26.01.2024 Politik

Verordnungsentwurf zum Leistungszugang in der Eingliederungshilfe soll überarbeitet werden

Die meisten Änderungen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) sind bereits in Kraft. Aber noch fehlt eine Verordnung, die die bisherige Eingliederungshilfe-Verordnung ersetzt. Der vorhandene Entwurf der „Verordnung über die Leistungsberechtigung in der Eingliederungshilfe“ (VOLE) müsste einer Vorabevaluation zufolge in verschiedenen Aspekten nachbearbeitet werden. Insbesondere fehlten Kriterien für die Prüfung des Ausmaßes einer Teilhabeeinschränkung.

Im Zuge der Reformen zum BTHG sollte die bisherige Definition des leistungsberechtigten Personenkreises der Eingliederungshilfe als Menschen mit „wesentlicher“ Behinderung (§ 99 SGB IX) von einer gesetzlichen Regelung abgelöst werden, die unbestimmte Rechtsbegriffe so konkretisiert, dass diese wissenschaftlich überprüfbar sind. Hierfür hatte die Arbeitsgruppe „Leistungsberechtigter Personenkreis in der Eingliederungshilfe“ einen Vorschlag zur Überarbeitung von § 99 SGB IX in einer modernen diskriminierungsfreien Sprache vorgelegt, der 2021 im Teilhabestärkungsgesetz Verwendung fand. Des Weiteren hat die Arbeitsgruppe an einem Entwurf für die VOLE gearbeitet. Diese Verordnung soll künftig regeln, nach welchen Kriterien der Zugang zu Leistungen der Eingliederungshilfe erfolgen soll. Über den endgültigen Wortlaut wurde aber keine Einigung erzielt. Deshalb hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Juni 2022 die VOLE vorab evaluieren lassen. Das Ergebnis ist nun im Forschungsbericht 630 veröffentlicht.

Die Untersuchungen erfolgten durch die Kienbaum Consultants International GmbH in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Harry Fuchs, Prof. Dr. med. Michael Seidel und Prof. Dr. Reza Shafaei. Der Verordnungsentwurf wurde unter juristischen, medizinischen und sozialwissenschaftlichen Aspekten auf mögliche Änderungen hinsichtlich des leistungsberechtigten Personenkreises gegenüber der bislang maßgeblichen Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglHV) geprüft. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass bei der vorliegenden Fassung der §§ 2 und 4 VOLE weder eine Ausweitung noch eine Einschränkung des bisherigen Personenkreises zu erwarten ist:

„Voraussetzung ist allerdings eine, konsequent an den §§ 2 und 99 SGB IX sowie der Wesentlichkeit der Behinderung (Beeinträchtigung der Teilhabe) orientierte Auslegung und Anwendung der VOLE. Diese wird jedoch ohne weitere Konkretisierungen im Wortlaut und den Begründungen der VOLE, ergänzende bundeseinheitliche Empfehlungen zur Umsetzung und die notwendige, möglichst verpflichtende Fortbildung der mit der VOLE befassten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht als gesichert gelten.“

Ein Problem sehen die Autoren des Berichts darin, dass die VOLE wie auch die EinglHV lediglich die „Gesundheitsprobleme/Beeinträchtigungen“, die als Auslöser für eine Teilhabeeinschränkung und damit für eine wesentliche Behinderung in Betracht kommen, definiert. Kriterien für die Prüfung des Ausmaßes der Einschränkung der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft enthalte die VOLE nicht. Der Bericht unterstreicht daher unter anderem, dass aus dem Vorliegen einer bestimmten diagnostischen Kategorie allein nicht schon automatisch auf das Vorhandensein, auf Art oder Ausmaß der Teilhabebeeinträchtigungen der individuellen Patientin bzw. des individuellen Patienten geschlossen werden kann:

„Solche zu erfassen, bedarf immer des sorgfältigen Assessments der Schädigungen der Körperfunktionen- bzw. - strukturen, der Beeinträchtigungen der Aktivitäten, der Kontextfaktoren (personenbezogene Faktoren und Umweltfaktoren) und der konkreten individuellen Teilhabebeeinträchtigungen.“

Relevant seien dabei die „Wechselwirkungen der individuumsseitigen Aspekte (Schädigung von Funktionen und Strukturen, Beeinträchtigungen von Aktivtäten) mit den außerhalb des Individuums liegenden Umweltfaktoren.“

„Diese können nur konkret im individuellen Fall erfasst werden. Der Versuch, über die „Schwere“, die „Erheblichkeit“ oder ähnliche Graduierungen einer Gesundheitsstörung, einer körperlichen Krankheit, einer psychischen Störung oder über das Ausmaß der Beeinträchtigungen intellektueller oder anderer körperlicher Funktionen die Wesentlichkeit der Teilhabeeinschränkung zu begründen, verfehlt die konzeptionelle Anforderung, die Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren zu berücksichtigen.“

Entsprechende Textfassungen entsprächen nicht den Anforderungen der UN-BRK. Des Weiteren sei festzuhalten, dass die drei Formulierungsalternativen zu § 3 VOLE in unterschiedlichem Umfang zu einer Einschränkung des bisher von § 2 EinglHV erfassten Personenkreises („Geistig wesentlich behinderte Menschen“) führen würden.

Der Entwurf soll nun überarbeitet und erneut in der Arbeitsgruppe „Leistungsberechtigter Personenkreis“ besprochen werden.

Der Forschungsbericht „Untersuchung der Auswirkungen der Neufassung der den Leistungszugang in der Eingliederungshilfe konkretisierenden Verordnung (Vorabevaluation Leistungsberechtigter Personenkreis)“ ist abrufbar auf den Seiten des BMAS: Zum Forschungsbericht

Weitere Informationen

Der Paritätische Gesamtverband: „Verordnungsentwurf untersucht: Wer soll Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten können?“

Umsetzungsbegleitung BTHG: Ergebnisse der AG Leistungsberechtigter Personenkreis

Umsetzungsbegleitung BTHG: BMAS veröffentlicht Vorabevaluation

(Quellen: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Umsetzungsbegleitung BTHG)

 


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