28.11.2017 D: Konzepte und Politik Rosenow: Beitrag D52-2017

Kosten der Unterkunft in stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe – Zu § 42a Abs. 6 Satz 2 SGB XII in der Fassung des BTHG

Der Autor Roland Rosenow beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der vom Bundesteilhabegesetz (BTHG) vorgenommenen Trennung von behinderungsbedingten Fachleistungen der Eingliederungshilfe und existenzsichernden, wirtschaftlichen Leistungen der Sozialhilfe und den damit einhergehenden Auswirkungen auf stationäre Einrichtungen der Eingliederungshilfe.

Zunächst skizziert Rosenow die alte und neue Rechtslage zu Kosten der Unterkunft in Einrichtungen der Eingliederungshilfe und diskutiert Änderungen im Erfüllungsverhältnis zwischen Leistungsberechtigtem und Leistungserbringer, das durch das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz geprägt ist. Im zweiten thematischen Abschnitt des Beitrags stellt der Autor drei mögliche Auslegungen von § 42a Abs. 5 und 6 SGB XII in der ab 01.01.2020 gültigen Fassung vor. Die Regelung beschäftigt sich mit Finanzierungsfragen von  Bedarfen für Unterkunft und Heizung in stationären Wohnformen und der Frage, welcher Träger für die Finanzierung von Angemessenheitsgrenzen überschreitende Leistungen zuständig ist.

(Zitiervorschlag: Rosenow: Kosten der Unterkunft in stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe – Zu § 42a Abs. 6 Satz 2 § 42a SGB XII i. d. F. BTHG; Beitrag D52-2017 unter www.reha-recht.de, 28.11.2017)

I. Einleitung

Die zukünftige Eingliederungshilfe nach dem neuen 2. Teil des SGB IX ab 01.01.2020 wird nur noch die sog. Fachleistung umfassen. Das gilt bereits heute für ambulante Leistungen. Stationäre Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem 6. Kap. des SGB XII umfassen dagegen auch die Sicherung des Lebensunterhalts (§ 27b Abs. 1 SGB XII). Bei Bedürftigkeit erhalten Bewohnerinnen und Bewohner von stationären Einrichtungen künftig neben der Eingliederungshilfe Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII, zumeist nach dem 4. Kap. des SGB XII.

In Bezug auf die Kosten der Unterkunft (KdU) wirft die Trennung der Leistungen besondere Schwierigkeiten auf, weil die im Rahmen der Leistungen nach dem SGB XII berücksichtigungsfähigen Kosten durch § 42a Abs. 5 SGB XII begrenzt sind. Diese Vorschrift greift die fiktive Zuordnung eines Anteils der Heimkosten, die das SGB XII vornimmt (§ 42 Abs. 1 Nr. 4 SGB XII), auf. Danach wird der Durchschnittsbetrag der nach § 35 SGB XII angemessenen KdU von Ein-Personenhaushalten ermittelt. Das bedeutet: Der Sozialhilfeträger führt eine Statistik über die KdU von Ein-Personenhaushalten, die Grundsicherungsleistungen beziehen. Die Datensätze mit Kosten, die die vom Sozialhilfeträger festgesetzte abstrakte Angemessenheitsgrenze übersteigen, werden herausgenommen. Es verbleibt ein Datensatz mit KdU unterhalb der „Mietobergrenze“ von Ein-Personen-Haushalten, die Grundsicherungsleistungen beziehen. Alle KdU dieses Datensatzes liegen folglich bei der Angemessenheitsgrenze oder darunter. Das gilt unabhängig davon, ob diese Grenze rechtmäßig ermittelt worden ist. Von diesen Daten wird das arithmetische Mittel errechnet. Dabei werden die Heizkosten addiert. Es handelt sich also um den Mittelwert aus dem o. g. Datensatz aus den Bruttowarmmieten. Dieser Wert muss notwendig unter der Angemessenheitsgrenze liegen, weil Mieten oberhalb dieser Grenze aus der Grundgesamtheit ausgeschlossen werden.

Dieser Mittelwert ist nach § 42a Abs. 5 SGB XII i. d. F. BTHG der höchstens angemessene Wert für die KdU in Einrichtungen. Wenn die Kosten höher sind, kann (Ermessen) der Wert um 25% angehoben werden. Der so errechnete Wert ist dann identisch mit der Summe der Angemessenheitsgrenze nach § 35 SGB XII und der nach diesen Vorschriften angemessenen Heizkosten (= Bruttowarm-Mietobergrenze für Ein-Personen-Haushalte), wenn das arithmetische Mittel der angemessenen Bruttowarm-KdU von Ein-Personenhaushalten das 0,8fache der Bruttowarm-Mietobergrenze beträgt.

II. Inhalt der Fachleistung/Abgrenzung zur Existenzsicherung

Die Eingliederungshilfe nach dem SGB XII ordnete mit §§ 27b, 42 Abs. 1 Nr. 4 SGB XII einen Teil der Leistungen in stationären Einrichtungen fiktiv der Grundsicherung zu.[1] Die künftige Eingliederungshilfe nach dem zweiten Teil des SGB IX nimmt eine solche Zuordnung nicht vor, sondern löst die wirtschaftliche Grundsicherung aus der Eingliederungshilfe heraus. Leistungen der Eingliederungshilfe sind deshalb ab 01.01.2020 nur noch diejenigen Leistungen, die aus behinderungsbedingten Bedarfen resultieren (Fachleistung).

III. Kosten der Unterkunft in Einrichtungen („Wohnformen“ nach § 42a Abs. 2 Nr. 2 SGB XII i. d. F. BTHG)

Der Gesetzgeber hat den Anspruch auf Leistungen für die Unterkunft in § 42a Abs. 5 SGB XII begrenzt. Im Recht der wirtschaftlichen Grundsicherung ist ansonsten (§ 22 Abs. 1 SGB II, § 35 Abs. 1 SGB XII) über die Angemessenheit von Unterkunftskosten grundsätzlich im Einzelfall zu entscheiden. Aufwendungen für die Unterkunft, die die abstrakte Angemessenheitsgrenze, die die Kommunen festlegen[2], übersteigen, sind u. a. dann im Einzelfall als angemessen anzuerkennen (konkrete Angemessenheitsgrenze), wenn die höheren Kosten durch eine Behinderung bedingt sind. Die Regelungen für Menschen, die in stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe leben (Wohnformen nach § 42a Abs. 2 Nr. 2 SGB XII i. d. F. BTHG), sehen dagegen keine konkrete Angemessenheitsgrenze, mit der behinderungsbedingte Bedarfe Berücksichtigung finden könnten, vor. Damit hat der Gesetzgeber die Entscheidung getroffen, dass durch eine Behinderung oder andere Faktoren bedingte Abweichungen der Kosten für die Unterkunft von den Angemessenheitsgrenzen, die in der Praxis von den Kommunen festgelegt werden, den Leistungen der Eingliederungshilfe und damit der Fachleistung zuzuordnen sind. Das ergibt sich zwar aus der kompensatorischen Regelung des § 42a Abs. 6 SGB XII i. d. F. BTHG, müsste aber auch ohne diese Regelung so gesehen werden. Denn der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen verpflichtet, das soziokulturelle Existenzminimum nachvollziehbar zu bestimmen.[3] Das schließt die KdU ein. Ob die diesbezüglichen Regelungen des SGB II und des SGB XII diesen Anforderungen genügen, ist umstritten.[4] Eine Regelung wie § 42a Abs. 5 SGB XII, die den Anspruch auf Leistungen zur Deckung der KdU begrenzt, ohne auch nur den Anspruch zu erheben, dass diese Leistungen ausreichend seien, um das soziokulturelle Existenzminimum zu decken, wäre ohne jeden Zweifel verfassungswidrig. Bereits deshalb folgt aus der starren Regelung des § 42a Abs. 5 SGB XII, dass Kosten, die den Höchstbetrag übersteigen, als Leistungen der Eingliederungshilfe zu bewilligen sind. Eben das normiert § 42a Abs. 6 S. 2 SGB XII.

IV. Verträge zwischen Bewohnern und Bewohnerinnen von stationären Einrichtung der Behindertenhilfe („Wohnformen“) und Leistungserbringern

Diskutiert wird die Frage, ob für die Verträge zwischen Bewohnerinnen und Bewohnern von stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe (Fälle des § 71 Abs. 4 SGB XI) das Wohnungsmietrecht des BGB oder das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) gilt. Diese Frage dürfte in aller Regel eindeutig zu beantworten sein. Gemäß § 1 WBVG ist das WBVG zwingend anzuwenden, wenn die Betreuungsleistungen und das Wohnen miteinander verbunden sind. In stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe dürfte es in aller Regel unausweichlich sein, beides vertraglich miteinander zu verbinden. Damit wird das WBVG in aller Regel gelten. Der Gesetzgeber des BTHG hat durch die Ergänzung in § 15 WBVG (§ 15 Abs. 3 WBVG i. d. F. BTHG) klargestellt, dass auch er davon ausgeht, dass das WBVG künftig für die Wohnformen nach § 42 a Abs. 2 Nr. 2 SGB XII relevant ist.

Die Entsprechung des WBVG-Vertrages zur Leistungsvereinbarung nach § 125 Abs. 2 SGB IX i. d. F. BTHG kann sich allerdings nur auf die Fachleistung erstrecken, weil das Wohnen mindestens teilweise (siehe unten) nicht mehr Gegenstand der Leistungsvereinbarung sein wird. Es wäre zwar möglich, für Wohnen und Fachleistung separate WVBG-Verträge zu schließen. Das hätte jedoch zur Folge, dass Leistungserbringer den Vertrag über die Überlassung von Wohnraum nur unter den Voraussetzungen des § 12 Abs. 5 WBVG kündigen könnten, wenn der Bewohner den Vertrag über die Fachleistung kündigt. Die Übernahme eines solchen Risikos kann von den Leistungserbringern nicht erwartet werden. Damit wird für stationäre Einrichtungen (die nicht mehr so heißen, aber in § 71 Abs. 4 SGB XI indirekt genannt werden) künftig dasselbe gelten, was heute schon für ambulante Versorgungssituationen gilt, die unter das WBVG fallen.

Kosten der Unterkunft im Grundsicherungsrecht sind die Kosten, die für die Unterkunft aufzuwenden sind. Im Regelfall einer Mietwohnung ist das die Bruttowarmmiete. Die Kosten der Unterkunft in einer stationären Einrichtung können wohl nur Kosten des (einheitlichen) WBVG-Vertrages sein. Es erscheint daher sinnvoll, die WBVG-Verträge künftig umzustellen und die Aufwendungen für die Unterkunft in den Verträgen separat auszuweisen. Dabei ist zunächst § 7 Abs. 1 WBVG zu beachten. Nach dieser Vorschrift ist der Unternehmer verpflichtet, den Wohnraum in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen und während der Nutzung in diesem Zustand zu erhalten. Diese Verpflichtung geht über die Verpflichtungen eines Vermieters im Wohnungsmietrecht weit hinaus. Nach § 7 Abs. 2 WBVG ist der Bewohner verpflichtet, das Entgelt zu zahlen, „soweit dieses insgesamt und nach seinen Bestandteilen im Verhältnis zu den Leistungen“ angemessen ist. Das Entgelt ist darüber hinaus nach einheitlichen Grundsätzen zu bemessen (§ 7 Abs. 3 WBVG). Differenzierungen sind nur in den Fällen des § 7 Abs. 3 Sätze 2 und 3 WBVG zulässig.

Nach § 7 Abs. 2 Sätze 2 und 3 WBVG gilt in Fällen, in denen der Sozialhilfeträger oder die Pflegeversicherung einen Teil der Kosten übernimmt, das Entgelt als vereinbart und angemessen, das in den Vergütungsvereinbarungen mit dem Sozialhilfeträger oder der Pflegeversicherung festgelegt ist.

Der Gesetzgeber des BTHG hat davon abgesehen, die Vergütungsvereinbarungen nach § 125 Abs. 3 SGB IX n. F. in diese Regelung einzubeziehen. Die Gesetzesbegründung der Bundesregierung lässt nicht erkennen, aus welchen Gründen das WBVG nur in § 15, nicht jedoch in § 7 Abs. 2 ergänzt wurde.

Für Änderungen der Unterkunftskosten ist damit § 9 WBVG maßgeblich, das Verfahren zur Entgeltanpassung im Verhältnis zum Bewohner/zur Bewohnerin. Die Vorschrift ist seit dem BGH-Urteil 12.05.2016 (III ZR 279/15) in stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe (und der Pflege) ohnehin immer anzuwenden – also auch dann, wenn das Entgelt mit dem Träger der Eingliederungshilfe oder der Pflegekasse verhandelt wird.

Im Ergebnis: Die Aufwendungen für die Unterkunft, die Bewohnerinnen und Bewohner von stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe künftig aufzubringen haben werden, werden durch den zivilrechtlichen Vertrag zwischen Einrichtung und Bewohner/in konstituiert.

Im Zuge der Umstellung auf das BTHG wird möglicherweise gleichzeitig eine Entgeltanpassung erfolgen. Dies würde bedeuten, dass bereits die Umstellung der WBVG-Verträge im Rahmen eines Entgeltanpassungsverfahrens nach § 9 WBVG erfolgen wird. Alle künftigen Umstellungen werden sich ebenfalls nach dieser Vorschrift richten müssen.

Wenn die Aufwendungen für die Unterkunft, die sich nach dieser Maßgabe aus den WBVG-Verträgen ergeben werden, entweder die Angemessenheitsgrenze oder die Angemessenheitsgrenze zuzüglich des 25-prozentigen Zuschlags unterschreiten, dürfte kein Zweifel daran bestehen, dass diese Kosten im Rahmen der Grundsicherung vom Sozialhilfeträger zu übernehmen sein werden. Überschreiten die KdU diesen Betrag, ist § 42a Abs. 6 SGB XII i. d. F. BTHG anzuwenden. Diese Vorschrift ist jedoch so unklar, dass sich unterschiedliche Möglichkeiten der Auslegung ergeben.

V. Möglichkeiten der Interpretation von § 42a Abs. 5, Abs. 6 SGB XII i. d. F. BTHG ab 01.01.2020

1. Pauschalierung der KdU

Vor dem Hintergrund der Vorgängervorschrift in § 42 Abs. 1 Nr. 4 SGB XII spricht einiges dafür, § 42a Abs. 5 SGB XII i. d. F. BTHG dahingehend auszulegen, dass hier (wie bislang) eine fiktive Zuordnung eines Teils der Heimkosten zu den KdU, die im Rahmen der Grundsicherung vom Sozialhilfeträger zu übernehmen sind, vorgenommen wurde. Dafür spricht, dass der Betrag aus der Vorgängervorschrift übernommen wurde (historische Auslegung). Dafür spricht auch, dass der Gesetzgeber davon abgesehen hat, ein transparentes und plausibles Verfahren durchzuführen, um den grundsicherungsrechtlichen Bedarf zu bestimmen, wozu er an und für sich verpflichtet wäre (BVerfG, 09.02.2010, 1 BvL 1/09, verfassungskonforme Auslegung). Stattdessen hat er den Anteil der Heimkosten, der als KdU zu betrachten ist, mit § 42a Abs. 5 SGB XII normativ bestimmt. Dies könnte man so auslegen, dass normativ festgelegt ist, in welchem Umfang die Heimkosten der Grundsicherung zuzuordnen sind. Dagegen spricht allerdings, dass § 42a Abs. 5 SGB XII ausdrücklich von „tatsächlichen Aufwendungen“ spricht – also von den im Einzelfall vertraglich geschuldeten Aufwendungen. Dieser Widerspruch wäre wohl nur zu lösen, wenn sichergestellt wäre, dass vertraglich jeweils die Kosten geschuldet würden, die durch § 42a Abs. 5 SGB XII normativ vorgegeben sind. Auch die Ermessensregelung des § 42a Abs. 5 Satz 4 SGB XII spricht allerdings gegen diese Auslegung.

Der Begriff der „tatsächlichen Aufwendungen“ bezieht sich nicht etwa auf irgendwie zu ermittelnde Daten (etwa betriebswirtschaftliche Daten der Einrichtung), sondern auf die Kosten, die der Bewohner einer Einrichtung aus dem WBVG-Vertrag schuldet. Die Tatsache, die hier gemeint ist, ist ein vertragliches Verhältnis, keine architektonische oder betriebswirtschaftliche Tatsache. Dies ergibt sich aus der Systematik des Grundsicherungsrechtes des SGB II und des SGB XII. Danach sind Kosten der Unterkunft die Kosten, die der Hilfeberechtigte aus vertraglichen oder öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen für die Unterkunft schuldet. Der Gedanke, dass der Gesetzgeber mit § 42a Abs. 5 Satz 3 SGB XII eine normative Pauschalierung vorgenommen hat, könnte deshalb dazu führen, dass in den WBVG-Verträgen der Teil der Kosten, der als angemessen anerkannt ist, den KdU zugeordnet wird. Alternativ könnte man überlegen, die Zuordnung in den WBVG-Verträgen ganz zu unterlassen und in Bezug auf den Anteil, der als Grundsicherung zu betrachten ist, allein auf die normative Zuordnung durch § 42a Abs. 5 Satz 4 SGB XII zu bauen. Allerdings bleibt das Argument, dass die Ermessensregelung des § 42 a Abs. 5 Satz 3 SGB XII dann keinen rechten Sinn ergäbe.

2. Der Anspruch auf ergänzende KdU nach § 42a Abs. 6 Satz 2 SGB XII i. d. F. BTHG als grundsicherungsrechtlicher Anspruch sui generis nach dem SGB XII

Alternativ zur Lösung 1 könnte man vertreten, dass der Anspruch aus § 42 a Abs. 6 Satz 2 SGB XII ein eigenständiger grundsicherungsrechtlicher Anspruch ist, der systematisch im SGB XII zu verorten wäre, sich aber nicht gegen den Träger der Leistungen des SGB XII (Sozialhilfe), sondern ausnahmsweise gegen den Träger der Leistungen nach dem zweiten Teil des SGB IX (Eingliederungshilfe) richtete.

Für diese Variante spricht das Prinzip der Trennung der Leistungen. Die Kosten der Unterkunft sind dann vollständig als Grundsicherungsleistung zu gewähren. Das Prinzip der abstrakten und konkreten Angemessenheitsgrenze wäre grundsätzlich gewahrt. Die Besonderheit läge ausschließlich darin, dass die Differenz zwischen konkreterer und abstrakter Angemessenheitsgrenze – wenn es zu einer solchen Differenz kommt – nicht vom Träger der wirtschaftlichen Grundsicherung, sondern vom Träger der Eingliederungshilfe zu finanzieren wäre.

Dies könnte dazu führen, dass in entsprechenden Fällen drei Verwaltungsakte zu ergehen hätten: Der Eingliederungshilfeträger bewilligt die Fachleistung. Der Grundsicherungsträger bewilligt die Grundsicherung. Der Eingliederungshilfeträger bewilligt darüber hinaus ergänzende KdU als Grundsicherung.

Die ergänzenden KdU wären in diesem Fall nicht als Teil der Fachleistung zu verstehen. Sie unterlägen nicht den Regularien des Vertragsrechtes (8. Kapitel SGB IX zweiter Teil). Der Träger der Eingliederungshilfe könnte die übersteigenden KdU nicht verhandeln, sondern wäre schlicht verpflichtet, sie zu tragen. Eine Begrenzung ergibt sich allerdings aus den vertraglichen Verpflichtungen des Betroffenen. KdU im grundsicherungsrechtlichen Sinne können immer nur solche Kosten sein, die für die Unterkunft tatsächlich geschuldet werden. Was der Berechtigte für die Unterkunft tatsächlich schuldet, ergibt sich i. d. R. aus dem WBVG-Vertrag. Das WBVG lässt eine willkürliche Festsetzung der Kosten nicht zu. Geschuldet sind nur Kosten, die mit einem erfolgreichen Erhöhungsverfahren nach § 9 WBVG durchgesetzt wurden. Die Begrenzung der Leistungsverpflichtung des Eingliederungshilfeträgers ergibt sich dann nicht mehr aus öffentlich-rechtlichen Regeln, denn dort ist eine Grenze nicht normiert. Sie ergibt sich nur indirekt aus den zivilrechtlichen Regelungen des WBVG.

Gegen diese Auffassung könnte der Wortlaut des § 42a Abs. 6 Satz 2 SGB II sprechen. Das Gesetz sagt nicht, dass der Träger der Eingliederungshilfe für diese Kosten zuständig ist, sondern formuliert, dass „die Leistungen nach Teil zwei des Neunten Buches“ im Fall übersteigender KdU „auch diese Aufwendungen umfassen“.

3. Übersteigende KdU als Teil der Fachleistung

Auf den ersten Blick scheint es sich zu verbieten, die die Angemessenheitsgrenze des § 42a Abs. 5 Satz 3 SGB XII übersteigenden KdU als Fachleistung zu behandeln, weil dies mit dem Prinzip der Leistungstrennung nicht vereinbar erscheint. Das Prinzip der Leistungstrennung dominiert zwar die Diskussion um die Umsetzung des BTHG, ist im Gesetz jedoch nicht eindeutig normiert. Der zweite Teil des SGB IX umfasst keine Anspruchsgrundlage für Grundsicherungsleistungen. Das Prinzip der Leistungstrennung ist legislativ nur dadurch umgesetzt, dass der zweite Teil des SGB IX keine § 27b Abs. 1 SGB XII vergleichbare Regelung umfasst. Die Eingliederungshilfe konnte jedoch schon immer auch in Fällen ambulanter Hilfen, in denen § 47 Abs. 1 SGB XII bzw. die Vorgängervorschrift im BSHG nicht anwendbar war, in Form von Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt werden. [5]

Die Formulierung des § 42 a Abs. 6 Satz 2 SGB XII besagt ausdrücklich, dass die Leistungen nach dem zweiten Teil des SGB IX auch die die Angemessenheitsgrenze übersteigenden KdU „umfassen“. Die Leistungen zur sozialen Teilhabe umfassen nach § 113 Abs. 2 SGB IX einen offenen Leistungskatalog („insbesondere“). Sie können damit auch innerhalb der Systematik des zweiten Teils des SGB IX alle Leistungen umfassen, die hier nicht aufgeführt sind.

Eine Subsumtion der „ergänzenden KdU“ nach § 42a Abs. 6 Satz 2 SGB XII unter die Leistungen für Wohnraum nach § 77 SGB IX dürfte ausscheiden, denn nach § 77 Abs. 2 SGB IX sind Aufwendungen oberhalb der Angemessenheitsgrenze nach § 42a SGB XII als Leistungen für Wohnraum gemäß § 77 SGB IX nur zu erstatten, soweit wegen des Umfangs von Assistenzleistungen ein gesteigerter Wohnraumbedarf besteht. In stationären Einrichtungen entstehen Kosten, die die Angemessenheitsgrenze des § 42a Abs. 5 Satz 3 SGB XII übersteigen, typischerweise jedoch nicht wegen des Erfordernisses, Assistenzkräfte unterzubringen, sondern wegen der besonderen baulichen Strukturen (einschließlich der gesetzlichen Rahmenbestimmungen) stationärer Einrichtungen.

Der offene Katalog des § 113 Abs. 2 SGB IX lässt Leistungen zur sozialen Teilhabe für alles, was hier nicht gelistet ist, zu. Dies könnten auch die Angemessenheitsgrenze des § 42a Abs. 5 Satz 3 SGB XII übersteigende Kosten der Unterkunft sein, die nicht für die Unterbringung von Assistenzkräften gebraucht werden, sondern aus anderen Gründen entstehen.

An dieser Stelle kommt die besondere Bedeutung des Leistungsvereinbarungsrechts der neuen Eingliederungshilfe ins Spiel. Wegen § 123 Abs. 1 Satz 1 SGB IX n. F. darf der Träger der Eingliederungshilfe Leistungen in der Regel nur bewilligen, soweit eine schriftliche Vereinbarung nach § 125 Abs. 2 SGB IX n. F. besteht. Dies dürfte auch bei der Auslegung des § 42a Abs. 6 Satz 2 SGB XII i. d. F. BTHG zu berücksichtigen sein. Damit wären für die Angemessenheitsgrenze des § 42 Abs. 5 Satz 3 SGB XII i. d. F. BTHG übersteigende KdU i. d. R. Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen nach § 125 Abs. 2, Abs. 3 SGB IX zu schließen. Das bedeutet, dass der Leistungserbringer einen Anspruch auf Abschluss einer solchen Vereinbarung hat, der wegen der neuen Schiedsstellenfähigkeit der Leistungsvereinbarung mit einer realistischen Durchsetzungsperspektive hinterlegt ist.

Diese dritte Lösung ist im Ergebnis eine Art Kompromiss zwischen den Lösungen 1 und 2. Einerseits betrachtet sie die Vorschrift des § 42a Abs. 5 Satz 3 SGB XII als normative Festsetzung des KdU-Betrages, den die Grundsicherungsträger aufzuwenden haben und der im Rahmen der Grundsicherung zu bewilligen ist. Andererseits berücksichtigt sie, dass das Gesetz die Möglichkeit übersteigender KdU trotz der normativen Pauschalierung vorsieht, ohne die übersteigenden KdU als Grundsicherungsleistung sui generis zu interpretieren. Damit nimmt sie den Wortlaut des § 42 Abs. 6 Satz 2 SGB XII ernst, der besagt, dass im Fall übersteigender KdU die Leistungen nach dem zweiten Teil des SGB IX auch diese übersteigenden KdU umfassen – und der nicht besagt, dass der Träger der Eingliederungshilfe zum ergänzenden Grundsicherungsträger werde. Schließlich wird das oben genannte verfassungsrechtliche Problem gelöst, weil die Berechtigten so einen Anspruch auf bedarfsdeckende Leistungen haben.

Diese Auffassung hätte zur Folge, dass die übersteigenden KdU ab 01.01.2018 – Inkrafttreten des Achten Kapitels des SGB IX zweiter Teil – mit den Trägern der Eingliederungshilfe verhandelt werden können. Das ist auch dann möglich, wenn die Träger der Eingliederungshilfe noch nicht bestimmt sind, weil die Sozialhilfeträger solange als Eingliederungshilfeträger auch für die zukünftige Eingliederungshilfe nach dem zweiten Teil des SGB IX fungieren.[6] Wenn nach drei Monaten keine Einigung zustande gekommen ist, können die Leistung- und Vergütungsvereinbarungen den Schiedsstellen vorgelegt werden. Damit könnte die Frage – wenn sie überhaupt streitig wird – noch im Jahr 2018 den Landessozialgerichten vorgelegt werden, sodass eine realistische Chance besteht, dass zum 01.01.2020 Rechtssicherheit besteht.

Beitrag von Roland Rosenow, Freiburg

Fußnoten

[1] Behrend, Nicola: Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen, SRa 2012, 117–123

[2] Dieser Festlegung liegt keine Ermächtigung zur Umsetzung zu Grunde. Die Kommunen füllen lediglich den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit aus. Dies tun sie auf sehr unterschiedliche Weise, vgl. von Malottki u. a., Ermittlung der existenzsichernden Bedarfe für die Kosten der Unterkunft und Heizung in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), 2017, online unter: http://www.bmas.de/DE/Service/Medien/Publikationen/Forschungsberichte/Forschungsberichte-Arbeitsmarkt/fb478-ermittlung-existenzsicherende-bedarfe.html;jsessionid=864DA5A1EB482D6446C10394D336F3C5 (Abfrage 13.10.2017)

[3] BVerfG, 09.02.2010, 1 BvL 1/09

[4] SG Mainz, 12.12.2014, S 3 AS 130/14

[5] OVG Lüneburg, 24.05.2000, 4 M 3502/99

[6] § 241 Abs. 8 SGB IX i. d. F. des Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Gesetze vom 17.07.2017


Stichwörter:

Unterkunftskosten, Wohneinrichtung der Behindertenhilfe, Reform der Eingliederungshilfe, Grundsicherung, Angemessenheit, Behinderungsbedingter Mehrbedarf, Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (Heimgesetz), Leistungstrennung


Kommentare (3)

  1. Frank Hagenstein
    Frank Hagenstein 20.12.2017
    Guten Tag, Herr Rosenow,

    es ging mir nicht darum, die Frage zu klären, ob die Entscheidungen des BVerfG für die Auslegung des § 42a Abs. 6 Satz 2 SGB XII in der ab dem Jahre 2020 gültigen Fassung eine Rolle spielen, sondern ich wollte darauf aufmerksam machen, dass das BVerfG eine Entscheidung zu dem von Ihnen mit Fußnote 4 genannten Vorlagebeschluss des SG Mainz getroffen hat. Mit der Entscheidung stützten Sie die These, es sei umstritten, ob die Regelungen des SGB II und SGB XII die Sicherstellung des Grundbedürfnisses Wohnen als Teil des notwendigen Lebensunterhalts verfassungsrechtlich hinreichend bestimmen.

    Auch wenn es auf die Begründetheit der Verfassungsbeschwerden mangels Zulässigkeit nicht mehr ankam, hat das BVerfG mit erfreulicher Offenheit eine klare Position eingenommen, wie die Rn. 13, juris, des Nichtannahmebeschlusses vom 10. Oktober 2017 – 1 BvR 617/14 –unterstreicht:

    "Die Verfassungsbeschwerde ist auch im Übrigen nicht zur Entscheidung anzunehmen, da die Rügen hinsichtlich einer Verfassungswidrigkeit der Regelung zur Erstattung der Kosten der Unterkunft und Heizung in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht durchgreifen. Die Vorschrift genügt der aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG folgenden Pflicht des Gesetzgebers, einen konkreten gesetzlichen Anspruch zur Erfüllung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zu schaffen. Es ist verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber keinen Anspruch auf unbegrenzte Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung normiert hat."

    Ich denke, klarer lässt sich das nicht auf den Punkt bringen, weswegen ich schrieb, die Frage "dürfte mittlerweile als geklärt anzusehen sein."

    Betrachten Sie meinen Kommentar deswegen bitte nicht als Kritik zu Ihrem aus meiner Sicht ausgezeichnetem Beitrag, sondern als Hinweis für die Leserschaft darauf, dass das BVerfG in Bezug auf den von Ihnen genannten Vorlagebeschluss des SG Mainz eine Entscheidung getroffen hat.
  2. Roland Rosenow
    Roland Rosenow 19.12.2017
    Zum Kommentar von Frank Hagenstein:
    Für die Frage, wie § 42a Abs. 6 Satz 2 SGB XII in der Fassung, die ab 2020 gilt, auszulegen ist, spielt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes aus mehreren Gründen keine Rolle:

    1. Das BVerfG hat nicht in der Sache entschieden, sondern die Beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die verfassungsrechtliche Frage bleibt damit ungeklärt. Der Beschluss im Verfahren 1 BvR 617/14 ist zwar insofern inkonsequent, als in der Begründung nicht zu Annahmefähigkeit der Beschwerde, sondern zu ihrer Begründetheit ausgeführt wird. Die Kammer des BVerfG hat damit erkennen lassen, dass sie wohl der Auffassung ist, dass die Beschwerde nicht nur nicht annahmefähig, sondern auch nicht begründet war. Dieser Widerspruch mag Anlass für Kritik sein, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das BVerfG in der Sache nicht entschieden hat.

    2. Auch eine Entscheidung in der Sache wäre in Bezug auf die Kappungsgrenze aus § 42a Abs. 5 Satz 3 SGB XII idF 2020 nicht einschlägig, denn das Grundsicherungsrecht kennt gerade keine Kappungsgrenze für Kosten der Unterkunft. Die Angemessenheit von Kosten der Unterkunft ist vielmehr stets im Einzelfall zu bestimmen. Darauf weist die Kammer des BVerfG auch ausdrücklich hin (Rn. 16). § 42a Abs. 5 Satz 3 SGB XII idF 2020 dürfte daher auch mit der verfassungsrechtlichen Einschätzung, die die Begründung des Beschlusses zum AZ 1 BvR 617/14 erkennen lässt, gerade nicht im Einklang stehen.

    3. Für die Frage, die der Beitrag zum Thema hat (Auslegung von § 42a Abs. 6 Satz 2 SGB XII), kommt es darauf schließlich nicht an, denn mit § 42a Abs. 6 Satz 2 SGB XII idF 2020 hat der Gesetzgeber einen Anspruch auf Leistungen geschaffen, mit denen die Kosten der Unterkunft, die die Kappungsgrenze des § 42a Abs. 5 Satz 3 SGB XII idF 2020 übersteigen, gedeckt werden können.
  3. Frank Hagenstein
    Frank Hagenstein 19.12.2017
    Eine Anmerkung zu folgender Aussage:

    "Denn der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen verpflichtet, das soziokulturelle Existenzminimum nachvollziehbar zu bestimmen. Das schließt die KdU ein. Ob die diesbezüglichen Regelungen des SGB II und des SGB XII diesen Anforderungen genügen, ist umstritten."

    Die Frage dürfte mittlerweile als geklärt anzusehen sein. Die Regelungen des SGB II und SGB XII verwenden den unbestimmten Rechtbegriff der Angemessenheit (§§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II; 35 Abs. 2 S. 1 SGB XII). Das BVerfG hat entschieden, dass der Gesetzgeber diese Begriffe verwenden durfte:

    "Die Begrenzung der Übernahme von Kosten der Unterkunft und Heizung durch das Tatbestandsmerkmal der Angemessenheit lässt sich durch Auslegung hinreichend konkretisieren. Aus § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II folgt, dass für die Angemessenheit die Umstände des Einzelfalls maßgeblich sind. Es ist also der konkrete Bedarf der Leistungsberechtigten einzelfallbezogen zu ermitteln.“

    BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. Oktober
    2017 - 1 BvR 617/14 - Rn. 16, http://www.bverfg.de/e/rk20171010_1bvr061714.html


    Darüber hinaus sind die Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse des Sozialgerichts Mainz vom 12. Dezember 2014 - S 3 AS 130/14 und S 3 AS 370/14 - unzulässig, entschied das BVerfG:
    bundesverfassungsgericht.de/Sh…k20171006_1bvl000215.html

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