17.08.2016 B: Arbeitsrecht Klaesberg: Beitrag B4-2016

Ablehnung eines behinderten Stellenbewerbers ohne Einladung zum Vorstellungsgespräch bei Nichterfüllung des Anforderungsprofils der öffentlichen Arbeitgeberin – Anmerkung zu LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.02.2015, Az.: 6 Sa 465/14

Sabrina Klaesberg bespricht in ihrem Beitrag die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Rheinland-Pfalz vom 10.02.2015, Az.: 6 Sa 465/14. Das LAG hatte über die Frage zu entscheiden, ob einem schwerbehinderten Stellenbewerber vor dem Hintergrund seines konkreten beruflichen Werdegangs die Eignung für eine Stelle als Benutzungsreferent für den Bibliotheksbereich im öffentlichen Dienst offensichtlich fehlte und ob die Ablehnung ohne Einladung zum Vorstellungsgespräch in der Folge eine Diskriminierung darstellte.

Das Gericht entschied, dass dem Kläger auch unter Berücksichtigung seiner konkreten beruflichen Laufbahn die Eignung offensichtlich fehlte und die Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch damit keine Diskriminierung durch den öffentlichen Arbeitgeber darstellte. Maßgeblich für die Bewertung der Eignung ist das vom Arbeitgeber selbst geschaffene Anforderungsprofil, mit welchem er die Kriterien für die Auswahl der Bewerber vor dem eigentlichen Auswahlverfahren festlegt.

(Zitiervorschlag: Klaesberg: Ablehnung eines behinderten Stellenbewerbers ohne Einladung zum Vorstellungsgespräch bei Nichterfüllung des Anforderungsprofils der öffentlichen Arbeitgeberin – Anmerkung zu LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.02.2015, Az.: 6 Sa 465/14; Beitrag B4-2016 unter www.reha-recht.de; 17.08.2016)

 


I. Thesen der Autorin

  1. Die besondere Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers zur Einladung schwerbehinderter Bewerber gem. § 82 SGB IX wird durch Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz (GG) relativiert und abgeschwächt.

  2. Der Begriff der „offensichtlichen“ Nichteignung in § 82 SGB IX kann nicht mit dem allgemeinen Verständnis des Begriffes „offensichtlich“ im Sinne von „ins Auge fallend“ oder „deutlich erkennbar“ gleichgesetzt werden.

II. Wesentliche Aussagen der Entscheidung (Orientierungssätze)

  1. Mit der Schaffung eines Anforderungsprofils für eine zu vergebene Stelle legt der öffentliche Arbeitgeber die Kriterien für die Auswahl der Bewerber fest. An diesem Anforderungsprofil werden die Eigenschaften und Fähigkeiten der Bewerber gemessen.

  2. Mit diesem Anforderungsprofil bestimmt der öffentliche Arbeitgeber den Umfang seiner, der eigentlichen Auswahlentscheidung vorgelagerten, verfahrensrechtlichen Verpflichtung gem. § 82 Satz 2 und 3 SGB IX.

  3. Dem öffentlichen Arbeitgeber steht bei der Erstellung eines Anforderungsprofils ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu.

III. Der Sachverhalt

Der Kläger, dem ein Grad der Behinderung (GdB) in Höhe von 70 zuerkannt worden war, verfügte über folgende Berufsabschlüsse:

  • Fachhochschulabschluss als Diplom-Bibliothekar
  • Laufbahnabschluss für den Gehobenen Dienst an wissenschaftlichen Bibliotheken
  • Master of Engineering, Studiengang Science & Engineering/Informationswissenschaften, Vertiefungsschwerpunkt Bibliothekswissenschaft.

Im Anschluss an seine Ausbildungen ging der Kläger zunächst einer selbständigen Tätigkeit im Korrektorat und als Übersetzer nach sowie für einen Zeitraum von zwei Jahren und einem Monat einer Beschäftigung im Evangelischen Stadtkantorat. Diese letzte Beschäftigung erfolgte allerdings nur in einem Umfang von zehn Stunden pro Monat.

Die Beklagte schrieb als öffentlicher Arbeitgeber eine Stelle als Benutzungsreferent/in für den Bibliotheksbereich aus. Im Rahmen des Anforderungsprofils wurde neben einem Hochschulstudium auch die Laufbahnbefähigung für den Höheren Bibliotheksdienst gefordert.

Der Kläger bewarb sich auf diese Stelle, erhielt jedoch – ohne eine vorherige Einladung zu einem Vorstellungsgespräch – die Mitteilung, dass er nicht für die Stelle ausgewählt worden war.

Unter Berücksichtigung der 2-monatigen Geltendmachungsfrist aus § 15 Abs. 4 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sowie der 3-monatigen Klagefrist des § 61b Abs. 1 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) beanspruchte der Kläger Entschädigung wegen einer Benachteiligung bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses.

IV. Die Entscheidung

Das Gericht hatte sich insbesondere mit der Frage zu beschäftigen, ob dem Kläger vor dem Hintergrund seines konkreten beruflichen Lebensweges die Eignung für den ausgeschriebenen Dienstposten fehlte. Nur bei einer offensichtlichen Nichteignung kann ein öffentlicher Arbeitgeber davon Abstand nehmen, einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. In allen anderen Fällen gilt die fehlende Einladung zu einem Vorstellungsgespräch durch einen öffentlichen Arbeitgeber als Indiz für die Diskriminierung eines schwerbehinderten Bewerbers.[1] Das zweitinstanzliche Gericht betont in seiner Entscheidung allerdings noch einmal, dass die Frage der Eignung für einen konkreten Dienstposten im öffentlichen Dienst ausschließlich über das Anforderungsprofil beantwortet werden kann. Ob dieses Anforderungsprofil erfüllt wird, ist bis ins Detail zu prüfen. Das durch den Beklagten erstellte Anforderungsprofil forderte neben dem wissenschaftlichen Hochschulstudium auch die Laufbahnbefähigung für den höheren Dienst. Unstreitig verfügte der Kläger nur über die Laufbahnbefähigung für den gehobenen Bibliotheksdienst. Eine Laufbahnprüfung für den höheren Dienst hatte der Kläger nicht absolviert. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat allerdings die Prüfung nach dieser Feststellung nicht abgebrochen, sondern ist in eine weitere detailliertere Prüfung eingestiegen. Das zweitinstanzliche Gericht hat im Weiteren auch die alternative Erlangung der Laufbahnbefähigung gem. § 7 Nr. 2a) Bundeslaufbahnverordnung (BLV) geprüft. Gem. § 7 Nr. 2a) BLV kann einem Betroffenen die Laufbahnbefähigung für den gehobenen Dienst zuerkannt werden, wenn ein mit einem Master abgeschlossenes Hochschulstudium (oder ein vergleichbarer Abschluss) vorliegt und eine entsprechende hauptberufliche Tätigkeit von mindestens zwei Jahren und sechs Monaten ausgeübt wurde. Die selbständige Tätigkeit des Klägers im Korrektorat und als Übersetzer erfüllte nach Auffassung des Gerichts allerdings nicht das Erfordernis der „einschlägigen“ hauptberuflichen Beschäftigung. Die Tätigkeit des Klägers beim Evangelischen Stadt- und Kreiskantorat hatte zwar einen Bezug zum Bibliothekswesen, allerdings nicht in dem notwendigen zeitlichen und inhaltlichen Umfang (zehn Stunden/Monat), dass von einer hauptberuflichen Tätigkeit hätte gesprochen werden können. Die gem. § 7 Nr. 2a) BLV erforderliche Berufserfahrung wurde daher dem Kläger abgesprochen, sodass er das durch die Beklagte erstellte Anforderungsprofil nicht erfüllte und somit als offensichtlich nicht geeignet eingestuft werden konnte.

V. Anmerkungen

Die Entscheidung reiht sich in eine Vielzahl anderer Entscheidungen zu der Frage einer offensichtlichen Nichteignung eines schwerbehinderten Bewerbers im Sinne des § 82 SGB IX ein und führt die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte zu der Bedeutung eines Anforderungsprofils bei der Stellenausschreibung im öffentlichen Dienst weiter.

Ausgangspunkt ist zunächst die Regelung des § 82 SGB IX, der für den öffentlichen Arbeitgeber eine besondere Pflicht zur Einladung eines schwerbehinderten Bewerbers schafft. Diese Pflicht besteht nach dem Wortlaut des Gesetzes nur dann nicht, wenn dem konkreten schwerbehinderten Bewerber die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Mit dieser Regelung soll dem schwerbehinderten Bewerber die Möglichkeit gegeben werden, einen öffentlichen Arbeitgeber von seiner Eignung zu überzeugen.[2] Zweifel an der Eignung, z. B. dadurch, dass es nach Papierlage bessere Bewerber gibt, sollen nicht zu einem sofortigen Ausschluss des schwerbehinderten Bewerbers aus dem Auswahlverfahren führen.

Wird ein schwerbehinderter Bewerber trotz grundsätzlicher Eignung durch den öffentlichen Arbeitgeber nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, gilt dies nach der Rechtsprechung bereits als Indiz dafür, dass eine Diskriminierung im Sinne des AGG vorliegt.[3] Durch einen solchen Ausschluss vom Auswahlverfahren wird der schwerbehinderte Beschäftigte unmittelbar im Sinne des § 3 AGG diskriminiert und kann daraus Entschädigungsansprüche (§ 15 Abs. 2 AGG) ableiten.

Die Nichteinladung eines schwerbehinderten Beschäftigten kann daher für den öffentlichen Arbeitgeber teuer werden. Vor diesem Hintergrund kommt der Frage, ob der Bewerber offensichtlich fachlich nicht geeignet ist, eine besondere Bedeutung zu. Schlägt man das Wort „offensichtlich“ im Duden nach, scheint die Beantwortung der Frage zunächst sehr einfach. Der Duden setzt das Wort „offensichtlich“ mit den Begrifflichkeiten „ins Auge fallend“ oder „deutlich erkennbar“ gleich.[4] Dies könnte man dahingehend deuten, dass es sich jedem, der sich die Bewerberlage ansieht, ohne besondere Kenntnisse erschließt, dass der schwerbehinderte Bewerber ungeeignet ist. So einfach ist es jedoch nicht.

Nach der Rechtsprechung[5] ist die Frage der fachlichen Eignung an dem durch den öffentlichen Arbeitgeber selbst geschaffenen Anforderungsprofil zu messen. Der Grundsatz, dass für die objektive Eignung eines Bewerbers nicht auf das formelle Anforderungsprofil abgestellt werden kann[6], sondern auf die Anforderungen, die der Arbeitgeber an einen Stellenbewerber stellen durfte, wird somit im öffentlichen Dienst durchbrochen. Anders als der private Arbeitgeber, der grundsätzlich frei ist in der Frage, welche Anforderungen er in eine Stellenausschreibung aufnimmt und ob er bei seiner Auswahlentscheidung von einzelnen Kriterien abweicht, ist der öffentliche Arbeitgeber an die Kriterien „Eignung, Befähigung und fachliche Leistung“ während des gesamten Auswahlverfahrens gebunden.[7] Dieser Ansatz ist Ausfluss des Artikels 33 Abs. 2 GG, in welchem das Prinzip der Bestenauslese verankert ist. Mit der Bestimmung des Anforderungsprofils konkretisiert der öffentliche Arbeitgeber die Kriterien für die Auswahl der Bewerber. Welche konkreten Kriterien in das Anforderungsprofil mit aufgenommen werden, kann der öffentliche Arbeitgeber nach seinen organisatorischen Bedürfnissen bestimmen.

Das LAG betont in der Entscheidung noch einmal ausdrücklich, dass es allein dem organisatorischen Ermessen des öffentlichen Arbeitgebers obliegt, den konkreten Dienstposten zuzuschneiden und vor dem Hintergrund dieses Zuschnittes das konkrete Anforderungsprofil zu formulieren. Begründet wird dies damit, dass der öffentliche Arbeitgeber ausschließlich Kriterien verwenden darf, die mit den Schlagworten „Eignung, Befähigung und fachliche Leistung“ in Einklang stehen.

In diesem Zusammenhang steht dem öffentlichen Arbeitgeber ein – durch das Gericht nur beschränkt überprüfbarer – Beurteilungsspielraum zu.

Die recht klare Forderung des § 82 SGB IX, jeden offensichtlich nicht ungeeigneten schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, verliert dadurch an Schlagkraft. Der öffentliche Arbeitgeber bestimmt mit der Schaffung seines Anforderungsprofils bereits den Umfang seiner Verpflichtung aus § 82 SGB IX. Er kann somit im Vorfeld bereits darauf Einfluss nehmen, inwieweit er Personen als fachlich geeignet oder (offensichtlich) ungeeignet für den konkreten Dienstposten ansieht. Mit der Festlegung des Anforderungsprofils wird ein wesentlicher Teil der Auswahlentscheidung vorweggenommen[8].

Allerdings weist das LAG zu Recht darauf hin, dass den öffentlichen Arbeitgeber eine intensive Prüfungsverpflichtung im Hinblick auf die Frage der Eignung trifft. Der öffentliche Arbeitgeber darf nicht nur oberflächlich das Anforderungsprofil mit dem beruflichen Lebensweg des schwerbehinderten Bewerbers abgleichen, sondern muss auch die hinter seinem Anforderungsprofil liegenden Vorschriften mitberücksichtigen. Auch der öffentliche Arbeitgeber kann sich nicht auf das allgemeine Sprachverständnis des Wortes „offensichtlich“ zurückziehen. Der Kläger dieses Verfahrens verfügte unstreitig nicht über einen Laufbahnabschluss für den Höheren Dienst an wissenschaftlichen Bibliotheken. Damit hätte man oberflächlich zu dem Ergebnis kommen können, das Anforderungsprofil sei nicht erfüllt. Das LAG prüfte jedoch auch die Frage, ob der Kläger nicht auf Grund der Regelung des § 7 Nr. 2a BLV einen Anspruch auf Zuerkennung der entsprechenden Laufbahnbefähigung über seine Lebens-/Berufserfahrung hätte haben können. Die Abweisung der Klage basierte nur darauf, dass die Tätigkeit des Klägers beim Evangelischen Stadtkantorat nur in einem sehr geringen Umfang erfolgt war und daher nicht als hauptberufliche Tätigkeit eingestuft werden konnte. Wäre die Tätigkeit des Klägers beim Evangelischen Stadtkantorat zeitlich umfangreicher gewesen, wäre von einer Erfüllung des Anforderungsprofils auszugehen gewesen, so dass ein Entschädigungsanspruch realistisch gewesen wäre.

Beitrag von Sabrina Klaesberg, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Bochum

Fußnoten:

[1] Bundesarbeitsgericht (BAG) Urteil vom 16.09.2008 – 9 AZR 791/07.

[2] BAG Urteil vom 21.07.2009 – 9 AZR 431/08.

[3] BAG Urteil vom 16.09.2008 – 9 AZR 791/07.

[4] Vgl. Duden.de Synonyme für „offensichtlich“.

[5] Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Entscheidung vom 08.10.2007 – 2 BvR 1846/07.

[6] BAG Urteil vom 24.01.2013 – 8 AZR 188/12.

[7] BAG Urteil vom 21.07.2009 – 9 AZR 431/08.

[8] BAG Urteil vom 24.01.2013 – 8 AZR 188/12.


Stichwörter:

Anforderungsprofil, Auswahlverfahren, Benachteiligung wegen Behinderung, Eignungsprüfung, Einladung bei Bewerbung im öffentlichen Dienst, Schwerbehinderte Bewerber, Schwerbehindertenarbeitsrecht, Öffentlicher Dienst, Einstellungen bei öffentlichen Arbeitgebern


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