28.02.2018 A: Sozialrecht Conrad-Giese: Beitrag A4-2018
Hilfen zur angemessenen Schulbildung außerhalb des pädagogischen Kernbereichs, Anmerkung zu BSG 09.12.2016 – B 8 SO 8/15 R
Im vorliegenden Beitrag setzt sich Dipl. jur. Maren Conrad-Giese mit einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 09.12.2016 auseinander.
In dem zugrundeliegenden Fall geht es um eine Schülerin, die mit dem Down-Syndrom geboren wurde und daraus resultierende Sprach- und motorische Entwicklungsverzögerungen zeigte. Sie wurde an einer Regelschule zieldifferent gemeinsam mit Schülern ohne Behinderung mit dem Bildungsangebot zur Förderung geistig behinderter Schüler unterrichtet und zusätzlich sonderpädagogisch betreut. Für die Unterstützung im Unterricht und die Kommunikation mit den anderen Schülern war eine Schulbegleitung notwendig, deren Kostenübernahme die Schülerin vom Sozialhilfeträger einklagte. Das BSG verwies die Sache zur endgültigen Entscheidung zurück. Inhaltlich bestätigte es die Auffassung der Vorinstanzen, dass die Klägerin zum berechtigen Personenkreis der Eingliederungshilfe nach § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII i.V.m. § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX gehöre, da die Schulbegleitung außerhalb des Kernbereiches der pädagogischen Arbeit liege.
Die Autorin merkt weiterhin an, dass auch die Neuerungen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) im Bereich der Hilfen zur angemessenen Schulbildung bestehende Schnittstellenkonflikte zwischen Sozialhilfe- und Schulrecht nicht zu lösen vermögen, da sie in dieser Hinsicht keine Änderungen vorsehen.
(Zitiervorschlag: Conrad-Giese: Hilfen zur angemessenen Schulbildung außerhalb des päda-gogischen Kernbereichs, Anmerkung zu BSG 09.12.2016 – B 8 SO 8/15 R; Beitrag A4-2018 unter www.reha-recht.de; 28.02.2018)
I. Thesen der Autorin
1. Die Verpflichtung zur Deckung eines sozialhilferechtlichen Unterstützungsbedarfs ist unabhängig von einer etwaigen schulrechtlichen Verpflichtung zur Schaffung inklusiver Schulstrukturen zu bewerten.
2. Schnittstellenkonflikte sind im Innenverhältnis und ggf. nachträglich zu klären und dürfen nicht zu Lasten der Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen gehen.
3. Durch die im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) erfolgten Änderungen im Bereich der Hilfen zur angemessenen Schulbildung werden bestehende Schnittstellenprobleme nicht gelöst werden können.
II. Wesentliche Aussagen der Entscheidung
1. Was im jeweiligen Einzelfall unter „angemessener Schulbildung“ zu verstehen ist, entscheidet die Schulverwaltung. Der pädagogische Kernbereich bestimmt sich dagegen nach sozialhilferechtlichen Regelungen.
2. Eine (nachrangige) Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers besteht, wenn außerhalb des pädagogischen Kernbereichs bestehender Hilfebedarf tatsächlich nicht von Dritten gedeckt wird.
III. Der Sachverhalt
Die Klägerin wurde 2002 mit einem Down-Syndrom geboren. Daraus resultierten Sprach- und motorische Entwicklungsverzögerungen, eine Störung der Kommunikation sowie eine Schwäche der Feinmotorik. Bei der Klägerin wurden ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen „G“[1] und „H“[2] festgestellt und ihr bestehender Pflegebedarf der Pflegestufe I[3] zugeordnet. Zunächst besuchte sie für zwei Schuljahre ein Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ) mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Die Schulverwaltung bestätigte den sonderpädagogischen Förderbedarf, stellte aber auch fest, dass der Besuch einer Regelschule mit Förderung durch das SBBZ möglich ist. Die Klägerin besuchte daraufhin ab dem Schuljahr 2010/2011 erneut beginnend mit der 1. Grundschulklasse eine Regelschule. Sie wurde dort gemeinsam mit Schülern ohne Behinderung zieldifferent mit dem Bildungsangebot zur Förderung von geistig behinderten Schülerinnen und Schülern unterrichtet und zusätzlich durch eine Kooperationslehrerin des SBBZ sonderpädagogisch betreut. Sowohl für das Schuljahr 2011/2012 als auch für das Schuljahr 2012/2013 lehnte der beklagte Sozialhilfeträger die Kostenübernahme für eine zusätzliche Schulbegleitung ab. Die Schulbegleitung war notwendig, um der Klägerin den Zugang zu dem auf ihre individuellen, behinderungsbedingten Bedürfnisse angepassten Unterricht zu ermöglichen. Zu ihren Aufgaben gehörten insbesondere die Unterstützung bei der Fokussierung der Aufmerksamkeit auf den Unterricht oder bei der Auswahl der richtigen Bücher und Hefte, das Verdeutlichen und Wiederholen von Aufgabenstellungen z.B. durch das Setzen von Impulsen (z.B. Fingerzeige auf die jeweilige Aufgabe) sowie Unterstützung als Kommunikationshilfe bei der Interaktion mit anderen Schülern und Lehrern. Gegen den Ablehnungsbescheid für das Schuljahr 2011/2012 erhob die Klägerin Mitte 2012 Fortsetzungsfeststellungsklage. Der Widerspruch der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid für das Schuljahr 2012/2013 wurde zurückgewiesen. Gleichwohl übernahm der Sozialhilfeträger ab Mitte November 2012 vorläufig die Kosten für eine Schulbegleitung für das Schuljahr 2012/2013 im Umfang von 17 Stunden und 15 Minuten pro Woche, da ihn das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg[4] im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes dazu verpflichtet hatte. Insgesamt beliefen sich die Kosten auf 18.236,30 Euro[5].
Mit den im Klageverfahren verbundenen Klagen begehrte die Klägerin Feststellung, dass der Ablehnungsbescheid vom Schuljahr 2011/2012 rechtswidrig gewesen sei sowie die Kostenübernahme des laufenden (2012/2013) und des bevorstehenden (2013/2014) Schuljahres in Form eines persönlichen Budgets. Das Sozialgericht (SG)[6] hat in seiner Entscheidung die Rechtswidrigkeit des Bescheides zur Kostenübernahme im Schuljahr 2011/2012 festgestellt. Es hat außerdem den Sozialhilfeträger unter Aufhebung des jeweiligen Bescheids verurteilt, die Kosten einer qualifizierten Schulbegleitung für das Schuljahr 2012/2013 im Umfang von 17 Stunden und 15 Minuten pro Woche zu einem Betrag von 43,00 Euro zu bewilligen. Im Übrigen, also hinsichtlich des bevorstehenden Schuljahres 2013/2014, hat es die Klage als unzulässig abgewiesen, da der in Anspruch genommene Sozialleistungsträger die Leistung bisher nicht abgelehnt hatte.
Die beim LSG[7] eingelegte Berufung hatte keinen Erfolg. Sie wurde als unbegründet und mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte die Kosten der Schulbegleitung für das Schuljahr 2012/2013 in Höhe von 18.236,30 € zu tragen hat. Das LSG hat die Ansicht des SG bestätigt, dass vorliegend der Kernbereich pädagogischer Arbeit durch die Tätigkeiten der Schulbegleitung nicht berührt werde und etwaige Ansprüche gegen die Schulverwaltung nicht alsbald realisierbar seien.
Der Beklagte legte gegen diese Entscheidung Revision ein und rügte eine Verletzung der §§ 53, 54 Sozialgesetzbuch (SGB) XII, da seiner Ansicht nach der pädagogische Kernbereich nach Landesrecht auszulegen sei und die Verantwortung zur Förderung von Schülern mit Behinderungen dem jeweiligen Schulrecht unterliege.
IV. Die Entscheidung
Das Bundessozialgericht (BSG) gab der Revision statt. Es hob das Urteil des LSG auf und verwies die Sache zur endgültigen Entscheidung zurück. Ob ein Anspruch der Klägerin auf Schuldbeitritt des Beklagten bestehe, könne nicht abschließend beurteilt werden, da tatsächliche Feststellungen zum erforderlichen quantitativen Umfang der Schulbegleitung, zur maßgeblichen Höhe der Vergütung sowie zur Existenz und zum Inhalt von Vergütungsvereinbarungen zwischen dem Beklagten und der Leistungserbringerin fehlten.
Inhaltlich bestätigte das BSG die Auffassung der beiden vorherigen Instanzen. Die Klägerin gehöre zum leistungsberechtigten Personenkreis der Eingliederungshilfe nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Die erbrachten Leistungen seien außerdem als Hilfen zur angemessenen Schulbildung im Rahmen der Eingliederungshilfe zu qualifizieren, da der Kernbereich pädagogischer Arbeit nicht berührt werde.
Was unter angemessener Schulbildung zu verstehen sei, ergebe sich weder aus Normen des SGB XII oder SGB IX noch aus Art. 24 Abs. 2 UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Bestimmt werde die angemessene Schulbildung vielmehr im konkreten Einzelfall von der jeweiligen Schulverwaltung. Mit der Entscheidung über die konkrete Form der Erfüllung der Schulpflicht (hier: die zieldifferente Beschulung in einer Regelschule in Kooperation mit dem SBBZ) sei jedoch nicht entschieden, ob oder welche unterstützenden Hilfen notwendig sind, um die Schulpflicht in dieser konkreten Form zu erfüllen. Gleichwohl könne diese Entscheidung Unterstützungsleistungen durchaus überhaupt erst notwendig machen.
Die Leistungen des Sozialhilferechts stünden außerhalb des pädagogischen Kernbereichs, der sich schon aus systematischen Gründen nach dem SGB XII richte und Bedarfslücken vor dem Hintergrund des Gesetzeszwecks vermeide. Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 2. Halbsatz SGB XII bleiben Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht von den Hilfen zur angemessenen Schulbildung unberührt. Gemeint ist damit der Unterricht selbst einschließlich des pädagogischen Konzepts und der wissensvermittelnden Inhalte. Nicht zum pädagogischen Kernbereich gehörten nach dem Senat dagegen Tätigkeiten, durch die die eigentliche pädagogische Arbeit der Lehrkraft nur abgesichert („begleitet“) werde und gewährleistet werde, dass das pädagogische Schulangebot überhaupt wahrgenommen werden kann. Innerhalb dieses pädagogischen Kernbereichs bestünden somit allein schulrechtliche Verpflichtungen, außerhalb dagegen (möglicherweise) sozialhilferechtliche Verpflichtungen.
Diese Verpflichtungen bzw. der sozialhilferechtliche Hilfebedarf würden nicht dadurch vermindert, dass die Schulverwaltung möglicherweise durch Landesrecht zu einer inklusiven Ausstattung der Schulen verpflichtet ist. Auch die Leistungspflicht etwaiger anderer Leistungsträger außerhalb des pädagogischen Kernbereichs könne zwar ggf. Gegenstand eines separaten Verfahrens seien, sei für die Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers im Fall der tatsächlichen Nichtleistung jedoch ohne Bedeutung.[8]
V. Würdigung/Kritik
Diese Entscheidung zur inklusiven Beschulung und der Unterstützung durch Schulassis-tenzkräfte reiht sich ein in eine Vielzahl von gerichtlichen Entscheidungen zu diesem Thema.[9] Auch wenn der Sozialhilfeträger im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zunächst vorläufig zur Kostenübernahme verpflichtet wurde, musste sich in der Hauptsache mit der endgültigen Verantwortlichkeit und der Schnittstelle von Schul- und Sozial-hilferecht auseinandergesetzt werden.
Insbesondere solange die (Regel-)Schulen nicht ausreichend mit inklusiven Strukturen ausgestattet sind, sind individuelle Unterstützungsleistungen erforderlich, um die Erfüllung der Schulpflicht im Rahmen einer inklusiven Beschulung für Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen sicher zu stellen. Die in diesem Kontext praktisch relevantesten Leistungen sind die Leistungen der Eingliederungshilfe in Form von Hilfen zur angemessenen Schulbildung.
Leistungen der Eingliederungshilfe werden an Menschen mit wesentlichen Behinderungen erbracht, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles die Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann, § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Zur besonderen Aufgabe der Eingliederungshilfe gehört vor allem, die Folgen der Behinderung zu beseitigen oder zu mildern und die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen, § 53 Abs. 3 SGB XII. Zu den möglichen Leistungen gehören nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII auch Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht. Konkretisiert werden diese in § 12 Eingliederungshilfe-Verordnung[10], nach dessen Nr. 1 sogar heilpädagogische sowie sonstige – also alle denkbaren – Maßnahmen umfasst sind, wenn sie erforderlich und geeignet sind, den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern. Der tatsächliche Kern der pädagogischen Arbeit, also insbesondere die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts, bleibt jedoch ausdrücklich der Schule und damit dem Landesgesetzgeber vorbehalten.[11]
Im Rahmen der Diskussion um die inklusive Beschulung wird jedoch auch die Auffassung vertreten, dass der Kernbereich der pädagogischen Arbeit nach den jeweiligen Bestimmungen des Schulrechts zu bestimmen sei.[12] Danach wäre in Fällen, in denen der Landesgesetzgeber im jeweiligen Schulrecht die inklusive Beschulung aufgegriffen hat (so z.B. in § 4 Schleswig-Holsteinisches Schulgesetz)[13], denkbar, dass der Auftrag der Schule über die Wissensvermittlung hinaus auch die Verantwortung für den strukturellen Rahmen – also die Schaffung der inklusiven Strukturen (z.B. in Form von Assistenzkräften) – umfasst und der pädagogische Kernbereich entsprechend weit auszulegen sei.[14] Ob die gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne Behinderung realisiert werden kann, würde danach jedoch davon abhängen, inwieweit der jeweilige Landesgesetzgeber sich seiner Verantwortung bewusst ist und in seinem Schulrecht die Anforderungen der UN-BRK zur inklusiven Beschulung umgesetzt hat. Obgleich es nicht zu den originären Aufgaben der Sozialhilfe gehört die Schulbildung sicherzustellen, gehören der Bereich der sozialen Förderung, die Schaffung positiver Lebensbedingungen sowie Chancengleichheit und Teilhabe durchaus zu ihren Aufgaben.[15] Trotz des Nachranggrundsatzes der Sozialhilfe (§ 2 SGB XII) kommt dem Sozialhilfeträger damit die Aufgabe des "Ausfallbürgen" für den Fall zu, dass der Schulträger oder andere mögliche Leistungsträger nicht die entsprechenden Voraussetzungen schaffen.[16] Der Senat hat hier daher richtigerweise darauf hingewiesen, dass mögliche Verpflichtungen etwaiger anderer Leistungsträger zumindest vorerst unerheblich sind, solange der Bedarf tatsächlich nicht gedeckt wird. Insbesondere in Konstellationen, in denen nicht eindeutig festgestellt werden kann, ob der pädagogische Kernbereich berührt ist oder wenn die Grenzen, was oftmals der Fall ist, fließend sind, würden die betroffenen Schülerinnen und Schüler das Risiko einer mangelnden Umsetzung der UN-BRK tragen, was weder aus menschenrechtlicher Perspektive tragbar noch aus rechtlichen Gründen gerechtfertigt wäre. Zuständigkeitskonflikte sind somit im Innenverhältnis zu lösen und dürfen nicht zu Lasten der betroffenen Schülerinnen und Schüler gehen. Ebenso darf eine stärkere Inanspruchnahme eines Leistungsträgers nicht zu einem Rückzug der anderen Verantwortlichen führen.[17]
VI. Neuerungen durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG)
Mit dem BTHG[18] bestand die Chance, für die erläuterte Problematik Lösungen zu erarbeiten. Es erfolgen in diesem Rahmen nun auch im Bereich der inklusiven Beschulung bzw. der Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung einige Änderungen. Neu ist etwa, dass das in Art. 24 UN-BRK verankerte Recht auf (inklusive) Bildung im Recht der Rehabilitation und Teilhabe insofern Berücksichtigung findet, als dass eine neue Leistungsgruppe, nämlich die Leistungen zur Teilhabe an Bildung, mit den Änderungen zum 01.01.2018 in § 5 Nr. 4 SGB IX eingeführt wurde.[19] Konkretisiert werden die Leistungen zur Teilhabe an Bildung in § 75 SGB IX n.F.[20]. Danach werden unterstützende Leistungen zur Teilhabe an Bildung erbracht, wenn diese erforderlich sind, damit Menschen mit Behinderungen Bildungsangebote gleichberechtigt wahrnehmen können. Umfasst sind nach Absatz 2 neben der Schulbildung auch die schulische Berufsausbildung, die Hochschulbildung sowie die schulische und hochschulische Weiterbildung. Mögliche Leistungsträger für Leistungen zur Teilhabe an Bildung sind die Träger der Unfallversicherung (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 Hs. 2 SGB IX n.F.), die Träger der Kriegsopferversorgung und –fürsorge (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 SGB IX n.F.), die Träger der öffentlichen Jugendhilfe (§ 6 Abs. 1 Nr. 6 SGB IX n.F.) sowie die Träger der Eingliederungshilfe (§ 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX n.F.).
Für den Träger der Eingliederungshilfe finden sich ab 01.01.2020 weitere Bestimmungen zu den Leistungen zur Teilhabe an Bildung in § 112 SGB IX. Anders als im Gesetzgebungsprozess möglicherweise von einigen Seiten erhofft, sind die Änderungen an dieser Stelle jedoch nicht wirklich grundlegend. Im Wesentlichen werden vielmehr die bisherigen Bestimmungen des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII beibehalten und lediglich an die neue Struktur – die Überführung des Eingliederungshilferechts in den Teil 2 des SGB IX (schrittweise vom 01.01.2020 bis 01.01.2023) – angepasst.[21] Insbesondere im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen Sozialhilfe- und Schulrecht sehen die neuen Regelungen keine Änderungen vor.
Um den steigenden Fallzahlen der Hilfen zur angemessenen Schulbildung in Zukunft zu begegnen und ihrer Funktion als "Ausfallbürge" nachzukommen, gibt es daher bei einigen Sozialhilfeträgern verschiedene Modellversuche und Pilotprojekte zum Thema Schulassistenz, z.B. das Klassenhelfer-Modell, die Nutzung von geteilten Leistungen oder von Pool-Lösungen, welche teilweise auf Kritik stoßen, sich aber durchaus auch als sinnvolle und mögliche Alternative darstellen.[22]
Von Dipl. jur. Maren Conrad-Giese, Langenhagen
Fußnoten:
[1] Das Merkzeichen „G“ steht für erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr, vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 7 Schwerbehindertenausweis-Verordnung (SchwbAwV), § 146 Abs. 1 SGB IX (ab 01.01.2018: § 229 Abs. 1 SGB IX).
[2] Das Merkzeichen „H“ steht für Hilflosigkeit, vgl. § 33b Abs. 6 Satz 3 Einkommensteuergesetz, § 3 Abs. 1 Nr. 2 SchwbAwV.
[3] Seit dem 01.01.2017 wird die Pflegebedürftigkeit entsprechend der §§ 14, 15 SGB XI nicht mehr in drei Pflegestufen, sondern in fünf Pflegegrade eingeteilt. Maßgeblich für die Einordnung ist das Ausmaß der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder Fähigkeiten.
[4] LSG BaWü, Beschl. v. 07.11.2012 – L 7 SO 4186/12 ER-B, ZFSH/SGB 2013, 269.
[5] Pro Stunde beliefen sich die Kosten für die bei dem konkreten Leistungserbringer angestellte qualifizierte Hilfskraft auf 43,00 Euro/Stunde.
[6] SG Reutlingen, Urt. v. 18.06.2013 – S 5 SO 2291/12, n.v.
[7] LSG BaWü, Urt. v. 18.02.2015 – L 2 SO 3641/13, ZFSH/SGB 2015, 376.
[8] So z.B. auch LSG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 13.01.2017 – L 9 SO 185/16 B ER, SAR 2017, 50.
[9] Beispielhaft für zahlreiche weitere: BVerwG, Urt. v. 18.10.2012 – 5 C 21/11, JAmt 2013, 98; BVerwG, Urt. v. 26.10.2007 – BVerwG 5 C 34/06, SuP 2008, 330; BVerwG, Beschl. v. 02.09.2003 – 5 B 259/02; LSG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 17.02.2014 – L 9 SO 222/13 B ER; LSG BaWü, Urt. v. 18.02.2015 – L 2 SO 3641/13; LSG NRW, Beschl. v. 28.04.2014 – L 12 SO 82/14 B ER, jeweils juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 10.04.2014 – L 8 SO 506/13 B ER, RdLH 2015, 14; LSG NRW, Beschl. v. 05.02.2014 – L 9 SO 413/13 B ER, juris.
[10] Im Rahmen der Überführung der Eingliederungshilfe in das SGB IX mit Wirkung zum 01.01.2020 wird die Eingliederungshilfe-Verordnung zum 01.01.2020 außer Kraft treten, vgl. Art. 26 Abs. 3 Satz 2 BTHG.
[11] So bereits BVerfG, Beschl. 28.10.2008 – 1 BvR 462/06, BVerfGE 122, 89; BSG, Urt. v. 22.03.2012 – B 8 SO 30/10 R, BSGE 110, 3013.
[12] LSG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 17.02.2014 – 9 SO 222/13 B ER, juris; LSG Schleswig-Holstein, Urt. v. 06.10.2008 – L 9 SO 8/08, FEVS 60, 567; inzwischen sich davon abwendend: LSG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 13.01.2017 – L 9 SO 185/16 B ER, SAR 2017, 50.
[13] Was seit Inkrafttreten der UN-BRK inzwischen in fast allen Bundesländern geschehen ist, vgl. zu den einzelnen Änderungen der Schulgesetze (2009 – 2014) die Übersicht bei
Mißling/Ückert, Inklusive Bildung: Schulgesetze auf dem Prüfstand, Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.), 2014, S. 40, 50ff.
[14] So hat es etwa das LSG Schleswig-Holstein in seinen Entscheidungen v. 17.02.2014 – 9 SO 222/13 B ER und v. 15.04.2014 – L 9 SO 36/14 B ER, jeweils juris, gesehen. Inzwischen hält es daran jedoch nicht mehr fest: LSG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 13.01.2017 – L 9 SO 185/16 B ER, SAR 2017, 50.
[15] BT-Drucks. 17/3404, S. 42; Wiesner in: Wiesner, SGB VIII, § 1 Rn. 36; Armborst in: LPK-SGB XII, § 1, Rn. 8; vgl. auch § 1 Abs. 3 Nr. 1, 4 SGB VIII, § 53 Abs. 3 SGB XII.
[16] Hechler/Plischke, Keine Eingliederungshilfe für schulische Maßnahmen der Inklusion, die den Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule berühren, Beitrag A15-2014, 24.06.2014, unter www.reha-recht.de.
[17] Vgl. LSG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 13.01.2017 – L 9 SO 185/16 B ER, SAR 2017, 50; sowie Stellungnahmen vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V., dem Deutschen Landkreistag, Deutschen Städtetag und Deutschen Städte- und Gemeindebund, Bundesverbands evangelische Behindertenhilfe e.V., der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und dem Sozialverband VdK Deutschland e.V. in:
Ausschuss für Arbeit und Soziales, Ausschussdrucks. 18(11)801, S. 15, 52f., 88, 103, 265, 403; vgl. auch Vorholz, Bundesteilhabegesetz: die Sicht der kommunalen Leistungsträger, RP-Reha 4/2016, 9 (10); Giese, Pflicht des Schulträgers zur inklusiven Beschulung entlässt den Sozialhilfeträger nicht aus seiner Leistungspflicht, Beitrag A3-2017, 29.06.2017, unter www.reha-recht.de.
[18] BTHG v. 23.12.2016, BGBl. I 3234.
[19] Zum Gesetzgebungsprozess s. Nachtschatt/Ramm, Die Leistungen zur Teilhabe an Bildung im Bundesteilhabegesetz: Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung, Beitrag D52-2016, 24.11.2016, unter www.reha-recht.de; Die Leistungen zur Teilhabe an Bildung im BTHG: Anhörung, Ausschussberatungen, Ergebnisse der abschließenden zweiten und dritten Lesung im Deutschen Bundestag, Beitrag D61-2016, 13.12.2016, unter www.reha-recht.de.
[20] Rechtslage seit 01.01.2018.
[21] BT-Drucks. 18/9522, S. 283.
[22] Vgl. z.B. zum "Lübecker-Modell": LT-Drucks. Schleswig-Holstein 18/2065, S. 47ff.; zum Projekt der Stadt Schwelm: Stadt Schwelm, Fachbereich Familie und Bildung, Beschlussvorlage Nr. 075/2016 v. 30.03.2016; Eikötter, Region Hannover hat Pool/Modell evaluiert, ZKJ 2017, 173; Deutscher Verein für Öffentliche und Private Fürsorge, Empfehlungen des Deutschen Vereins -Von Schulbegleitung zur Schulassistenz in einem inklusiven Schulsystem, NDV 2017, 59; Kritisch zur Pool-Lösung des § 112 SGB IX (i.d.F. v. 01.01.2020) z.B. Bochumer Institut für Disability Studies, Stellungnahme in: Ausschuss für Arbeit und Soziales, Ausschussdrucks. 18(11)801, S. 419.
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