07.08.2018 B: Arbeitsrecht Kohte/Liebsch: Beitrag B4-2018

SBV-Beteiligung bei Änderungskündigung – Anmerkung zum Urteil des ArbG Hagen vom 06. März 2018 – 5 Ca 1902/17

Die Autoren Wolfhard Kohte und Matthias Liebsch besprechen in diesem Beitrag die Entscheidung des Arbeitsgerichts (ArbG) Hagen vom 06. März 2018 – 5 Ca 1902/17. Das Urteil befasst sich mit dem Beteiligungsrecht der Schwerbehindertenvertretung (SBV) im Rahmen einer Änderungskündigung sowie mit der Frage, ob die Anhörung einer SBV vor, während oder nach dem Zustimmungsverfahren gemäß den §§ 168 ff. Sozialgesetzbuch 9 (SGB IX) erfolgen sollte.

Das ArbG erstreckt die Unwirksamkeitsklausel nach § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX auch auf Änderungskündigungen. Ferner sei die SBV vor Antragsstellung beim Integrationsamt zu beteiligen. Die Autoren stimmen der Entscheidung zu und erörtern, wie und in welchem Umfang die SBV zu beteiligen ist.

(Zitiervorschlag: Kohte/Liebsch: SBV-Beteiligung bei Änderungskündigung – Anmerkung zum Urteil des ArbG Hagen vom 06. März 2018 – 5 Ca 1902/17; Beitrag B4-2018 unter www.reha-recht.de; 07.08.2018)

I. Thesen der Autoren

  1. Die Unwirksamkeitsklausel gemäß § 178 Abs. 2 Satz 3 SBG IX erstreckt sich auch auf Änderungskündigungen.
  2. Die SBV ist umfassend zu unterrichten. Hierzu gehören alle Tatsachen, die für die Entscheidung des Arbeitgebers maßgeblich sind. Auch ein hinreichend bestimmtes Änderungsangebot ist der SBV mitzuteilen.
  3. Zur ordnungsgemäßen Unterrichtung der SBV ist es erforderlich, dass sie vom Arbeitgeber direkt und nicht über den Betriebsrat beteiligt wird.
  4. Die bisherige Praxis, dass die Anhörung der SBV auch während oder nach dem Zustimmungsverfahren gemäß den §§ 168 ff. SGB IX erfolgen kann, ist zu überdenken.

II. Sachverhalt und Urteil

Mit Urteil vom 06. März 2018 – 5 Ca 1902/17 entschied das Arbeitsgericht (ArbG) Hagen über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Änderungskündigung aus betriebsbedingten Gründen.

Die 1972 geborene Klägerin ist mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehindert. Sie ist aufgrund eines Anstellungsvertrages vom 18. März 2010 seit dem 1. Mai 2010 als kaufmännische Mitarbeiterin bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten in der „Abteilung Verkauf“ tätig. Mit Wirkung zum 1. Januar 2014 ging das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin aufgrund eines Betriebsüberganges zu unveränderten Vertragsbedingungen auf die Beklagte über. Bei der Beklagten sind ungefähr 800 Arbeitnehmer/-innen beschäftigt.

Am 13. Dezember 2016 vereinbarte die Beklagte mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan zu einer geplanten Betriebsänderung zum 1. Februar 2017. Grund der Betriebsänderung war die Einführung eines SAP-Systems an allen Standorten der Beklagten zum 1. August 2017, so dass im Zuge dessen Abteilungen bei der Beklagten – so auch die der Klägerin – zu reorganisieren sind. In diesem Zusammenhang erfolge ab dem 1. September 2017 die Einstellung und Übergabe neuer Aufgabenbeschreibungen. Ab dem 1. Januar 2018 seien daher Umgruppierungen erforderlich.

Entsprechend dem Interessenausgleich und Sozialplan wurde der Klägerin sodann am 12. Mai 2017 ein Änderungsangebot angetragen, sie ab dem 1. August 2017 in das „Auftragszentrum/Auftragssteuerung“ zu versetzen. Dieses Angebot lehnte die Klägerin ab. Daraufhin beantragte die Beklagte beim LWL-Integrationsamt Westfalen im Wesentlichen die Zustimmung „zur beabsichtigen Änderungskündigung der Klägerin aus betriebsbedingten Gründen unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende.“

Mit Schreiben vom 29. Juni 2017 informierte die Beklagte den Betriebsrat über die nach Zustimmung des Integrationsamts beabsichtigte Änderungskündigung der Klägerin mit der Bitte um Stellungnahme binnen einer Woche. Ebenfalls am 29. Juni 2017 übermittelte die Beklagte ein inhaltsgleiches Informationsschreiben an den stellvertretenden Vorsitzenden des Betriebsrats mit der Bitte um Weiterleitung an die örtliche Schwerbehindertenvertretung (SBV). Mit Schreiben vom 6. Juli 2017 widersprach der Betriebsrat der beabsichtigten Änderungskündigung der Klägerin, die SBV äußerte sich hingegen nicht.

Am 22. September 2017 stimmte das Integrationsamt der beabsichtigten Änderungskündigung unter der Bedingung zu, die Klägerin bei ansonsten unveränderten Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen. Mit Schreiben vom 16. Oktober 2017 sprach die Beklagte sodann eine ordentliche Änderungskündigung gegenüber der Klägerin unter Einhaltung der Kündigungsfrist bis zum 31. Dezember 2017 aus, hilfsweise zum zunächst zulässigen Termin. Zeitgleich bot die Beklagte der Klägerin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ab dem 1. Januar 2018 als kaufmännische Mitarbeiterin im Auftragszentrum/Auftragssteuerung mit den im Einzelnen aufgelisteten Tätigkeiten, ansonsten „bei den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen“, an.

Am 17. Oktober 2017 widersprach die Klägerin dem Zustimmungsbescheid des Integrationsamts. Darüber hinaus nahm die Klägerin am 25. Oktober 2017 das Änderungsangebot der Beklagten unter dem Vorbehalt an, dass dieses nicht sozial ungerechtfertigt ist. Am 3. November 2017 hat die Klägerin Änderungsschutzklage am ArbG Hagen eingereicht. Das ArbG Hagen gab dem gestellten Änderungsschutzantrag statt, da die SBV nicht ordnungsgemäß beteiligt worden ist. Insbesondere hätte die SBV vor Antragstellung beim Integrationsamt beteiligt werden müssen. Gegen das Urteil ist derzeit eine Berufung am LAG Hamm anhängig.

III. Rechtliche Würdigung

Das Urteil des ArbG Hagen verdeutlicht zutreffend, dass die Unwirksamkeitsklausel des § 178 Abs. 2 Satz 3 Sozialgesetzbuch 9 (SGB IX) über eine ordentliche und außerordentliche Beendigungskündigung auch im Falle einer Änderungskündigung zur Anwendung gelangt.

1. Vertragliche Arbeitsbedingungen

Nach § 611a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wird der Arbeitnehmer durch einen Arbeitsvertrag verpflichtet, im Dienste des Arbeitgebers weisungsgebunden sowie fremdbestimmt in persönlicher Abhängigkeit tätig zu sein; der Arbeitgeber hat im Gegenzug die vereinbarte Vergütung zu zahlen. Regelmäßig wird durch den Arbeitsvertrag sowohl der Arbeitsort als auch die vom Arbeitnehmer geschuldete Arbeitsleistung umschrieben. Hier war im Arbeitsvertrag die „Abteilung Verkauf“ genannt.

2. Weisungsrecht des Arbeitgebers

Danach beschränkte sich das Weisungsrecht der Arbeitgeberin auf Arbeiten in dieser Abteilung. Eine solche Vertragstechnik ist heute nicht mehr üblich; in vielen Fällen wird die Arbeitstätigkeit weiter gefasst, so dass auch Versetzungen in andere Abteilungen möglich sind.[1]

3. Änderung der Arbeitsbedingungen

Schließlich muss der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nicht in einem Tätigkeitsbereich erbringen, welcher nicht Bestandteil der vertraglichen Vereinbarung ist. Hieran gemessen schuldete die Klägerin aufgrund des Anstellungsvertrages vom 18. März 2010 die Tätigkeit als kaufmännische Mitarbeiterin für die Abteilung Verkauf.

a) Einvernehmlicher Änderungsvertrag

Eine einvernehmliche Versetzung in das „Auftragszentrum/Auftragssteuerung“ lehnte die Klägerin ab, so dass kein Änderungsvertrag zustande gekommen ist. Der vom Arbeitsrecht in Betracht kommende Weg zur Versetzung ist damit die Änderungskündigung.

b) Änderungskündigung

Eine Änderungskündigung besteht aus der Kündigung des Arbeitsverhältnisses verbunden mit dem Angebot des Arbeitgebers auf dessen Fortsetzung zu geänderten Arbeitsbedingungen.[2] Da der Änderungskündigung somit stets eine echte Kündigung des gesamten Arbeitsverhältnisses immanent ist, bedarf sie der Schriftform gemäß § 623 BGB.[3] Diese bezieht sich auch auf das Änderungsangebot. Es muss zudem so hinreichend bestimmt sein, dass für den Arbeitnehmer eindeutig erkennbar ist, welche Änderungen von ihm verlangt werden.[4] Dies ist zwingend, denn der Arbeitnehmer hat nach § 2 Satz 2 KSchG nur drei Wochen Zeit, um zu erklären, ob er die geänderten Arbeitsbedingungen unter Vorbehalt annimmt.

Das war hier nicht unproblematisch, denn die Beteiligten vertraten im Prozess sehr unterschiedliche Ansichten, ob und wie sich die Arbeitsbedingungen der Klägerin nach der Kündigung ändern sollten.

Sowohl der Betriebsrat als auch die SBV sind ordnungsgemäß zu beteiligen. Nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ist die SBV daher von einer beabsichtigten Änderungskündigung unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; sodann ist ihr die getroffene Entscheidung des Arbeitgebers mitzuteilen.

Unmittelbare Beteiligung der SBV

Diese Beteiligung hat direkt zu erfolgen. Es widerspricht der Eigenständigkeit der SBV als Interessenvertretung schwerbehinderter oder diesen gleichstellten Menschen, wenn der Arbeitgeber mit ihr lediglich über den Betriebsrat Kontakt aufnimmt. Bereits hieran gemessen, war die Beteiligung der SBV durch die Beklagte fehlerhaft. § 182 Abs. 1 SGB IX verdeutlicht, dass Arbeitgeber, SBV und Betriebsrat eng zusammenzuarbeiten haben. Dies erfordert eine unmittelbare, paritätische und vertrauensvolle Kommunikationskultur. Bei den Beratungen zur Unwirksamkeitsklausel hatte der zuständige Ausschuss des Bundestags verlangt, dass die SBV direkt und nicht auf dem Umweg über Dritte angehört wird.[5]

Umfang von Unterrichtung und Anhörung

Weiter ist die SBV von einer beabsichtigten Änderungskündigung in demselben Umfang wie der Betriebsrat zu unterrichten. So müssen sowohl dem Betriebsrat als auch der SBV der konkrete Inhalt des Änderungsangebots und die Gründe für die beabsichtigte Beendigung des Arbeitsverhältnisses mitgeteilt werden.[6] Auch hier greifen die Bedenken durch, ob das Änderungsangebot hinreichend bestimmt war.

c) Sonderkündigungsschutz

Darüber hinaus gelten auch im Rahmen einer Änderungskündigung die maßgeblichen Sonderkündigungsschutzvorschriften.

So bedarf die Änderungskündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten oder diesen gleichgestellten Menschen einer vorherigen Zustimmung durch das Integrationsamt, § 168 SGB IX. Im Zustimmungsverfahren sind Betriebsrat und SBV zu beteiligen, doch ersetzt dies nicht die Anhörung nach den §§ 102 BetrVG, 178 SGB IX. Ergeben sich während des Zustimmungsverfahrens vor dem Integrationsamt wesentliche Änderungen des Kündigungssachverhalts, ist sowohl der Betriebsrat als auch die SBV unter Mitteilung der nun maßgeblichen Tatsachen erneut anzuhören. Unterlässt dies der Arbeitgeber, ist die Beteiligung der Interessenvertretung im Gesamten fehlerhaft erfolgt. Seit dem 30. Dezember 2016 ist eine gleichwohl ausgesprochene Änderungskündigung durch den Arbeitgeber gemäß § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX unwirksam.

Das ArbG Hagen stützte die Unwirksamkeit auch darauf, dass der Arbeitgeber die SBV erst nach Einleitung des Verfahrens beim Integrationsamt beteiligt hat. Vom Gesetz wird eine „unverzügliche“ Anhörung verlangt, was gemäß § 121 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ohne schuldhaftes Zögern bedeutet. Das Arbeitsgericht ist mit dem überwiegenden Teil der Fachliteratur davon ausgegangen, dass mit dem Antrag beim Integrationsamt der Willensbildungsprozess des Arbeitgebers regelmäßig abgeschlossen ist.[7] Es ist Zweck der Anhörung nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX eben auf diese Willensbildung mit Argumenten einzuwirken. Bisher wollen die Integrationsämter an der früheren Praxis festhalten und eine Anhörung während oder nach dem Zustimmungsverfahren genügen lassen. Dies ist wenig überzeugend.

IV. Fazit

Wird gegenüber einem Arbeitnehmer eine Änderungskündigung ausgesprochen, hat dieser drei Reaktionsmöglichkeiten: Er kann das Angebot über die geänderten Vertragsbedingungen vorbehaltlos annehmen, ganz ablehnen oder unter Vorbehalt annehmen.[8]

Nimmt der Arbeitnehmer die Änderungskündigung unter dem Vorbehalt an, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist, ist es von besonderer Bedeutung, innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung beim Arbeitsgericht eine Änderungsschutzklage zu erheben. Wird diese Frist versäumt, können Rechtsfehler – wie etwa die fehlerhafte Beteiligung der SBV – nicht mehr geltend gemacht werden. Nach § 4 Satz 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) ist die Klage auf Feststellung zu erheben, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen unwirksam ist. Innerhalb derselben Frist muss der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber den Vorbehalt erklären, § 2 Satz 2 KSchG. Der Sachverhalt hat dokumentiert, wie wichtig ein solcher Vorbehalt sein kann.

Der Fall vor dem ArbG Hagen zeigt zudem deutlich, dass mit einer Änderungskündigung zahlreiche komplexe Rechtsfragen verbunden sein können. Für die SBV ist es daher wichtig, dass neben einer hinreichenden Schulung eine enge Kooperation mit dem Betriebsrat gewährleistet ist, um schwerbehinderte oder diesen gleichstellte Menschen beratend zu unterstützen. Auch Arbeitgeber sind gut beraten, die SBV ordnungsgemäß und kontinuierlich zu beteiligen. Eine geeignete Organisation der innerbetrieblichen Kommunikationskanäle kann hier helfen.

Schließlich zeigt der vorliegende Rechtsstreit, dass die zeitliche Rangfolge von innerbetrieblicher Anhörung und externem Antrag auf Zustimmung zur Kündigung streitentscheidend sein kann, gleichwohl aber noch nicht abschließend geklärt ist. Es ist daher wichtig, dass sich auch die Mitglieder der Widerspruchsausschüsse bei den Integrationsämtern nach § 202 SGB IX rechtzeitig mit dieser Frage befassen.

Beitrag von Prof. Dr. Wolfhard Kohte und Ass. iur. Matthias Liebsch, Zentrum für Sozialforschung Halle (ZSH)

Fußnoten

[1] Ausführlich zu Versetzungsklauseln Becker in: Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, Arbeitsrecht, 4. Aufl. 2017, GewO § 106 Rn. 14 ff.; APS/Künzl, 5. Aufl. 2017, KSchG § 2 Rn. 105 ff.

[2] Oetker in: ErfKomm, 18. Aufl. 2018, KSchG § 2 Rn. 6.

[3] Müller-Glöge in: ErfKomm, 18. Aufl. 2018, BGB § 623 Rn. 3.

[4] BAG 17.02.2016 – 2 AZR 613/14, DB 2016, S. 1204; BAG 26.01.2017 – 2 AZR 68/16, NZA 2017, S. 499; BAG 29.9.2011 – 2 AZR 253/10, NZA 2012, S. 628.

[5] Bundestags-Drucksache 18/10523, S. 64.

[6] Kania in: ErfKomm, 18. Aufl. 2018, BetrVG § 102 Rn. 9 unter Verweis auf BAG 30.11.1989 – 2 AZR 197/89, NZA 1990, S. 529.

[7] Bayreuther NZA 2017, S. 87, 90; Klein NZA 2017, S. 852, 855; Schmitt BB 2017, S. 2293, 2298; Düwell/Beyer, Das neue Recht für behinderte Beschäftigte, 2017 Rn. 122; aA Kleinebrink DB 2017, S. 126, 128.

[8] Hierzu im Einzelnen mit weiteren Nachweisen Oetker in: ErfKomm, 18. Aufl. 2018, KSchG § 2 Rn. 5.


Stichwörter:

Schwerbehindertenvertretung (SBV), Änderungskündigung, Kündigung, Unwirksamkeitsklausel, Unwirksamkeit der Kündigung, Beteiligungsrechte, Integrationsamt, Zustimmungserfordernis


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