03.04.2024 Verwaltung, Verbände, Organisationen

Verbände fordern Schutz vor Diskriminierung für Menschen mit Behinderungen in der Migrationspolitik

Anlässlich der Gesetzesänderungen im Migrationsrecht Anfang Februar 2024 hat das Berliner Zentrum für Selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen (BZSL) mit Unterstützung des Dachverbands Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) einen bundesweiten Brandbrief initiiert. Über 270 Fachverbände und Einzelpersonen unterzeichneten den Brief und seine politischen Forderungen.

Hintergrund der Initiative sind die jüngsten Änderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) und Staatsangehörigkeitsgesetzes, die der Bundesrat am 2. Februar 2024 billigte. Aktuell erhalten Geflüchtete bis zu 36 Monate lang Leistungen nach dem AsylbLG, anstatt wie bisher 18 Monate. Die Ausweitung der Bezugsdauer hat negative Konsequenzen für die gesundheitliche Versorgung, da Betroffene erst danach Anspruch auf die reguläre Gesundheitsversorgung haben. Als besonders dramatisch beschreiben die Fachstellen im Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen (BNS) die Situation für geflüchtete Kinder und Jugendliche mit Behinderungen und befürchten eine Unterversorgung.

Empfängerinnen und Empfänger von Asylbewerberleistungen haben nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen einen Anspruch auf Gesundheitsversorgung (§ 4 AsylbLG). Es gibt keinen Rechtsanspruch auf behinderungsbedingte (Mehr-)Bedarfe. Sonstige Gesundheits- und Teilhabeleistungen liegen im Ermessen der zuständigen Akteure (§ 6 AsylbLG). „In der Praxis und Wissenschaft zeigt sich jedoch überwältigend, dass dieser bestehende rechtliche Spielraum von Sozialämtern nicht oder nur äußerst restriktiv und verzögert genutzt wird. Insgesamt besteht bei den beteiligten Akteuren eine erhebliche (Rechts-)Unkenntnis und Unsicherheit über diese theoretische Möglichkeit“, heißt es in dem Brief.

Menschen mit Behinderungen und deren pflegende/assistierende Angehörige würden künftig beim Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ausgeschlossen, wenn sie ihren Lebensunterhalt aufgrund des erschwerten Zugangs zum Arbeitsmarkt oder beeinträch­tigungs­bedingt nicht eigenständig sichern können: „Das ‚Gesetz zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts‘, das politisch und historisch als progressiv präsentiert wird, bewirkt in Wahrheit eine mittelbare Diskriminierung und schließt behinderte Menschen als Demokratie- und Rechtssubjekte kategorisch aus“, so die Kritik. „Trotz großer Einwände von Verbänden und einzelnen Abgeordneten signalisiert die Bundesregierung: Um als Teil der Gesellschaft anerkannt zu werden und durch Wahlen und politische Ämter unsere Demokratie mitzugestalten, sind die Leistungsfähigkeit und der wirtschaftliche Nutzen entscheidend.“

Über 190 Verbände zahlreiche Einzelpersonen fordern nun den Schutz vor Diskriminierung für Menschen mit Behinderungen in der Migrationspolitik. Die Forderungen im Wortlaut:

  • Behinderte Menschen und ihre Angehörigen haben einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung und dürfen nicht nur auf eine freiwillige, auf staatlichem Wohlwollen beruhende Härtefallregelung angewiesen sein. Die Ausnahmeregelung, dass behinderte Menschen die Inanspruchnahme von Sozialleistungen nicht zu vertreten haben, ist wieder einzuführen.
  • Asylsuchende und geduldete Kinder und Jugendliche (mit Behinderungen) sind – so wie es im Koalitionsvertrag beschlossen wurde – im Regelsystem Sozialgesetzbuch (SGB) zu versorgen.
  • Für Beziehende von Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ist eine bundesweite ausdrückliche Ausnahmeklausel oder ein gesetzlicher Anspruch auf behinderungsspezifische Sozial-, Gesundheits- und Teilhabeleistungen auf SGB-Niveau zu verabschieden, bis ein Regelzugang zum SGB für alle Menschen von Anfang an ermöglicht wird.
  • Die symbolpolitische Einführung einer bundesweiten Bezahlkarte zur Abschaffung von Überweisungs- und Bargeldmöglichkeiten für Asylsuchende und Geduldete ist zu verhindern.
  • Für Unterstützungsstrukturen im Bereich Flucht und Migration sind zusätzliche Fördermittel auf Bund- und Länderebene bereitzustellen, damit sie ihre elementare Arbeit fortführen können.

Selbstvertretungsvereine im Bereich Behinderung und Migration/Flucht und andere Akteure wie etwa Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbände, Träger von sozialen Dienstleistungen, Berufsverbände, ärztliche und psychotherapeutische, juristische und wissenschaftliche Akteure sowie weitere soziale Organisationen haben sich den Forderungen angeschlossen und den Brandbrief mitunterzeichnet.

Der Brief wurde am 15. März 2024 den zuständigen Ministerinnen und Ministern und Senatorinnen und Senatoren für Integration im Zuge der 19. Integrationsministerkonferenz übermittelt. Er kann nach wie vor unterzeichnet werden.

Informationen zu den Forderungen

(Quelle: Berliner Zentrum für Selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen; Bundesministerium für Arbeit und Soziales)


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