In dem vorliegenden Beitrag setzt sich der Autor Roland Rosenow mit den sozialhilferechtlichen Regelungen zu besonderen Wohnformen der Eingliederungshilfe gemäß § 42a Abs. 2 S. 1 Nr. 2, S. 3 SGB XII auseinander und untersucht, welche Bedeutung diese für die Gestaltung von Wohn- und Betreuungsverträgen haben.
Der zweite Teil stellt dar, welche Grenzen für die Gestaltung von Wohn- und Betreuungsverträgen nach dem WBVG aus den neuen Vorschriften im SGB XII erwachsen. Der Autor kommt zu dem Schluss, dass Leistungserbringer die WBVG-Verträge so ausgestalten müssen, dass die in § 42a Abs. 5 S. 4 SGB XII aufgeführten Positionen vollständig als Kosten der Unterkunft ausgewiesen werden.
(Zitiervorschlag: Rosenow: Besondere Regelungen im SGB XII für sogenannte besondere Wohnformen – Teil II: Folgen für WBVG-Verträge; Beitrag A27-2021 unter www.reha-recht.de; 22.09.2021)
I. Einleitung
Im ersten Teil dieses Beitrags[1] wurde dargestellt, dass die neuen Vorschriften im Grundsicherungsrecht des SGB XII die Trennung der Leistungen der Eingliederungshilfe, die mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) vollzogen werden sollte, teilweise konterkarieren. Ohne direkt von stationären Leistungen zu sprechen, behält das Sozialhilferecht diese als Unterscheidung bei. Daher unterscheiden sich die Ansprüche von Leistungsberechtigten in Einrichtungen, die bis Ende 2019 als stationäre galten, von Leistungen anderer Berechtigter. Der vorliegende zweite Teil des Beitrags stellt dar, welche Anforderungen an die Gestaltung von Wohn- und Betreuungsverträgen nach dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) daraus erwachsen.
II. Auswirkungen auf die Wohn- und Betreuungsverträge
Leistungserbringer werden in aller Regel wirtschaftlich daran gehindert sein, die Unterkunft in einer (bislang) stationären Einrichtung gegen ein Entgelt zur Verfügung zu stellen, das die 100%-Grenze nicht übersteigt. Zum ersten liegt diese wegen der gesetzlichen Definition meist deutlich unter der Angemessenheitsgrenze aus § 35 Abs. 2 SGB XII bzw. § 22 Abs. 1 SGB II (oft als „Mietobergrenze” bezeichnet). Denn sie ist der Durchschnittswert der Kosten der Unterkunft, die unterhalb der „Mietobergrenze” liegen.[2] Zum Zweiten korrelieren die „Mietobergrenzen” nicht mit den regionalen Mietniveaus. Sie beruhen im Wesentlichen auf politischen Entscheidungen der Kommunen.[3] Zum Dritten sind Wohnheimplätze in stationären Einrichtungen hinsichtlich ihrer Gestehungskosten nicht mit einfachem Wohnraum, der den „Mietobergrenzen” zugrunde liegen soll, zu vergleichen. Für Wohnheimplätze gelten umfangreiche besondere Voraussetzungen wie Barrierefreiheit, besonderer Brandschutz, Mindestflächen u. v. m., die sie teurer machen. Damit sind die Leistungserbringer faktisch gezwungen, die Positionen aus § 42a Abs. 5 S. 4 SGB XII, die im Rahmen von Mietverhältnissen in aller Regel nicht zu den Kosten der Unterkunft zählen, im WBVG-Vertrag diesen zuzuordnen. Denn nur so lösen sie die Erhöhung der Kappungsgrenze um 25% aus.
Nach dem Wortlaut von § 42a Abs. 5 S. 4 SGB XII könnte es zwar ausreichen, wenn nur eine der hier genannten Positionen als Teil der Kosten der Unterkunft ausgewiesen ist. Doch neben den o. g. wirtschaftlichen Zwang treten Vorschriften zwingenden Rechts, die der Gestaltungsfreiheit der Leistungserbringer enge Grenzen setzen. WBVG-Verträge sind fast ausnahmslos Formularverträge, die durch die Betreiber der Einrichtungen gestaltet werden.[4] Damit unterliegen sie nicht nur dem zwingenden Recht des WBVG (§ 16 WBVG), sondern auch den Vorschriften über Formularverträge (§§ 305 ff. BGB), insbesondere der Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB.
Eine Gestaltung des WBVG-Vertrages, mit der die in § 42a Abs. 5 S. 4 SGB XII genannten Positionen nicht im Rahmen der Kosten der Unterkunft berücksichtigt und stattdessen den weiteren Kosten zugeschlagen würden, die Leistungsberechtigte aus dem Regelsatz aufbringen müssen, kann zunächst an § 32 SGB I scheitern. Danach sind privatrechtliche Vereinbarungen, die zum Nachteil des Sozialleistungsberechtigten von Vorschriften des Sozialgesetzbuchs abweichen, nichtig.
Die hier relevanten Vorschriften des Sozialgesetzbuchs sind:
- § 8 Abs. 1 S. 2 RBEG i. d. F. v. 22. Dezember 2016 für das Jahr 2020 und § 8 Nr. 2 lit. b RBEG i. d. F. v. 9. Dezember 2020 für das 2021. Danach gilt für Bewohnerinnen und Bewohner von Wohnformen nach § 42a Abs. 2 S. 1 Nr. 2 i. V. m. S. 3 SGB XII (Umschreibung für stationäre Einrichtungen der Eingliederungshilfe) die Regelbedarfsstufe 2.
- § 42a Abs. 5 S. 6 SGB XII i. d. F. v. 30. November 2019[5] für den Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis zum 9. Juni 2021 und § 42a Abs. 5 S. 4 SGB XII i. d. F. v. 2. Juni 2021 ab 10. Juni 2021. Danach setzt die Erhöhung der Kappungsgrenze für die Kosten der Unterkunft für die o. g. Gruppe voraus, dass Kosten für Möblierung, Haushaltsstrom, Instandhaltung des Wohnraums, die Ausstattung mit Haushaltsgroßgeräten, Gebühren für Telekommunikation und Gebühren für den Zugang zu Rundfunk, Fernsehen und Internet ganz oder teilweise den Kosten der Unterkunft zugeordnet werden.
- § 27a Abs. 4 S. 5 SGB XII.[6] Danach ist der Regelsatz abweichend von § 27a Abs. 4 S. 1 SGB XII nicht zu Lasten der leistungsberechtigten Person anzupassen, wenn die in § 42a Abs. 5 S. 4 SGB XII (aktuelle Fassung) aufgeführten Positionen Teil der Kosten der Unterkunft sind.
Die Zuordnung der Regelbedarfsstufe 2 ist gesetzlich normiert. Sie kann wohl einzig durch die Erwartung des Gesetzgebers legitimiert werden, dass die Kosten für Möblierung, Haushaltsstrom, Instandhaltung des Wohnraums, die Ausstattung mit Haushaltsgroßgeräten, Gebühren für Telekommunikation und Gebühren für den Zugang zu Rundfunk, Fernsehen und Internet zu den Kosten der Unterkunft gehören. Die Sozialgerichtsbarkeit tendiert dazu, § 32 SGB I weit auszulegen.[7] Danach wäre eine Vertragsgestaltung, die diese Kosten den Leistungsberechtigten aufbürdet, wohl als privatrechtliche Vereinbarung, die zum Nachteil des Sozialleistungsberechtigten von Vorschriften des Sozialgesetzbuchs abweicht, zu verstehen. § 32 SGB I normiert für diesen Fall die Rechtsfolge der Nichtigkeit des Vertrages.
Doch auch dann, wenn man diesem weiten Verständnis von § 32 SGB I nicht folgen möchte, kommt man nach Auffassung des Autors zu keinem anderen Ergebnis. Zunächst ist in Erinnerung zu rufen, dass die Bezifferung des Regelsatzes nicht im freien Belieben des Gesetzgebers steht. Die Höhe bedürftigkeitsabhängiger existenzsichernder Leistungen ist von Verfassungs wegen durch den parlamentarischen Gesetzgeber in einem plausiblen und transparenten Verfahren zu beziffern und einfachgesetzlich auszugestalten.[8] Zwar verpflichten die zugrunde liegenden Vorschriften Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 GG den Staat und nicht die Leistungserbringer. Doch die Grundrechte entfalten Ausstrahlungswirkung, die die Auslegung zivilrechtlicher Vorschriften beeinflusst.[9] Insoweit ist die Rechtsprechung des BVerfG zum Recht existenzsichernder Leistungen zu beachten, wenn der Begriff der Angemessenheit aus § 7 Abs. 2 S. 1 WBVG konkretisiert wird. Das spricht dafür, dass das Teilentgelt, das die leistungsberechtigte Person aus dem Regelsatz bezahlen muss, nicht als angemessen i. S. v. § 7 Abs. 2 S. 1 WBVG gelten kann, wenn es Positionen enthält, die durch § 8 Nr. 1 lit b RBEG pauschal aus dem Regelsatz herausgerechnet wurden und die zugleich wegen § 42a Abs. 5 S. 4 SGB XII den Kosten der Unterkunft zugerechnet werden können – ohne dass dem Leistungserbringer daraus ein Nachteil erwüchse. Rechtsfolge ist nach § 7 Abs. 2 S. 1 WBVG, dass der Verbraucher das Entgelt nicht schuldet, soweit es unangemessen hoch ist.
Darüber hinaus beeinflusst die Ausstrahlungswirkung die Auslegung der §§ 305 ff. BGB. Der Autor ist daher der Auffassung, dass eine Vertragsgestaltung, mit der ein Leistungserbringer bewirkt, dass die leistungsberechtigte Person aus der Grundsicherung nach SGB XII Aufwendungen trägt, die der Gesetzgeber nicht vorgesehen hat, als treuwidrige unangemessene Benachteiligung i. S. v. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB zu werten wäre. Die Folge wäre, dass der WBVG-Vertrag insoweit unwirksam ist.
III. Ergebnis
Das Recht der wirtschaftlichen Grundsicherung nach dem SGB XII enthält eine Reihe von Bestimmungen, die Grundsätze des Sozialhilferechts durchbrechen und zugleich der Trennung von Fachleistung der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX und Grundsicherungsleistung nach dem SGB XII entgegenstehen. Sie begrenzen die Ausgaben des Bundes für die Leistungen nach dem 4. Kap. des SGB XII. Dazu wurde zum einen eine Kappungsgrenze für die Kosten der Unterkunft eingeführt, die der Sozialhilfeträger in Wohnformen nach § 42a Abs. 2 S. 1 Nr. 2 & S. 3 SGB XII trägt. Zum zweiten wurden für Leistungsberechtigte, die in diesen Wohnformen leben, einige Bedarfspositionen aus dem Regelsatz in die Kosten der Unterkunft verlagert. Die Kosten der Unterkunft, die die Kappungsgrenze übersteigen, wurden in die Eingliederungshilfe transferiert, deren Kosten die Länder tragen.
Diese unübersichtliche Konstruktion verlangt, dass die Leistungserbringer die WBVG-Verträge so ausgestalten, dass die in § 42a Abs. 5 S. 4 SGB XII aufgeführten Positionen vollständig als Kosten der Unterkunft ausgewiesen werden. Täten sie das nicht, wäre die Folge, dass die pauschale Kürzung des Regelsatzes um die Differenz zwischen Regelbedarfsstufe 1 und Regelbedarfsstufe 2 sich zu Lasten der Leistungsberechtigten auswirkte. Doch eine solche Vertragsgestaltung könnte unwirksam sein, weil Vorschriften zwingenden Rechts (§ 32 SGB I, § 7 Abs. 2 S. 1 WBVG, § 307 Abs. 1 S. 1 BGB) ihr entgegenstehen.
Beitrag von Roland Rosenow
Fußnoten
[3] Das wird allerdings erst deutlich, wenn man das vom BMAS in Auftrag gegebene Gutachten genau studiert: IWU - Institut für Wohnen und Umwelt : Ermittlung der existenzsichernden Bedarfe für die Kosten der Unterkunft und Heizung in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), 2017, https://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/Forschungsberichte/fb478-ermittlung-existenzsicherende-bedarfe.html, zuletzt abgerufen am 14.04.2019.
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