07.12.2016 D: Konzepte und Politik Wansing: Beitrag D59-2016

Peer Counseling – Eine unabhängige Beratungsform von und für Menschen mit Beeinträchtigungen – Teil 2: Wirkfaktoren und Gelingensbedingungen

In dem zweiten Teil ihres Beitrags stellt Gudrun Wansing die untersuchten Modellprojekte und ausgewählte Ergebnisse der Evaluationsstudie zu Peer Counseling-Anlaufstellen und Beratungsangeboten im Rheinland vor. Im Rahmen der Evaluationsstudie wird die Umsetzung des Peer Counseling in zehn Anlauf- und Beratungsstellen im Rheinland untersucht, welche sich vor allem an Menschen mit kognitiven, körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen richten.

Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen u. a. Fragen der Umsetzung, Zielgruppen, Ergebnisse und Einflussfaktoren auf die Beratung, aus denen entsprechende Handlungsempfehlungen für die Praxis abgeleitet werden sollen.

Aus dem im Mai 2016 vorgelegten, zweiten Zwischenbericht gehen bereits entsprechende Hinweise für eine teilhabeorientierte Ausgestaltung der Beratung hervor: Um ein breites Spektrum an spezifischem Experten- und Erfahrungswissen anbieten zu können, solle hierbei in erster Linie eine strukturelle Vielfalt der Träger gefördert werden. Berücksichtigend, dass Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Art der Erkrankung und/oder Beeinträchtigung ein wichtiger Stellenwert in der Beratung zukomme, sei eine entsprechende Vielfalt und Verschiedenheit ebenso im Hinblick auf die Peer Counselor geboten. Von zentraler Bedeutung sei neben einem Zugang zu Qualifizierungs- und Schulungsmöglichkeiten für einen Teil der Beraterinnen und Berater zudem die personelle Unterstützung in Beratungssituationen, die allerdings stets die Gestaltungshoheit der Peer Counselor wahren müsse. Als wesentliche Herausforderung sei indessen die Schaffung entsprechender Zugangswege für Menschen in stationären Wohneinrichtungen hervorzuheben.

(Zitiervorschlag: Wansing: Peer Counseling – Eine unabhängige Beratungsform von und für Menschen mit Beeinträchtigungen – Teil 2: Wirkfaktoren und Gelingensbedingungen; Beitrag D59-2016 unter www.reha-recht.de; 07.12.2016.)

 


I. Unabhängige Teilhabeberatung und die Frage nach Qualitätsstandards

Autonomie und Teilhabe sind als Grundsätze in der Behindertenrechtskonvention (BRK) verankert, auch das deutsche Recht der Rehabilitation und Teilhabe (SGB IX) folgt diesen Zielorientierungen. Damit Menschen mit Behinderungen ihre gleichen Rechte auf Selbstbestimmung und Teilhabe verwirklichen können, müssen Handlungs- und Entscheidungsspielräume (z. B. Rechte, Unterstützungsmöglichkeiten) nicht nur vorhanden und nutzbar, sondern zunächst vor allem bekannt sein. Beratung stellt daher eine unverzichtbare Ressource für die Verwirklichung von Lebenschancen von Menschen mit Behinderungen dar. Ihre Ausgestaltung wird an verschiedenen Stellen des Sozialrechts bzw. des Rechts behinderter Menschen normiert (vgl. Welti 2016). Auch der Regierungsentwurf zum Bundesteilhabegesetz (BTHG-RegE, Bundesrat 2016) stärkt an verschiedenen Stellen die Rolle der Beratung. Nach § 32 SGB IX-RegE soll ergänzend zu vorhandenen Beratungsstrukturen (zum Beispiel die der Rehabilitationsträger) eine von Leistungsträgern und Leistungserbringern unabhängige Teilhabeberatung gefördert werden. Diese soll als ein niedrigschwelliges Angebot ausgestaltet sein, welches bereits im Vorfeld der Beantragung von Leistungen zur Verfügung steht und sich auf die Information und Beratung über Rehabilitations- und Teilhabeleistungen nach dem SGB IX erstrecken soll. Die Ausgestaltung der Beratung soll über eine Förderrichtlinie des BMAS konkretisiert werden, die Vorgaben für förderfähige Angebote beschreiben soll. Diesbezüglich sind derzeit Fragen nach Rahmenbedingungen und Qualitätsstandards Gegenstand der breit geführten Auseinandersetzungen, wie sie auch in den Stellungnahmen verschiedener Akteure und Verbände dokumentiert ist (vgl. Schreiner 2016).

Bei der Förderung von Angeboten unabhängiger Beratung soll insbesondere die Beratung von Betroffenen für Betroffene berücksichtigt werden (§ 32 Abs. 3 SGB IX-RegE). Eine solche Beratungsform wird in der Praxis vielerorts bereits über den Ansatz des Peer Counseling praktiziert. Peer Counseling (peer; engl. = seinesgleichen, gleichartig; counseling; engl. = Beratung) ist ein Beratungsansatz, der Professionalität und eigene Betroffenheit verbindet. Zentrale Merkmale der Peer Beratung sind die Parteilichkeit im Sinne der ratsuchenden Person sowie die eigene Beeinträchtigung und Behinderung (-serfahrung) der Berater und Beraterinnen, durch die spezifisches Expertenwissen entsteht, das in der Beratungsarbeit geteilt und vermittelt wird. Durch das Peer Counseling sollen selbstgesteuerte Lösungs- und Bewältigungsstrategien (Empowermentprozesse) initiiert werden. Menschen mit Beeinträchtigungen und chronischen Erkrankungen sollen durch Peer Counseling ermutigt und ermächtigt werden, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, ihr Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl zu stärken und zu mehr Unabhängigkeit von der Unterstützung durch Dritte zu gelangen (vgl. Jordan/Wansing 2016). Akteure aus der Praxis des Peer Counseling beschreiben diese Beratungsform als grundsätzlich wirksam im Sinne der gesetzten Ziele des Empowerment und einer selbstbestimmten Lebensführung, und sie setzen sich für professionelle Standards wie die Qualifizierung von Peer Beratern und Beraterinnen ein. Vorhandene Leitlinien und formulierte Standards für Peer Counseling beruhen auf fachlich-normativen Grundsätzen und jahrelangen praktischen Erfahrungen (vgl. Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben 2016 sowie Schreiner 2016 zu den Stellungnahmen weiterer Akteure und Verbände). Sie sind aber bislang kaum wissenschaftlich-empirisch überprüft[1]. Die Auseinandersetzung mit bundesweiten Qualitätsstandards von Peer Counseling im Kontext des BTHG kann daher bislang nicht auf empirisch gesicherten verbindlichen Standards anknüpfen.

Eine aktuell laufende Evaluationsstudie zu Peer Counseling-Anlaufstellen und Beratungsangeboten im Rheinland, an der die Autorin dieses Beitrags beteiligt ist, untersucht Einflussfaktoren, Wirkungen und Ergebnisse von Peer Counseling unter den Bedingungen sehr unterschiedlicher Träger- und Organisationsstrukturen. Die empirischen Ergebnisse dieser Studie können Hinweise für die bundesweite Ausgestaltung unabhängiger Teilhabeberatung, einschließlich notwendiger Standards liefern. Der vorliegende Beitrag stellt die untersuchten Modellprojekte sowie ausgewählte Ergebnisse vor und formuliert auf dieser Basis zentrale Wirkfaktoren und Gelingensbedingungen für Peer Counseling.[2]

II. Modellprojekte zur Erprobung von Peer Counseling im Rheinland – ausgewählte Ergebnisse einer Evaluationsstudie

Der Landschaftsverband Rheinland (LVR) fördert und erprobt auf der Basis eines Beschlusses seines Sozialausschusses[3] die Umsetzung von Peer Counseling in zehn Anlauf- und Beratungsstellen im Rheinland (Laufzeit Juni 2014 bis Mai 2017, verlängert bis Ende 2018)[4]. Die Angebote adressieren vor allem Menschen mit kognitiven, körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen bzw. Adressatinnen und Adressaten der Eingliederungshilfe (mit Fokus auf Arbeit und Wohnen). Die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation wird durch die Prognos AG Berlin in Kooperation mit der Universität Kassel (Fachgebiet Behinderung und Inklusion unter der Leitung von Gudrun Wansing) durchgeführt. Zentrale Fragestellungen sind:

  • Wie und durch wen wird Peer Counseling in der Praxis umgesetzt?
  • Welche Zielgruppen werden erreicht?
  • Was sind Ergebnisse der Beratung?
  • Durch welche Faktoren werden Beratungs- und Entscheidungssituationen beeinflusst?
  • Was sind förderliche und hinderliche Bedingungen für Peer Counseling?

Die Ergebnisse sollen in Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Umsetzung von Peer Counseling im Rheinland münden. Zur Beantwortung der Forschungsfragen kommen folgende Methoden zum Einsatz:

  • Literaturanalyse zum Forschungsstand
  • Auswertung der Beratungskonzepte der untersuchten Beratungsstellen
  • Auswertung der Falldokumentationen
  • Schriftliche Befragung der Ratsuchenden (zu zwei Zeitpunkten) und der Peer Counselor
  • Fokusgruppen mit Ratsuchenden, Peer Counselor (zu je zwei Zeitpunkten) und Projektverantwortlichen
  • Dokumentation und Analyse der regionalen Rahmenbedingungen
  • Begleitende Expertenpanel

Der ausführliche zweite Zwischenbericht mit (vorläufigen) Handlungsempfehlungen wurde im Mai 2016 vorgelegt (Braukmann et al. 2016), der Abschlussbericht wird bis Mai 2017 erstellt. Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse vorgestellt.

1. Wie wird Peer Counseling im Rheinland gestaltet?

Es werden zehn Beratungsstellen mit insgesamt 62 Peer Beraterinnen und Beratern gefördert. Dabei zeigt sich eine strukturelle Vielfalt sowohl in der Trägerschaft als auch im Hinblick auf Personalausstattung, Beschäftigungsformen sowie Qualifikationen und Erfahrungen der Peer Counselor. Unter den Trägern finden sich Selbsthilfeverbände ebenso wie Angebotsträger aus dem Bereich der Behindertenhilfe. Der Erfahrungshintergrund der Beratungsstellen variiert zwischen jahrelangen umfänglichen Erfahrungen im Peer Counseling und dem Neustart im Rahmen des Projektes. Die Teamgrößen liegen zwischen 1 bis 13 Beratungspersonen pro Beratungsstelle bei unterschiedlichem Beschäftigungsstatus der Beraterinnen und Berater. So gibt es Projekte mit hauptberuflichen, fest angestellten Beraterinnen und Beratern, Projekte mit Beraterinnen und Beratern im Nebenberuf (freigestellt) sowie Projekte mit ehrenamtlichem Personal. Die Voraussetzungen der Peer Counselor sind ebenso unterschiedlich: Das Geschlechterverhältnis ist ausgeglichen und es sind alle Altersgruppen vertreten. Es sind alle Formen von Beeinträchtigungen vorhanden, allerdings gibt es nur wenige Peer Counselor mit Sinnesbeeinträchtigungen (im Zusammenhang mit der konzeptionellen Ausrichtung des Projektes). Es sind höhere wie niedrige Bildungsabschlüsse gleichermaßen vorhanden. Die Hälfte der Peer Counselor ist auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt (z. B. als Beraterin oder Berater im Hauptamt), etwa ein Drittel in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), einige in Integrationsunternehmen, einige sind nicht erwerbstätig. Einige (hauptberufliche) Peer Counselor haben bereits langjährige Beratungserfahrungen (in der Selbsthilfe oder in tätigkeitsnahen Berufen), die meisten ehrenamtlichen Peer Counselor haben hingegen keine oder nur wenig Vorerfahrungen. Alle Beraterinnen und Berater werden geschult, u. a. durch das Zentrum für selbstbestimmtes Leben (ZsL) Köln, durch das Bildungs- und Forschungsinstitut zum selbstbestimmten Leben Behinderter (bifos) Kassel, durch EX-IN (Experten durch Erfahrungen in der Psychiatrie) Ausbildungen oder durch interne Angebote der Träger der Beratungsstellen. Nahezu alle befragten Peer Counselor fühlen sich durch Ausbildung und Schulung gut vorbereitet, wünschen sich gleichwohl weitere Fortbildung und mehr Qualifizierung durch Erfahrung. Etwa zwei Drittel der Beraterinnen und Berater benötigt (vorerst) Unterstützung während der Beratung. Dies gilt für alle Beraterinnen und Berater mit kognitiven Beeinträchtigungen, aber auch für viele Peer Counselor mit anderen Formen der Beeinträchtigung. Die erhaltende Unterstützung vermittelt den Beraterinnen und Beratern ein Gefühl von Sicherheit und wird von ihnen nicht als Störfaktor erlebt. Etwa jede/r zweite kann sich vorstellen, zukünftig auch ohne Unterstützung beraten zu können.

2. Durch wen und in welchem Umfang wird Peer Counseling in Anspruch genommen?[5]

Innerhalb eines Jahres (März 2015 bis Februar 2016) nahmen insgesamt 500 Personen die Angebote der Beratungsstellen in Anspruch, jeder vierte Ratsuchende wurde ein zweites Mal beraten, so dass insgesamt 743 Beratungsgespräche dokumentiert wurden. Dabei unterscheidet sich die Inanspruchnahme in den unterschiedlichen Beratungsstellen. Vor allem die neuen Angebote werden nur gering nachgefragt. Das Geschlechterverhältnis der Ratsuchenden ist ausgeglichen, es sind alle Altersgruppen zwischen 14 und 82 Jahren vertreten. Es fällt auf, dass die Ratsuchenden überdurchschnittliche Bildungsabschlüsse aufweisen. Dies könnte ein Effekt von Selektivität beim Ausfüllen der Fragebögen sein, könnte aber auch ein Hinweis darauf sein, dass bestimmte Personengruppen durch die Beratungsangebote nur unzureichend erreicht werden. Im Hinblick auf Formen der Beeinträchtigungen zeigt sich, dass die Beratungsangebote vor allem von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen in Anspruch genommen werden (auch im Zusammenhang mit einer entsprechenden Profilierung einiger Beratungsstellen), gefolgt von Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen und Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Die Ratsuchenden leben überwiegend in eigenen Wohnungen, teils mit Unterstützung, wenige bei Angehörigen. Bewohnerinnen und Bewohner von stationären Wohneinrichtungen werden durch die Beratungsangebote kaum erreicht. Die ist u. a. darauf zurückzuführen, dass in den Einrichtungen keine personellen Ressourcen bereitgestellt werden (können), um Personen zum Peer Counseling zu begleiten. Möglicherweise spielen auch Konflikte zwischen den (ökonomischen und fachlichen) Interessen der Einrichtungsträger bzw. der Fachkräfte und den Zielen des Peer Counseling eine Rolle. Unter den Ratsuchenden sind auch Angehörige von Menschen mit Beeinträchtigungen, auch sie können von den Angeboten des Peer Counseling profitieren bzw. vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen selbst als Peer Beraterinnen und Berater für Angehörige fungieren.

3. Was sind Motive der Inanspruchnahme und zu welchen Themen wird beraten?

Die Gründe von Ratsuchenden, Peer Counseling in Anspruch zu nehmen sind insgesamt vielfältig. Fast alle geben an, dass sie mit einer Person sprechen wollten, die schon einmal in einer ähnlichen Situation war (94 %). Sehr viele wollen den Ansatz des Peer Counseling auch einfach mal kennenlernen (82 %), viele geben an, besser mit jemanden sprechen zu können, der/die auch eine Behinderung hat (68 %). Als weitere Motive werden genannt (in der Rangfolge ihrer Nennung): Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von anderen Beratungsstellen verstehen mich oft nicht. / Ich brauchte Informationen zu einem bestimmten Thema. / Meine Fragen kann nur ein Peer Counselor beantworten. / Ich brauchte jemanden zum Reden. / Ich brauchte Hilfe, um eine wichtige Entscheidung zu treffen. / Ich habe schlechte Erfahrungen mit anderen Beratungsstellen. / Der Peer Counselor ist mir persönlich bekannt.

Bezüglich der Themen, die Gegenstand der Beratungen sind, zeigt sich ein breites Spektrum. Themen die unmittelbar oder im weiteren Sinne auf Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe nach SGB IX bezogen sind, spielen eine Rolle, vielfach geht es aber auch um lebensweltliche Themen. Besonders häufig werden Themen aus den Bereichen Arbeit und Wohnen angesprochen (jeweils 27 %) sowie Fragen zu Medikamenten, Ärztinnen und Ärzten und Therapiemöglichkeiten (24 %) und zum Umgang mit der eigenen Erkrankung oder Behinderung (24 %). Weitere Themen sind (in der Rangfolge ihrer Nennung): Lebenskrisen, Umgang mit Ämtern, Beziehungen bzw. Umgang mit anderen Menschen, Gestaltung von Freizeit/Freunde finden, Unterstützungsbedarf, Versorgung mit Hilfsmitteln, Persönliches Budget, gesetzliche Betreuung, Patientenverfügung und anderes.

4. Was sind Ergebnisse des Peer Counseling und wie bewerten Ratsuchende die Beratungsmethode?

Die Beratungssituationen (Erreichbarkeit, Zeit, vertrauensvolle Atmosphäre) und die Beraterinnen und Berater (Kompetenz und Verhalten) werden durch die Ratsuchenden ausgesprochen positiv erlebt. Die Anwesenheit einer dritten, unterstützenden Person im Beratungsgespräch wird von keinem Ratsuchenden als störend empfunden. Die überwiegende Mehrheit gibt an, dass die Beraterinnen und Berater schon einmal in einer ähnlichen Lebenssituation wie sie selbst waren (84 %). Diese Übereinstimmung ist größer als die Gemeinsamkeit in der Art der Erkrankung oder Beeinträchtigung (64 %). Für die meisten Ratsuchenden haben die Peer Counselor eine Vorbildfunktion. Dies trifft vor allem bei hauptamtlichen Beraterinnen und Beratern zu und wird häufig von Ratsuchenden mit psychischen Beeinträchtigungen bestätigt. Nur sehr wenige Ratsuchende haben das Gefühl, dass ihr Berater/ihre Beraterin zu etwas überreden wollte. Die Beratungsergebnisse werden von den Ratsuchenden positiv bis sehr positiv eingeschätzt; bei der Beratung durch ehrenamtliche Peer Counselor jedoch auf einem niedrigeren Niveau als bei den neben- und hauptberuflichen Beratungskräften. Fast alle befragten Ratsuchenden geben als Ergebnis der Peer Beratung an, dass es ihnen besser geht, weil sie über ihre Probleme und Fragen reden konnten (95 %) und ihre Fragen beantwortet wurden (95 %). Das Beratungsgespräch habe ihnen geholfen (92 %) und sie haben Tipps bekommen, welche Hilfen es gibt (89 %). Viele Ratsuchende wissen durch die Peer Beratung besser, was sie wollen bzw. als nächstes machen (jeweils 75 %). Sie haben Mut, ihr Leben zu verändern (73 %) und verstehen besser was in ihrem Leben wichtig ist (59 %). Inwiefern die Peer Beratung über die Zufriedenheit mit den Gesprächen hinaus bei den Ratsuchenden nachhaltige Wirkungen in Richtung konkreter Lebensveränderungen (z. B. in den Bereichen Wohnen oder Arbeit) auslöst, dies werden die Ergebnisse der zweiten Befragung im Längsschnitt zeigen. Die Gesamtbewertung des Peer Counseling durch die Ratsuchenden fällt sehr positiv aus. Alle sagen, dass Peer Beratung wichtig ist (99 %), und dass sie die Methode weiterempfehlen werden (98 %). Die meisten würden bei anderen Themen erneut Peer Counseling in Anspruch nehmen (92 %), etwa die Hälfte wünscht sich ein weiteres Beratungsgespräch mit demselben Thema (42 %). Trotz dieser durchgehend positiven Bewertungen von Peer Counseling sagen nur etwa ein Drittel der befragten Ratsuchenden, dass sie in Zukunft nur noch zur Peer Beratung gehen wollen. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass Peer Counseling im Gesamtgefüge vorhandener Beratungsmöglichkeiten eine wichtige ergänzende bzw. komplementäre Rolle einnimmt, jedoch aus Sicht der Ratsuchenden andere Beratungsangebote (z. B. der Rehabilitationsträger) nicht ersetzt.

III. Zentrale Wirkfaktoren und Gelingensbedingungen von Peer Counseling (im Rheinland)

Insgesamt bestätigen die Evaluationsergebnisse, dass Peer Counseling von seinem Anspruch und seiner Konzeption her in hohem Maße mit den Zielsetzungen der UN-BRK übereinstimmt. Sowohl Ratsuchende als auch Peer Counselor bewerten Peer Counseling ausgesprochen positiv; die spezifische Qualität von Peer Counseling wird durch die Befragungsergebnisse bestätigt. Vor diesem Hintergrund sollte Peer Couseling als integraler Bestandteil eines differenzierten Unterstützungssystems flächendeckend und nachhaltig etabliert werden.

Die Qualität von Peer Counseling entsteht in einem komplexen Bedingungsgefüge zwischen den Strukturen einer Beratungsstelle (auch im örtlichen bzw. regionalen Kontext), den personellen Voraussetzungen der Peer Counselor und den Motiven und Voraussetzungen der Ratsuchenden. Monokausale Schlussfolgerungen aus den Modellprojekten und den Ergebnissen der Begleitforschung im Sinne einer einfachen wenn-dann-Beziehung von Qualitätskriterien sind weder möglich noch zulässig. Gleichwohl lassen sich in der Zusammenführung der skizzierten und der weiteren (Zwischen-) Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung (vorläufig) einige wesentliche Faktoren identifizieren, die Einfluss auf die Wirkungen und die Wirksamkeit von Peer Counseling im Sinne ihrer Zielsetzungen nehmen (vgl. im folgenden Braukmann et al. 2016, S. 146 ff.). Sie liefern wichtige Hinweise für die Diskussion um notwendige Rahmenbedingungen und Qualitätsstandards bei der Umsetzung der unabhängigen Teilhabeberatung, wie sie gegenwärtig im Kontext des § 32 SGB IX – RegE vor allem für die Förderung der Beratung durch Betroffene für Betroffene diskutiert werden.

Trägerschaft

Bei der Trägerschaft von Angeboten unabhängiger Beratung ist eine Vielfalt anzustreben. Unterschiedliche Träger können adressaten- und themenspezifische Voraussetzungen im Sinne gleicher Behinderungserfahrungen anbieten. Nicht alle Träger können in dem Umfang Beraterinnen und Berater einstellen, dass alle Formen von Beeinträchtigungen vertreten sind. Die Trägerschaft von Anbietern der Behindertenhilfe hat sich in den Modellprojekten nicht negativ auf die Erfahrungen und Bewertungen der Peer Counselor und der Ratsuchenden ausgewirkt. Die Unabhängigkeit von Anbieterinteressen muss dabei grundsätzlich gewährleistet sein. Im Rheinland sind flächendeckend sog. Kontakt-, Koordinierungs- und Beratungsstellen (KoKoBes) in Trägerschaft regionaler Träger der Behindertenhilfe vorhanden. Es handelt sich um kostenlose und niedrigschwellige Angebote, die im Hinblick auf Räumlichkeiten und Erscheinungsweise neutral sind. Im Verbund mit den Zentren für selbstbestimmtes Leben (ZsL) und Sozialpsychiatrische Zentren (SPZ) bilden sie die erforderliche Vielfalt zum großen Teil ab. Solche und andere regional bereits erfolgreich etablierte Beratungsstrukturen mit hohem Bekanntheitsgrad sollten bei der Förderung von unabhängigen Beratungsstellen (auch im Sinne der ergänzenden Teilhabeberatung nach § 32 SGB IX– RegE) besonders berücksichtigt werden. Zum einen lassen sich so Doppelstrukturen vermeiden, zum anderen zeigen die Ergebnisse der Modellprojekte, dass schon länger bestehende Angebote besser nachgefragt werden als ganz neue Angebote. Darüber hinaus sind etablierte Beratungsangebote in einer Region häufig gut vernetzt und bei anderen relevanten Institutionen bekannt.

Beschäftigungsstatus und Voraussetzungen der Peer Counselor

Die Befragungsergebnisse zeigen zum Teil Unterschiede nach Art des Beschäftigungsverhältnisses (insbesondere zwischen hauptberuflichen und ehrenamtlichen Peer Counselor). Die konkreten Zusammenhänge lassen sich jedoch auf der derzeitigen Datenbasis nicht eindeutig benennen. Denkbar ist, dass nicht die ehrenamtliche Struktur per se, sondern die zum Teil fehlenden Beratungserfahrungen der ehrenamtlichen Peer Counselor wirksam werden. Ehrenamtliche Peer Counselor können dazu beitragen, ein flächendeckendes und vielfältiges Beratungsangebot zu ermöglichen. Zudem bietet das Ehrenamt einen niedrigschwelligen Zugang zu Beratungstätigkeit und damit zu Kompetenzerleben und Einbringen von Fähigkeiten und Fertigkeiten.

Im Hinblick auf die eigene Betroffenheit der Beraterinnen und Berater zeigen die Ergebnisse der Modellprojekte, dass Gemeinsamkeiten bezüglich der Art der Erkrankungen und Beeinträchtigung wichtig sind. Mehr noch tragen aber aus Sicht der Ratsuchenden ähnliche Lebenssituationen und Lebenserfahrungen von Peer Counselor und Ratsuchenden wesentlich zum Gelingen der Beratungsgespräche bei. Diese Passungsmöglichkeiten lassen sich über die Vielfalt und Verschiedenheit der Peer Counselor – innerhalb einer Beratungsstelle bzw. des regionalen Angebotsspektrums – ermöglichen.

Die Zugänge zu Qualifizierungen und Schulungen in den Modellprojekten über etablierte externe Angebote und interne Maßnahmen haben sich bewährt und tragen zur Qualität und zur Zufriedenheit der Peer Counselor bei. Ausreichend Beratungserfahrungen sowie Möglichkeiten der Fortbildung, der Supervision und des kollegialen Austausches werden als weitere wichtige Bedingungen seitens der Peer Counselor identifiziert.

Personelle Unterstützung in der Beratungssituation

Als wesentliche Rahmenbedingung von Peer Counseling zeigt sich für einen Teil der Beraterinnen und Berater die Verfügbarkeit und Qualität von personeller Unterstützung (Assistenz, Begleitung) in der Beratungssituation. Dies gilt vor allem – aber nicht ausschließlich – für Peer Beraterinnen und Berater mit kognitiven Beeinträchtigungen. Die Erfahrungen in den Modellprojekten belegen, dass Peer Beratung von und für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen nachgefragt wird und für die Ratsuchenden die erwünschten Wirkungen erzielen. Die Ermöglichung des Peer Counseling von und für diesen Personenkreis durch angemessene Vorkehrungen wie Möglichkeiten der Unterstützung ist unverzichtbar, um Diskriminierungen aufgrund der Behinderungsform bzw. des Unterstützungsbedarfs auszuschließen. Auch Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen sollen gleichberechtigt als Peer Counselor ihre Fähigkeiten zur Entfaltung bringen können, auch um das Bewusstsein für ihre Fähigkeiten und ihren Beitrag zum Empowerment zu fördern. Dabei muss sichergestellt sein, dass der Peer Counselor in allen Fällen die Gestaltungshoheit über Inhalt und Ablauf des Beratungsgesprächs hat und die Unterstützung den Peer-Charakter der Beratung nicht unterläuft oder auflöst. Aufgaben und Rolle der unterstützenden Person sollten jeweils in Absprache mit dem Peer Counselor klar definiert und kontinuierlich seinen Erfahrungen und ggf. sich ändernden Kompetenzen und Bedürfnissen angepasst werden. Für die Unterstützerinnen und Unterstützer sind Möglichkeiten der Reflexion ihrer Rolle und Aufgaben vorzuhalten.

Erreichbarkeit von Menschen in stationären Einrichtungen

Wenn Peer Counseling auch Menschen erreichen soll, die in stationären Wohneinrichtungen leben, sind Zugangswege für Peer Counseling zu erschließen und umzusetzen. Geeignete Maßnahmen sind beispielsweise eine aufsuchende Beratung sowie die Beteiligung von Gremien der Interessensvertretung wie Heimbeiräte. Für Beratungsstellen müssen hierfür die nötigen Rahmenbedingungen, u. a. Finanzierungsformen geschaffen werden.

Literatur:

Braukmann, Jan; Heimer, Andreas; Henkel, Melanie; Jordan, Micah; Schreiner, Mario; Wansing, Gudrun; Windisch, Matthias (2015): Evaluation von Peer Counseling Anlaufstellen und Beratungsangeboten im Rheinland. 1. Zwischenbericht im Auftrag des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR). www.lvr.de/media/wwwlvrde/soziales/menschenmitbehinderung/wohnen/dokumente_232/peer_counseling/150716_Zwischenbericht_1_PeerCounseling_final.pdf.

Braukmann, Jan; Heimer, Andreas; Jordan, Micah; Maetzel, Jakob; Schreiner, Mario; Wansing, Gudrun; Windisch, Matthias (2016): Evaluation von Peer Counseling im Rheinland. Zweiter ausführlicher Zwischenbericht über das Modellprojekt des LVR. www.lvr.de/media/wwwlvrde/soziales/menschenmitbehinderung/wohnen/dokumente_232/peer_counseling/14-1361_Anlage_2_Anlagen_zum_Zwischenbericht.pdf.

Jordan, Micah; Wansing, Gudrun (2016): Peer Counseling: Eine unabhängige Beratungsform von und für Menschen mit Beeinträchtigungen – Teil 1: Konzept und Umsetzung. Beitrag D32-2016 unter www.reha-recht.de (Stand: 18.11.2016).

ISL Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben (2016): Leistungsanforderungen an eine öffentlich geförderte von Leistungsträgern und Leistungserbringern unabhängige professionelle Peer Counseling Beratung. www.peer-counseling.org/attachments/article/1/Leistungsanforderungen_Peer_Counseling_ISL_.pdf.

Schreiner, Mario (2016): Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung nach § 32 SGB IX-RegE – Eckpunkte der Ausgestaltung und Stand der Diskussionen; Beitrag D55-2016 unter www.reha-recht.de.

Welti, Felix (2016): Beratung im Recht – am Beispiel der Beratung für und durch behinderte Menschen; Beitrag D41-2016 unter www.reha-recht.de.

Beitrag von Prof. Dr. Gudrun Wansing, Universität Kassel

Fußnoten:

[1] Zum Stand der Forschung zum Peer Counseling vgl. Braukmann et al. 2015, S. 48 ff. sowie S. 71 ff.

[2] Alle Ergebnisse können im 2. Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitforschung nachgelesen werden, vgl. Braukmann et al. 2016.

[3] www.lvr.de/media/wwwlvrde/soziales/menschenmitbehinderung/wohnen/dokumente_232/peer_counseling/Begruendung13-3412.pdf (Stand: 19.11.2016).

[4] Weiterführende Informationen zum Modellprojekt unter www.lvr.de/de/nav_main/soziales_1/menschenmitbehinderung/wohnen/anlaufstellen/peer_counseling/peer_counseling_1.jsp (Stand: 19.11.2016).

[5] Die Ergebnisse zu den Abschnitten II. 2.-4. beruhen auf einer schriftlichen Befragung von insgesamt 110 Ratsuchenden, die Peer Counseling in den untersuchten Beratungsstellen in Anspruch nehmen.


Stichwörter:

Peer Counseling, Beratung, Unabhängige Beratung, Teilhabeberatung, Bundesteilhabegesetz (BTHG), Evaluation, Teilhabeforschung


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