgerechte Beschäftigung, Inklusive Beschäftigung, Schwerbehinderte Arbeitnehmer, Schwerbehinderte Beschäftigte, behindertengerecht


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