04.03.2020 A: Sozialrecht Scheufens: Beitrag A3-2020

Teilhabe – Chance und Herausforderung für die Jobcenter

Thomas Scheufens berichtet über die infolge des Bundesteilhabgesetzes (BTHG) neu justierte Rolle der Jobcenter im Rehabilitationsprozess und den damit verbundenen Chancen sowie Herausforderungen. Er sieht die Jobcenter bereits seit 2005 in der Herausforderung sich als „externe Akteure“ im Teilhabesystem zu positionieren und rät sie dazu an, Rehabilitation und Teilhabe ganzheitlich zu betrachten und dementsprechende Netzwerk- und Kommunikationsstrukturen nicht nur zur Bundesagentur für Arbeit, sondern auch zu allen anderen Rehabilitationsträgern zu pflegen und auszubauen (II.). Scheufens stellt anschließend dar, dass seit Inkrafttreten des BTHG auch die Jobcenter in der Verpflichtung stehen Rehabilitationsbedarfe zu erkennen und auf eine Antragstellung hinzuwirken, was jedoch zu Konflikten mit ihren gesetzlichen Zielvorgaben führen kann (III.). Abschließend zeigt er die in Betracht kommenden Instrumente zur Implementierung der Jobcenter in das Rehabilitationssystem auf (IV.) und kommt zum Fazit, dass eine verbesserte Betreuung und Beratung von Menschen mit Behinderungen nur gelingt, wenn alle Akteure des Rehabilitationsprozesses zusammenarbeiten und die Jobcenter dabei nicht außen vor gelassen werden.

(Zitiervorschlag: Scheufens: Teilhabe – Chance und Herausforderung für die Jobcenter; Beitrag A3-2020 unter www.reha-recht.de; 04.03.2020)

I. Einleitung

Die Rolle der Jobcenter im Rehabilitationssystem zu beschreiben, gerät unter objektiven Maßstäben zu einer komplexen Herausforderung. Die Gründe sind vielfältig. Jobcenter sind i. S. des § 6 SGB IX keine Rehabilitationsträger. Jedoch werden im Rechtskreis des SGB II Rehabilitandinnen und Rehabilitanden aller Rehabilitationsträger aktiv beraten, so dass die „Integrationsverantwortung“ der Jobcenter in dieser Hinsicht unbestritten sein sollte. Um Irritationen zu vermeiden, sollten sowohl Jobcenter als auch Rehabilitationsträger den Ansatz einer gemeinsamen Integrationsverantwortung verinnerlichen. Ferner ist die Rolle der Jobcenter im Rehabilitationsprozess durch die Einführung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) neu justiert und um einige, nun verpflichtende Optionen und Aufgaben erweitert worden. Nachgewiesen gibt es bei den im SGB II betreuten Ratsuchenden eine hohe Disposition zu multiplen gesundheitlichen Beeinträchtigungen.[1] Somit war die in den vergangenen Jahren verstärkte Ausrichtung der Jobcenter auf den in erheblicher Größenordnung vorhandenen Personenkreis erkrankter, behinderter und von Behinderung bedrohter Personen in Zeiten von Fachkräftemangel und Inklusion auch ohne Einführung neuer gesetzlicher Impulse bereits vorhanden und alternativlos.

II. Die Verankerung der Jobcenter im Rehabilitations- und Teilhabeprozess

Die Jobcenter stehen bereits seit ihrer Implementierung im Jahr 2005 vor der großen Herausforderung, sich als „externer Akteur“ im Teilhabesystem zu positionieren. Die mit der Einführung des SGB II verankerte Regelung des § 6a SGB IX, anschließend mit der Novellierung des SGB IX zum § 6 Abs. 3 SGB IX weiterentwickelt, hat immer wieder entsprechende und durchaus kontroverse Diskussionen zur Rolle der Jobcenter im Rehabilitationssystem entfacht.[2] Die Frage mag erlaubt sein, ob es nicht zielführender gewesen wäre, die Jobcenter selbst als Rehabilitationsträger für die Zielgruppe, bei der kein vorrangiger und ursächlicher Prozessträger verantwortlich ist, zu implementieren. Gründe gab und gibt es sicherlich weiterhin, diese Idee auf Wirksamkeit zu überprüfen. Fehler und Mängel, wie sie unter anderem der Bericht der Internen Revision der Agentur für Arbeit benannt hat, sind eher auf organisatorische Defizite und nicht funktionierende Kommunikationsabläufe zurückzuführen, die auf Seiten aller handelnden Akteure Korrekturbedarf aufzeigen.[3] Da die Zusammenarbeit an der Schnittstelle des § 6 Abs. 3 SGB IX von Jobcentern und Arbeitsagenturen weitgehend positiv bewertet wird, bedarf es zumindest keiner umfassenden Systemveränderung, die letztendlich eine Abspaltung der Zielgruppe aus der Zuständigkeit der Jobcenter vorsähe und wiederum für einen sehr langen Zeitraum unübersichtliche Strukturen nach sich ziehen würde. Eine Implementierung der Jobcenter als Rehabilitationsträger für den entsprechenden Personenkreis würde hingegen „Hilfen aus einer Hand“ ermöglichen und bestehende Prozesse womöglich noch optimieren.

Perspektivisch sind die Jobcenter aufgrund ihrer Bewerberstruktur dringend angehalten, Rehabilitation und Teilhabe ganzheitlich zu betrachten. Netzwerkstrukturen und Kommunikationsformate sind zu allen in § 6 SGB IX genannten Rehabilitationsträgern zu pflegen und weiterzuentwickeln. Um wesentlich gesundheitlich beeinträchtigten Personen den Weg einer nachhaltigen Integration zu ebnen, bedarf es für die Jobcenter mehr als einer starren Ausrichtung auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, sondern explizit der Nutzung aller Teilhabeinstrumente. Eine engmaschige Anbindung an einen einzigen Rehabilitationsträger der Arbeitsverwaltung scheint somit nicht ausreichend und erfolgversprechend. Da die Rehabilitationsträger durchaus Unterschiede in ihrer Ausrichtung, ihrer Organisationsstruktur und in ihrem Leistungskatalog aufweisen, ist bei der Ausgestaltung von funktionierenden Netzwerkstrukturen eine regionale Flexibilität angezeigt. Ein relativ neues Feld, die Soziale Teilhabe, entwickelt sich zudem unbestritten zu einem Kernthema als Grundlage und Voraussetzung für eine spätere „Rehabilitationsfähigkeit“ bei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.[4] Personen, die aufgrund ihrer Erkrankung bereits jahrelang gesellschaftlich isoliert sind, werden selten erfolgreich ihre berufliche Zielplanung realisieren können, ohne dass es entsprechend intensiver Unterstützungsangebote bedarf. Ausschlaggebend für die Erweiterung dieser Zielgruppe ist der Aspekt, dass mittlerweile bereits eine drohende, oftmals seelische Behinderung ausreichend sein kann, um von entsprechenden Unterstützungsleistungen zu profitieren.[5] Die jahrzehntelange Annahme, dass sich Leistungen der Eingliederungshilfe ausschließlich auf den Personenkreis nicht erwerbsfähiger und werkstattberechtigter Menschen fokussieren, ist durch die Novelle des SGB IX in Teilen weitgehend aufgehoben.

Ebenso ist die Zahl derjenigen Leistungsberechtigten im SGB II, die von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben aus dem Rechtskreis der Rentenversicherung (SGB VI) partizipieren und sich somit außerhalb der Schnittstelle zur Agentur für Arbeit befinden, in erheblicher Größenordnung vorhanden. Ausschlaggebend für die entsprechende Prozessträgerschaft des Rentenversicherungsträgers sind die erfüllten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 11 SGB VI) sowie unmittelbare Leistungen nach Abschluss einer medizinischen Rehabilitation durch die Träger der Rentenversicherung.[6] Neben den versicherten arbeitsuchenden Personen mit leistungsrechtlichen Ansprüchen nach dem SGB VI, auf deren Schnittstellenberatung man sich gemeinsam in der Verfahrensabsprache zwischen Deutscher Rentenversicherung, Bundesagentur für Arbeit und kommunalen Spitzenverbänden[7] zu Beginn des Jahres 2018 verständigt hat, muss in diesem Zusammenhang auch auf den Personenkreis der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit ergänzenden Ansprüchen nach dem SGB II hingewiesen werden.[8] Viele dieser langjährigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedürfen präventiver Unterstützungsangebote im Rahmen von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben[9]
oder alternativ vorgeschalteter Hilfsangebote durch die Rehabilitationsträger (z. B. MBOR -„medizinisch-berufliche orientierte Rehabilitation“), um dauerhaft die Erwerbsfähigkeit und ihren Arbeitsplatz erhalten zu können.[10] Auch hier bedarf es nach Möglichkeit einer Synchronisation und Abstimmung zwischen potenziellen Rehabilitanden, Rehabilitationsträgern und Jobcentern, um Fehlentwicklungen im Beratungsprozess zu vermeiden.

§ 10 Abs.1 SGB IX ermöglicht im Einzelfall eine gleichzeitige Prüfung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie von direkt anschließenden Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Empfehlungen und Überlegungen, diese Einzelfalloption zu einem gängigen Antragsverfahren auszuweiten, erscheinen in der Praxis aus Sicht der Jobcenter nicht sinnvoll. Sich bereits vor Ablauf einer medizinischen Rehabilitationsleistung auf konkrete Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu verständigen, erscheint oftmals spekulativ, da das Ergebnis der vorgeschalteten Leistung gerade in Bezug auf das spätere Leistungsbild häufig nicht bekannt und vorhersehbar ist. Entsprechende Irritationen sind somit denkbar, sollten aber im Sinne der Rehabilitanden dringend vermieden werden. Dementsprechend ist eine schrittweise Prüfung von Leistungen, die auf vorhandene Ergebnisse aufbauen, als sinnvoller und wirkungsvoller Verfahrensschritt zu empfehlen.

III. Die Ansätze des BTHG und Herausforderungen in deren Umsetzung

Mit der Umsetzung des BTHG hat der Gesetzgeber eindeutig seine Erwartung verknüpft, dass auch die Jobcenter in der Verpflichtung stehen, Rehabilitationsbedarfe zu erkennen und auf eine Antragstellung beim voraussichtlich zuständigen Rehabilitationsträger hinzuwirken. Dabei darf man jedoch das Grundverständnis der Jobcenter nicht außen vorlassen, Leistungen der Grundsicherung insbesondere darauf auszurichten, dass durch eine Erwerbstätigkeit Hilfebedürftigkeit vermieden oder beseitigt, die Dauer der Hilfebedürftigkeit verkürzt oder der Umfang der Hilfebedürftigkeit verringert wird.[11] Beide Zielsetzungen widersprechen sich zunächst objektiv nicht, wenn davon ausgegangen werden kann, dass quasi jede Bedarfserkennung zwangsläufig in ein zielführendes und nachhaltiges Teilhabeverfahren mündet, welches, ausgelöst durch die „besondere Unterstützung“, auch eine Integration in den Arbeitsmarkt mit sich bringen wird.

Komplexer wird es jedoch, wenn ein Teilhabebedarf durchaus erkannt wird, im Grundverständnis des SGB IX auch angebahnt werden müsste, das Jobcenter jedoch im Vorfeld zur Bewertung gelangt, dass die Antragstellung aufgrund unterschiedlicher Faktoren nicht zielführend oder zum Nachteil der ratsuchenden Personen verlaufen könnte. Eine solche Bewertung ist aufgrund von Erfahrungen im Beratungsalltag durchaus möglich und auch an geeigneten Indikatoren zu benennen. Anzuführen ist hier unter anderem die durch die ärztlichen Dienste der Rehabilitationsträger des Öfteren festgestellte Vorrangigkeit medizinischer und stabilisierender Leistungen, die nicht direkt dem akutmedizinischen Leistungsspektrum zuzuordnen sind. Oftmals zieht diese Feststellung eine „vorübergehende“ und „andauernde“ Ablehnung von Anträgen auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach sich. Exemplarisch zu nennen sind ambulante Psychotherapien mit einer Dauer von mehreren Monaten bis Jahren, die Durchführung von ergänzenden Angeboten wie Rehabilitationssport oder stabilisierende Arbeitsgelegenheiten. In Hinblick auf die Frage, ob bei Personen mit genannten indizierten medizinischen Unterstützungsbedarfen nicht schon parallel Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erfolgreich greifen könnten, gibt es durchaus differenzierte und kontroverse Ansichten zwischen Fachkräften der Arbeitsvermittlung und den ärztlichen Diensten der Rehabilitationsträger. Durch eine gerade im ländlichen Raum kritische therapeutische Versorgungsstruktur wird somit der Prozess nicht selten negativ belastet, da sich für viele Ratsuchende oftmals keine Möglichkeit eröffnet, die vom Rehabilitationsträger im Vorfeld eingeforderten Schritte anzugehen. Negative Prozesse können sich somit durchaus manifestieren.

Ebenfalls zu nennen ist explizit das Leistungsverbot gem. § 22 SGB III i. V. m. § 16 SGB II (Stand Dezember 2019). In dem Moment, in dem Rehabilitationsträger kein adäquates Angebot in gleicher Wirksamkeit vorhalten können, entsteht ggfs. eine „Benachteiligung“ der potenziellen Rehabilitanden. Im Jahr 2019 waren hier beispielhaft Instrumente wie das Teilhabechancengesetz, die Gewährung von Einstiegsgeld nach einer Arbeitsaufnahme, die Stabilisierung durch eine Arbeitsgelegenheit sowie die aktive Nutzung kommunaler Eingliederungsleistungen wie z. B. Suchtberatung, psychosoziale Beratung sowie Schuldnerberatung zu benennen.[12] Jegliche dieser Optionen waren Rehabilitanden im Bereich der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach verschlossen.

In der Diskussion steht zudem häufig der Aspekt außen vor, dass eine Vielzahl potenzieller und anspruchsberechtigter Rehabilitanden einem möglichen Teilhabeverfahren skeptisch bis ablehnend gegenübersteht. Es wäre unzutreffend, diese Skepsis ausschließlich mit fehlender Mitwirkung zu erklären. Richtig ist, dass Personen mit schwieriger Erwerbsbiografie nicht selten bereits subjektiv negative Erfahrungen im Rehabilitationssystem haben. Ebenso leisten häufig monetäre Zwänge ihren Beitrag, dass Personen mit deutlich angezeigten Teilhabebedarfen gar nicht in das notwendige Unterstützungssystem einmünden, sondern nicht leidensgerechte Tätigkeiten aufnehmen oder fortführen, die nachhaltig zu einer Verschlechterung der gesundheitlichen Situation führen werden. Eine verpflichtende Anbahnung in das bestehende Teilhabesystem gegen den Willen der Ratsuchenden erscheint auch in Hinblick auf einen möglichen Maßnahmeerfolg nicht zielführend. Somit ist in den Jobcentern eine erhebliche pädagogische Überzeugungsarbeit zu erbringen, um den gewünschten Effekten des BTHG auch gerecht werden zu können.

IV. Instrumente zur Implementierung der Jobcenter im Rehabilitationssystem

Den Jobcentern bieten sich nach der Novellierung des SGB IX sowie nach der trilateralen Verfahrensabsprache 2018 Möglichkeiten, sich aktiv und auch im Sinne ihrer Ratsuchenden in das Rehabilitationssystem einzubringen.[13]

Wie schon beschrieben, ist eine funktionierende Netzwerkarbeit im Sinne der Ratsuchenden und Rehabilitanden unabdingbar. Um offene Fragen und Abläufe untereinander abzustimmen und die Zusammenarbeit regelmäßig reflektieren und optimieren zu können, bieten sich die in der Verfahrensabsprache empfohlenen Regionalkonferenzen als hilfreiches Austauschforum an.[14] Thematisch sollte hier als ein Teilaspekt die Einbindung der Jobcenter in die Teilhabeplanung besprochen werden. Jobcenter zählen zwar, wie bereits beschrieben, nicht zu den Rehabilitationsträgern i. S. des § 6 SGB IX, werden jedoch im Teilhaberecht des SGB IX bei Bedarf in unterschiedlichen Bereichen beteiligt – so z. B. aufgrund § 22 Abs. 4 SGB IX. Danach können die Jobcenter dem für die Teilhabeplanung verantwortlichen Rehabilitationsträger ihre Beteiligung an der Durchführung des Teilhabeplanverfahrens vorschlagen. Sie sind sogar zu beteiligen, soweit ihre Beteiligung zur Feststellung des Rehabilitationsbedarfs erforderlich ist und dies den Interessen der Leistungsberechtigten entspricht.

Erweitert wird die Beteiligung der Jobcenter durch ihre Option, aktiv und bei Einverständnis des Rehabilitanden/der Rehabilitandin eine Teilhabeplankonferenz zu begleiten oder anzuregen.[15] Auch diese Schritte müssen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Strukturen auf Wirksamkeit und Effizienz aufeinander abgestimmt werden. Für die bereits beschriebene Aufgabe, Rehabilitationsbedarfe nicht nur frühzeitig zu identifizieren, sondern auch zielführend anzubahnen, bedarf es jedoch mehr als der bloßen Teilnahme an Teilhabeplankonferenzen. Eine ausreichende Kenntnis der zuständigen Integrationsfachkräfte in den Jobcentern über die jeweiligen, auch regional unterschiedlichen Teilhabeangebote erleichtert die passgenaue Beratung eminent. Denn eine entsprechende Anbahnung kann nur durch ausführliche und vollständige Beratung erfolgen. Auch hier bieten die regionalen Fachtreffen die Möglichkeit, sich gegenseitig über aktuelle Entwicklungen und Instrumente auszutauschen. Auch intensive Schulungen sind für die Beratungskräfte der Jobcenter zwingend erforderlich, um ihren Auftrag adäquat umsetzen zu können. Aufgrund der eindeutigen Prozessträgerschaft kann eine Vermittlungs- und Beratungsfachkraft im Jobcenter natürlich nicht die Leistung eines Rehabilitationsträgers vorwegnehmen. Aber der Tatbestand, dass viele Ratsuchende ihren Rehabilitationsbedarf im „vielleicht“ einzigen und ersten Beratungstermin nicht ausreichend kommunizieren können, macht die Notwendigkeit einer intensiven Vorarbeit und Überzeugungsarbeit des Jobcenters deutlich. Ansonsten besteht die Gefahr, dass potenzielle Rehabilitanden auf dem Weg zur erfolgreichen Umsetzung das Interesse verlieren, abgeschreckt werden und verloren gehen.

V. Fazit

Das BTHG hat das Ziel, eine verbesserte Betreuung und Beratung behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen zu gewährleisten. Diese Vorgabe umzusetzen, bedeutet auch für die Jobcenter eine erhebliche organisatorische Herausforderung und vertiefte inhaltliche Ausrichtung auf die beschriebene Zielgruppe. Erfolgreich werden diese Bemühungen jedoch nur sein, wenn sich alle beteiligten Akteure darauf konzentrieren, gemeinsam die komplexen Strukturen im Rehabilitationsbereich zu überwinden und eine pragmatische Beratungskultur nah am Menschen schaffen und umsetzen. Und letztendlich bleibt darauf hinzuweisen, dass ein Gelingen nicht nur in den Händen der Jobcenter, sondern aller Kooperationspartner liegt. Sollten die Rehabilitationsträger die Jobcenter trotz ihrer intensiveren Kontaktdichte im Prozessablauf außen vor lassen, werden sich die vom Gesetzgeber gewünschten Effekte nicht erzielen lassen. Es erscheint aufgrund der schon vorhandenen komplexen Struktur somit ratsam, die Rolle der Jobcenter im Rehabilitationssystem zu stärken und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu befähigen, eigenständig und aufgrund ihrer Nähe zu den Ratsuchenden als „Multiplikator“ zwischen Rehabilitationsträger und Rehabilitand bzw. Rehabilitandin in dieser direkten Schnittstelle zu agieren.

Beitrag von Thomas Scheufens, MaßArbeit, kommunale Anstalt öffentlichen Rechts (kAöR), Kommunales Jobcenter Landkreis Osnabrück

Fußnoten

[1] Eggs/Trappmann/Unger, Grundsicherungsempfänger und Erwerbstätige im Vergleich: ALG-II-Bezieher schätzen ihre Gesundheit schlechter ein, IAB-Kurzbericht, 23/2014, abrufbar unter: http://doku.iab.de/kurzber/2014/kb2314.pdf; zuletzt abgerufen am 04.02.2020.

[2] Vgl. Sellnick: Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben durch den Rentenversicherungsträger bei Langzeitarbeitslosigkeit – Anmerkung zu BSG, Urteil vom 12. März 2019 – B 13 R 27/17 R; Beitrag A22-2019 unter www.reha-recht.de; 21.10.2019, Fußnote 14.

[3] Bundesagentur für Arbeit, Interne Revision, Juni 2018, abrufbar unter: https://www.arbeitsagentur.de/datei/revisionsbericht-reha_ba041163.pdf, zuletzt abgerufen am 20.01.2020.

[4] §§ 76 ff. SGB IX.

[5] § 99 SGB IX i. V. m. § 53 Abs. 1 SGB XII in der Fassung vom 31. Dezember 2019.

[6] § 11 Abs. 1 SGB VI und § 11 Abs. 2a SGB VI

[7] Verfahrensabsprache der Deutschen der Rentenversicherung, der Bundesagentur für Arbeit, des Deutschen Landkreistages und des Deutschen Städtetages über die Zusammenarbeit im Bereich der Leistungen der Rentenversicherung zur Teilhabe am Arbeitsleben, Januar 2018, abrufbar unter: https://umsetzungsbegleitung-bthg.de/w/files/links-und-downloads/verfahrensabsprache-drv-ba-dlt-dst.pdf, zuletzt abgerufen am 20.01.2020.

[8] Vgl. Struktur der Aufstocker: Erwerbstätigkeit und ALG II-Bezug, 09/2018, abrufbar unter: http://www.sozialpolitik-aktuell.de/tl_files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Arbeitsmarkt/Datensammlung/PDF-Dateien/abbIV81.pdf, zuletzt abgerufen am 20.01.2020.

[9] Vgl. §§ 49 ff. SGB IX.

[10] Vgl. Manteuffel, Arbeitswelt wird zum Kernthema, Deutsches Ärzteblatt 2013; 110(46), A-2196 / B-1931 / C-1876, abrufbar unter: https://www.aerzteblatt.de/pdf.asp?id=149177, zuletzt abgerufen am 20.01.2020.

[11] Vgl. § 1 Abs. 2 S. 4 Nr. 1 SGB II

[12] Vgl. §§ 16a ff. SGB II

[13] Verfahrensabsprache der Deutschen der Rentenversicherung, der Bundesagentur für Arbeit, des Deutschen Landkreistages und des Deutschen Städtetages über die Zusammenarbeit im Bereich der Leistungen der Rentenversicherung zur Teilhabe am Arbeitsleben, Januar 2018, abrufbar unter: https://umsetzungsbegleitung-bthg.de/w/files/links-und-downloads/verfahrensabsprache-drv-ba-dlt-dst.pdf, zuletzt abgerufen am 20.01.2020.

[14] Vgl. Verfahrensabsprache der Deutschen der Rentenversicherung, der Bundesagentur für Arbeit, des Deutschen Landkreistages und des Deutschen Städtetages Januar 2018, Abschnitt 5 Abs. 3.

[15] Vgl. § 20 Abs. 1 S. 2 SGB IX.


Stichwörter:

Bundesteilhabegesetz (BTHG), Jobcenter, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, Grundsicherung, Berufliche Rehabilitation


Kommentare (1)

  1. Jens Schubert
    Jens Schubert 20.03.2020
    Die Rolle der Job Center……???

    Kurz erklärt, aus Sicht eines betroffenen!
    Und somit Profi in eigener Sache.

    Meiner Persönlichen Erfahrung nach, ist das Personal auf der Operativen ebene Überfordert!!!!
    Dies Spiel läuft bei mir schon seit Mitte 2008 und dies kontinuierlich.
    In dieser Zeit wurde eine GDB von 40 und Jahre später einen GDB von 50 anerkannt!
    In dem Löwenanteil der Eingliederungsvereinbarungen (EinglVb ) ist sinngemäß zu entnehmen das das Ziel sein solle die Gesundheit zu Stabilisieren!!!

    Zu diesen Eingliederungsvereinbarungen sind auch schon einige Entscheidungen beim BSG ergangen. Meinem Verständnis nach – als nicht Jurist – sind alle EinglVb die ausgestellt worden sind rechtswidrig.

    Das BTHG vs. ICF?
    Wenn das bisherige Behindertenrecht nur mit „Krücken“ funktioniert wundert es mich nicht das dies bis heute kaum erfolge zeigt!!!
    Da wird das Bedarfsinstrument der WHO kaum etwas ändern da hier Wirtschaftlichkeit im Vordergrund steht.
    Randbemerkung:
    „Das LEBEN an sich ist nicht mit Wirtschaftlich dazustellen!!!“
    Sind 11,5 Jahre ALG II Wirtschaftlich?

    Ein letztes Wort:
    Vier Jahre hatten die Behörden das Bedürfnis meine Erziehung zu übernehmen, mit dem vermeintlichem Ziel ein Leistungsträger zu werden. Aber mit Vollendung des achtzehnten Lebensjahr war Schluss mit Unterstützung.
    Aus dieser Zeit habe ich eins mitgenommen, hilf dir Selbst denn es Interessiert keinen wie es einem geht. Und erst recht nicht wenn keine Leistung in Form von Arbeit erbracht werden kann.
    Somit auch nicht in ferner Zukunft, es sei denn es geht in Richtung Arbeit!!
    Bevor ich es Vergesse: Denn GDB Grad ist Psychisch/seelischer Natur.
    Also nichts Offensichtliches wie eine Mobilitätseingeschränkt oder ähnliches.

    Abschließende Frage:
    Wie soll das gehen, wenn der Betroffene nicht einmal mit sich Selber (allein) klarkommt oder sein eigenes Leben einigermaßen bewältigt, wie soll es dann noch mit Arbeit funktionieren?
    Aber die Antwort ist jetzt schon klar, keine Arbeit keine Teilhabe!!!

    MFG Jens Schubert

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