20.08.2015 E: Recht der Dienste und Einrichtungen Sydow/Auschra: Beitrag E5-2015

Zum Nutzen von Rehabilitationsnetzwerken – Netzwerkevaluation aus betriebswirtschaftlicher Perspektive

Der Autor und die Autorin befassen sich in ihrem Beitrag mit Rehabilitationsnetzwerken. Sie beschreiben, dass es bereits zahlreiche solcher Netzwerke gibt, die Verbreitung im Gesundheitsbereich insgesamt jedoch hinter den Erwartungen zurückbleibe.

Aus juristischer Sicht seien interorganisationale Netzwerke generell schwer zu fassen, wobei im Bereich der sozialen Sicherung bereits verschiedene Aufträge zur Kooperation bestünden. Um den Nutzen von Rehabilitationsnetzwerken tatsächlich bewerten zu können, bedürfe es der Evaluation.

Darauf aufbauend gehen die Verfasser und die Verfasserin auf Rahmenbedingungen, Ziele und Methoden solcher Evaluationsverfahren ein. Die Vielfalt der Akteure bei Rehabilitationsnetzwerken bilde hierbei eine besondere Herausforderung.

(Zitiervorschlag: Sydow/Auschra: Zum Nutzen von Rehabilitationsnetzwerken – Netzwerkevaluation aus betriebswirtschaftlicher Perspektive; Forum E, Beitrag E5-2015 unter www.reha-recht.de; 20.08.2015)


 

I. Zukunftstrend Rehabilitationsnetzwerke?[1]

Allenthalben ist zu hören: Rehabilitation sollte verstärkt in Netzwerken organisiert werden, um der Gesellschaft eine qualitativ verbesserte und kostengünstige Versorgung mit Reha-Dienstleistungen bieten zu können. Wird diese Forderung eingelöst, entstehen so genannte Rehabilitationsnetzwerke, eine besondere Spezies interorganisationaler Netzwerke. Interorganisationale Netzwerke bestehen aus mindestens drei Organisationen (als ‚Knoten‘ des Netzwerks) und erlauben mittels eher kooperativer denn kompetitiver Beziehungen (den ‚Kanten‘) eine organisationsübergreifende, reflexive Koordination der auf die Erbringung von Leistungen gerichteten Aktivitäten (vgl. Sydow/Duschek 2011).

Tatsächlich existieren heute schon zahlreiche solcher auf die Erbringung von Reha-Leistungen gerichteter interorganisationaler Netzwerke. Ein Beispiel für ein Rehabilitationsnetzwerk ist ein Zusammenschluss von Kooperationspartnern, die betriebliche Reha­bilitationskonzepte (BeReKo) der Salzgitter AG unterstützen. Ziel des Netzwerkes ist es, die Folgen des demographischen Wandels für die Salzgitter AG abzufedern und Arbeitsunfähigkeitszeiten der Belegschaft zu verringern. Dazu bietet das Netzwerk modulare Angebote in den Bereichen Muskel-/Skelett­erkrankungen sowie psychische Erkrankungen (vgl. Koch et al. 2013). Aufgrund ihres Bezugs zum Feld der Gesundheitsdienstleistungen können Rehabilitationsnetzwerke auch als eine Art von „Gesundheitsnetzwerken“ (Amelung et al. 2009) betrachtet werden. Feldtypisch sind in derartige Netzwerke – neben den Patienten und Patientinnen – mindestens zweierlei Typen von Organisationen einbezogen: auf der einen Seite Leistungserbringer wie ärztliche und psychotherapeutische Praxen, Reha-Kliniken und ambulante Rehabilitationszentren, auf der anderen Seite Leistungsträger. Dabei handelt es sich im Bereich der medizinischen Rehabilitation typischerweise um Krankenkassen (auch und gerade, wie im Fall der BeReKo, um Betriebskrankenkassen) oder Träger der Deutschen Rentenversicherung. Aber auch andere Leistungsträger wie Unfallversicherungen oder Berufsgenossenschaften kommen in Betracht. Häufig sind außerdem die Betriebe bzw. Unternehmen als Arbeitgeber in Rehabilitationsnetzwerke eingebunden. Bei den Leistungserbringern handelt es sich sowohl um Unternehmen als auch – insbesondere im System der gesetzlichen sozialen Sicherung – um Non-Profit-Organisationen. Aber nicht nur durch unterschiedliche Interessen und Logiken, sondern auch verschiedene Kompetenzen weisen Rehabilitationsnetzwerke ein gehöriges Maß an Akteursheterogenität auf. Am genannten BeReKo-Netzwerk der Salzgitter AG sind zum Beispiel im Bereich muskuloskelettale Erkrankungen neben der Salzgitter AG und der BKK Salzgitter die Paracelsus-Klinik an der Gande mit dem Institut für Arbeits- und Sozialmedizin, die Medizinische Hochschule Hannover, das Ambulante Reha Centrum Braunschweig und die Deutsche Rentenversicherung Braunschweig-Hannover beteiligt (vgl. Koch et al. 2013). Heterogen sind im Falle der Reha-Netzwerke – wie wohl generell bei Gesundheitsnetzwerken – nicht nur die Akteure – und damit die ‚Knoten‘ – sondern auch die Beziehungen bzw. ‚Kanten‘. Während einige Beziehungen beispielsweise schon seit Jahren bestehen, sind andere erst viel jüngeren Ursprungs und damit vielleicht noch nicht so belastbar. Netzwerkbeziehungen unterscheiden sich nicht nur im Alter, sondern auch mit Blick auf Qualitätsmerkmale wie Vertrauen, Formalität, Multiplexität[2] oder Persistenz[3].

Aus juristischer Sicht sind interorganisationale Netzwerke generell schwer zu fassen. Ihre rechtliche Gestaltung ist bis heute anspruchsvoll. Das Privatrecht war ursprünglich vorrangig auf den (im Kern auf Kauf- bzw. Dienstleistungsverträgen basierenden) Tausch am Markt und die (maßgeblich durch Arbeitsverhältnisse und Gesellschaften gekennzeichnete) Organisation ausgerichtet. Zwar werden interorganisationale Netzwerke schon seit mehr als zwei Jahrzehnten als eigenständige Vertragsform in der Rechtswissenschaft diskutiert (vgl. bspw. Lange 1998; Teubner 2004; Krebs et al. 2015). Allerdings hat sich diese Sichtweise weder in der Rechtswissenschaft, geschweige denn in der Rechtsprechung durchgesetzt. Stattdessen werden Netzwerke zumeist als Hybride von Markt- und Organisationsverträgen dekonstruiert (vgl. auch Wirth/Sydow 2004). Mit Blick auf Rehabilitationsnetzwerke im Bereich der gesetzlichen sozialen Sicherung ist inzwischen eine Vielzahl von gesetzlichen Aufträgen zur Kooperation verschiedener Akteure verankert (vgl. z. B. § 12 ff. Sozialgesetzbuch (SGB) IX). Allerdings sind Regelungen zu konkreten Einzelheiten der praktischen Ausgestaltung der Zusammenarbeit – und insbesondere zur geordneten Auflösung von heterogenen und ggf. gegenläufigen Interessenlagen – eher die Ausnahme. Für den Bereich der orthopädischen Rehabilitation könnten sich vertragliche Konstruktionen im Rahmen der integrierten Versorgung (z. B. § 140a ff. oder § 73 SGB V) anbieten (vgl. für verschiedene Beispiele Amelung/Lägel 2015).

Interorganisationale Netzwerke, selbst in der spezielleren Form von Rehabilitations- oder anderen Gesundheitsnetzwerken, sind nichts wirklich Neues. Gleichwohl bleibt die Verbreitung dieser Netzwerke im Gesundheitsbereich hinter den Erwartungen aller Akteure zurück. Ein Grund dafür könnte sein, dass sich die mit der Einrichtung von Gesundheitsnetzwerken im Allgemeinen und Rehabilitationsnetzwerken im Speziellen verbundenen Nutzenerwartungen – verbesserte Leistung bei gleichzeitig niedrigen Kosten – nicht erfüllen, etwa weil möglichen Kostensenkungen (und entsprechenden Skaleneffekten) zusätzliche Koordinationskosten aufgrund der Einbindung spezialisierter Organisationen entgegenstehen. Oder aber die Koordination derartiger Netzwerke verlangt Managementkompetenzen, die – auch in diesem Feld – nicht genügend verfügbar sind.

II. Ansätze zur Evaluation von Rehabilitationsnetzwerken

Der (Netto-)Nutzen von Netzwerken im Allgemeinen und von Rehabilitationsnetzwerken im Besonderen mag umstritten sein. In jedem Fall kommt es aber auf die konkreten Umstände an, unter denen sich ein Netzwerk entwickelt bzw. entwickeln wird. Losgelöst davon gilt es neben dem Nutzen auch die Kosten zu ermitteln, die mit der Vernetzung verbunden sind. Darüber hinaus mögen noch Risiko- und Legitimitätserwägungen von Bedeutung sein. In jedem Fall gilt es Netzwerke mit Blick auf diese oder ähnliche Evaluationskriterien zu bewerten, wenn ihr Nutzen ermittelt werden soll.

Daher ist die Netzwerkevaluation eine wichtige Praktik des Netzwerkmanagements (vgl. Sydow/Duschek 2011, 188 ff.). Mit ihrer Hilfe werden interorganisationale Netzwerke zum einen anhand von Outputkriterien bewertet. Derartige Kriterien sind etwa bestimmte Nutzenaspekte, im Reha-Feld zum Beispiel verbesserte Reichweite und/oder Qualität von Reha-Leistungen bzw. die Verlässlichkeit ihrer Erbringung. Notwendige Outputkriterien sind aber auch die dem Nutzen gegenüber stehenden Kostenbetrachtungen, etwa bezüglich reduzierter Erstellungs- bei gleichzeitig gestiegenen Koordinationskosten. Derlei outputorientierte Kriterien können auf unterschiedlichen Ebenen – der individuellen (Patienten-) Ebene, der Organisations-, Netzwerk- oder gar Feldebene – erhoben werden. Neben diesen Outputkriterien können auch stärker input- oder prozessorientierte Evaluationskriterien relevant sein. Beispiele dafür sind etwa die erreichte Beziehungsqualität oder das im gesamten Netzwerk vorhandene Vertrauensniveau. Die Erreichung derartiger Qualitäten ist in der Regel eine Bedingung für die Verwirklichung der Outputkriterien. Vor allem aber können diese Kriterien zumeist leichter als jene bewertet bzw. dem Entwicklungsstand eines Netzwerks zugerechnet werden.

Das Netzwerkmanagement muss neben diesen Kriterien auch den oder die Zwecke der Evaluation bestimmen. Beispiele für solche Zwecke – und gleichzeitig deren Unterschiedlichkeit – sind die instrumentelle Ausrichtung auf die (weitere) Netzwerkentwicklung oder die (bloße) Rechtfertigung gegenüber Geldgebern. Zudem muss festgelegt werden, wer die Evaluation mit Hilfe welcher Verfahren, zu welchem Zeitpunkt und in welchem zeitlichen Rhythmus durchführt. Im Regelfall handelt es sich dabei um selbst zu wählende oder gar erst selbst zu entwickelnde Evaluationsverfahren, auf die allerdings verschiedene Netzwerkpartner (z. B. im Rahmen von Pilotprojekten) oft unterschiedlichen Einfluss nehmen. Die Evaluation des Netzwerkes kann zudem auch durch Externe erfolgen.

Die bereits erwähnte Akteursheterogenität ist auch mit Blick auf die Evaluation eines Rehabilitationsnetzwerks von großer Bedeutung. Neben Leistungserbringern und Leistungsträgern haben auch Patienten und Politik ein Interesse an der Frage nach dem (Netto-)Nutzen eines entsprechenden Netzwerks. Diese Interessen, die üblicherweise nicht ohne Weiteres miteinander vereinbar sind, verleiten in der Regel die Akteure zur Wahl outputorientierter Evaluationskriterien bzw. entsprechender Evaluationsverfahren. Allerdings erfordert der oft bescheidene Entwicklungsstand gerade auch von Rehabilitationsnetzwerken eigentlich eher den Einsatz formativer Evaluationen und anderer, die Netzwerkentwicklung unterstützender „Netzwerkzeuge“ (vgl. Sydow/Duschek 2013). Für den Bereich der von den gesetzlichen Rehabilitationsträgern finanzierten Rehabilitationsleistungen hat die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) kürzlich damit begonnen, einen ersten akteursgruppenübergreifenden Expertenkonsens über mögliche Kriterien zur Beschreibung des Nutzens von Gesundheitsnetzwerken herbeizuführen (o. V. 2014).

III. Chancen und Herausforderungen der Evaluation von Rehabilitationsnetzwerken

Die Evaluation von Rehabilitationsnetzwerken kann, vor allem wenn prozessorientierte Kriterien fokussiert werden, für das Netzwerkmanagement ein wirkungsvolles Instrument zur Netzwerkentwicklung darstellen und damit weit über die Erfüllung bloßer Legitimationsanforderungen hinausgehen. Im Idealfall werden Verbesserungsbedarfe oder Fehlentwicklungen frühzeitigt erkannt, was die Option des gezielten Gegensteuerns eröffnet. Allerdings ist hierzu nicht nur die Wahl von validen, der Situation angemessenen Evaluationsverfahren und -kriterien notwendig, sondern auch ihr kompetenter Einsatz. Dabei haben Netzwerke häufig damit zu kämpfen, dass die Messung einiger relevanter Evaluationskriterien (z. B. Beziehungsqualität zwischen den Netzwerkpartnern) schwierig zu bewerkstelligen ist. Zudem gilt es den Trade-off[4] zwischen einer maßgeschneiderten, der Situation angemessen Evaluation einerseits und einer gewissen Standardisierung von Evaluationsverfahren (die dann einen Vergleich sowohl über die Zeit als auch über verschiedene Netzwerke erlaubt) andererseits kompetent zu handhaben. Schließlich setzt eine erfolgreiche Evaluation die Bereitschaft zur Transparenz bei allen beteiligten Partnern sowie die Bereitschaft zum Ziehen geeigneter Schlussfolgerungen voraus. Dies alles ist nicht trivial und bedarf entsprechender Netzwerkmanagementkompetenzen!

Beitrag von Prof. Dr. Jörg Sydow & Carolin Auschra, beide Freie Universität Berlin

Literaturverzeichnis

Amelung, V. E./Lägel, R. (2015) (Hrsg.): Innovative Konzepte und Verträge in der Rückenschmerztherapie. Berlin: MWV.

Amelung, V. E./Sydow, J./Windeler, A. (2009): Vernetzung im Gesundheitswesen im Spannungsfeld von Wettbewerb und Kooperation. In: Amelung, V. E./ Sydow, J./ Windeler, A. (Hrsg.): Vernetzung im Gesund­heitswesen: Wettbewerb und Kooperation, Stuttgart: Kohlhammer, S. 9–24.

Koch, B./Kröger, C./Leineweber, B./Marquardt, B. (2013): Das Betriebliche Rehabili­tationskonzept der Salzgitter AG: Koopera­tion, die Wirkung zeigt. In: Knoche, K./ Sochert, R. (Hrsg.): iga.Report 24, Berlin: AOK-Bundesverband, S. 41–47.

Krebs, P./Jung, S./Aedtner, K./Schultes, M. (2015): Das modulare System der Netzwerk­aktivitäten. In: Kölner Zeitschrift zum Wirtschaftsrecht 6(1), S. 15–29.

Lange, K. W. (1998): Das Recht der Netz­werke. Heidelberg: Verlag Recht und Wirt­schaft.

o. V. (2014): Nutzen von Vernetzung: Vernetzung unterschiedlicher Akteure in der Rehabilitation – was bringt’s? In: BAR Nr. 6, Beilage zur Die Rehabilitation 53(6), S. III.

Sydow, J./Duschek, S. (2011): Management interorganisationaler Beziehungen. Netz­werke – Cluster – Allianzen. Stuttgart: Kohl­hammer.

Sydow, J./Duschek, S. (2013) (Hrsg.): Netzwerkzeuge. Tools für das Netzwerk­management. Wiesbaden: Gabler.

Teubner, G. (2004): Netzwerk als Vertrags­verbund: Virtuelle Unternehmen, Fran­chising, Just in Time in sozialwissenschaft­licher und juristischer Sicht. Baden-Baden: Nomos.

Wirth, C./Sydow, J. (2004): Hierarchische Heterarchien – heterarchische Hierarchien: Zur Differenz von Konzern- und Netzwerksteuerung in der Fernsehproduktion. In: Sydow, J./Windeler, A. (Hrsg.): Organisation von Content-Produktion, Wiesbaden: Sozial-wissenschaftlicher Verlag, S. 125–147.

Fußnoten:

[1] Marcus Schian von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) danken wir für hilfreiche Anmerkungen zu einer früheren Fassung dieses Beitrags.

[2] In der Netzwerkforschung beschreibt Multi­plexität das gleichzeitige Auftreten verschiedener Beziehungsformen zwischen zwei Personen oder Organisationen.

[3] Persistenz beschreibt das Bestehenbleiben eines Zustands über längere Zeit.

[4] Der Begriff „Trade-off“ beschreibt die vermeintliche Unvereinbarkeit zweier Ziele.


Stichwörter:

Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e. V. (BAR), Evaluation, Integrierte Versorgung, Kooperation der Rehabilitationsträger, Kooperation zwischen Betrieb und Rehabilitationseinrichtung, Koordinierung (§ 10 SGB IX)


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