20.05.2015 D: Konzepte und Politik von Kardorff/Ohlbrecht: Beitrag D16-2015

Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen – Ergebnisse einer Expertise im Auftrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Der Beitrag basiert auf der Studie „Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung“, die die Verfasserin und der Verfasser im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes durchgeführt haben. Der Fokus der Studie lag auf dem Zusammenspiel von sozialpsychologischen, institutionellen und verfahrensbedingten Barrieren, auf die Menschen mit Behinderungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt und in der Arbeitswelt treffen.

In dem Beitrag beschreiben der Autor und die Autorin zunächst das empirische Vorgehen. Daraufhin stellen sie die zentralen Ergebnisse dar und geben einen Überblick über die sich daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen. Insgesamt sei die Arbeitsmarklage für behinderte Menschen trotz der Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention durch ein hohes Maß an Ausgrenzung geprägt.

(Zitiervorschlag: von Kardorff/Ohlbrecht: Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen – Ergebnisse einer Expertise im Auftrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes; Forum D, Beitrag D16-2015 unter www.reha-recht.de; 20.05.2015)

 


I.       Zur Ausgangslage: Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) hatte 2013 für das Themenjahr „Selbstbestimmt dabei. Immer“ die Situation von Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten in den Mittelpunkt gestellt. Von dieser Lebenssituation sind fast 10 Prozent der Gesamtbevölkerung betroffen; davon sind rund sieben Millionen Menschen als schwerbehindert eingestuft. Hinzu kommen „rund 17 Millionen Menschen im Alter von über 18 Jahren mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder chronischen Krankheiten, die sie im täglichen Leben einschränken“[1] Schon diese Größenordnung verweist auf die politische Bedeutung der Teilhabesicherung und des Schutzes vor Diskriminierung für diese in sich sehr heterogene Gruppe von Menschen. Trotz einer Reihe von Gesetzen zur Wahrung von Menschenwürde, Bürgerrechten und Selbstbestimmung sowie zum Verbot von Diskriminierung und Ungleichbehandlung (Grundgesetzergänzung von 1994; Behindertengleichstellungsgesetz von 2002[2]; Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz von 2006; UN-Behindertenrechtskonvention 2009), und einer Sozialgesetzgebung, die darauf zielt, gesellschaftliche Teilhabe durch Rehabilitation, Förderung, Assistenz und Kompensation zu gewährleisten (vgl. SGB IX, das noch in dieser Legislaturperiode durch ein Bundesteilhabegesetz ersetzt werden soll), treffen Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen nach wie vor auf vielfältige Barrieren; diese behindern ihre gesellschaftliche Teilhabe und wirken sich negativ auf ihre Lebenssituation und ihr Selbsterleben aus. Viele Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten erleben im gesellschaftlichen Alltag, bei Behörden, im Bereich von Dienstleistungen und auf dem Arbeitsmarkt immer wieder und immer noch vielfältige Formen von Stigmatisierung, Zurücksetzung, Diskriminierung und Ungleichbehandlung; und viele von ihnen sehen sich entgegen den rechtsverbindlichen Forderungen der UN-Behindertenrechts­konvention zur Inklusion immer noch mit systematischen Prozessen der Ausgrenzung im Bildungssystem, mit sozialer Isolierung in Heimen und Sonderwelten in Beruf und Freizeit konfrontiert.[3] Diese Lagebeschreibung, wie sie zuletzt im Teilhabebericht der Bundesregierung in einer eindrücklichen Synopse zusammengefasst ist, wird durch eine Vielzahl persönlicher Erfahrungsberichte von Menschen mit Behinderungen und langfristigen Erkrankungen, durch zahlreiche Anfragen und Beschwerden bei den Antidiskriminierungsstellen des Bundes und der Länder, auf Webseiten von Selbsthilfeorganisationen und von Behindertenverbänden bestätigt.

Im Folgenden geht es vorrangig um den Zugang zum Arbeitsmarkt und um den Erhalt der Beschäftigung für Menschen mit Beeinträchtigungen. Dabei ist zunächst die geringe Beteiligung schwerbehinderter Menschen am Erwerbsleben zu nennen: ihre Erwerbstätigenquote ist mit 50,1 % im Vergleich zu der Quote von 75,9 % bei nicht-behinderten Menschen deutlich geringer[4]; ihre Erwerbslosenquote ist 2014 mit 8,8 % fast doppelt so hoch, wie die nicht-behinderter Menschen mit 4,3 %.[5] Von Erwerbslosigkeit besonders stark betroffen sind Frauen mit Behinderungen (ihre Quote liegt fast doppelt so hoch wie die schwerbehinderter Männer) sowie ältere gesundheitlich beeinträchtigte Arbeitnehmer_innen. In dieser intersektionalen Benachteiligung reproduzieren sich auch sonst auf dem Arbeitsmarkt vorhandene mentale, strukturelle Barrieren, mit denen die Zielgruppen beim Zugang zum Arbeitsmarkt in verstärkter Weise konfrontiert sind und zu denen noch verfahrensbedingte Barrieren bei Vermittlung und im Einstellungsverfahren hinzutreten. Mit Blick auf die Art der Behinderung treffen insbesondere Personen mit psychischen Erkrankungen, Menschen mit einer geistigen Behinderung und gehörlose Menschen auf massive Barrieren beim Zugang zum Arbeitsmarkt. Seelisch beeinträchtigte Menschen in Erwerbstätigkeit haben besonders hohe Risiken, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. In diesen hier kurz angedeuteten Konstellationen interagieren die besonderen Stigmatisierungsrisiken mit

  • den jeweiligen krankheits-/ behinderungsbedingten Funktionsbeeinträchtigungen,
  • häufig fehlendem Wissen über psychische Erkrankungen und andere Behinderungen bei Arbeitgebern wie Belegschaften,
  • Verhaltensunsicherheiten gegenüber den betroffenen Menschen sowie
  • auch einer mangelnden Bereitschaft zur intensiven Auseinandersetzung mit den Problemen der Betroffenen und deren Einsatzmöglichkeiten.

Darüber hinaus zeigt sich eine Zunahme behinderter Beschäftigter in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (von 2003 bis 2014 von 235.000 auf 301.000), insbesondere durch sogenannte „Quereinsteiger“ unter denen sich viele psychisch kranke Menschen befinden[6] sowie ein deutlicher Anstieg von Erwerbsminderungsrenten (EM-Renten) aufgrund seelischer Erkrankungen (vgl. Deutsche Rentenversicherung (DRV)-Update 2014[7]). Alle diese Entwicklungen deuten auf Effekte einer systematischen Ausgrenzung der betroffenen Personengruppen vom Allgemeinen Arbeitsmarkt hin. Aus sozialpsychologischer Sicht verstärken Erfahrungen von Ausschluss und Diskriminierung, von dem auch die zwar insgesamt besser integrierten Menschen mit körperlichen Erkrankungen berichten, den Zirkel von erlebten Vorbehalten, sinkendem Zutrauen in die eigene Leistungsfähigkeit und den eigenen Wert, und führen schließlich zu einem meist nicht freiwillig erfolgenden Rückzug aus dem Arbeitsmarkt.

II.      Empirisches Vorgehen

Vor dem skizzierten Hintergrund richtete sich der Forschungsauftrag der Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes auf das Zusammenspiel von sozialpsychologischen, institutionellen und verfahrensbedingten Barrieren, auf die (erwachsene) Menschen mit Behinderungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt und in der Arbeitswelt treffen. Ein besonderes Augenmerk lag auf erlebten Formen von Stigmatisierung und Diskriminierung und ihren Rückwirkungen auf das Verhalten bei Bewerbungen und im betrieblichen Alltag sowie auf den Reaktionen der anderen Akteure. Im Forschungsdesign der qualitativ angelegten Studie wurden typische Problemkonstellationen und zentrale Akteure im Feld berücksichtigt, jedoch keine statistische Repräsentativität angestrebt. Die Erhebung umfasste problemzentrierte Interviews mit relevanten Akteuren in Betrieben, Industrie- und Handelskammern (IHK) und Unternehmerverbänden, Experteninterviews mit Fachkräften der Beratungs- und Vermittlungsdienste sowie narrativ-episodische Interviews mit Menschen mit Behinderungen bzw. chronischen Erkrankungen; zusätzlich wurde jeweils eine Focusgruppe mit behinderten Menschen, mit Unternehmensvertretern und Fachleuten aus dem Versorgungssystem durchgeführt. Insgesamt wurden zehn Unternehmen befragt, die die Beschäftigungsquote erfüllt, deutlich übererfüllt oder bereits eine Auszeichnung für ihr Engagement erhalten hatten sowie fünf Betriebe mit einer unterdurchschnittlichen Beschäftigungsquote – insgesamt 33 problemzentrierte Interviews. Die Gespräche in kleinen, mittleren und Großunternehmen bzw. großen Verwaltungen wurden mit Personalverantwortlichen, Betriebsräten, Schwerbehindertenvertretungen sowie mit nicht behinderten Arbeitskollegen_innen geführt. Mit erwerbslosen, in Betrieben sowie in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) beschäftigten Menschen gab es 18 Gespräche über ihre Erfahrungen bei der Stellensuche, mit dem Vermittlungssystem und im betrieblichen Arbeitsalltag.

III.    Zentrale Ergebnisse

1.      Generelle Tendenzen

Unsere Studie konnte viele in der Fachwelt und aus Studien bereits bekannte Sachverhalte und praktische Erfahrungen bestätigen; die Resultate konvergieren in zentralen Punkten mit der Zustandsbeschreibung im Teilhabebericht der Bundesregierung. Sie differenzieren und erweitern diese Ergebnisse erstens durch die subjektiven Sichtweisen, Bewertungen und Kommentare der befragten Personen; zweitens verdeutlichen sie das Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Untersuchungsebenen und lenken damit die Aufmerksamkeit auf fatale Regelkreise zwischen Vorurteilskomplexen, mangelnder Information, individuellen Handlungsdispositionen auf der einen und als nur schwer veränderbar eingeschätzten strukturellen Verfestigungen in der Arbeitswelt auf der anderen Seite. Und sie verweisen drittens auf verfahrensbedingte Mängel und Koordinationsprobleme innerhalb des unübersichtlichen Systems der beruflichen Rehabilitation, auf zu viele Beteiligte statt einer nahtlosen Beratung, Vermittlung, Begleitung, Krisenintervention und Nachsorge aus einer Hand und auf die Vielzahl von – untereinander kaum vergleichbaren, wenig aufeinander abgestimmten, überbürokratisierten und auch wenig auf ihre spezifische Wirksamkeit hin untersuchten – Maßnahmen zur beruflichen (Wieder-)Eingliederung. Viertens wurde die zentrale Bedeutung einer Teilhabe am Arbeitsleben für materielle Sicherheit, Unabhängigkeit von staatlicher Dauerunterstützung und den damit verbundenen Kontrollen und Stigmatisierungsrisiken, für soziale Anerkennung und Status, für Selbstwert, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und Selbständigkeit sowie soziale Einbindung in modernen Arbeitsgesellschaften auch in unserer Studie einmal mehr eindrücklich bestätigt. Darin kommen Wünsche nach Zugehörigkeit („Teil-Sein“ als eine wichtige Dimension von Partizipation) und gesellschaftlicher Anerkennung zum Ausdruck. Dies hat der Sozialpsychiater Klaus Dörner so zusammengefasst: „Jeder Mensch will notwendig sein“ (1995).

2.      Stigmatisierung und Diskriminierung in der Arbeitswelt: strukturelle und sozialpsychologische Aspekte

Viele Menschen mit Behinderungen erleben sich in Bewerbungssituationen oft wie vor einer unsichtbaren Glaswand. Sie berichten von dem Gefühl, bereits im Vorfeld aussortiert zu werden; wenn es schließlich doch noch zu einem Bewerbungsgespräch kommt, treffen sie zwar meist auf zugewandte Gesprächspartner_innen, die freundliches Interesse äußern, die Behinderung taktvoll übergehen und sich korrekt verhalten. Dennoch erhalten Menschen mit chronischen Krankheiten und nicht sichtbaren Behinderungen trotz oft guter Qualifikation immer wieder Absagen, die sie selbst auf ihre Behinderung zurückführen. Diese Erfahrung vergeblicher Bewerbungen wirkt ihrerseits auf das Bewerbungsverhalten zurück: für einige Befragte erscheint dann die WfbM, das Verbleiben im SGB II-Bezug oder die EM-Rente als Alternative. Einige der befragten Werkstattmitarbeiter_innen, fühlen sich den Anforderungen der modernen Arbeitswelt, wie Zeitdruck, Erwartung an Stresstoleranz, Eigenaktivität, Entscheidungsfreude und Flexibilität nicht gewachsen und kehren nach gescheiterten Versuchen auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt in die Werkstatt zurück oder ziehen von Anfang an den Verbleib in der als Schonraum erlebten WfbM vor.

Die mangelnde Bereitschaft schwerbehinderte Arbeitnehmer_innen einzustellen geht nach unseren Ergebnissen vor allem auf mentale Barrieren wie z. B. Vorurteile bei vielen Arbeitgebern hinsichtlich der Leistungs- und Anpassungsfähigkeit beeinträchtigter Menschen zurück sowie auf Befürchtungen hinsichtlich mangelnder Leistungskonstanz, häufiger Ausfallzeiten und Ängste vor den bürokratischen Prozeduren bei der Kündigung schwerbehinderter Arbeitnehmer_innen. Hinzu kommen fehlende Kenntnisse und Erfahrungen über die vielgestaltigen Einsatzmöglichkeiten gesundheitlich beeinträchtigter bzw. behinderter Menschen in den Unternehmen; das führt auch dazu, dass betriebliche Möglichkeiten – etwa Geländepflege durch Menschen mit einer Lernbehinderung anstelle einer Auslagerung an Fremdfirmen – gar nicht erst gesehen werden. Die positiven Erfahrungen, die viele Unternehmen mit der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen machen, wie etwa hohe Motivation und Verbesserung des Arbeitsklimas, haben sich bislang nicht generell in der Welt der Unternehmen durchgesetzt; während hier der öffentliche Dienst und einige, vor allem große und mittlere Unternehmen bereits eine Reihe vorbildlicher Modelle entwickelt haben (vgl. Unternehmensforum für mehr Integration behinderter Menschen in der Wirtschaft: www.unternehmensforum.org/[8]), ist dies bei vielen kleinen Betrieben bis auf bemerkenswerte Einzelfälle noch nicht angekommen. Unternehmen, die bereits Menschen mit Behinderungen beschäftigen, profitieren von dieser Erfahrung: Die Unternehmenskultur verändert sich und die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen erhöht die Sensibilität der Mitarbeiter_innen für den Umgang miteinander, nicht nur mit den behinderten Beschäftigten. Diese positiven Erfahrungen zeigen, dass eine erfolgreiche Eingliederung nicht nur gelingen, sondern sich auch jenseits einer rein ökonomischen Sichtweise als „weicher“ Erfolgsfaktor für die Entwicklung einer modernen Unternehmenskultur „lohnen“ kann. Diese Ergebnisse sind ermutigend; gleichwohl verweist die Summe der hier kurz referierten Teilergebnisse auf den erheblichen Handlungsbedarf im Bereich der Arbeitsmarktinklusion von Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen.[9]

IV.    Handlungsempfehlungen

Auf der Basis der vorhandenen Literaturanalyse und unserer eigenen Erhebungen haben wir spezielle Handlungsempfehlungen für die verschiedenen Handlungsbereiche und Akteursebenen entwickelt:

Handlungsempfehlungen für die Politik
  • Entwicklung eines Index of Inclusion für die Arbeitswelt, der verbindliche Standards in Übereinstimmung mit der UN-BRK für Unternehmen und das Vermittlungssystem formuliert und neben quantitativen (Erwerbs- und Erwerbslosenquoten, Pflichtbeschäftigungsquote etc.) auch qualitative Indikatoren (z. B. Tätigkeitsbereiche, Art der Beschäftigungsverhältnisse etc.) enthält und ein Monitoring ermöglicht;
  • Stärkere Aufmerksamkeit für die Gruppe der Menschen mit nicht-sichtbaren Behinderungen und chronischen Erkrankungen, insbesondere auch für seelischen Erkrankungen;
  • Einstellungsänderungen und positive Modelle nicht allein durch einmalige Anerkennung (Integrationspreise) fördern, sondern mit Hilfe gezielter Anreiz­steuerung die Einstellung von Menschen mit einer Behinderung oder einer langfristigen Erkrankung unterstützen und die positiven Erfahrungen mit gelungenen Kontakten zwischen Arbeitnehmer_innen mit einer Behinderung oder einer chronischen Krankheit und der nicht-behinderten Belegschaft zum Abbau von Vorurteilen nutzen;
  • Verbesserte Information über die Einsatzmöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen durch beschäftige Menschen mit einer Behinderung, die für andere Betriebe als „Botschafter_innen“ fungieren können;
  • Verbesserte und erweiterte Information der Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten über ihre besonderen Rechte im Arbeitsleben und gezieltes Empowerment durch Beratung und peer-counseling zur Wahrnehmung ihrer Rechte und Hinweise auf Handlungsmöglichkeiten bei Diskriminierung und zum Verhalten bei Einstellungsgesprächen und bei betriebsinternen Konflikten;
  • Doppelstrategie zur Verbesserung der Erwerbsbeteiligung von Menschen mit einer Behinderung: finanzielle Belohnung der tariflichen Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen auf Dauerstellen (Anreizsteuerung) und parallel dazu eine spürbare Erhöhung der Ausgleichsabgabe für nicht besetzte Pflichtarbeitsplätze für Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf.
Handlungsempfehlungen für Unternehmen
  • Verbesserte Information über die Einsatzmöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen. Vor der Auslagerung von Tätigkeiten an Fremdfirmen überprüfen, ob die entsprechenden Tätigkeiten auch durch Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen durchgeführt werden können;
  • Aktive Suche nach Einsatzmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen mit Hilfe der zuständigen Fachdienste, des Integrationsamts und der Integrationsfachdienste.
  • Verstärkte Nutzung der anonymisierten Bewerbungen, um die Chance auf Einladung zu Vorstellungsgesprächen zu erhöhen und den Bewerber_innen die Möglichkeit zur Darstellung ihrer Motivation und ihrer Fähigkeiten zu geben sowie die besonderen Vorkehrungen für eine Beschäftigung mit einer Beeinträchtigung erläutern zu können;
  • Umstellung der Sichtweise von Defiziten auf Fähigkeiten und besondere Qualitäten behinderter/chronisch kranker Arbeitskräfte mit der zentralen Botschaft: Behinderung und Beeinträchtigung bedeutet nicht automatisch eine geringere Arbeits- oder Leistungsfähigkeit.
Handlungsempfehlungen für das Versorgungssystem
  • Verbesserte Information über Eingliederungshilfen für Menschen mit Behinderungen, insbesondere auch über bislang wenig genutzte wie Unterstützte Beschäftigung, Arbeitsassistenz oder persönliches Budget für Arbeit – auch in Leichter Sprache.
  • Mehr direkte Beratung der Unternehmen und insbesondere auch der aus unserer Erhebung teilweise unzureichend informierten Schwerbehindertenvertretungen vor Ort unter aktiver Einbeziehung der bereits beschäftigten Schwerbehinderten;
  • Förderung eines Disability Managements aus einer Hand mit verlässlichen Ansprechpartner_innen, die den Betrieben und den Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen auch nach der Eingliederungsphase bei Bedarf zur Verfügung stehen, da eine Vielzahl von Problemen gerade bei den Übergängen aus Erwerbslosigkeit oder nach einer Rehabilitation in die Beschäftigung sichtbar werden;
  • Reduzierung der Sonderwelten der Werkstätten für Menschen mit Behinderung durch innovative Modelle, Vermeidung von Fehlplatzierungen, Unterstützung bei der Transformation von Bereichen der Werkstätten für Behinderte Menschen in Integrationsbetriebe nach § 132 ff. SGB IX, verstärkte Bemühungen zum Übergang von Werkstattbeschäftigten auf den Allgemeinen Arbeitsmarkt durch gezielte Eingliederungsprogramme (wie etwa in Rheinland-Pfalz[10] oder in Hamburg).
Empfehlungen für die Zielgruppen
  • Ermutigung, sich bei Bewerbungen nicht „unter Wert“ zu verkaufen und die Voraussetzungen für eine Beschäftigung mit der jeweiligen Beeinträchtigung klar zu benennen.
  • Ermutigung zu einem offenen Umgang mit der Beeinträchtigung; dies wird allerdings von vielen Betroffenen – vor allem von denjenigen mit seelischen Behinderungen – kritisch gesehen. Hier geht es mittelfristig darum, durch geeignete und zielgruppenspezifische Aufklärung für die besonderen Belange von Menschen mit Behinderungen eine veränderte gesellschaftliche Kultur des Umgangs mit Diversität zu entwickeln und – mit Blick auf psychische Krankheiten – Personalverantwortlichen, Betriebsräten und Schwerbehindertenvertretungen konkrete Hilfestellungen für den Umgang mit psychisch beeinträchtigten Mitarbeiter_innen an die Hand zu geben.

Beitrag von Prof. Dr. phil. Ernst von Kardorff & Dr. Heike Ohlbrecht, Humboldt-Universität zu Berlin

Fußnoten:

[1] BMAS (Hrsg.)(2013): Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslage beeinträchtigter Menschen. Bonn: BMAS.

[2] Zur Evaluation des BGG siehe: www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Thema-Teilhabe/bgg-evaluation-uni-kassel-2014.pdf.

[3] Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes (2013): Diskriminierung im Bildungsbereich und im Arbeitsleben. Berlin: ADS.

[4] Schnell, R. & Stubbra, V. (2010): Datengrundlagen zur Erwerbsbeteiligung von Menschen mit Behinderungen in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin: bmbf.

[5] Bundesagentur für Arbeit (2014): Analyse des Arbeitsmarktes für schwerbehinderte Menschen. Nürnberg: (BA).

[6] Gehrmann, M. (2015): Betriebe auf der Grenze. Frankfurt a. M.: Campus.

[7] Abrufbar unter: www.deutsche-rentenversicherung.de/Allgemein/de/Inhalt/6_Wir_ueber_uns/03_fakten_und_zahlen/04_reha_jahresberichte/downloads_reha_jahresberichte/reha_bericht_update_2014.pdf.

[8] Vgl. Grote: Inklusion in der Schule – und dann? !nkA – ein Beispiel für einen gleichberechtigten Zugang zur dualen Berufsausbildung von Jugendlichen mit und ohne Behinderung, Forum D, Beitrag D15-2015 unter www.reha-recht.de; 13.05.2015.

[9] Vgl. von Kardorff, Ohlbrecht & Schmidt 2013; www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Zugang_zum_Arbeitsmarkt_Expertise.html).

[10] Siehe z.B.: Nebe/Waldenburger: Überlegungen zu einem Budget für Arbeit (BfA); Forum D, Beitrag D26-2014 unter www.reha-recht.de; 12.12.2014.


Stichwörter:

Berufliche Rehabilitation, Berufliche Teilhabe, Bewusstseinsbildung, Diskriminierung bei Einstellung, Inklusion, Inklusive Beschäftigung, UN-BRK, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, Bundesagentur für Arbeit (BA)


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