29.03.2017 B: Arbeitsrecht Kohte/Liebsch: Beitrag B1-2017
Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung – sekundäre Darlegungslast – Anmerkung zu LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.10.2016 – 15 Sa 936/16
Die Autoren Wolfhard Kohte und Matthias Liebsch besprechen in diesem Beitrag das Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Berlin-Brandenburg vom 26.10.2016 – 15 Sa 936/16. Die Berufungsentscheidung des LAG befasst sich im Wesentlichen mit der Notwendigkeit von Präventionsverfahren nach § 84 SGB IX im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Anspruch des Klägers auf eine behinderungsgerechte Beschäftigung gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX.
Im Ergebnis verurteilte das LAG das beklagte Land zur Weiterbeschäftigung des Klägers, da es nicht hinreichend substantiiert darlegte, dass eine behinderungsgerechte Beschäftigung nicht möglich sei. Die Autoren stimmen der Entscheidung zu und zeigen auf, dass eine ausgeprägte Kommunikationskultur zwischen innerdienstlichen und außerdienstlichen Akteuren für die Gewährleistung eines behinderungsgerechten Arbeitsplatzes unerlässlich ist.
(Zitiervorschlag: Kohte/Liebsch: Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung – sekundäre Darlegungslast – Anmerkung zu LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.10.2016 – 15 Sa 936/16; Beitrag B1-2017 unter www.reha-recht.de; 29.03.2017)
I. Thesen der Autoren
- Der Anspruch auf eine behinderungsgerechte Beschäftigung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX umfasst nicht nur die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit, sondern kann auch Förderung und Übertragung höher eingruppierter Arbeiten umfassen.
- Schwerbehinderte Menschen können ihren Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung arbeitsgerichtlich mit einer Beschäftigungsklage durchsetzen. Dabei trifft sie eine primäre Darlegungs- und Beweislast. In jedem Fall muss der Arbeitgeber auf den Vortrag des schwerbehinderten Menschen substantiiert erwidern. Kommt der Arbeitgeber seinen Pflichten gemäß § 84 Abs. 1 bzw. Abs. 2 SGB IX nicht nach, trifft ihn eine sekundäre Darlegungslast, so dass er den Prozess verliert, wenn er sämtliche erkennbare Beschäftigungsmöglichkeiten nicht vollumfänglich widerlegt hat.
II. Wesentliche Aussagen des Urteils
- Das Wissen, wie ein behinderungsgerechter Arbeitsplatz in seinem Betrieb einzurichten und auszustatten ist, kann einem Arbeitnehmer nicht unterstellt werden. Der Arbeitgeber kann dieses Wissen durch das Präventionsverfahren nach § 84 SGB IX erhalten.
- In einem Präventionsverfahren kann geklärt werden, welche Umorganisation des Arbeitsplatzes möglich und geboten ist, welche Hilfsmittel dazu eingesetzt werden können, ob Fortbildungsmaßnahmen zur Verfügung stehen und welche Hilfen von Rehabilitationsträgern und vom Integrationsamt in Anspruch genommen werden können. Wenn der Arbeitgeber dies unterlässt, sind prozessrechtliche Nachteile zu seinen Lasten angemessen.
III. Der Fall
Die Parteien streiten über die Pflicht zur behinderungsgerechten Beschäftigung des Klägers.
Der 52 Jahre alte Kläger ist aufgrund des Arbeitsvertrages vom 22.02.1991 seit dem 01.03.1991 bei dem beklagten Land als ausgebildeter Gärtner beschäftigt. Die Vergütung des Klägers erfolgte nach der Entgeltgruppe 6 des TV-L Berlin. Dem Kläger ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 anerkannt.
Obwohl der Kläger kein ausgebildeter Baumkontrolleur ist, führte er seit Beginn seiner Tätigkeit unter anderem Baumkontrollen durch. Die Kosten einer Fortbildung zum Baumkontrolleur belaufen sich auf circa 1.500,00 Euro bei einem Ausbildungsumfang von vier Modulen an vier Tagen.
Im Jahr 2011 unterzog sich der Kläger einer Bandscheibenoperation. 2012 war der Kläger an 87 Arbeitstagen arbeitsunfähig. Als diese Zeiten weiter zunahmen, wurde am 05.12.2013 unter Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung (SBV) und des Personalrats ein Personalgespräch durchgeführt. Im Anschluss an das Gespräch beschäftigte das beklagte Land den Kläger bis zu einer im Januar 2014 durchzuführenden Operation zur Beinumstellung lediglich mit gärtnerischen Tätigkeiten. Seit dieser Operation war der Kläger arbeitsunfähig.
Am 01.10.2014 kündigte der Kläger an, seine Beschäftigung zum 30.11.2014 wieder aufnehmen zu wollen. In diesem Zusammenhang ergab eine vertrauensärztliche Stellungnahme zum Gesundheitszustand vom 30.10.2014, dass der Kläger „leichte körperliche Tätigkeiten ohne schweres Heben und Tragen, im Wechsel zwischen sitzenden und stehenden bzw. gehenden Tätigkeiten mit selbst bestimmten Haltungswechseln, Führen von Kraftfahrzeugen“ verrichten könne. Nach dem negativen Leistungsbild solle der Kläger demgegenüber nicht mit „Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, Arbeiten auf Leitern, häufiges Bücken bzw. Arbeiten in ständig gebeugter Haltung, knienden Tätigkeiten, Überkopfarbeiten“ beschäftigt werden.
Mit Schreiben vom 01.12.2014 lehnte das beklagte Land die Wiederaufnahme der Beschäftigung des Klägers ab. Fortan wurde der Kläger weder beschäftigt noch vergütet. Hieraufhin hat der Kläger im Wesentlichen beantragt, das beklagte Land zu verurteilen, ihn gemäß den Bedingungen des Arbeitsvertrages vom 22.02.1991 als Landschaftsgärtner der Entgeltgruppe 6 TV-L Berlin zu beschäftigen.
Mit Urteil vom 21.04.2016 (Az.: 58 Ca 6143/15) hat das Arbeitsgericht Berlin die Klage abgewiesen. Eine Beschäftigungspflicht des beklagten Landes bestehe nicht, da der Kläger nicht sämtliche Arbeitsaufgaben eines Landschaftsgärtners erbringen könne. Tätigkeiten im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen seien nicht vorhanden.
Hiergegen hat der Kläger form- und fristgerecht Berufung zum Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt.
IV. Die Entscheidung
Mit Urteil vom 26.10.2016 (Az.: 15 Sa 936/16) hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG) das beklagte Land verurteilt, den Kläger gemäß den Bedingungen des Arbeitsvertrages vom 22.02.1991 als Landschaftsgärtner der Entgeltgruppe 6 TV-L Berlin zu beschäftigen.
Im Ergebnis habe das beklagte Land nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass eine behinderungsgerechte Beschäftigung des Klägers nicht möglich sei. Habe der – wie vorliegend – primär darlegungspflichtige Arbeitnehmer keine nähere Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen, sei dem Arbeitgeber eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast aufzuerlegen, wenn dieser das Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX bzw. das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) nach § 84 Abs. 2 SGB IX nicht durchgeführt habe. Dazu wäre das beklagte Land aber spätestens nach Kenntniserlangung der vertrauensärztlichen Stellungnahme vom 30.10.2014 verpflichtet gewesen.
Dieser sekundären Darlegungslast sei es nicht gerecht geworden, denn es sei nicht ersichtlich, wieso eine Umverteilung der körperlich schweren Arbeitsaufgaben nicht hätte stattfinden können. Ebenso wäre nicht erkennbar, welcher Zeit- oder Kostenaufwand gegen eine Weiterbildung des Klägers zum Baumkontrolleur eingewandt werden könne.
V. Würdigung/Kritik
Dem Urteil des LAG ist zuzustimmen. Es veranschaulicht deutlich die prozessualen Folgen innerdienstlicher Kommunikationsmängel.
1. Primäre und sekundäre Darlegungslast
Vorrangig hat der schwerbehinderte Mensch die Tatsachen vorzutragen, die eine Beschäftigung ermöglichen, bei der er seine Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln kann.[1]
Aufgrund eines typischerweise bestehenden Wissensdefizits wird der Beschäftigte einem solch präzisen Vortrag vor dem Hintergrund einer Vielzahl an arbeitgeberseitigen Umsetzungsmöglichkeiten regelmäßig nicht gerecht werden können. Daher verpflichtet § 84 Abs. 1 SGB IX den Arbeitgeber, bei begründeten Verdachtsmomenten eines aus personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten heraus gefährdeten Beschäftigungsverhältnisses in eine frühzeitige Kommunikation mit dem Integrationsamt, der SBV und den in § 93 SGB IX genannten Interessenvertretungen einzutreten. Ist der Beschäftigte innerhalb der vergangenen zwölf Monate insgesamt sechs Wochen erkrankt, ist mit dem BEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX ein konkretisiertes Präventionsverfahren durchzuführen.[2] Ziel des Präventionsverfahrens im Allgemeinen ist es, frühzeitig geeignete Möglichkeiten der Gesundheitsprävention zu ermitteln, um so das gefährdete Beschäftigungsverhältnis auf Dauer zu erhalten und zu sichern.[3]
Sofern das beklagte Land also – ohne ein Präventionsverfahren durchzuführen – mittels einfachen Bestreitens einer behinderungsgerechten Beschäftigungsmöglichkeit eine Beweislastentscheidung zuungunsten des Beschäftigungsanspruchs des Klägers herbeiführen wollte, lag ein Verstoß gegen Treu und Glauben vor. Aus diesem Grund wird in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) dem Arbeitgeber, der ein Präventions- oder BEM-Verfahren unterlassen hat, die sekundäre Darlegungslast zugewiesen.[4] Nach dieser sekundären Darlegungslast oblag es dem beklagten Land substantiiert zu widerlegen, dass sämtliche erkennbaren Möglichkeiten einer behinderungsgerechten Beschäftigung ausgeschlossen seien.[5] Es reicht in einer solchen Konstellation nicht aus, wenn der Arbeitgeber die Behauptungen des Klägers nur bestreitet.
Ein solches Präventionsverfahren muss zeitaktuell – hier also nach dem ärztlichen Gutachten vom Oktober 2014 – erfolgen. Bereits aus diesem Grund reichte das am 05.12.2013 geführte Personalgespräch nicht aus. Im Übrigen war dies kein ordnungsgemäßes Präventionsverfahren, weil das Integrationsamt nicht beteiligt worden war. Folgerichtig entsprach das LAG dem Klägerbegehren nach einer Weiterbeschäftigung.
2. Jede Arbeitsorganisation ist änderbar
Auf zwei aus der Praxis bekannte Einwendungen des Landes ging das LAG ausführlich ein. Das beklagte Land hatte sich darauf berufen, dass der Kläger nur noch einen Teil der geschuldeten Arbeiten verrichten könne. Dies reichte dem Gericht nicht aus. Da der Kläger keinen Einzelarbeitsplatz hatte, waren Änderungen der Arbeitsorganisation und der Arbeitsverteilung möglich. Das BAG hatte bereits 2006[6] entschieden, dass § 81 Abs. 4 SGB IX den Arbeitgeber auch zur Prüfung verpflichtet, wie eine Umorganisation durch „kollegiale Assistenz“ ermöglicht werden kann. Selten sind sämtliche Arbeiten körperlich in gleicher Weise belastend, so dass eine Umorganisation regelmäßig geprüft werden muss. Dies hatte der Arbeitgeber hier unterlassen; da ihn die sekundäre Darlegungslast traf, musste er bereits aus diesem Grund unterliegen.
Das beklagte Land hatte sich jeglicher Umorganisation verschlossen, weil es der Ansicht war, dass ein Arbeitnehmer der Entgeltgruppe 6 in der Lage sein müsse, alle in dieser Gruppe anfallenden Arbeiten in gleicher Weise zu verrichten. Mit dieser Position werden ältere Beschäftigte schrittweise aus dem Arbeitsprozess herausgedrängt, denn es ist typisch für die Alterung, dass Beschäftigte nicht mehr alle körperlich belastenden Arbeiten durchführen können. Dagegen sind sie jedoch in der Lage, ihr Erfahrungswissen und einen größeren Überblick einzubringen. Aus diesem Grund hat der zweite Senat des BAG vor kurzem eine Änderungskündigung gegen einen Croupier, der nicht mehr alle Arbeitsvorgänge durchführen konnte, als sozial ungerechtfertigt qualifiziert, weil er mit seinem aktuellen Leistungsvermögen die Arbeit ohne wesentliche betriebliche Störungen bei zumutbarer Umverteilung der Arbeit erbringen konnte.[7] Es ist gerade der Zweck der beiden Präventionsverfahren nach § 84 SGB IX zu klären, ob und in welchem Umfang eine Umorganisation der Arbeit möglich ist und ob dazu bestimmte Hilfsmittel eingesetzt werden können. Hier hatte der Kläger sich u. a. darauf berufen, dass ihm kein Laubpuster zur Verfügung gestellt worden sei, obgleich er dieses Hilfsmittel, das weniger als 10 Kilogramm wiege, gut nutzen könne.
3. Fortbildung – gerade im Schwerbehindertenrecht eine Rechtspflicht
Der Kläger hatte zudem darauf hingewiesen, dass eine Fortbildung zum Baumkontrolleur möglich sei, die im Übrigen nur 1600 Euro koste. Auch dieses Argument war aus der Sicht des LAG beachtlich. Die Beschäftigungspflicht nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX ist nicht auf die bisherige Tätigkeit beschränkt. Eine Übertragung von Arbeiten, die höher einzugruppieren sind ist ebenso möglich[8] wie die Vermittlung einer entsprechenden Fortbildung, für die auch Leistungen nach § 15 Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung (SchwbAV) erfolgen können. Die Ermöglichung solcher Fortbildungsmaßnahmen gehört zu den Rechtspflichten des Arbeitgebers nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB IX. Auch hier fehlte jegliche Darlegung des beklagten Landes, dass eine solche Fortbildung unzumutbar und ein fortbildungsgerechter Einsatz ausgeschlossen sei, so dass es auch aus diesem Grund im Rahmen der Beschäftigungsklage unterliegen musste.
Ein Ausschluss des beruflichen Aufstiegs aus dem Anwendungsbereich des § 81 Abs. 4 SGB IX widerspräche dem konzeptionellen Ansatz des SGB IX auf gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben.[9]
VI. Fazit
Zu den außerbetrieblichen Akteuren, welche bei der Prüfung einer behinderungsgerechten Beschäftigungsmöglichkeit den Arbeitgeber unterstützen, gehören nach § 84 Abs. 1 SGB IX das Integrationsamt, nach § 81 Abs. 4 Satz 2 SGB IX zusätzlich die Bundesagentur für Arbeit (BA). Zentrale Aufgabe des Integrationsamtes ist neben dem Kündigungsschutz die begleitende Hilfe schwerbehinderter Menschen im Arbeitsleben, § 102 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGB IX. Nach § 102 Abs. 2 SGB IX wird die begleitende Hilfe im Arbeitsleben zudem in enger Zusammenarbeit mit der BA und den übrigen Rehabilitationsträgern durchgeführt; die SBV kann hier nach § 99 SGB IX auch von sich aus initiativ werden. Grundlage einer sachgerechten Zusammenarbeit im Dreieck Arbeitgeber, Integrationsamt und BA ist dabei stets eine umfassende und gleichberechtigte Unterrichtung. Dies erkennt auch der Gesetzgeber, sodass der Arbeitgeber nach § 80 Abs. 2 SGB IX einmal jährlich bis spätestens zum 31. März für das vorangegangene Kalenderjahr verpflichtet ist, gegenüber der BA die Daten anzuzeigen, die zur Überwachung ordnungsgemäßer Erfüllung der tatsächlichen und nicht nur rechtlichen[10] Beschäftigungspflicht nach § 71 Abs. 1 SGB IX notwendig sind. Ferner sind die Daten an das zuständige Integrationsamt weiterzuleiten sowie der SBV als auch dem Personalrat/Betriebsrat in Kopie zu übermitteln, um so ebenfalls die innerbetrieblichen Akteure zu aktivieren.[11]
Unterlässt der Arbeitgeber im Rahmen des nach § 84 SGB IX durchzuführenden Präventionsverfahrens die Beteiligung innerbetrieblicher und außerbetrieblicher Akteure, droht ihm nicht nur eine prozessuale Schlechterstellung. Vielmehr kann die Nichtbeteiligung des Integrationsamts eine Benachteiligung schwerbehinderter Menschen indizieren, die Entschädigungsansprüche gemäß § 15 Abs. 2 AGG auslöst.[12] Dies gilt ebenso für schwerbehinderte Beschäftigte innerhalb der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG), da die entsprechende Ausnahme gemäß § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX bereits systematisch und dem eindeutigen Wortlaut nach nur für den Kündigungsschutz, nicht aber für den Beschäftigungsanspruch nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX, gilt.[13]
Sofern der schwerbehinderte Mensch sein Einverständnis hierzu erklärt, kann im Wege der gesetzlichen Prozessstandschaft sowohl der Beschäftigungsanspruch nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX als auch der Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) durch Verbände eingeklagt werden, § 63 SGB IX.[14] Zu den berechtigten Verbänden zählen auch Gewerkschaften.[15] Neben dem Deutschen Gewerkschaftsbund wurde 2016 die IG Metall als Behindertenverband anerkannt, sodass ihr neben dem Verbandsklagerecht nunmehr auch die Möglichkeit zusteht, mit Arbeitgebern den Abschluss von Zielvereinbarungen zu verhandeln und hierdurch die Inklusion behinderten Menschen aktiv voranzutreiben.
Beitrag von Prof. Dr. Wolfhard Kohte und Ass. iur. Matthias Liebsch, Halle
Fußnoten:
[1] Faber in: Feldes/Kohte/Stevens-Bartol, SGB IX, 3. Aufl. 2015, § 81 Rn. 65.
[2] Feldes in: Feldes/Fraunhoffer/Rehwald/Westermann/Witt, Schwerbehindertenrecht, 12. Aufl. 2015, § 84 Rn. 25.
[3] Feldes in: Feldes/Fraunhoffer/Rehwald/Westermann/Witt, Schwerbehindertenrecht, 12. Aufl. 2015, § 84 Rn. 2.
[4] BAG, Urteil vom 04. Oktober 2005 – 9 AZR 632/04 –, NZA 2006, 442; dazu Kohte, jurisPR-ArbR 27/2006 Anm. 1.
[5] BGH, Urteil vom 10. Februar 2015 – VI ZR 343/13 –, Rn. 11, zitiert nach juris. Zur sekundären Beweislast im Allgemeinen Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht, 14. Aufl. 2014, Rn. 531; Reichold in: Thomas/Putzo, ZPO, 37. Aufl. 2016 § 284 Vorbem Rn. 18.
[6] BAG 14.03.2006 – 9 AZR 411/05, NZA 2006, 1214.
[7] BAG 22.10.2015 – 2 AZR 550/14, NZA-RR 2016, 243; dazu Kohte jurisPR-ArbR 51/2016 Anm. 1.
[8] Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 2. November 2015 – 16 Sa 473/15 –, juris; dazu Kohte/Liebsch, jurisPR-ArbR 11/2016 Anm. 1.
[9] Faber in: Feldes/Kohte/Stevens-Bartol, SGB IX, 3. Aufl. 2015, § 81 Rn. 41.
[10] So zutreffend Kohlrausch in: Feldes/Kohte/Stevens-Bartol, SGB IX, 3. Aufl. 2015, § 71 Rn. 32 als auch Deinert/Welti/Deinert, SWK-BR 2014 Beschäftigungsanspruch, Rn. 2 m. w. N., wonach die Beschäftigungspflicht nicht mit dem Abschluss eines Arbeitsvertrages endet, sondern vielmehr auch zum Zwecke der Inklusion die tatsächliche Beschäftigung öffentlich-rechtliche Pflicht ist.
[11] Siehe hierzu im Einzelnen Landesarbeitsgericht München, Beschluss vom 28. Juli 2016 – 3 TaBV 91/15 –, zitiert nach juris; dazu Kohte jurisPR-ArbR 7/2017 Anm. 5. Gegen den Beschluss ist eine Rechtsbeschwerde zum BAG (AZ: 1 ABR 56/16) anhängig.
[12] Kohte/Haas, jurisPR-ArbR 50/2015 Anm. 1.
[13] Andere Ansicht wohl BAG, Urteil vom 21. April 2016 – 8 AZR 402/14, zitiert nach juris, wonach der Arbeitgeber innerhalb der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG nicht verpflichtet sei ein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX durchzuführen.
[14] Düwell, BB 2006, 1741 (1745).
[15] Kohte in: Feldes/Kohte/Stevens-Bartol, SGB IX, 3. Aufl. 2015, § 63 Rn. 5.
Stichwörter:
Behinderungsgerechte Beschäftigung, Beschäftigungsanspruch, Gesundheitsgerechte Arbeitsgestaltung, Personalpolitik, Präventionsverfahren, BEM, Sekundäre Darlegungslast
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